Die Notenständer der Musiker sind mit Zeitungsfetzen, vielleicht auch Kleiderresten bestückt. Kopatchinkskaja betritt wie immer vom Publikum aus die Bühne, spielt ein wenig mit den Musikern, die noch im Begiff sind, ihren angestammten Platz zu verlassen und im Kreis gehend einen anderen einzunehmen. Das ist Ritual bei Aufführungen mit Kopatchinskaja, die dafür bekannt und vom Publikum geliebt wird, dass sie die traditionelle Form eines Konzertes auflöst.
Sie trägt das traditionelle Pierrot-Kostum und ihr Gesicht ist weiß geschminkt, die Augen schwarz umrandet. Sie wirkt wie ein verlorenes Kind. Doch gleich wird sie zum zornigen Kind, stampft mit den Füßen, gestikuliert wild mit den Armen und schreit, krächzt und grunzt – ja auch diese Töne sind zu hören. Es sind dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds „Pierrot lunaire“ op.21, die Arnold Schönberg vertonte. Diese Vertonung wird allgemein als Schlüsselwerk der musikalischen Moderne angesehen und verursachte bei der Uraufführung 1913 in Prag einen heftigen Konzertskandal. So heftig waren die Reaktionen, dass Schönberg für jede folgende Aufführung eine Zusicherung für störungsfreies Musizieren forderte. Die Kritiken waren heftig, spöttisch bis verletzend. Die wenigen positiiven lobten den Mut der Pierrotdarstellerin Albertine Zehme und ihre eigenwillige Rezitation.
Nun, Skandale gibt es heute nicht mehr. Denn Schönbergs Musik – hier noch nicht atonal – und die Interpretin Kopatchinskaja haben ihre unbestrittene Position im Musikleben. Dennoch: Ich konnte von dem Text kaum etwas verstehen, gerade hin und wieder Wortfetzen. So konnte ich daher nicht nachvollziehen, warum sie fast die Sprachcontenance verliert. Die Musik Schönbergs ging irgendwie bei diesem Artikulationsspektakel unter. „Die Interpretaton der irrealen Pierrotfigur entzieht sich einer gängigen Verstehensroutine“ heißt es im Programmheft. Gut, aber wenn ich nur irrwitzige Laute vernehme ohne auch nur den geringsten Anhaltspunkt, warum gerade geschrien, gekreischt wird, dann fehlt mir der Zugang. Nicht aber das Publikum – ein Teil brach in Begeisterungsapplaus aus.
Den Abend retteten die Zwischenstücke, die Kopatchinskaja unter dem Künstlernamen PatKop komponierte. Da konnten die sechs fantastischen Musiker richtig brillieren.