FESTSPIELE REICHENAU 2024 – alle Stücke auf einen Blick

Fotos: Lola Jodlbauer

Nestroy: Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt

Regie: Robert Meyer, Bühne und Kostüme: Christof Cremer, Musik: Helmut Thomas Stippich.

Ein Krach, ein Donner, ein Blitz – effektvoller hätte man die Festspiele Reichenau nicht eröffnen können – wir befinden uns im Geisterreich. Dort soll Recht gesprochen werden. Nestroy, der große Widerstandsgeist und Satiriker, beginnt mit einer Szene aus dem Feenreich, wie es damals, in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts überaus beliebt war, und parodiert diese gekonnt nach Strich und Faden. Da herrscht, wie es sich im Götter- und Geisterreich gehört, der Feenkönig Stellaris (eindrucksvoll parodiert von Franz Xaver Zach), Fortuna, Beherrscherin des Glücks (Brigitta Kren mit Mut zur Selbstverleugnung), teilt stilgerecht aus ihrem winzigen Füllhorn ein paar Goldflinserln über diverse Häupter und glaubt nicht so recht an deren Wirkungskraft. Amorosa (Veronika Glatzner) huscht als Fee der wahren Liebe über die Bühne. Eigentlich geht es um eine Wette zwischen dem „Herrn“ des Feenreiches und dem bösen Geist Lumpazivagabundus (großartig Sebastian Wendelin in der Maske eines Mephisto) Die guten Geister glauben an die Wandlungsfähigkeit des Menschen, wenn er nur mit genug Glück, sprich Geld, gesegnet wird. Lumpazivagabundus hingegen ist Realist und daher Skeptiker. Ob er gewinnen wird? Die Probe aufs Exempel soll an drei liederlichen Gesellen statuiert werden. (Goethe lässt grüßen!)

Und da sind sie schon, die Drei, alle Verlorene, Versoffene: Der Tischlergeselle Leim (Thomas Frank), aus verloren geglaubter Liebe kreuzunglücklich, der Schneidergeselle Zwirn (Florian Carove), den seine Gspusis mit den Frauen in den Ruin trieben, und der Schustergesell Knieriem (Robert Meyer), der die Welt im Untergang sieht. Hoffnungslos, aber keineswegs mutlos. Sie saufen, was das Zeug hält, singen sich die Welt rund und schön. Verschleudern den Lottogewinn, bis auf Leim.

Nur Knieriem ist ein wenig anders – er ist in seiner Hinfälligkeit ein Verlorener, ein tief Verzweifelter. Robert Meyer ist Knieriem in persona.! Ein Stiller, der seine Bedürftigkeit hinter dem Bierglasl versteckt. Der weiß, es gibt für ihn kein Entrinnen, denn die Welt wird untergehen. Der Komet wird sicher kommen! Er brüllt nicht, wie die beiden anderen. Leise bittet er um ein größeres Schnapsglas, so ein kleines tuts nicht. Seine Verlorenheit rührt. Die anderen beiden sind laute Polterer, manchmal etwas zu laut.

Ein gelungener Nestroy, dank Meyers behutsamer Regie, die mit kleinen Mitteln Großes Theater erwirkt: Etwa durch die Einführung des bösen Geistes alias Lumpazivagabundus, alias Mephisto, der die Drei im HIntergrund mit pantomimischer Häme belauert.

Oder durch die gekonnte Führung der Frauenfiguren, die es in diesem Stück nicht leicht haben. Sie haben ja nichts zu reden in dieser Mänerwelt. Aber sie setzen Akzente: Veronika Glatzner als Amorosa, Kellnerin Sepherl und als Camilla zeigt ihre Wandlungsfähigkeit. Ebenso Brigitte Kren einmal als Fortuna, dann nicht wiederzuerkennen als Haushälterin oder als Signora Palpiti. Elisabeth Schwarz brilliert in kleinen Rollen als Amorosa, Tochter Pepi und Tochter Laura. Sie schwirren in Kostümen, die manchmal an Biene Maja erinnern, über die Bühne. Christof Cremer ist für die bunte Schar und für das schnell zu verwandelnde Bühnenbild verantwortlich! Die drei Musikanten Helmut Thomas Stippich auf der Schrammelharmonika, Maria Stippich mit der Kontragitarre und David Stippich mit dem „Picksüßem Hölz´l“ sorgen für den typischen Nestroysound. Wie´s aussieht könnte dieser Nestroy zum Publikumshit werden!

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Blick in den Garten Foto: Silvia Matras

Unterkunftstipp: Zum Beispiel Parkhotel Hirschwang http://www.parkhotelhirschwang.at) mit großem Park, einer schönen Frühstücksterrasse. Gratisshuttlebus nach Reichenau und Semmering zu den diversen Verantaltungen.

TAG 2: Schnitzler, Anatol

Regie: Michael Gampe, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Musik: Anna Starzinger

Es beginnt düster und schwermütig und es bleibt düster und schwermütig. Die kaum vorhandene Bühnendekoration unterstreicht noch die melancholische Grundidee: auf schwarzglänzendem Boden spiegeln sich die Figuren und versickern im Schwarzen. Begonnen und begleitet wird der Abend mit schwermütiger Cellomusik.

Foto:Lola Jodlbauer

Die Schauspieler haben es schwer,, besonders Anatol (Anton Widauer). Sie kämpfen gegen Bilder und Erinnerungen an große Schauspieler, die diese Rollen verkörperten. Man glaubt Anton Widauer nicht die Erfahrungen eines Anatol. Wie soll er gegen seine Vorgänger ankämpfen? Das gilt auch für Max (Claudius von Stolzmann). Zwischen den beiden fehlt das amüsante, intelligente Gedankenpingpong. Max ist kein Widerpart und zu wenig korrektiver Kumpel. Das gilt auch für die einzelnen Szenen mit Anatols Eroberungen – ganz besonders für die berühmten „Weihnachtseinkäufe“, die ikonische Szene des Dramas. Johanna Arrouas ist eine elegante, schöne Frau aus der Upperclass und sie bemüht sich wirklich, den dekadenten Hauch von Verzicht auf eine uneingestandene Liebe hinüberzubringen. Doch zwischen ihr und Anatol ist nur Text, kein Hauch von Erotik. Naomi Kneip könnte als Bianca gute Figur machen, würde sie nur etwas weniger rauhbeinig daherkommen. Am ehesten treffen Anna (Paula Nocker) und Anatol den Schnitzlerschen Subtext: Da kämpfen zwei junge Leute um den Sieg – wer den anderen früher und treffender verletzen kann. Das hat Realität und Witz. Bleibt noch der unbestimmte Abgang der verheirateten Else (Miriam Fussenegger): Beide haben sich nichts mehr zu sagen und sprechen Sprechblasen von „großer Liebe“. Frustriert verlässt sie ihn, frustriert sieht er ihr nach.

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Besonderer Tipp für alle, die sich von zarten Köstlichkeiten verführen lassen: In Reichenau, direkt an der Hauptstraße (61) hat die Konditormeisterin Sophie Hirschegger ein entzückendes kleines Café eröffnet: „LE PETIT PATISSERIE“. Probieren Sie zum Beispiel ihre Eigenkreation, das Kokos-Passionsfruchttörtchen. Öffnungszeiten: Do-So 10-16h. http://www.lepetitpatisserie.at ©Silvia Matras

3. Tag: Thomas Bernhard, Der Ignorant und der Wahnsinnige

Regie: Hermann Beil, Bühne und Kostüme: Christof Cremer

Alle Fotos: Lola Jodlbauer

Thomas Bernhard feiert in dem Stück alles ab, von der Kunst im Allgmeinen, vom Theater und der Oper im Besonderen. Journalisten, Ärzte, Schauspieler, Sänger und Publikum – sie alle bekommen ihr Fett weg. An diesem Abend gelang der Rundumschlag besonders gut:

Stefan Jürgens als Doktor ist in seinem Element – bravourös laviert er durch die Tiraden, genießt die detaillierte Erklärung einer Hirnoperation. Dazwischen grummelt der blinde Vater (Martin Schwab), schimpft auf seine unpünktliche Tochter. Nur der Griff zur Flasche rettet ihn vor der Verzweiflung. Blind, doch ohne blindes Vertrauen auf die Tochter. Was Martin Schwab aus dieser fast stummen Säuferrolle macht, ist beeindruckend. Mit nur wenigen, seiner Blindheit geschuldeten unsicheren Gesten und einer sparsam eingesetzten Mimik bringt er die Leere und Hoffnungslosigkeit seines Lebens zum Ausdrück.

Alles ist auf die Tochter ausgerichtet, sie ist die Stimmmaschine, sein Motor. Immer wieder die Angst, sie könnte versagen. Wie dem Tag, dem Leben noch einen Sinn geben? Wie die Gewohnheit, von Auftritt zu Auftritt mitzureisen abzulegen und die Tochter „ziehen zu lassen“, wie die Angst vor dem Versagen zu unterdrücken? Wird die Wahnsinnskoloraturarie der Königin der Nacht auch zum 222. Mal gelingen? Julie Stemberger ist eine großartige Diva mit all den einer Diva zugeschriebenen Zicken: Sie ist nicht nur die Königin auf der Bühne, sondern auch und das besonders in der Garderobe. Da entstehen pantomimisch humorgeladene Theaterszenen zwischen ihr und der ihr hündisch ergebenen Frau Vargo (Therese Affolter). Deren Geduld und stumme Ergebenheit wird auf die härteste Probe gestellt, muss sie doch immer wieder unter den Arm der Königin kriechen und die mutwillig aufgerissene Naht zusammenflicken -s. Foto oben. Aus solch scheinbar bedeutungslosen Szenen entsteht Theater!

Schritt für Schritt verwandelt sich die Tochter zur Königin und tritt machtbewusst vor ihr Publikum! Sie wird singen, sie wird das Publkum mitreißen. Um dann noch im Siegesrausch mit ihrem Dauerbewunderer und dem Vater in den“ Drei Husaren“ zu dinieren. Ab nun gehört die Szene nur ihr, die beiden Männer werden Nebenfiguren. Dann plötzlich, scheinbar unvorbereitet, diktiert sie dem ihr treu ergebenen Kellner (Dirk Nocker) eine Absage nach der anderern. Der Glaube an Perfektion bricht zusammen – Absturz und totale Erschöpfung sind das Ergebnis einer langen, qualvollen Sängerkarriere. Thomas Bernhard schrieb das schonungsloseste Theaterstück über das Theater, die erbarmungslose Maschinerie, die aus Menschen Automaten macht. Grandioser Text – grandios gespielt.

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4. Tag: Ödön von Horváth, Der jüngste Tag

Regie: Maria Happel, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Licht: Lukas Kaltenbäck

Es war ein Theatereignis! Man bekam den Glauben an das Theater zurück! Dank der werktreuen und einfühlsamen Regie von Maria Happel und des bis zur kleinsten Rolle gut besetzten und exzellent spielenden Ensembles sah man einen Abend, an dem Horvath und nur Horvath gespielt wurde. Mätzchenfrei, ohne Regieverkrümmungen, ganz nah am Text! Die Bühne ist fast leer, eine Bank, eine Stellwerk und im Hintergrund eine Hausfassade, die das Bahnwärterhaus, dann das Wirtshaus ist. Die Kostüme sind zeitlos, aber in die Zeit der 30er Jahre passend.

Anna (Johanna Mahaffy) und Thomas (Daniel jesch)

Es begann alles mit einem verhängnisvollen Kuss: Anna ist jung, stürmisch übermütig. Der in sich gekehrte, verschlossene Thomas Hudetz versieht seinen Dienst als Stationsvorstand mit großem Ernst. Zu ernst -findet Anna, Deshalb küsst sie ihn gegen seinen Willen. Vom Fenster oben sieht seine verhärmte Frau zu. Wegen dieses Kusses vergißt Thomas das Signal für den Schnellzug umzustellen ,und es geschieht ein verheerendes Unglück. Man beklagt viele Tote und Verwundete. Thomas ist sich seiner Schuld bewußt, leugnet aber sein Vergehen.

Wer ist schuld, fragt Horvath, präszise in die Seelen aller Beteiligten hineinleuchtend. Um dieses Ausleuchten geht es. Um das Sich zur Schuld Bekennen. Schuld ist vielschichtig – Anna hat das Unglück ausgelöst, leistet einen Meineid vor Gericht. Johanna Mahaffy spielt das quirlige, kokette Mädchen genauso überzeugend, wie die Verzweifelte, die mit ihrer Schuld nicht fertig wird. Großartig die Szene, in der sie Thomas ihre Qualen schildert. Im neuerlichen Kuss verbindet die beiden nicht Lust oder Leidenschaft, sondern Leid und Todeswunsch . Eros und Thanatos – gefasst in der beklemmenden Szene unter dem Viadukt. Gespenstisch gefangen im Lichtkreis der Schuld. Minuten später wird Thomas sie töten. Es sind die ersten Regungen, die dieser, nur sich auf die Pflicht berufende Mann zeigt. (Gut gespielt von Daniel Jesch). Weiter geht das Karussell der Meinungen und Vorverurteilungen: Der vor Gericht frei Gesprochene wird als Held gefeiert, seine Frau, die vor Gericht die Wahrheit sagte, der aber nicht geglaubt wurde, wird als alte, eifersüchtige Hexe beschimpft. Mercedes Echerer spielt diese glück- und lieblose Frau mit viel Überzeugungskraft! Gerüchte werden weiter geschürt – großartig Dunja Sowinetz als Frau Leimgruber, die Giftspritze des Dorfess. Sie und alle Dorfbewohner sind letztendlich auch mitschuldig geworden.

Typisch für Horvath: Die Schlussszene! Das Jenseits meldet sich, möchte Thomas hinüberlocken. Der ist schon bereit, vom Viadukt in die Tiefe zu springen. Doch ein leiser Hauch, vielleicht die warnende Stimme Annas, hält ihn zurück. Er wird sich stellen.

Es verblüfft, wie aktuell dieses Drama ist. Rasch wird jemand verurteilt, rasch wird jemand bejubelt, Einst sorgte eine Frau Leimgruber für Vorverurteilungen, heute geschieht das noch viel wirksamer in den „Sozialen Medien“. Und „Pflichtbewusstsein“ ist relativ, galt und gilt immer wieder als Legitimation für so manche Verbrechen.

Jubelnder Applaus für alle Darsteller und das Team!

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