Shakespeare/Wheeldon: Winter’s Tale. Ballett- Staatsoper Wien

Das Titelfoto demonstriert den Kern der Erzählung: Königin Hermione von Sizilien tanzt ziemlich engagiert – um es freundlich auszudrücken – mit Polixenes, König von Böhmen. Das macht Leontes, Ehemann Hermiones, König von Sizilien und Freund von Polixenes, so rasend vor Eifersucht, dass er alles um sich herum vergißt: seine Liebe zu Hermione, seine langjährige Freundschaft mit Polixenes, Aus der rasenden Eifersucht wird die Tragödie geboren: Es gibt Tote, Scheintote, die wieder auferstehen, Kämpfe bis aufs Messer – und doch geht am Ende alles gut aus. Ist ja ein Märchen, und daher darf es so ausgehen. Ein etwas verwirrender Plot, daher empfiehlt es sich, vor der Vorstellung die Inhaltsangabe im Programm zu lesen oder sich gleich bei Schakespeares gleichnamigem Drama, das als Vorlage galt, schlau zu machen.

Christopher Wheeldon, seit 1991 am Royal Ballett London arbeitend, ist für seine phantasievollen Handlungsballette bekannt. Ohne Scheu vor Shakepeare straffte er die an sich komlizierte Handlung zu einem Drama über männliche Blindheit, wenn Eifersucht im Spiel ist. Sein langjähriger künstlerischer Begleiter Joby Talbot komponierte dazu eine flotte, gut tanzbare Musik zwischen Musical, Filmmusik, Beat, Gershwin, Bernstein und reichlich orientalischen Klängen. Bob Crowly, der dritte Mann im creativen Triumvirat, schuf das bezaubernde Bühnenbild zwischen Düsternis (Sizilien) und Lebensfrohsinn (Böhmen) mit den dazupassenden Kostümen. Die 2. Aufführung (am 21. November) dirigierte Christoph Koncz, dem diese Mischung aus disparaten Genres hörbar gut gelang. Über alles streute Natasha Katz ein überirdisch märchenhaftes Licht.

Das Ballettensemble der Staatsoper glänzte in Hochform und Hochglanz. Allen voran Brendan Saye als König Leontes.Zu den schwersten Rollen eines Handlungsballettes gehören solche, die Gefühle wie Eitelkeit, Hochmut oder wie im Fall des Königs Eifersucht darstellen. Tänzerisch neigen manche zur Übertreibung. Brendan Saye überspringt quasi die Übertreibung und treibt die Eifersucht in den Furor. Wie von inneren Spinnen geplagt windet er sich und rollt sich ein, springt auf – kurz er wird zum beängstigenden Dämon. Seine ganze Mimik und Gestik spielen mit. Einfach: Großartig. Ihm zur Seite ist Hyo-Jung Kang eine zierlich-zärtliche Gattin, die aber einen kleinen Flirt mit Polixenes nicht scheut. Masayo Kimoto ist ein nicht ungefährlicher Freund-Feind. In seinem Tanz ist diese Ambivalenz angelegt. Intensiv auch Pauline, die Hofdame Hermiones. In ihrer kontrollierten Strenge drückt Katevan Papava dieser Figur einen eindrucksvollen Charakter auf.

Nicht in Sizilien, sondern in Böhmen ist die Lebensfreude beheimatet. Dort wächst Perdita, die Tochter Hermiones und Leontes, unerkannt als einfache Schäferin auf. Doch wie es Shakespeare will, verliebt sich Florizel, der Sohn des Königs Polixenes, in sie. Der zweite Akt ist ein einziger Hochgenuss an Farben, Tanzfreudigkeit. Das Frühlingslicht verzaubert die Natur, lässt den Baum erblühen (ähnelt fatal einem Weihnachtsbaum), und den Schäfern und Schäferinnen schießt die Tanzlust in die Beine. Unter ihnen auch „Clown“, Sohn eines Schäfers. Duccio Tariellos Kosakentanz ist Clownerie, in der sich die männliche Angeberei, das gockelartige Prunken vor den schönen Mädchen verraten. Zauberhaft und leicht wie der Frühlingswind tanzen Arne Vandervelde als Florizel und Ludmila Konovalova als Schäferin Perdita ihren Liebespas-de-deux. Dass König Polixenes diese Verbindung nicht passt, ist klar, hat er sich doch für seinen Sohn eine bessere Partie vorgestellt. Aber das Märchen muss ein gutes Ende haben: Alle treffen in Sizilien ein, wo man zuerst Leontes und Paulina in tiefer Trauer um Hermione erlebt. Denn Leontes bereut längst schon seine Eifersucht. Eine ziemlich schwierige Szene, die Brendan Saye und Ketevan Papava hier zu bewältigen haben: Er zerknirscht, sie im Wissen, dass Hermione lebt, zwingt ihn immer wieder in die Trauer – als ob sie es genießt, ihn vor Kummer und Selbstvorwürfen zerfleischt zu sehen. Das ist hohe Tanzkunst!

Versöhnung. © Ashley Taylor

Und dann das glückliche Ende! Hermione lebt, Leontes und Polixenes legen ihren Streit bei und geben Florizel und Paulina ihren Segen. Kitschgefahr werden da manche schreien. Aber Wheeldon ist ein exzellenter Chroeograph. Gewitzt forciert er die Szene zur fast unglaubwürdigen „Heiligenpose“ und ironisiert sie dadurch. Ein durch und durch gelungenes Handlungsballett, dem das Publikum mit Begeisterung folgte.

Vier Tage später, am 26. November nochmals „Winter’s Tale“ in geänderter Besetzung.

Dato, Avraam und Ensemble© Ashley Taylor

Spannung und Aufmerksamkeitsgrad waren hoch, vielleicht noch um eine Spur intensiver, da man nicht mehr nur von der Handlung gefesselt wurde.

Man kannte die Handlung und konnte sich nun voll und ganz auf Änderungen in den Hauptrollen und auf Details konzentrieren. Vor allem war auch mehr Kapazität frei für die phantasievolle Musik. Etwa hörte man konzentriert den Einsatz der indischen Flöte, die dem Pas de deux von Florizel und Perdita den Märchenzauber verlieh (Foto oben).

Natürlich war man auf die Darstellung der Hauptcharaktere neugierig – wird es unterschiedliche Nuancen geben? – Marcos Menha schuf einen anderen Leontes – er trat weniger bedrohlich als Brendan Saye auf und agierte aus der Defensive heraus. Die Eifersucht quälte vor allem ihn am stärksten. ließ ihn selbst unermesslich leiden.

Esina und Menha © Ashley Taylor

Dass Olga Esina als Hermione eine stärkere Gegenfigur zu Leontes war als ihre Vorgängerin (Hyo-Jung Kang), ergibt sich logisch. Diese Hermione fleht nicht um Gnade, sie ist sich ihrer Unschuld bewusst, hat sogar Momente der Verachtung für diesen Ehemann. Durch ihre starke Bühnenpräsenz verwandelt Esina Hermione in eine selbstsichere Frau, die am Ende auch nicht sofort und leicht verzeiht. Wenn sie aus der Starre der Statue sich zurückverwandelt in die Frau, die sie einmal war, muss Leontes schon einiges an Liebeswerben aufbieten, bis sie zur Vergebung bereit ist.

Davide Dato als Prinz von Böhmen erobert wie immer die Herzen des weiblichen Publikums. Da bricht Zwischenapplaus los, wenn er die Bühne mit atemberaubenden tours jetés durchquert. Aber er ist in dieser Rolle nicht nur Showman, sondern auch perfekt Liebender. Der pas de deux mit der bezaubernden Joanna Avraam als Paulina hat Charme und Jugendlichkeit.

Davide Dato als Prinz Florizel © Ashley Taylor

Wie sehr dieser Ballettabend fasziniert, merkt man am Ende: Es kommt der Wunsch auf, auch noch die anderen Besetzungen zu erleben. Denn Langeweile ist diesem Triumvirat (Wheldon, Talbot und Crowly) ein Tabubegriff. Wenn noch dazu ein so begabter Dirigent wie Christoph Koncz die Musik brillieren lässt, dann bleiibt nur zu wünschen übrig, dass diese Aufführung nicht so bald vom Programm verschwindet.

http://www.wiener-staatsballett.at