DaNach der politischen Idee aus der Zeit der Weimarer Republik wurden 1933 neue „Staatsräte“ ernannt. Ihr offizieller Aufgabenbereich: „Sie stehen dem Führer mit Rat, Anregung und Gutachten zur Seite“ – so die Definition des Juristen Dr. Carl Schmitt, einer der vier Staaträte, die Helmut Lethen in seinem Buch beschreibt. Ihre politische Wirkungsmacht ist zweifelhaft. Man kann eher von Scheinwirkungen sprechen. Die Idee kam von Hermann Göring: Es wurden Männer ausgesucht, die nichts im Staate zu sagen hatten, aber doch bedeutende Namen trugen, wie Gustav Gründegens, Schauspieler und Intendant des Staatlichen Schauspielhauses, der Dirigent Wilhelm Furtwängler, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch und der Jurist Dr. Carl Schmitt. HelmuthLethen lässt die vier Staatsräte viermal zu geheimen Gesprächen zusammenkommen. Diese Treffen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt ohne irgendeinen politischen Auftrag. Übrigens hielt Hitler selbst nichts von der Idee der Stadträte, kam zu keinem Treffen und fragte auch keinen dieser Herren um Rat.
Lethen „rekonstruiert“ nun diese vier Gesprächsrunden. Da es keine Aufzeichnungen gibt, nennt er sie „Geistergespräche“. Die Erfindung dieser Gespräche ist zugleich die Crux des Buches: Die Gespräche geraten dem Autor allzu theoretisch. Gründgens spricht über den Schein, die drei Zuhörer (und der Leser) langweilen sich. So nebenbei erfährt der Leser etwas über die Prunksucht des Schauspielers, sein riesiges Anwesen und seinen luxuriösen Lebensstil. Beim zweiten Treffen, das auf dem Landgut Görings stattfindet, spricht der Jurist Carl Schmitt über den Begriff „Feind“. Auch er stößt nicht auf allzu viel Interesse. Im dritten Treffen brilliert der „große Chirurg“ Sauerbruch über den Vorteil des Krieges, der ihm die Möglichkeit gab, ganz neue Prothesen zu entwickeln. Zynisch lässt er Kriegsverletzte mit Prothesen als Schauobjekte auftreten. Das vierte Gespräch findet im Dirigentenzimmer Furtwänglers statt. Die vier überhören die Sirenen, die britische Bomber ankündigen. Es ist zu spät, um in den Luftschutzkeller zu rennen. Furtwängler spricht gelassen weiter über die Harmonie in der klassischen Musik und wettert gegen die „Neutöner“.
Die vier Männer hatten im politischen System nichts zu sagen und zu entscheiden. Sie wähnten sich sicher während der ganzen Nazizeit und nach dem Zusammenbruch genau so sicher vor gerichtlicher Verfolgung. Und tatsächlich kam es nur zu einem kurzen Karrierestopp. Nach einigen eher ungemütlichen Verhören konnten alle bis auf Schmitt ihre Karriere ungehindert fortsetzen. Schmitt wird dreimal verhaftet und verhört, verliert seine Professur an der Berliner Universität. Gründgens steht 1947 schon wieder auf der Bühne – ausgerechnet als Orest in Sartres Résistancedrama „Die Fliegen“. Sauerbruch bleibt auch nach Kriegsende Chef der Chirurgischen Klinik der Charité. Furtwängler wird 1946 von einer Berliner Untersuchungskommission von jeglicher Schuld freigesprochen, Zitat: „Bis zu seinem Tod geistert Furtwängler als heiliggesprochener Dirigent durch die Konzertsäle Europas.“
Was war das Ziel des Autors? – vielleicht aufzuzeigen, wie es sich so manche im Dritten Reich richten, ihr Gewissen beruhigen und sich mit der Macht arrangieren konnten. Doch der Autor strapaziert die Geduld des Lesers durch theoretische Exkurse allzu sehr.