Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Dem Verlag gilt mein Dank, dass er dieses großartige Buch im deutschsprachigen Raum erscheinen ließ! Wer sich für den Süden Italiens, die Auswanderungswelle vom Süden in den Norden, insbesondere nach Mailand in den 1960er Jahren, interessiert, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Wer sich nicht dafür interessiert, sollte es erst recht lesen. Denn Marco Bolzano kann erzählen, dass einem beim Lesen Herz und Hirn aufgehen! Ein weiteres Lob gilt Maja Pflug, die diese schlichte, aber hoch qualifizierte Sprache, die nie artifiziell wird, aber sehr poetisch ist, eins zu eins perfekt ins Deutsche übersetzt hat.
Ninetto ist ein Knirps, der seine Kindheit in Sizilien verbringt, immer schon sehr kritisch denkt und sich in den ärmlichen Verhältnissen gut zurecht findet.. Sein großes Vorbild ist der Lehrer Vincenzo, der ihm die Liebe zu Gedichten beibringt und die Welt erklärt, soweit er sie selbst versteht. Als die Mutter mit einer schweren, unheilbaren Krankheit ins Altersheim eingeliefert wird, ohne Chance auf Besserung, und der Vater trinkt und das Geld verspielt, entschließt sich Ninetto mit einem ziemlich fiesen Typen nach Mailand auszuwandern, um Arbeit zu finden. Dort angekommen muss er feststellen, dass er für jede Art von Arbeit noch zu klein und zu jung ist. Aber er beißt sich durch, auch wenn er ausgenützt und ausgebeutet wird. Als er 15 ist, verliebt er sich in Maddalena, die aus Calabrien stammt. Weil sie heiraten wollen, aber vom Vater des Mädchens keine Erlaubnis bekommen, brennen sie durch. In Ninettos Heimatdorf erhalten sie eine Art „Blitztrauung“. Zurück nach Milano schuftet sich Ninetto die Seele aus dem Leib, um seiner heiß geliebten Maddalena und später seiner Tochter ein einigermaßen schönes Leben zu bieten. Was ihm auch gelingt, aber unter welchen Bedingungen! Er „verkauft“ sich als Fließbandarbeiter an die Alfa-Romeowerke – für ihn die reinste Hölle. Die nächste Hölle erwartet ihm in Gefängnis – er büßt eine jahrelange Strafe ab und kommt als fast gebrochener alter Mann heraus.
Mehr sei über den Inhalt nicht verraten. Bolzano ist ein begnadeter Erzähler, weiß, wie er Spannung erzeugt und dabei auch kluge Lebensphilosophie einflicht. Wie Perlen fügt er Satz an Satz, jeder einzelne eine Kostbarkeit, die sich gerade in der überzeugenden Schlichtheit und Echtheit, wie Ninetto die Welt erlebt und reflektiert, manifestiert. Im Nachwort schreibt Bolzano, der selbst in Mailand lebt und unterrichtet, dass er für dieses Buch viele aus dem Süden Italiens Ausgewanderte interviewt und lange Gespräche mit ihnen geführt hat. Dadurch wirken alle Figuren sprachlich und inhaltlich sehr authentisch. Ninetto durchlebt gleichsam als Leit- und Symbolfigur die Hoffnungslosigkeit und das Ausgeliefertsein der Zeit von 1960 bis knapp nach 2000, den vergeblichen Kampf der Arbeiter für mehr Rechte. die neue Einwanderungswelle der Chinesen, den Niedergang vieler Fabriken. Das Ende des industriellen Aufschwungs und das Herannahen des digitalen Zeitalters sind erahnbar.
Unbedingt lesen!!!