Ballettabend/Wiener Staatsoper: „Le pavillon d’Armide“ und „Sacre“/ Premiere

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Foto: Wiener Staatsopernballett, Ashley Taylor

Mit diesem hervorragenden Ballettabend feierte John Neumeier seine  vierzigjährige Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper. Und es wurde ein gelungenes Fest! Wie immer, wenn John Neumaier für Choreographie, Bühnenbild, Kostüme und Lichtregie verantwortlich ist, entsteht ein Meisterwerk.Unter seiner Führung zeigte das  Staatsopernballett seine Fähigkeit zu extremen Leistungen, nicht nur tänzerisch, sondern auch darstellerisch. Denn Neumeier ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, wofür er Tänzer braucht, die mehr als nur Sprünge beherrschen.

Im „Pavillon d´Armide“ schlüpfte Mihail Sosnovschi in die Rolle des Tänzers Vaslaw Nijinsky – falsch – er war Nijinsky. Mit unwahrscheinlicher Intensität tanzte er den gebrochenen Tänzer, der nach seiner großen Karriere die letzten 30 Jahre seines Lebens im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen in der Schweiz verbrachte. In wahnhaften Visionen sieht er sich im Ballett „Le Pavillon d`Armide“ mit Anna Pawlowa (Nina Polatkowa) tanzen. Großartig gelingt es Neumeier, die beiden Zeitebenen ineinander zu verweben. Sosnovschi tanzt den kranken Nijinsky mit irrem, starrem Blick. Dazwischen leuchtet der begnadete Tänzer von einst auf. Das war ganz große Tanzkunst! Sosnovschi lässt die Frage nach Technik und Können hinter sich – weil das ja bei einem wirklichen Künstler, der in der Rolle, egal ob Sänger, Tänzer oder Schausspieler, drin ist, überhaupt nicht relevant ist. Unterstützt wurde er von Michael Boder, der die Musik von Nikolai Tscherepnin genüsslich fließen ließ.

Mit einer langen Stille begann der Ausschnitt aus „Sacre du printemps“. Neumeier ließ Paare wie Scherenschnitte langsam über die Bühne schreiten. Im Vordergrund liegt bereits das Opfer, die Leiche. Neumeier geht es nicht um die Geschichte des Rituals rund um ein Frühlingsopfer, sondern um die Vision des totalen Zusammenbruchs. Die Welt steht vor dem Untergang. Menschen werden von einer unbekannten Macht verschlungen, suchen Zuflucht miteinander und ineinander – großartig getanzte Kopulationsszenen, in denen die ganze Verzweiflung und die Suche nach Rettung im anderen herauszuspüren sind. Bilder, wie aus Kriegsfilmen, Menschenskulpturen, die an Rodins „Bürger von Calais“ erinnern. Am Schluss tanzt Rebecca Horner einen Untergangstanz, in dem Selbstzerstörung, Aggression und tiefe Verzweiflung förmlich stumm herausgeschrien werden. Ihr wurde übrigens nach der Aufführung der Titel „Solotänzerin“ verliehen.

Michael Boder dirigiert Strawinsky hart, fast ohne Erbarmen. Das Orchester der Wiener Staatsoper kann beides: Die sanfte Romantik von Tscherepnin und die Härte Strawinskys.

 

Ein Abend, der Geschichte schreiben wird.