Martin bekommt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er hat nur mehr drei Monate zu leben. Als er mit seiner um Jahrzehnte jüngeren Frau darüber redet, reagieren beide vernünftig – der Leser meint: Vielleicht etwas zu vernünftig, unglaublich gelassen. Ulla ist Malerin und hat ihr eigenes Atelier. Martin ist Professor in Ruhestand. Beide lieben ihren kleinen Sohn David sehr. Wie es ihm beibringen? Er geht noch in den Kindergarten. Sie beschließen zunächst, an dem Alltagsleben nichts zu verändern. Martin überlegt nun, was seinem Sohn im späteren Leben wichtig wäre zu wissen, und verfasst Briefe an ihn, die ihm als Lebensratgeber behilflich sein könnten. Als Ulla sie findet, meint sie, die seien zu kompliziert und abgehoben.
Martin unternimmt mit David Wanderungen, zeigt ihm die Schönheiten der Natur. Freut sich über die kleinen und großen Fortschritte, die David macht. Ulla indes ist eine neue Beziehung eingegangen, die Martin bald entdeckt. Er beschließt aber, seine Eifersucht nicht hochkochen zu lassen, sondern weiterhin Ulla seine große Liebe zu zeigen. Was scheinbar so leicht zu bewältigen war, entwickelt sich zu einer Schwere. Wie miteinander umgehen? „Es galt behutsam über das dünne Eis zu gehen“ (S 163)
Der Autor erspürt diese Behutsamkeit in der Sprache. Es gelingt ihm, jedes Wort, Geste und Blick aus dem Alltag herauszuheben und sie vor den Prüfstein der Endlichkeit zu stellen. Weder Ulla noch Martin brechen in Tränen der Verzweiflung aus. Als Martin seiner Frau gesteht, von dem „anderen“ zu wissen, beschließen sie, total ehrlich zueiander zu sein und die letzten Wochen mit David an der Ostsee zu verbringen, bevor die Schmerzen Martin zwingen, sich in ein Hospiz einweisen zu lassen. „Das reine Glück waren die Minuten, in denen Ulla sich neben dem Liegestuhl in den Sand setzte und ihren Kopf an seinen lehnte. …Es war kühl, David brachte noch eine Decke, Ulla legte sie über ihn, und sie warteten, bis die Sonne ins Meer sank“ (S240) Ende. Da darf sich der Leser, zufrieden über „das sanfte, poetische“ Ende, zurücklehnen und sich weiter keine Gedanken machen. Oder doch? Vielleicht fragt sich der eine oder andere, ob dieser Roman nicht doch Schönmalerei ist. Wie wäre das Ende ohne die verständige und sanfte Begleitung von Frau und Sohn? Wie für einen Menschen, der mit dieser Diagnose ganz allein fertig werden muss? Das Buch berührt, wie alle Werke Schlinks, doch am Ende sagt man sich: Schön wärs, wenns so käme…
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