Elisabeth-Joe Harriet: Wolfgang Amadé. Dichtung und Wahrheit

Was Sie schon immer über Mozart wissen wollten! Mit Mozarts Hund „Gaukerl“ vom ersten bis zum letzten Auftritt in Wien

Immer durch dieselben Straßen, immer durch dieselben Parkanlagen und Gärten zu spazieren verliert langsam seinen Reiz. Gegen die coronabedingte Spaziermüdigkeit hilft dieses Büchlein, das zu Mozarts Wirkungsstätten führt. In die Tasche stecken und los geht`s in schmale Gassen in der Innenstadt, in Hinterhöfe, auch zu wenig bekannten Plätzen in der Vorstadt.

Die Autorin kennt „ihren Mozart“! Sie führt die Leser zu den Orten, die Mozart in den letzten zehn Jahren in Wien frequentierte. Als Mozartguide fungiert der Hund „Gaukerl“. Humorvoll kommentiert er aus Hundesicht das Geschehen. Diese gelungene Mischung aus Information und Humor ist ja Harriets Stärke. Wer sie zum Beispiel von ihren Auftritten als Arthur Schnitzlers Witwe kennt, weiß das zu schätzen. In diesem Buch erfährt man nicht nur viel über Mozart, sondern auch so manches Wissenswertes aus der Wiener Gesellschaft. Etwa wie Johann Edler von Trattner zu seinem immensen Reichtum kam: Er hatte das Privileg, Schulbücher für alle Schulen in der Monarchie zu verlegen. Außerdem verdiente er sich mit Raubkopien eine goldene Nase. Und er legte das gewonnene Geld klug in Grundstücke und Immobilien an. Bedenkenlos ließ er alte Häuser abreißen und baute den heutigen Trattnerhof , wo er unter anderem ein florierendes Casino einrichtete. Die Story erinnert an so manche Immobiliengrößen von heute.

Nicht uninteressant sind die regelmäßigen Besuche Mozarts in der Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“, wo sich besonders viele Künstler versammelten. Ein Logenbruder war auch Angelo Soliman. Als prominenter Schwarzer, damals Mohr genannt, erlangte er durch seinen Tod traurige Berühmtheit: Kaiser Franz II. ließ ihn von dem Bildhauer Franz Thaler abhäuten und ausstopfen. Bis 1848 konnte man ihn in der Naturalien-Sammlung des Kaisers mitten unter Wasserschweinen und seltenen Vögeln bewundern.

Lebendig und pointiert lässt Elisabeth – Joe Harriet das Leben Mozarts inmitten der Wiener Gesellschaft, von reichlichem Bildmaterial begleitet, entstehen. Der schmale Band sticht angenehm aus den oft schwer lesbaren, allzu wissenschaftlichen Büchern über Mozart heraus. Eine gute Medizin gegen Coronaüberdruss! Die Autorin wird -sobald es coronabedingt möglich ist – zu Mozarts Stätten führen .

http://www.V-A-N.at

Alle Informationen über Elisabeth-Joe Harriet als Schauspielerin, Autorin und Reiseorganisatorin: http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Dieser Doppelnutzen macht das Buch besonders attraktiv: Einerseits erlebt man die zehn letzten Lebensjahre Mozarts direkt vor Ort nach, andrerseits sind solche Apercus über die Wiener Gesellschaft auch nicht uninteressant.

Also den Frust über die ewig gleichen Spazierwege vergessen und auf Mozarts Spuren mit dem Buch in der Hand losziehen.

Lukas Hartmann: Schattentanz. Die Wege des Louis Soutter.

Diogenes Verlag

Traurig schließe ich dieses Buch. Traurig, weil es zu Ende ist. So fühle ich mich immer, wenn ich – was selten genug der Fall ist – ein Buch beendet habe, das mich durch Tage gefangen hielt. Eine literarische Kostbarkeit darf nur in kleinen Dosen genossen werden, sage ich und lese immer nur ein Kapitel. Dann lege ich das Buch weg. Lasse Sprache und Bilder, die Hartmann einfühlsam und subtil erstehen lässt, in mir wirken, lese einige Stellen nochmals, um sie besser in mich aufnehmen zu können und lange zu bewahren.

Lukas Hartmann ist kein „Seitenfüller“. Seine Sätze sind jeder für sich kostbar, bildhaft, stark. Banalitäten lässt er nicht durchgehen. Denn die Bilder des Malers Louis Soutter, dessen Leben und Werke Lukas Hartmann auf knapp 250 Seiten beschreibt, waren für ihn „ein künstlerisches Offenbarungserlebnis“, wie er im Nachwort gesteht. Erst nach langer und eingehender Beschäftigung mit diesem Ausnahmekünstler wagte er es, dieses Buch zu schreiben.

Die alles beherrschende Mutter

Louis Soutter (1871 -1942) wächst in einem gut bürgerlichen Haus in Morges am Genfer See auf. Er und seine Schwester Jeanne werden von der ehrgeizigen Mutter zu „Wunderkindern“ gedrillt. Sie sollen als Musiker Weltkarriere machen: Louis als Geigenvirtuose und Jeanne als Sängerin. Beide versuchen immer wieder, sich diesem Zwang zu entziehen. Mit mäßigem Erfolg. Das übergroße Mutterbild wird ihr Leben beherrschen und zum Teil auch ruinieren. Nur der Älteste der drei Kinder, Albert, scheint zunächst davonzukommen. Er übernimmt die Apotheke des Vaters. Doch auch er scheitert und rettet sich in den Suff.

Louis versucht tatsächlich ein Geigenstudium, gibt es aber bald zu Gunsten der Malerei auf. Seine Heirat mit einer reichen Amerikanerin scheitert kläglich, weil er ihren Anforderungen nicht genügen kann. Zurück in der Schweiz, versucht er mit mäßigem Erfolg, sein Geld als Geiger zu verdienen. Aber er spürt, es ist die Malerei, die sein Leben bestimmt. Unfähig, sich selbst zu erhalten, wird er bald in ein Altersheim eingewiesen, wo er 19 Jahre bis zu seinem Tod 1942 bleiben wird. In einem armseligen Zimmer malt er wie besessen. Bilder, die sich ihm aufdrängen. Er kann nicht anders, er muss seine inneren Qualen, seine Visionen vom kommenden Krieg malen.Hellsichtig weiß er, dass Mussolini und Hitler den Tod von Millionen Menschen verursachen werden.

Seine Bilder

Seine Bilder wurden zu Lebzeiten von niemandem geschätzt. Heute werden sie in verschiedenen Museen ausgestellt. Soutter selbst hatte Zweifel, ob sie irgendwem einmal etwas bedeuten werden. Manche Bilder zerreißt er, manche verschenkt er, die meisten stapelt er in seiner Kammer zu großen Haufen. Als seine Augen immer schwächer werden, malt er mit Fingern, lässt sie wie in Trance über das Papier tanzen, einer inneren Musik folgend. Er stirbt 1942 einsam in seiner Kammer, inmitten einer Unmenge von Werken.

Geschickt beleuchtet Lukas Hartmann diesen schwierigen und schwer fassbaren Charakter von verschiedenen Seiten und wechselt den Standpunkt der Betrachter. Einige Male reflektiert die Mutter in der Ichform über ihre Wünsche und Vorstellungen, die sie für die Kinder hatte. Als objektiver Beobachter fungiert ebenfalls der Cousin Charles-Edouard, der später als Architekt Le Corbusier eine intenationale Karriere machen wird. Dass die beiden in Anschauungen und Lebensformen total verschieden sind, wird dem Cousin sehr schnell klar. Dennoch besucht er Louis in Abständen von mehreren Jahren immer wieder, obwohl er mit seinen Bildern nichts anzufangen weiß. Aber die intensiven und sehr kontroversiell geführten Auseinandersetzungen über die Aufgaben der Kunst faszinieren den Cousin.( Dass Hartmann von der kalten Architektur Le Corbusiers nicht sehr viel hält, lässt er dabei deutlich werden) Als glühender Verehrer von Mussolini und Hitler wird Corbusier erst nach dem Tod von Louis dessen Hellsichtigkeit erkennen.

Besonders berührend schildert der Autor das innige Verhältnis zwischen Louis und seiner Schwester Jeanne. Sie ist die einzige aus der Familie, die ihn versteht und versucht, ihm in seiner Lebensuntüchtigkeit Halt zu geben. Die Kindheit der beiden, die, vertieft in Spiele und erfüllt von gegenseitiger Zärtlichkeit, der Härte der Mutter zu entgehen versuchen und sich eine eigene Welt bauen, war nur in diesen Phasen des ungestörten Zusammenseins glücklich. Doch auch Jeanne wird später nicht die nötige Kraft aufbieten, sich gegen die Mutter zu stellen. Sie zerbricht in diesem Kampf und wird Selbstmord beghen.

Das Leben Louis Soutters erinnert in vielen Zügen an den Schweizer Autor Robert Walser (1878-1956). Beide hatten mit den bürgerlichen Lebensformen und den Anforderungen der Gesellschaft an sie schwere Probleme. Beide versuchten im Gehen über weite Strecken ihre innere Unruhe zu bezähmen. Beide fanden in der (unfreiwilligen) Abgeschlossenheit eines Heimes einen gewissen Frieden und schufen wichtige Werke. Auch der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) erlitt ein ähnliches Schicksal: Nach der schmerzvollen Trennung von seiner Geliebten Suzette Gontard und nach deren Tod zerbricht in ihm das Korsett, das ihn bis dahin in einer gewissen bürgerlichen Bahn gehalten hat. Er geht, geht, geht, weit und als er nach Tübingen zurückkehrt, hat sich sein Geist verwirrt, so glaubt man.Nach einer sinnlosen Zwangsbehandlung im Tübinger Klinikum zieht sich Hölderlin bis zu seinem Tod in die Einsamkeit eines Turmes zurück. Und vielleicht darf ich auch Parallelen zu Peter Handke ziehen. Er wählt die Abgeschiedenheit selbstbestimmt. Ebenso wie Soutter und Walser ist ihm das Gehen in der Natur Impuls und schafft ihm inneren Frieden.

All diesen Künstlern gemeinsam ist das innere Brennen für ihre Kunst, das bedingungslose Wollen und Schaffen. Lukas Hartann ist ein congenialer Übersetzer, Vermittler zwischen diesem so schwer fassbaren Künstler Louis Soutter und den Lesern. In der Flut der historischen Biografien, die zur Zeit den Markt überschwemmen, leuchtet dieses Buch als seltener Diamant heraus.

http://www.diogenes.ch

Margaret Laurence, Der steinerne Engel. Eisele Verlag

Aus dem kanadischen Englisch von Monika Baark

Der Eisele Verlag ist dafür bekannt, Literatur aus dem Englischen oder Amerikanischem auf den deutschsprachigen Markt erfolgreich zu platzieren. Mit viel Spürsinn werden immer wieder vorwiegend Autorinnen vorgestellt, von denen das leseaffine Publikum vorher nie etwas vernommen hat.

Diesmal also: Der steinerne Engel, geschrieben Anfang der 60er Jahre. Zu dieser Zeit war das Thema „alte Menschen kämpfen um ihr Recht auf selbstbestimmtes Leben“ noch nicht in den Fokus der schreibenden Zunft gelangt. In meinem literarischen Gedächtnis war einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste, der sich mit dem Thema beschäftigte, der schwedische Autor Jonas Jonasson. Sein Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ war gleich bei seinem Erscheinen 2010 ein Bestseller. Seither ist das Thema in vielen, ja zu vielen Romanen behandelt worden: Als Erinnerung an Großmutter, eingepackt in eine Familiengeschichte, als die weise Frau, die dem Kind die traurige Kindheit versüßt, bis zuletzt zu dem frech das Thema ironisierenden Roman von Lisa Eckhart, Oma. In den letzten Jahren kam es regelrecht zu einer Überschwemmung des Buchmarktes mit Oma/Opa- und Altengeschichten.

Deshalb mag man mir verzeihen, wenn ich dem Buch nicht ganz gerecht werden konnte. Denn immer wieder passierte es mir beim Lesen, dass ich dachte: Nein, nicht schon wieder. Dabei ist dieser Seufzer der Autorin gegenüber völlig ungerecht, denn als sie den Roman schrieb, betrat sie fast thematisches Neuland.

Worum geht es? Hagar Sipley ist eine grantige Alte, die bei ihrem Sohn und der Schwiegertochter lebt. Ihr Grant und ihre Streitlust lässt sich die „böse“ Schwiegertochter nicht mehr länger gefallen und will Hagar Shipley ins Altersheim abschieben. Klar, dass diese sich mit allen Mitteln wehrt und die „Einweisung“ listig zu verhindern versucht.Doch vergebens. Noch im Altersheim, schon sehr hilfsbedürftig, sucht sie die Pflegerinnen zu drangsalieren, um sich ein ganz ganz kleine Freiheit im Handeln und Denken zu verschaffen. Um vor sich und dem Gott, den sie nicht um den Tod anbetteln will, mit Würde zu leben oder eben zu sterben. Das Ende ist von machtvoller Würde. Dazwischen kämpfte ich manchmal mit einem gewissen Verdruss in mir. Vor allem, wenn die Autorin in Attributen versinkt. Fast kein Substantiv, dem sie nicht irgendeine Eigenschaft hinzufügen muss. Entgegen der Regel: weniger ist mehr.

Insgesamt aber ein hinterlistig-humorvoller Roman. Gescheit gemacht, weil es Margaret Laurence gelingt, die Hauptfigur durchaus auch unsympathisch zu schildern. Sie entgeht dadurch dem literarischen Klischee: Nette Alte, der von den Jungen Unverständnis entgegengebracht wird. Ganz im Gegenteil: Hagar Shipley kann ganz schön widerwärtig sein. Aber genauso auch der Sohn und die Schwiegertochter. Sympathie und Antipathie werden alternierend verteilt. Dadurch unterscheidett sich dieser Roman von solchen mit ähnlichen Theme in angenehmer Weise..

www.eisele-verlag.de

„Menschheitsdämmerung“ im Leopold Museum

Elf Künstler, die in der Zeit von 1919-1938 die Österreichische Moderne repräsentierten.

Titelbild: Herbert Boeckl: Große sizilianische Landschaft 1924 (Detail) Leopold Museum Wien, Foto: Silvia Matras.Copyright: Herbert Boeckl-Nachlass, Wien

„Menschheitsdämmerung “ ist ein vieldeutiger Titel. Er umschreibt eine Zeit, in der Menschen Kriegstraumata verarbeiten mussten und die nächste Katastrophe bereits heraufdämmert. Eine Zeit, mit der die Maler dieser Epoche ganz verschieden umgehen. Alfons Walde findet in der Darstellung der heimatlichen Höfe, tief geduckt in eine alles zudeckende Schneelandschaft, seinen festen Mittelpunkt. Auf die Menschen, die in seiner Landschaft leben, ist viel Hartes herabgeprasselt, aber sie finden im Glauben ihren Halt.

Alfons Walde: Begegnung. Der Kirchgang, 1924 (Foto.Silvia Matras) Leopold Privatsammlung.

Während ich vor dem Bild stehe und über die Wucht des Pinselstriches und des schweren Rahmens staune, erfahre ich vom Saalaufseher, dass der Rahmen allein ein Gewicht von 45 kg haben soll. Wenn diese Angabe richtig ist, so passt das Gewicht des Rahmens zum Gewicht, das auf den Menschen unter den fordernden Lebensbedingungen lastet.

Passend zu dem Thema Schwere des Lebens hängen im selben Raum die Bilder von Albin Egger-Lienz. Er arbeitete während des Ersten Weltkrieges als Kriegsmaler direkt an der Front. In den Bildern „Finale“ (1918) malt er keine Menschen, sondern „Menschenmaterial“, wie es in der damaligen Kriegsführung hieß: Graue, zu unkenntlichen Leiberresten verformte Tote liegen in- und übereinander verkrallt. Menschen als Abfall.

Albin Egger-Lienz: Finale 1918 . Foto: Silvia .Matras, Bildrechte: Leopold Privatsammlung

Anton Kolig malt die Verletzlichkeit des Mannes, allerdings nicht auf dem Schlachtfeld, sondern geborgen im Privaten. Dennoch aber ausgesetzt, nackt. Zwar umgibt den jungen Mann ein Wohnraum, doch Geborgenheit sieht anders aus. Rosarot glänzt das ungesunde Fleisch, als wäre es von Messern zerschnitten.

Anton Kolig: Großer Kniender. Sehnsucht 1922 (Detailfoto:Silvia.Matras.)

…und plötzlich ist alles privat..

Temperatur, Themenstellung, Ausstrahlung – alles ändert sich, als ich den Raum mit Werken von Herbert Boeckl betrete. Und plötzlich führen mich diese Bilder zurück in das Atelier meines Vaters. Eduard Matras war Schüler von Herbert Boeckl, hat wie er Cézanne (und van Gogh) überaus verehrt. Boeckl war ein Künstler, der internationale Strömungen genial in seinen Kompositionen verarbeitete. Und er gab diese Einflüsse an seine Schüler weiter. Nur schwer konnte sich mein Vater – und andere Maler dieser Epoche – vom Einfluss Boeckls befreien. Ich erkenne den üppigen Farbauftrag, das Auftürmen der Farbmassse, das Abgrenzen mit schwarzen Umrissen, ähnlich wie in den Bildern meines Vaters. Auch die Themenstellungen sind ähnlich: Die Welt ist nicht mehr nur von Krieg und Elend erfüllt, es gibt Ruhe, Gelassenheit – Stillleben und Porträt werden wieder aktuell. Die Stadt, die Zivilisation und die Industrie faszinieren. Viele Bilder meines Vaters behandeln in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg genau diesen Aufbruch. Leider sind sie für mich nicht mehr auffindbar, in Depots diverser Museen oder in den Räumen der Sammler verschollen. Er führte auch kein Verzeichnis, wohin er seine Bilder verkaufte. Mir war immer schon klar, dass er nicht zu den Erneuerern gehören wollte. Abstraktion war nicht sein Thema.

Auch in den Bildern von Josef Dobrowsky oder Sergius Pauser finden sich diese Themen: Ruhige Landschafts- oder Straßenbilder, Porträts. Es scheint ein Rückzug in eine Art von Idylle stattgefunden zu haben, allerdings kitschbefreit. Revoluzzer waren sie alle nicht.

Josef Dobrowsky: Häuser im Winter (Ybbs?), 1930 (Detail) Foto: Silvia Matras

Dann findet sich doch einer in der Ausstellung: Alfred Wickenburg. Er gründete 1923 die „Grazer Sezession“, der auch mein Vater später angehörte, obwohl er sich der kubistisch-avantgardistischen Richtung nicht anschloss. Wickenburg war so etwas wie ein Erneuerer, Erwecker. Er brachte den Kubismus in die Provinzhauptstadt und erregte mit seinen Bildern großes Aufsehen. Das Leopoldmuseum zeigt Werke von einer ungewöhnlichen Farbtransparenz, gepaart mir harten Verformungen.

Alfred Wickenburg: Giardino del Lago 1921. Privatbesitz Wien .Foto: Silvia Matras

Die Ausstellung „Menschheitsdämmerung“ zeigt nur einen kleine Auswahl von Künstlern in der Zwischenkriegszeit. Sie erhebt nicht den Anspruch auf einen umfassenden Überblick, will nur ein Teilsegment, aber ein durchaus wichtiges dokumentieren. Denn diese Zeit ist zwar, was Schriftsteller, Komponisten und Theaterleute betrifft, gut aufgearbeitet und interpretiert – z. B. in den Büchern von Herbert Lackner: Als die Nacht sich senkte, um nur ein aktuelles Werk zu nennen. Aber in der bildenden Kunst gibt es noch Lücken. Und eine dieser Lücken füllt diese Ausstellung. Sie zeigt, dass die meisten Künstler eine eher traditionelle Thematik und Bildgestaltung bevorzugten. Das Feste, in Tradition Verankerte, gab Halt und vielleicht auch Zuversicht. Der krasse Expressionismus war mehr die Ausdrucksweise der Rebellen, wie Oskar Kokoschka einer war. Doch das wäre eine andere Ausstellung…

Schade, dass die Ausstellung „Hundertwaser-Schiele“ nach Ende des letzten Lockdowns nicht noch einmal aufgenommen wurde. Aber es gibt ja noch den ausführlichen Katalog, ediert von Hans-Peter Wipplinger.

Die Ausstellung „Menscheitsdämmerung“ wird noch bis 5. April 2021 zu sehen sein.

http://www.leopoldmuseum.org

Wolfram Eilenberger: Feuer der Freiheit. Klett-Cotta Verlag

Untertitel: Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten 1933-1943

In dem 2018 erschienen Buch „Zeit der Zauberer“ beschreibt Eilenberger die Entwicklung der Philosophie Heideggers, Cassirers, Benjamins und Wittgensteins und ihre Denkwege in der Zeit von 1919-1929. Nun also im Zeitalter der Gleichberechtigung von Mann und Frau widmet er sich vier Frauen, die auf unterschiedliche Weise die Zeit des Nationalsozialismus und des Totalitarismus gedanklich und durch reale Lebensentwürfe bewältigt haben oder bewältigen wollten.

Es sind teils bekannte, teils der Allgemeinheit unbekannte Namen: Simone de Beauvoir, Simone Weil, Hannah Arendt und Ayn Rand. Sie lebten in einer Zeit, die der Gegenwart nicht unähnlich ist: Das wirtschaftliche Überleben ist für viele aus der Mittel- und Unterschicht mehr als fraglich, das geistige Leben wird von der Politik abgewürgt oder in eine ihr genehme Richtung gelenkt.

In Zeiten der Not und des von Krieg und Verfolgung bedrohten Lebens entwickelten jede der vier Frauen eine eigene Denk- und Lebensstrategie: Ayn Rands Eltern wurden während der Russischen Revolution enteignet, sie selbst floh nach Amerika und wurde zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. In ihren von Nietzsches Gedankengut beeinflussten Romanen und Theaterstücken dreht sich alles um die individuelle Freiheit, die mit allen Mitteln gegen Zugriffe des Staates verteidigt werden müsse. Dies geschehe am besten durch radikalen Individualismus.

Das Leben Simone Weils ist ihr geistiges Skriptum. Was sie gedanklich fordert, das lebt sie in radikaler, zur Selbstaufgabe hin neigender Art und Weise: Als Tochter gut bürgerlicher Eltern widerstrebt ihr alles, was mit Besitz zu tun hat. Ihre zerbrechliche Gesundheit setzt sie immer und überall aufs Spiel, sie brennt für die soziale Aufgabe, gründet ein privates Flüchtllingshilfswerk, arbeitet in einer Fabrik, um die Probleme der Arbeiter nachvollziehen zu können. Ihre Zerbrechlichkeit ignorierend schreibt, lehrt und arbeitet sie unermüdlich. Ihre ärgste Sorge lässt sie hellsichtig vor einem totalen Überwachungsstaat warnen. Sie stirbt 1943 in einem Sanatorium in Endgland an Herzversagen, Tuberkulose, Hungerödemen und in geistiger Verwirrung.

Religion trägt für Simone de Beauvoir die Hauptschuld für die menschlichen Verfehlungen. Frei von der gängigen Moral gehen sie und Sartre immer wieder neue Liebesbeziehungen ein, bleiben aber als Freunde bis zum Schluss miteinander verbunden. Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ wird zum Kultbuch der Frauenbewegung.

Hannah Arendt flieht vor den Nationalsozialisten nach Paris und später in die USA, wo sie Forschungen über Entstehung und Gefahren des Totalitarismus betreibt. Mit ihrem Werk „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ erlangt sie Weltruhm. Das Buch gilt bis heute als wichtigste Grundlage der Totalitarismusforschung.

Vier Frauen, vier verschiedene Biografien. Eilenberger zeigt auf, wie die verschiedenen Lebenswege die Enststehuung des philosophischen Gedankengutes beeinflussten. Entgegen einer in der wissenschaftlichen Diskussion weit verbreiteten Meinung, dass Kunst-Werke per se und nicht aus der Biografie des Künstlers gedeutet werden dürfen, besteht Eilenberger auf der These, dass die Lebensumstände es sind, die ein Werk unterschwellig oder ganz offen beeinflussen, ja erst entstehen lassen. Als Leser kann man dieser These durchaus folgen.

Deshalb ist dieses Buch eine Mischung aus Biografie und Interpreation philosophischer Texte. Obwohl scheinbar mit leichter Hand geschrieben, steht doch einiges dem flüssigen Lesen und Verstehen im WEge: Der Autor springt recht rasch von einer Figur zur anderen, ohne den Übergang deutlich zu machen. So fragt man sich recht oft, von welcher „sie“ denn gerade die Rede sei. Das Prinzip des geichzeitigen Beschreibens der vier Frauen in einem abgesteckten Zeitrahmen verhindert ein genaueres Eingehen auf die Einzelperson. Über jede dieser vier Frauen wäre es interessant, eine ausführliche Biografie zu lesen, in der detaillierter auf die Zusammenhänge von Leben und Werk eingegangen wird. Denn jede einzelnes Leben dieser Frauen böte ausreichend Stoff für eine eigene Biografie.

http://www.klett-cotta.de

Jason Starr: Ein wirklich netter Typ. Diogenes Verlag

Aus dem Amerikanischem von Hans M. Herzog

Tommy Russo ist ein Feschak: Sportlich gestählt, Rausschmeißer in einer Bar, erfolgloser Schauspieler. Wegen seiner Wettsucht leidet er an permanentem Geldmangel. Auf der Pferderennbahn verliert, gewinnt und verliert letztlich den letzten Dollar. Als ihm ein zwielichtigen Typ ein Angebot macht, lässt er sich darauf ein: Um zehntausend Dollar kann er Teilhaber eines Rennpferdes werden. Woher das Geld nehmen, wenn nicht stehlen? Genau das tut er, er bestiehlt ausgerechnet seinen Chef, der ihm vertraut. Ab da geht es mit Tommy Russo bergab. Er wird dem Leser immer unsympathischer, man wartet drauf, dass er endlich auffliegt. Was auch letzten Endes geschieht

Jason Starr liefert hier ein interessantes Psychogramm eines Menschen, der sich blinden Auges und völlig ohne Einschätzung seiner Lage und Fähigkeiten in sein Unglück manövriert: Selbst für den Mord, den er begeht, hat er für sich und sein Gewissen, das er eh nicht hat, Ausreden oder bessser: Erklärungen, warum er so handeln musste und nicht anders konnte. Was ihn ebenfalls unsympathisch macht, ist sein aufbrausendes Auftreten. Interessant, dass der Autor diesmal nicht ein „armes Würstel“, wie etwa in dem Krimi “ Seitensprung“, schildert, mit dem der Leser Mitleid hat, sondern einen echt unsympathischen Aufschneider und Schlägertyp schildert. Jason Starr gelingt mit diesem „Krimi“ die psychologisch gut ausgeleuchtete Charakterstudie eines Menschen ohne Gewissen, eines Spielers, eines Loosers. So gesehen ist das Buch weit mehr als „nur“ ein Krimi.

www.diogenes.ch

test

Kuratorin: Bärbel Vischer, Kustodin MAK Sammlung, Gegenwartskunst

Sheila Hicks, geboren 1934 in Nebraska, ist eine der wenigen Künstlerinnen, die Malerei und Webkunst miteinander verknüpfen. Ihr großes Wissen um indigene Webpraktiken ist neben dem Studium der Malerei und Architektur Grundlage ihres Oeuvres.

In vier großzügig ausgestalteten Räume entwickelt sich eine Dramaturgie des Raumes aus Malerei und Skulptur. Im ersten Raum spielt die Sheila Hicks mit „Bildern“ aus Längsfäden, die im Farbverlauf in verschiedenen Rot- und Blautöne changieren.

Foto: Silvia Matras

Immer wieder aber werden aus Webbildern Halbreliefs, in denen Architekturmerkmale dominieren, indem sie die Fäden zu dreidimensionalen Säulen oder Kuben bündelt..

An Bäume und Wurzeln erinnern die in sich verschlungenen Seile, die ein bizarres Schattenbild an die Wand werfen. Daneben ragt wie eine Mahnsäule ein Baumrumpf aus geflochtene Garnenbis an die Decke. An der Stirnseite liegt ein Hügel aus gelb-orangefarbigen Pölstern aufgeschichtet. Vorhänge wehen vom Boden bis zur Decke. An orientalische Sitzkissen wiederum erinnern die in verschiedenen Größen und Farben gewebten Gebilde an der gegenüberliegenden Wand. Kommt man näher, eröffnet sich ein buntes Fadengewirr, als sähe man auf einen herbstlichen Waldboden. Der Interpretation sind keine Grenzen gesetzt.

Fotos: Silvia Matras

Am meisten beeindruckt der Raum mit monumentalen Webbildern, die Gebetsteppiche oder Tore zu alten Palästen sein könnten. Shella Hicks zitiert damit die Webkunst aus Marokko oder Peru, mit der sie sich lange befasst hat. Diesen Werken hat die Kuratorin Bärbel Vischer eindrucksvoll die Skuptur „Tor zum Garten“ von Walter Pichler gegenüber gestellt.: Ein mächtiges Tor, das den verschlossenen Eingang zu einem ägyptischen oder griechischen Palast oder zum Garten Eden sein könnte. Vielleicht spielt hier das Thema der Macht, deren Zugang der Allgemeinheit verschlossen bleibt, eine Rolle.

Abendliche Stimmung im MAK. Foto: Silvia Matras

http://www.MAK.at

Kuratiert von Charlotte Seidl.

Es ist ein strahlender Winternachmittag. Vom Gut Gasteil schaut man auf die weite Landschaft, Hügel, Wälder und Wiesen. Rund um das Gut stehen die hochragenden Frauenfiguren von Charlotte Seidl. Aus blauer, naturfarbener oder leicht rötlicher Keramik. Im Hof des Gutes begrüßen andere dieser imposanten Frauenfiguren die Gäste. Im großen Schauraum knistern große Holzscheite im Kamin. Die Wände sind mit Bildern aus den kürzlich vergangenen Austellungen geschmückt. Zwei Werke von Robert Hammerstiel (gestorben am 23. November 2020) fallen sofort ins Auge: Leuchtende Farben,voneinander scharf abgesetzt wie in Holzschnitten, sind seine typischen Stilmittel. Farben der Befreiung: Rot, Lila, Orange.

In der Galerie selbst, durch die Charlotte Seidl persönlich jeden Gast führt, sind unter anderem die zart-abstrakten Bilder von Lubomir Hnatovic zu sehen. Diese reine Poesie des Lichtes und der Farben erinnert an Turner. Neu im Kreis der Gasteilkünstler ist die Malerin Mona Seidl. Sie lebt am Traunsee. Ihre Werke sind Traumbilder des Sees. Immer wieder begeistern die poetischen Naturabstraktionen von Nadja-Dominique Hlavka. Träume am Wasser, Träume von Pflanzen, eingebettet in zart blau-grüne Farben, die in einem hellen Tag verschwimmen. Charlotte Seidls Sammlung der Keramikbilder hat sich vergrößert. Auffallend viele Frauenfiguren, die heiter und unbeschwert zu sein scheinen, bevölkern die Bildertraumwelt.

Seit mehreren Jahrzehnten wirkt Charlotte Seidl als Vorreiterin auf dem Gebiet der Ausstellungskunst. Intensiv arbeitet sie an der Schließung der Gräben, die sich zwischen Künstler, Kunstwerk und dem Publikum auftun. Sie hat Künstler ausgestellt, lange bevor sie bekannt wurden. Oder besser gesagt: Viele wurden durch sie bekannt und starteten vom Gut Gasteil aus ihren Weg in Museen und Galerien der großen Städte. Daher öffnet jede Ausstellung neue Wege für Künstler und Publikum.

Weitere Künstler in der Ausstellung „full house“: Daniele Panteghini, Anna Maria Brandstätter, Andrea Trabitsch, Mela Diamant, Andreas Sagmeister, Lotte Seyerl, Edgar Holzknecht, Manfred List, Marina Horvath. Die Ausstellung ist noch am 14., 15. bzw. am 21., 22. Dezember 2020 jeweils von 10-18h und den ganzen Winter über bis zum 25. April gegen Voranmeldung zu sehen.

Am 1. Mai 2021 wird die nächste Ausstellung mit Werken von Leena Naumanen und Angi Eisenköck eröffnet.

http://www.gutgasteil.at

Guggi Hofbauers Protest gegen das Wegsperren der Kultur. Artikel in der Wiener Zeitung vom 4.12. 2020, Seite 8

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http://www.wienerzeitung.at

Immer mehr Kulturschaffende und Kulturliebhaber leiden unter dem arroganten und kunstverachtenden Maßnahmen der Politik! Aufstehen dagegen ist Pflicht, aber ganz offensichtlich ohne Wirkung. Kurz und Co gehören ja auch nicht zu den „Kulturverliebten“. Wann sah man sie in einem Theater, in der Oper oder in einer Ausstellung? Es sei denn, die Medien sind vor Ort und berichten eifrig!!!

Silvia Matras

Erwin Schrott: Tango Diablo. (Great Voices, Konzerthaus)

Erwin Schrott: Bassbariton. Claudio Constantini: Bandoneon. Santiago Cimadevilla: Bandoneon. Jonathan Bolivar: Gitarre. YuChen: Klavier

Ein klug zusammengestelltes Programm, mit dem Erwin Schrott als Sänger und als Entertainer glänzen konnte! Dass es der letzte Abend vor der neuerlichen Schließung aller kulturellen Aktivitäten war, erhöhte die Temperatur im Publikum und bei den Künstlern in gleicher Weise. Als ob es galt, den öden kommenden Wochen ein Schnippchen zu schlagen. Und wer könnte das besser als Mephisto! Ach, hätte er doch die Macht, die ihm Goethe zuschrieb! Dann würde er vielleicht all die unsinnigen Verbote, die die Kultur für Wochen in den Keller sperren, mit einem Handstreich und einem höhnischen Hohoho zunichte machen.

Erwin Schrott nahm für diesen Abend die Rolle des allmächtigen Mephisto ein: Mit der sonoren Bassbaritonstimme füllt er den Saal bis in die letzen Winkel. Wenn er in höhnisches Gelächter über die kurze Liebe Fausts zu Gretchen ausbricht (aus: Gounod, Faust,“ Vous qui faites l´endormie“) oder mit „Voici des roses“ (Berlioz:“ La damnation de Faust“) Gretchen und Faust mit trügerischer Sanftheit einlullt – er ist auch ganz ohne Kostüm, Maske und Kulisse Mephisto. Völlig enthemmt und toll geworden singt er die Arie „Voici donc les débris…Nonnes qui resposez“ (Meyerbeer:“ Robert le diable“), pfeift schrill und bedrohlich, als hätte sich der Höllenschlund aufgetan.

Dazwischen fährt er die Betriebstemperatur ein wenig hinunter und stellt vier junge Streicher vor, die als „Ensemble Quartissimo“ den Preis „Die goldene Note“ gewannen. Sie spielten sehr flott den Mephisto Walzer Nr.1 von Franz Liszt.Schwungvoll setzt Ernst Schrott mit Arrigo Boitos Lied „Sono lo spirito che nega“ aus „Mefistofele“fort. Das ist ein ganz anderer Mephisto, ein heiterer, witziger, der im Sambaschritt dahertänzelt. Von da gehts direttissima zu Astor Piazzolla mit „Tango del Diablo“ . Danach mit „Vuelvo al sur“ – ein Sehnsuchtslied nach der alten Heimat. Mit „Pasional“ von Soto und Caldara endete das Programm sehr dramatisch.

Trotz langem und begeistertem Applaus gab es nur eine Zugabe.

Die nächsten Great Voices -Termine sind – so die Regierung die Kultur frei gibt :

Am 15. Jänner 20121 stellt sich der neue Startenor Benjamin Bernhelm mit Arien von Donizetti bis Puccini vor.

Am 28. Februar 2021 wird Asmik Gregorian, die berühmte Stimme für Salome, singen.

Der Abend mit Jonas Kaufmann ist verschoben. Ein neuer Termin ist noch nicht bekannt.

http://www.greatvoices.at

Apropos „Kultur in den Keller gesperrt“! Ich empfehle allen, die sich mit der rigorosen Schließung aller Kultureinrichtungen nicht abfinden, bzw. sie nicht verstehehn können, das Empörungsfeuilleton von Renate Wagner:/https://onlinemerker.com/apropos-verdammt-noch-mal/

Molière: Schule der Frauen. Landestheater Niederösterreich

Regie: Ruth Brauer-Kvam, Bühne: Monika Rovan, Kostüme: Ursula Gaisböck, Musik: Ingrid Oberkanins

Ein schon in die Jahre gekommener Esel von einem Mann, bekannt in Paris als Spötter und Eheflüchter, entschließt sich zu heiraten. Um ja sicher zu gehen, dass ihn seine Zukünftige nicht betrügen wird, züchtet er sich die ideale Ehefrau heran: Ein Mädchen aus dem Kloster, das nichts von der Welt gesehen hat. Dumm soll sie sein, dumm soll sie bleiben. Doch dieses Mädchen ist klüger als der alte Esel vermutet. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, die der alte Esel – Molière nennt ihn Arnolphe – setzt, verliebt sich das Püppchen – Agnès genannt – in den lebenslustigen Horace, der sie die Freuden des Lebens, der Liebe lehrt. Natürlich bekommt Agnès ihren Horace und Arnolphe muss klein beigeben.

Eine Klischee- Geschichte, oft durchexerziert in der Oper, vor allem aber Grundlage für viele Komödien, besonders der Commedia dell`Arte und der späteren Zeit.

In einer Komödie fragt man nicht, ob das Thema heute relevant ist. Hauptsache ist der Witz, der Einfall. Manche Regisseure setzen den Stoff in die Gegenwart (so gerade in der Staatsoper im „Don Pasquale“ zu erleben und zu genießen). Viele greifen auf die Figurenführung und Kostüme der Commedia dell`Arte zurück und bleiben in dieser Zeitschiene.

Ruth Brauer-Kvam setzt alles ein, was aus der Komödienkiste kommt: Die Übertreibung aus dem Slapstick, die Bewegungen aus der Commedia dell`Arte, Grundzüge aus dem Marionettentheater und Heutiges, wie zum Beispiel die Musik von Ingrid Oberkanins, die das Geschehen ironisch begleitet . Eine Mischung, die amüsant ist, aber die Gefahr des Zuviel birgt.

Alle Schauspieler sind mit einem überschäumenden Temperament ausgestattet. Voller körperlicher Einsatz wird verlangt, vor allem von Tim Breyvogel und Tobias Artner als die beiden urdummen Diener von Adolphe, gespielt von Tilma Rose. Letzteren in seinem Antrittsmonolog zu verstehen, war ziemlich mühevoll. Denn bis die Worte auf den Balkon, 3. Reihe, gelangten, waren die Endungen und manche Vokale schon irgenwo im Nirwana verschwunden. War der deutschgefärbte Akzent bewusst eingesetzt? Entzückend Laura Laufenberg als Agnès. Zuerst als Puppe mit Rollschuhen, dann im Laufe ihrer Emanzipation in kurzem Kinderkleidchen. Zuerst naiv, dann aber schlau naiv. Witzig auch Horace (Philip Leonhard Ketz) als Latin-Lover. Er ist niedlich, wie er so verliebt über die Bühne haspelt und stolpert. Einmal auch zu Pferd, was irgendwie komisch sein sollte, aber doch nicht allzu schlüssig war. Es blieb ein Gag um des Gags willen.

Die Idee, mitten im Geschehen die Figuren Uranie und Climène umhermarschieren und das Spiel kommentieren und kritisieren zu lasssen, wirkt allzu gewollt und aufgesetzt „postmodern“. Schon klar, sie stellen die Kritiker, die einst über Molière herfielen, und zugleich die möglichen Kritiker der gegenwärtigen Aufführung dar. Doch die theoretischen Auseinandersetzungen gehen in dem allgemeinen Trubel unter. Noch unnötiger ist das Liebesgerede der beiden.

Fazit: Eine quirlige Inszenierung, gespickt mit vielen Regieeinfällen, die manchmal zu viel des Guten sind. Körperlich gut trainierte Schauspieler, die mit vollem Einsatz spielen.

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Festspielhaus St.Pölten eröffnet mit „Das Dschungelbuch“ nach Kiepling. Eine Produktion von Théâtre de la Ville-Paris

In englischer und französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Regie, Bühne und Licht: Robert Wilson. Musik und Liedtexte: CocoRose

Was für ein heiterer, unbeschwerter Auftakt nach der langen Corona bedingten Schließung! Robert Wilson hat sich eine zarte Mischung aus Musical und Zirkus ausgedacht. Wie immer arbeitet er mit zauberhaften Lichteffekten. Wie ein Märchen aus der unschuldigen Zeit, als Tiere noch friedvoll und Menschen so was von pfui waren, mutet alles an. Erzählt wird von einer Art Märchenelefantentante, Kinderfrau in weißem Nachthemd und riesigen Ohren ( Aurore Deon). Den Mowgli gibt Yuming Hey.Von ihm geht ein besonderer Zauber aus, vielleicht auch weil er an den „Kleinen Prinzen“ von Saint Exupéry erinnert: zart, klein, in einem roten Hemd, die Haare in einzelnen Zipfeln aufgekämmt. ER tanzt mit großen Kinderaugen zwischen den Tieren. Als er zu den Menschen kommt , staunt er über deren Eigenarten, beschließt, sie nicht zu mögen und kehrt flugs in den Dschungel zurück. Ein besonders liebenswerter, tollpatchiger Bär (Francois Pain-Dozene) tanzt und singt sich in die Herzen der Zuschauer hinein. Jede einzelne Figur ist witzig, ironisch. Die Musik flott, die Tanzszenen einfach, die Kostüme von Jacques Reynaud bezaubernd, nicht übertrieben.

Mowgli und der Tiger (Roberto Jean) (Foto: Lucie Jansch)

Insgesamt eine frisch-fröhliche Inszenierung, Gott sei Dank ganz ohne Corona- und sonstige Bezüge. Robert Wilson will einfach nur ein Märchen erzählen. Und das ist ihm exzellent gelungen. Das Publikum dankte mit viel Applaus dem ganzen Ensemble, besonders den bei der Première anwesenden Robert Wilson.

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Musiktage Mondsee – Joseph Lorenz liest „Der kleine Prinz“

Erik Schumann und Lisa Schumann spielten Violinduos von Bartok, Prokofjew und Hindemith.

Was in Salzburg an Festgefühl fehlte, konnte man im Ort Mondsee voll erleben. Schloss, Basilika und Marktplatz, den Boris Podrecca mit gewohnter Stilsicherheit renoviert hatte, waren festlich beleuchtet. So hoch eingestimmt, durfte man den kommenden Abend mit Spannung erwarten.

Wie immer, wenn Lorenz einen Text vorträgt, dann „spielt“ er alle Rollen: Den Erzähler St. Exupéry mit sonorer Selbstsicherheit, den kleinen Prinzen mit der großen Verwunderung eines Kindes über das Unverständnis der Erwachsenen. Die Rose! Ja, die besonders: eitel, kokett in den Hand- und Kopfbewegungen (da verwandelt er sich vor den Augen des Publikums in ein eitles weibliches Wesen), darauf gleich in das verwundbare, zarte Wesen, das sie eigentlich ist. Dann den, der bwundert werden will, oder …

Leider war ja nicht genug Zeit, um alle Figuren zu interpretieren…Zuhören wollte man noch Stunden…. Besonders berührend natürlich der Fuchs, der mit leiser, sanfter Stimme gezähmt werden will. Die Schlange zischte gefährlich und hörbar durch den Raum und brachte dem Prinzen den sanften und ersehnten Tod. Er sehnte sich nach seinem Planeten, um seine Rose wiederzusehen, um dem Schaf ein Zuhause zu bieten.

Lorenz entführte das Publikum in keine kindliche Welt. Sondern in die weise Welt eines erfahrenen Dichters, der die Weisheit der Kinder den Erwachsenen vor Augen (auch gezeichnet! – Man sah St. Exupérys Zeichnungen als Lichtbilder an die Wand projeziert) führt. Ohne moralische Belehrung.

Im besten Timing, genau an den richtigen Stellen spielten Lisa und Erik Schumann Violinduos von Prokofjew, Béla Bartók – dem das Festival gewidmet war- und Paul Hindemith. Musik, die in der Zeit von St. Exupéry entstand. Ein großartiges Zusammenspiel zwischen Musik und Text!

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Pascal Mercier: Perlmanns Schweigen. Roman. btb-Verlag

Man muss schon Sprachwissenschaftler, Literaturdozent, Germanist sein und Zweifel an dem eigenen Metier, an den literarischen Werken an sich haben, um für dieses Romankonvolut von 639 Seiten die nötige Zeit und Geduld aufzubringen. Wie viele „Romane“ haben schon den Zweifel am Schreiben, die Schwierigkeiten und Hemmnisse des Schreibens an sich thematisiert! All zu viele! Gott sei Dank hat Pascal Mercier dann doch seine philosophischen Schreibtiraden gegen die Zunft der Schreiber, Übersetzer und Literaten aller Art überwunden und Romane, die den Titel verdienen, geschrieben. Wie etwa: „Nachtzug nach Lissabon“ und „Der Klavierstimmer“.

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Neil Simon: Sunny Boys im „Schwimmenden Salon“

Ort: Thermalbad Vöslau. Mit dem Komödien-Trio Petra Morzé, Micheal Maertens und Roland Koch.

Es war einer dieser wunderbaren Sommerabende. Die Kulisse des Thermalbades imaginierte Vergangenheit, das Publikum war erwartungsvoll und zahlreich gekommen.

Das Trio durfte sich in Komik, Schrulligkeit und handfestem Klamauk austoben. Maertens als Willy Clark im kniekurzen Bademantel, einer scheußlichen Bermuda, dazu karierte Socken – der Grantler, wie er im Büchl steht. Petra Morzé war in voller Fahrt einmal als Nichte und verzweifelte Managerin ihres Onkels, dann als Krankenschwester im Set. In dieser Szene war sie umwerfend sexy: Im Kurzkleidchen, das gerade über die Popobacken reichte, weißen Halterstrümpfen mit rotem Zierblumen hielt sie Maertens ihr Hinterteil entgegen, der verzückt darauf starren durfte:

Maertens und Morzé . Foto: Katharina Schiffl/Thermalbad Vöslau

Robert Koch als Al Lewis überraschte durch seine schräge Sturheit, mit der er seinen Kumpel attackierte. Die „Poch-Poch- Szene“ gestaltete er zu einem Dauerlacherfolg.

Ein bei szenischen Lesungen immer wiederkehrender Trick wurde natürlich auch wirksam eingesetzt: Man verliert den Textfaden, die Seiten rutschen unter den Tisch und kudernd suchen alle danach. Auch das waren gut eingebaute Lachhits. Vielleicht waren die Texthänger aber gar nicht so gewollt. Denn manchmal klebten die Augen der Schauspieler zu sehr an dem Papier statt am Partner und man hatte das Gefühl, einer Textprobe beizuwohnen.

Für das Vergnügen bedankte sich das Publikum mit viel Applaus und Bravorufen

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Joseph Lorenz las im „Theater im Salon“ A. Christies Kurzgeschichte „Das Abenteuer des ägyptischen Grabes“

Fotocredit: Theater im Salon

Schon in ihrer Jugend unternahm Agatha Christie mit der Mutter Reisen in den Nahen Osten. Als sie 1930 den Archäologen Max Mallowan heiratete, vertiefte sie sich immer mehr in dieses Thema. Die Kurzgeschichte „Das Abenteuer des ägyptischen Grabes“ macht den Anfang einer Serie von Erzählungen, die im Orient spielen.

Ganz englischer Gentleman betritt Joseph Lorenz mit zwei Rosen in der Hand die Bühne, begrüßt die Gäste im „very British English“, legt eine Rose unter das Bild der Autorin und verneigt sich als galanter Rosenkavalier vor Maresa Hörbiger, der Initiatorin des „Agatha Christie Festivals“.

Geheimnisvolle Morde geschehen an der Ausgrabungsstätte des Pharao Men-her-Ra. Lady Willard, deren Mann eines der Opfer war, beuftragt Hercule Poirot mit der Aufklärung, was diesem natürlich bravourös gelingt.

Wenn Joseph Lorenz „liest“, dann ist das nie nur eine Lesung, sondern ein Spiel „en miniature“. Es ist pures Vergnügen mitzuerleben, wie er die Figur des Hercule Poirot herausarbeitet: Mit nur leicht französischem Akzent und einigen französischen Floskeln entsteht vor den Augen und Ohren des Publikums der „berühmte“ Poirot. Doch gleich darauf trübt Lorenz mit feiner Ironie den Glanz der Figur, wenn er ihn schwitzend und fluchend auf dem Kamel und zuletzt auf dem Esel durch die Wüste reiten lässt. Am Ende ist Poirot ganz der alte, der seine Leistung nie unter den Scheffel stellt: „Meine kleinen grauen Zellen funktionieren perfekt!“ Doch nicht nur Poirot bekommt durch Lorenz deutliche Facetten des Charakters, auch alle Nebenfiguren. Mühelos erarbeitet er den bewundernden Hastings heraus oder den bösen Arzt, der all diese Morde beging. Auch Lady Willard tritt mit weiblicher Würde auf. Das Publikum dankte mit viel Applaus für dieses spannende akustische „Figurentheater“.

Im ersten Teil las Anu Anjuli Sifkovits eine einleitende Erzählung zu „Mord im Pfarrhaus“.

Wie immer wurden -diesmal direkt im Salon an kleinen Tischen – delikates Fingerfood und Wein und Sekt von Schlumberger serviert.

Das „Agatha Christie Festival“ dauert noch bis 3. September.

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Kultursommer Semmering: Joseph Lorenz liest Schnitzler: Spiel im Morgengrauen

Genau dort, wo Arthur Schnitzler mit vielen anderen Künstlern die „Sommerfrische“ genoss, darf Kunst nach langer Absenz wieder stattfinden: Im verzauberten „Südbahnhotel“ am Semmering.

Joseph Lorenz las „Spiel im Morgengrauen“

Zuvor plauderte Florian Krumpöck, Initiator und Leiter dieses Kultursommers, mit Joseph Lorenz über das Theater heute. Wie sieht er die Theaterästhetik mit den zahlreichen Videoinstallationen und manchmal krampfhaft bemühten Modernisierungen alter Stoffe? „Man kann Stücke zu Tode modernisieren, dann langweilt sich das Publikum“, meinte der erfahrene Schauspieler. Wie wahr und vielen Zuhörern aus der Seele gesprochen! Aber – so Lorenz – nur texttreues Abfeiern ist auch fad. „Leichte Überforderung des Publikums ist notwendig, sonst schläft es ein.“ Gegen Ende des Gespräches kam Joseph Lorenz auf den Unterschied zwischen Autor und Dichter zu sprechen: Dichter wie Schnitzler, Hofmannsthal, Werfel oder Thomas Bernhard sehen tiefer in die menschliche Seele. Psychologische und gesellschaftliche Zusammenhänge werden genial in Literatur gegossen. „Nur solche Werke berühren uns“, meint Joseph Lorenz und bewies die These gleich darauf in seiner Lesung.

In der Novelle „Spiel im Morgengrauen“ geht es Schnitzler einmal mehr um Gesellschaftskritik: Leutnant Wilhelm Kasda trudelt ziellos durchs Leben. Der Waffenrock gibt ihm das Ansehen, das er als Zivilist per se nie genießen würde. Oberflächliche Kameraderie, kurze Affären, die auf ihr Potential als Mitgiftspenderinnen abgeklopft werden, Kartenspiel und Soupers – so sieht sein Alltag aus. Bis er von Willy Bogner, einem ehemaligen Kameraden, dringend um finanzielle Hilfe gebeten wird. Kasda, ein leidenschaftlicher, aber bisher vorsichtiger Spieler, hofft, die Summe im Kartenspiel zu gewinnen, was ihm auch gelingt. Dann aber fasst ihn die Gier, der Rausch. Er kann nicht aufhören. Und am Ende hat er 11.000 Gulden Schulden, die er nie zurückzahlen kann. Aber Spielschulden sind Ehrenschulden. Rettung erhofft er von Leopoldine, der jungen Frau seines Onkels, die er einmal nach einer Liebesnacht mit einem Geldschein zur professionellen Hure degradierte. Nach einer neuerlichen gemeinsamen Nacht legt nun sie ihm 1.000 Gulden als „Lohn“ auf den Tisch und gibt ihm dadurch zu verstehen, wie tief er sie damals verletzt hatte. Weil er die Spielschulden nicht begleichen kann, erschießt sich Wilhelm Kasda, nicht ohne Bogner vorher die 1.000 Gulden zukommen zu lassen.

Joseph Lorenz „temperiert“ den Text: Zu Beginn müssen die Fakten auf den Tisch. Nüchtern, ohne Pathos beschreibt er das Leben Kasdas. Langsam steigert er die Temperatur – bis zum ersten Höhepunkt: Das Kartenspiel gleicht einem Höhenrausch, einem wirren Traum, den Lorenz uns im Höllentempo erleben lässt. Dann fällt die Temperatur wieder ab, alles wird leiser. Bis zur Liebesnacht zwischen Kasda und Leopoldine. Schnitzler macht daraus eine Traumsequenz aus zarten Erinnerungen, jäh unterbrochen vom harten Erwachen in einer aussichtslosen Gegenwart. Gebannt folgt das Publikum bis zum ruhig und pathosfrei vorgetragenen Ende der Tragödie und erlebte einmal mehr den inneren Gleichklang zwischen Dichter und Interpret.

Langer, begeisterter Applaus. Danach konnte man noch ein wenig den Blick von der Terrasse auf die verwunschene Landschaft genießen und durch die verfallene Pracht dieses Jahrhundertwende- Hotels schlendern.

Die nächsten Schnitzler-Lorenz Abende im Südbahnhotel: 22. August „Traumnovelle“, am 23. August: „Spiel im Morgengrauen“.

Das ganze Programm unter:

http://www.kultursommer-semmering.at

Anita Brookner: Ein Start ins Leben. Eisele Verlag

Aus dem Englischen vonn Wibke Kuhn

Schon in ihrem Debütroman „Ein Start ins Leben“ legt Anita Brookner ihre Hauptfiguren und das Hauptthema fest: Es geht um Frauen, die Literatur und Leben verwechseln. Oder die ihr Leben nach den Büchern richten, mit denen sie sich beschäftigen. Im „Hotel du Lac“ ist Edith eine Schriftstellerin, die sich in ihren Büchern eine heile Welt zurechtschreibt. Im „Ein Start ins Leben“ zieht sich die Langzeitstudierende Ruth aus dem realen Leben zurück und ist glücklich, wenn sie sich mit einer Figuren aus Balzacs Romanen beschäftigen kann. Denn in ihrem realen Leben hat sie nichts und niemand, der ihr Halt geben kann: Mutter eine verkrachte Schauspielerin, Vater ein Nichtstuer. Die Familie lebt von einem kleinen Erbe, das sie sorglos verbrauchen. Ruth studiert und schreibt in Paris an ihrer Dissertation. Sie distanziert sich für eine WEile von ihren Blutsauger-Eltern, glaubt sich für einen kurzen Moment ihres Lebens glücklich, wird aber gnadenlos von ihren Eltern nach London zurückbeordert, um Vater und Mutter zu versorgen.

Doch es gibt in Ruths Leben auch helle Momente, in denen sie die Werte der Literatur überprüft und relativiert. Abr trotz der gedanklichen Distanz zu den Romanen, insbesondere zu denen Balsacs, und zu ihrer eigenen Dissertation hat sie nicht den Mut, sich ein eigenes, selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Resignierend kehrt sie nach London in das muffige Elternhaus zurück und pflegt die Eltern.

Anita Brookners Stärke ist die feine Ironie, mit der sie ihre Figuren ausstattet. Obwohl Ruth sich klein denkt und klein fühlt, hat sie einen messerscharfen Verstand, der sie wie durch ein Brennglas die englische Mittelstandsgesellschaft analysieren lässt. Nur für ihre eigenen Fähigkeiten fehlt ihr die richige Einordnung.

Interessant ist für Anita Brookner immer wieder die Funktion der Literatur im Leben eines Menschen, eines gebildeten Lesers. Was kann Literatur leisten? Oft oder meist wirkt sie als Schlummertrunk, selten als Weckruf. „Ein Start ins Leben“ und „Hotel du Lac“ sind eindeutig Weckrufe: Gib acht, Leserin, lass dich nicht durch Literatur verführen, wähle deinen eigenen WEg.

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Herbert Lackner, Als die Nacht sich senkte. ueberreuter-sachbuch

Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen – am Vorabend von Faschismus und NS-Barbarei

Wir, die Nachgeborenen, stehen oft vor der Frage, wie wir uns in der Zeit des Nationalsozialismus verhalten hätten, ob wir den Mut gehabt hätten, Widerstand zu leisten.

Herbert Lackner moralisiert nicht, sondern recherchiert, zitiert „Europas Dichter und Denker“, fragt und forscht, wie es dazu gekommen ist, wie es möglich war, dass Hitler und Mussolini so rasch an die Macht kamen.

Er geht vom ersten Weltkrieg aus und zitiert die schier unglaublichen Begeisterungsstürme so mancher Schriftsteller und Denker, von denen wir nie diese Kriegsbegeisterung vermutet hätten. Nur ein Beispiel von vielen: Der Maler Kokoschka meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst und schrieb: „Wer immer zu Hause bleibt, wird sein ganzes Leben nicht fähig sein, diese Schande zu überwinden.“ (S 13)

Doch das Kriegsende lehrt alle vorher so Begeisterten, der Realität ins Auge zu schauen. Obwohl das Elend gr0ß ist, formieren sich bald schon die ersten Kriegstreiber. Man hat aus den Erfahrungen des ersten Weltkrieges nichts gelernt. Scharfsichtig wie durch ein Vergrößerungsglas blickt Lackner auf die Verästelungen der Ereignisse, die zur Machtübernahme Mussolinis in Italien und Hitlers in Deutschland führen. Punktgenau verfolgt er die Entwicklung in Österreich, wo sich die Sozialdemokraten und Christlichsozialen im hoffnungslosen Kampf so lange aufreiben, bis Hitler leichtes Spiel hat. Immer wieder fragt Lackner nach, wie sich die „Dichter und Denker“ zu dieser Entwicklung stellten, zitiert den politisch wissenden, aber sich unaktv verhaltenden Stefan Zweig, berichtet über Alma Mahler-Werfel, die die Gefahr klein redet und sie viel zu spät erkennt, weil sie sich mehr für ihre Männergeschichten interessiert. So schlittern Deutschland und Österreich zuerst in die WEltwirtschaftskrise 1929 und „danach ist nichts mehr so, wie es vorher war“ ( S133).

Ein glänzend recherchiertes, interessant geschriebenes Buch, das jedem Geschichtsinteressierten empfohlen sei!

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Karin Peschka: Putzt euch, tanzt, lacht. Otto Müller Verlag

Lange habe ich nichts mehr in mein „Kulturtagebuch“ alias Blog geschrieben. Die Live-Kultur ist ja zum Verstummen gezwungen worden: Theater, Oper, Kino müssen stumm und geschlossen bleiben. Erlass von oben, sprich von unser aller Beschützer namens Kurz. Wenn ich „Erlass“ höre oder lese, kommen mir arge Bedenken. Da gab es den Erlass des Kaisers, des Zaren…. Die hatten Macht ohne Ende. Ja, ohne Ende. Man verspricht uns zwar ein Ende. Aber dann haben wir uns vielleicht schon sehr daran gewöhnt, zu gehorchen. Und der Erlass, die Erlässe könnten bleiben. Im Mittagsjournal von Ö1 (14. April) warnten Markus Thoma, Sprecher der Verwaltungsrichter, und Verwaltungsexperte Manfred Matzka eindringlich vor unverhältnismäßigen Verordnungen und Erlässen, die ohne Parlamentsbeschlüsse rausgehen. Und was sagt unser aller Retter zu diesen Vorwürfen: „Nicht interpretieren, …wichtig ist, dass alle mitmachen.“ Also, dass alle brav gehorchen.

Was hat das alles mit dem Buch von Karin Peschka zu tun? – Auf den ersten Blick gar nichts. Auf den zweiten Blick: In dieser ziemlich bedrückenden Zeit war ich auf der Suche nach einem gut geschriebenen, heiteren, klugen Buch. Titel und Covertext des Verlages waren viel versprechend. DOCH: Leider wurde ich enttäuscht. Zum Ärger, eingesperrt, ja weg gesperrt von meinem Kulturleben zu sein, kam die Enttäuschung über dieses Buch dazu.

Der Plot wäre gut, zwar nahe am Klischee, aber immerhin brauchbar: Fanni, eine Frau so um Mitte 50, hat Panikattacken. Ihr Leben auf dem Dorf ist einbetoniert zwischen der langweiligen Arbeit im Supermarkt und dem noch langweiligeren Leben mit ihrem braven Ehemann. Der wartet nur noch auf seine Pension. Da beschließt sie auzubüxen. Mit Hilfe eines kreuzbraven Exfreundes installiert sie sich und andere Lebensnormenverweigerer auf einer desolaten Almhütte. Dort liegen sie nackt in der Sonne, zählen Hummeln und zitieren Rimbeaud. Das wäre ja ein wenig amüsant, wäre da nicht das Bemühen der Autorin, mit einem nervigen Stil, Halbsätzen und einer krampfhaften Zertrümmerung des eigentlichen Plots das Lesen mühselig zu machen. Sorry: Gerade in dieser verdammten Corona-Unzeit brauche ich keine mühselig zu lesenden Texte, deren Humor all zu gewollt wirkt. Und weil ich gerade so im Protestmodus lebe und denke – siehe mein Eingangsstatement – will und kann ich den Kritikern und ihren Lobeshymnen auf dieses Buch nicht folgen.

http://www.omvs.at

Tracy Chevalier: Violet. Atlantik Verlag

Aus dem amerikanischen Englisch von Anne Rademacher.

1932 in Southampton, einer Kleinstadt im Süden Englands. Violet führt ein tristes Leben an der Seite ihrer quenglerischen Mutter. Es herrschen strenge Moralgesetze, die besonders für alleinstehende Frauen wie Violet gelten. Da wird getratscht, be- und verurteilt, immer vor den Türen der anderen, nie vor der eigenen gekehrt. „Anstand“ heißt das Wort, das alle im Munde führen, mit dem die Gesellschaft Frauen wie Violet geißelt.

Als Violet die häusliche Enge und Engstirnigkeit an der Seite der keifenden Mutter nicht mehr aushält, zieht sie aus, findet in Winchester eine schlecht bezahlte Arbeit als Schreibkraft, wohnt in einem Billigzimmer und hat nicht immer genug Geld, um sich Essen zu kaufen. Doch sie gibt nicht auf, ringt Tag für Tag um ihre Selbständigkeit. Sie schließt sich einer Gruppe von Frauen an, die Sitzkissen für die berühmte Kathedrale von Winchester (die zweitälteste von Europa) sticken, verliebt sich in den Glöckner Arthur, der sie in das Geheimnis des Glockenläutens einweiht. Arthur ist verheiratet. Scheidung kommt nicht in Frage, da seine Frau schwer krank ist. Als Violet von ihm schwanger wird, zieht sie von Winchester weg und kehrt nach Southampton zurück, kämpft tapfer gegen all den Hass und die Vorurteile, die man damals einer unverheirateten, schwangeren Frau entgegenbrachte. Tracy Chevalier lässt auch das Thema der Liebe zwischen Frauen einfließen, in den 30er Jahren und lange noch danach ein strenges Tabuthema. Und am Horizont droht schon der Zweite WEltkrieg. Dennoch endet der Roman hoffnungsfroh: Violet liebt ihre kleine Tochter Iris über alles. Sie weiß, ein Leben mit Arthur wird es nicht geben….

Tracy Chevalier schrieb einen stillen Roman über eine Frau, die ihren WEg findet und sich trotz vieler Widrigkeiten behauptet. Allerdings muss die Leserin – es ist hauptsächlich ein Roman für Frauen – sehr viel Zeit und Geduld aufbringen, will sie sich durch die allzu detaillierten Schilderungen, wie man ein Sitzkissen bestickt, durcharbeiten. Die teils sehr lehrhaften Anweisungen, wie die Glocken richtig geläutet werden sollen, sind auch nicht gerade sehr spannend. Als Dokument über Kunstfertigkeiten, die zumindest in Mitteleuropa unbekannt sind, mag es gelten.

http://www.hoffmann-und-campe.de

Karl Valentin muss man nicht vorstellen. Robert Meyer auch nicht – beide sprach- und spielverliebte Künstler. Jedes Wort wird auf Sinn und Unsinn untersucht, auf die Goldwaage des Humors gelegt. Viele Schauspieler haben sich auf die Sätze des bayrischen Kabarettisten gesetzt, oft wurden aus den herrlichen Unsinnszweideutigkeiten eher banale Eindeutigkeiten. Nicht so bei Robert Meyer. Durch Pausen, Dehnungen, Übertreibung und andere Stilmittel findet er genau den humoristischen Dreh- und Angelpunkt des Textes, auf den es ankommt. Auf einmal weiß man, wie blühender Unsinn zu Sinn wird.

Als gebürtiger Bayer sind für Robert Meyer die Färbung des bayrischen Dialekts und der knautschige Ton Karl Valentins kein Problem.

Die Auswahl war ein „Best of Valentin“. Selbstverleugnerisch ist Robert Meyer einmal der strohdumme, eitle Feuerwehrtrompeter, dann wieder der Theaterneuling oder der Besitzer eines Aquariums. Noch lange könnte die Aufzählung der Tiere sein, wenn sie zum Maskenball aufmarschieren. Man kann von diesem herrlichen Unsinnsreimen gar nicht genug bekommen!

WEil ein Vollblutschauspieler wie Robert Meyer ganz genau weiß, dass man das Publikum nicht mit einem Kalauer nach dem anderen überschütten darf, gibt es dazwischen zünftige Blasmusik von der volksoperneigenen Kapelle.

Am 29. April wird Robert Meyer nochmals als Karl Valentin zu erleben sein.

http://www.volksoper.at

Joseph Lorenz: Ich, Casanova. 2. Teil

Wieder war der Andrang groß. Im „Theater im Salon“ hatte nicht einmal mehr der kleinste Sessel Platz. Wenn Lorenz liest, dann kommen alle. Und alle passen halt nicht in den Raum, der gerade einmal fünfzig Plätze hat.

Also nun: Fortsetzung des spannenden Lebens von Casanova. Einmal mehr fragt man sich, wie sich Joseph Lorenz durch alle 18 (!) Bände der von Casanova eigenhändig verfassten Biografie durchgearbeitet haben konnte.

Nach einer kurzen Zusammenfassung des ersten Teiles führt uns Joseph Lorenz/ Giacomo Casanova in das bescheiden Haus des Philosophen Jean Jacques Rousseau und lernt dort auch dessen um Jahre ältere Lebensgefährtin, von Rousseau nur „Maman“ genannt, kennen. Mehr scheint Casanova von Voltaire beeindruckt zu sein. Treffen doch da zwei Geistesgrößen aufeinander, die mit Witz, Ironie und scharfem Verstand die Gesellschaft sezieren.

Von Frankreich treibt es Casanova nach Rom, wo ihn Papst Benedikt XIV. empfängt und ihm den freien und ungehinderten Zugang zu den Büchern der vatikanischen Bibliothek erlaubt, auch zu allen, die auf dem Index standen! Als ihm Graf Waldstein 1785 eine gut bezahlte Stellung als Bibliothekar im Schloss Dux anbietet, nimmt Casanova gerne an, ist er doch des ewigen Herumreisens schon müde. Dort hätte er ein bequemes Leben führen können, wäre da nicht aus Venedig ein geheimnisvoller Brief eingelangt, der ihm Rehabilitation versprach. Casanova bricht sofort auf. Auf der Reise holt er sich eine „Galanteriekrankheit“ und muss sich erst einmal auskurieren. Diese pikante und unrühmliche Episode fehlte bisher in Casanovas Memoiren. Erst vor einigen Jahren fand man die fehlenden Seiten, die Casanova nicht zur Veröffentlichung freigeben wollte.

Nur halb genesen reist er voller Ungeduld nach Venedig, in der Hoffnung, von dem Bann, der ihn so viele Jahre von seiner Heimatstadt fernhielt, befreit zu werden. In Venedig lässt ihn der Doge jedoch fünf Stunden warten, um ihm dann ausrichten zu lassen, dass er schleunigst die Stadt zu verlassen habe, will er nicht nochmals in den Bleikammern landen. Zurück auf Schloss Dux schreibt er weiter an seinen „Memoires de ma vie“, die mit dem Jahr 1774 enden und zu Casanovas Lebezeiten nicht veröffentlicht wurden. Der Autor starb 1798 auf Schloss Dux.

Über Umwegen gelangte das Manuskript in den Besitz der Familie Brockhaus. 2010 kaufte es die „Bibliothèque nationale de France“ um 7 Millionen Euro!

Joseph Lorenz führte an diesen beiden Abenden durch das Geschichtstableau des 18. Jahrhunderts. Es war eine Zeit des Auf- und Umbruchs: Gegen den strengen Absolutismus bereiteten geniale Denker wie Voltaire die Revolution vor, während der Großteil des Adels noch ein sorloses Luxusleben führte. Casanova war der beste Zeitzeuge für dieses Jahrhundert. Dank der Ausdruckskraft, mit der Joseph Lorenz aus den Memoiren las, folgte man ihm mit intensiver Aufmerksamkeit.

Infos zum Theater im Salon: http://www.theaterimsalon.at

Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. C.Bertelsmann Verlag.

Aus dem Englischen: Heiner Kober

Man will das Buch gar nicht aus der Hand legen! Bevor ich auf den Inhalt eingehe, möchte ich meine Bewunderung für die Autorin ausdrücken. Sie hat sich nicht nur durch Humboldts tausende Briefe und Werke durchgearbeitet, sondern auch zahllose Werke von Zeitgenossen und Sekundärliteratur mit einbezogen. Allein der Anhang umfasst 133 Seiten! Es wurde die Biografie eines Genies, congenial geschrieben von Andrea Wulf!

Alexander von Humboldt (1769-1859) wollte immer schon die Welt mit eigenen Augen erfahren, erforschen. Doch seine Eltern hatten eine Beamtenlaufbahn im Dienste des Preußischen Königs vorgesehen. Zähneknirschend studierte Humboldt Bergbautechnik. Als Bergassessor erkannte er schon früh, wie wichtig die ERhaltung der Wälder ist. Holz war der wichtigste Rohstoff zu dieser Zeit. Humboldt wies vehement auf die Wichtigkeit des Waldes für das Klima hin und warnte als erster überhaupt vor den katastrophalen Folgen der ausbeuterischen Abholzung.

Mit 30 Jahren konnte Humboldt dank seines reichen Erbes sichden lang gehegten Lebenswunsch erfüllen und die Reise nach Südamerika antreten. Fünf Jahre lang erforschte er unter schwierigsten Bedingungen gemeinsam mit dem Botaniker Aimé Bonpland die Llanos, das Orinocogebiet, überquerte die Anden und bestieg den Chimborazo. Malaria, Mückenplagen, Kälte und Hitze – all das ertrug er, ohne auch nur einmal an Aufgabe zu denken. Er schleppte schwere Messgeräte durch unwegsames Gelände,sammelte Pflanzen, Gesteine, Tiere und führte genaueste Aufzeichnungen. Bevor er nach Europa zurückkehrte besuchte er Thomas Jefferson, den dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten. Jefferson hatte mehr Interesse für die Natur als für die Politik. Die Forschungsergebnisse Humboldts sog er deshalb wissbegierig in sich auf.

Zurück in Europa wurde Humboldt wie ein Weltstar gefeiert. Seine Vorträge, zu denen auch Frauen Zugang hatten, wurden gestürmt. Das Publikum stand bis auf die Straße Schlange. Er verstand zu faszinieren. Seine Ideen beeinflussten und beeindruckten unter anderem Goethe, mit dem er befreundet war. Simon Bolivar wurde durch Humboldts Einfluss zum Revolutionär, zum Befreier, der gegen den Sklavenhandel und die spanische Kolonialmacht kämpfte. Humboldt wurde nie müde auf die Bedrohungen der Natur durch den Menschen hinzuweisen. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse waren Grundlage für viele späteren Forscher.

Neben all den Empfängen und Vorträgen hatte Humboldt nur einen Wunsch: wieder zu reisen. Sein Wunschziel war Indien. Jedoch bekam er nicht die dazu nötige Erlaubnis vom britischen Empire. So folgte er 1829 der Einladung des russischen Zaren Nikolaj I. All die Strapazen dieser Reise machten dem 60ig-Jährigen nichts aus. Kälte, endlose Kutschenfahrten, lange Wanderungen – all das ertrug er. Sein Forschungseifer machte ihn immun gegen Krankheiten. Auf dieser Reise kam er bis an die Grenze Chinas.

Zurück in Berlin begann Humboldt im Alter von 65 Jahren an seinem mehrbändigen Werk „Kosmos“ zu arbeiten. Sein Ziel war es, die ganze materielle Welt in einem Werk darzustellen. Seine Zeichnungen und sein Stil waren so anschaulich und lebendig, dass die 4 Bände zu den meistverkauften und meistgelesenen Büchern zählten. Bis zu seinem Tod im Jahre 1859 blieb Humboldt geistig rege, schrieb tausende Briefe in alle Welt, schuf ein riesiges Netzwerk zwischen Wissenschaftlern und Künstlern. Wenn Humboldt im Mai 1859 stirbt, hat der Leser das Gefühl, einen Gefährten, der ihn durch viele Stunden und Tage begleitet hat, verloren zu haben.

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Felix Mitterer: Mein Ungeheuer. Theater Akzent

Eine Produktion von STEUDLTENN Tirol Zillertal

Regie: Hakon Hirzenberger

Das Ehedrama aus dem Bauernmilieu schrieb Felix Mitterer in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Doch seine Aktualität ist brennender denn je. Es geht um die Frage: Wie gehen Menschen miteinander um, wenn Arbeitslosigkeit und tiefste Armut, dazu Bildungslosigkeit und daher Chancenlosikeit den Alltag bestimmen. Er, Hans Zach (Martin Leutgeb), säuft seine tiefgründige Lebenstraurigkeit, seine unerfüllte Sehnsucht nach Nähe einfach in Grund und Boden. Zach ist allerdings schon 15 Jahre tot, doch er drangsaliert noch immer seine Ehefrau Rosa (Susanne Altschul) als Geist.

Schauplatz ist irgendein Dorf in Tirol in der Nähe von Schwaz. Wie gesagt, Zach ist tot, aber „zach“ sekkiert und drangsaliert er seine Frau Rosa. Die hat ihn 15 Jahre lang angeschwiegen. Weil er ihr nicht glauben will, dass Felix sein leiblicher Sohn ist. Für ihr Schweigen rächt er sich nun als „Quälgeist“ mit Dauerpräsenz.

Felix Mitterer verquickt dramaturgisch geschickt die verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen. Ohne Bruch switscht er zwischen einst, dem lebenden Zach, und dem Geist hin und her. Im „Schlagabtausch“ zwischen der schweigsamen Rosa und dem brüllenden Hans geht es hoch her: In dem kargen Bühnenbild (Gerhard Kainzner) – ein Sofa, ein Holzsarg – wütet, schreit, schimpft, springt Martin Leutgeb mit beeindruckender Rasanz und Bühnenpräsenz herum. Währenddessen sitzt Rosa auf dem Sofa und schweigt. Wie zum Schutz gegen ihren besoffenen Ehemann hält sie eine Puppe im Arm. Was Martin Leutgeb hier an Wortwucht und Körpereinsatz einbringt, das gelingt Susanne Altschul ebenso intensiv durch Schweigen. Keine leichte Rolle, die sie bravourös meistert. Felix Mitterer hat ihr zum Ausgleich mehrere sehr berührende Szenen zugeschrieben, z.B Wenn sie von der innigen Zärtlichkeit zwischen ihr und dem taubstummen Almhirten erzählt. Oder mit welch starkem Stolz sie an ihrem armseligen Haus hängt, das sie mit eigenen Händen gebaut und selbst finanziert hat. Susanne Altschul meistert diese Rolle mit schlichter Innigkeit, ohne je auch nur in die Nähe des Kitsches, der Rührseligkeit abzurutschen.

Es scheint, zwischen den beiden herrscht nur Hass – bis in alle Ewigkeit. Doch als Hans seiner Frau erstmals erzählt, wie er als neunjähriger Bub seine tote Mutter in der Nacht aus dem Grab geholt und vom Friedhof weggetragen hat, weil er nicht glauben wollte, dass sie tot war, da bricht zwischen beiden die Mauer des Hasses. Rosa bettet den weinenden Ehemann in ihren Schoß und tröstet ihn. Um keine Rührung aufkommen zu lassen, schließt Felix Mitterer mit einem leichten Augenzwinkern und Schmunzeln: der Geist Zach verschwindet endgültig in die Ewigkeit. Rosa ruft ihm tröstend nach: „Ich komm bald nach.“ Er- leicht verschmitzt und ein wenig ruppig: „Lass dir Zeit. Du versamst dort nix.“

Matthias Jakisic unterlegt die Szenen, die von der ungestillten Sehnsucht nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und Träumen von einem besseren Leben erzählen, mit zarter Musik, die hin und wieder an alte Kinderlieder erinnert.

Dank des großartigen Textes von Felix Mitterer, der einfühlsamen Regie und Musik und vor allem dank der beiden intensiven Schauspieler wurde es ein Abend, der es wert ist, in die Chonik des Theaters „Akzent“ einzugehen-

Lang anhaltender Applaus für die Schauspieler. Auch für den Regisseur und den Autor, die persönlich auf die Bühne kamen. Im Publikum waren auch einige Schauspielerkollegen zu sehen – unter anderem Stefano Bernardin und Peter Simonischek.

http://www.steudltenn.com http://www.akzent.at

Nicolas Mathieu: Wie später ihre Kinder. Hanser Literatur-Verlag

Aus dem Französischem von Lena Müller und André Hansen

Der zur Zeit der Preisverleihung noch relativ unbekannte Autor erhielt für diesen Roman den Prix Goncourt 2019. Die Kritiker feierten ihn als Schriftsteller, der den lesenden Bürgern der Oberschicht das Leben der Unterschicht in Frankreich nahe bringt. Deshalb und weil Kritiker immer nur den Inhalt besprechen, selten bis gar nicht die Ausführung, die Herangehensweise an das Thema, herrscht ganz allgemein Begeisterung über diesen Roman.

Nicolas Mathieu erzählt in vier Abschnitten (beginnend 1992) das Leben zweier Jugendlichen aus Frankreich. Anthonys Vater hat wie fast alle Väter des fiktiven Ortes Heillange nahe bei der Grenze zu Luxemburg in der Schwerindustrie gearbeitet. Als die Anlagen geschlossen wurden, versanken er und all die anderen Väter – und später ihre Kinder – in stumpfsinniges Dahinleben, betäubten sich mit Alkohol, die Kinder schon früh mit Drogen. Hacine, dessen Familie aus Marokko stammt, dealt und findet sich toll bestätigt, wenn er mit seinem Motorrad mit mehr als hundertfünfzig Sachen durch die Gegend braust. Dennoch – den beiden und allen anderen Jugendlichen ist stinkfad. Die Schule ist ein no-go. Das Wort Arbeit treibt ihnen die Kotze hoch, vor allem, weil sie an ihren Vätern miterlebt haben, wie sie die Menschen einst ausgelaugt und dann halb kaputt entlassen hat.

Aus Kindern werden Jugendliche und nichts ändert sich, außer dass heimlicher Sex zum einzig erstrebenswerten Vergnügen wird. Doch auch der rettet sie nicht vor Depression, Aggression, Verzweiflung, wie einst ihre Väter. Im vierten und letzten Teil (!998), übertitelt: „will survive“ weiß der Leser bereits, dass ihn nichts Neues erwartet. Und da liegt die Crux dieses Romans. Denn alle vier Abschnitte laufen gleich ab, immer in ähnlicher „Konversation“: „Scheiße..Was machen wir? -Keine Ahnung“. Nach diesem Dialog folgt dann eine genaue Beschriebung diverser, immer gleich ablaufender Aktivitäten, die da sind: Herumstehen, Bier, Wodka oder sonst irgendwas trinken, sich Drogen einwerfen, manchmal irgenwas stehlen, auf Moped oder Motorrad durch die Gegend brausen. Klar, in dieser vergessenen Ecke Frankreichs (oder irgendeines anderen Landes) haben Väter und später die Kinder keine Persprektive. Aber den Lesern immer nur ein Thema in zahlreichen Varianten einhämmern – das nenne ich: Seitenschinderei und Leserquälerei. Denn das Thema nützt sich ab, das Interesse weiter zu lesen, schwindet. Wie so oft, gilt auch hier: Etwas weinger wäre mehr.

Schade, denn der Autor hat durchaus ein Ohr für alles, was „die Kinder später“ – also heutige Jugendliche – angeht. Er weiß, wie sehr die Wirtschaft und das politische System ausbeuterisch sind. Er weiß um die Probleme der so genannten „bildungsfernen“ (was für ein arrogantes Wort!) Schichten. Und er hütet sich vor Moralpredigten.

http://www.hanser-literaturverlage.de/verlage/hanser-berlin

Edward Albee: Wer hat Angst vor Virginia Wolf? Burgtheater

Aus dem Englischen von Pinkas Braun, Regie Martin Kusej, Bühne und Kostüme Jessica Rockstroh. Eine Übernahme aus dem Residenztheater München.

Am Ende dieser Bühnenschlacht ist so mancher Zuschauer wahrscheinlich froh, als Single durchs Leben zu gehen..

Martha (Bibiana Beglau) und George (Norman Hacker) ertränken ihren Lebens- und Eheüberdruss in Whisky. Suchen den anderen mit Verbalgemeinheiten zu verletzen. Als das alles nicht genug an Reiz ist, lädt Martha das Ehepaar Nick (Johannes Zirner) und Honey (Elma Stefania Agustsdottir sprang für Nora Buzalka ein und machte ihre Sache ausgesprochen gut) ein. Das Spiel kann beginnen (1. Akt groß überschrieben: Fun and Games). Nun gilt es jeder gegen jeden – nur die hilflos liebenswürdige Honey tut da nicht mit, wird aber dennoch hineingezogen. Es geht darum, den anderen zu demütigen, zu vernichten. Um ihn zur Weißglut zu reizen, fickt Martha ganz ungeniert vor Georges Augen mit Nick. Bibiana Beglau geht ja der Ruf voraus, dass sie ohne Wenn und Aber an die Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten geht. So auch in diesen Sexszenen. Aus Rache demontiert George das Lügengebäude, das sich beide aufgebaut haben: Er schreit ihr ins Gesicht, dass es keinen Sohn gibt, dass sie beide ihn nur erfunden haben. Diese Art von Lebenslüge nimmt man den beiden nicht ab, dazu wirken sie zu intelligent. Da gab es bessere Autoren, die dieses Thema zentral behandelten, z.B. Tennessee Williams.

Inzwischen sind auch Nick und Honey am Ende ihrer körperlichen und geistigen Kräfte und verlassen die Szene. Übrig bleibt ein Ehepaar, das sich die Masken vom Gesicht gerissen hat, dahinter ist nichts außer Leere, die mit Whisky gefüllt wird. Als Edward Albee in den späten 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts dieses Stück schrieb, waren Alkohol und Drogen das große Porblem. Heute sind es eher die Medikamentensucht und ganz andere Drogen -härtere als damals und weit lebensgefährlichere. Zu diesem Thema schrieben T.C. Boyle den Roman „Das Licht“ und Salman Rushdie „Quijotte“.

Alles spielt sich vor einer grellweißen Wand ab. Im Laufe des Abends verstärkt sich immer mehr der Eindruck, einer hochexplosiven psychiatrischen Sitzung in einer Klinik beizuwohnen. Wie sie in den 70er Jahren praktiziert wurden: Man schrie sich an, heulte, biss, kratzte, schlug zu. Trieb das Spiel wie einen exorzistischen Akt. Danach sollte – so dachte man – eine Art Läuterung, Katharsis eintreten. Die blieb allerdings an diesem Abend auf der Bühne und im Publikum aus. Man war froh, als die Hassaktionen zu Ende waren. Da die Akteure immer auf höchster Reizstufe agieren mussten, trat besonders im 2. Akt (Walpurgisnacht betitelt) eine gewisse Ermüdung ein. Andauernde Klimax ist weder im Leben noch auf der Bühne bekömmlich..

Der Applaus war freundlich, aber endenwollend. http://www.burgtheater.at

Richard Teschners Figurenspiel. Theatermuseum Wien

„Welch eine Oase in der Wahnsinnsweihnachtsstadt Wien!“ So begrüßt Angela Sixt, eine der vier Puppenspielerinnen das Publikum. Wer sich vielleicht gerade durch den Adventmarkt amKarlsplatz oder am Rathausplatz durchgedrängt hat, der nickt verständnisvoll. Das Museum wird kaum von Adventtouristen heimgesucht. Liebhaber des Balletts und des Theaters kennen natürlich diesen Ort der Beschaulichkeit.

Richard Teschner

Nach einer ausführlichen Besichtigung der aktuellen Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ betritt man den vielleicht allerkleinsten Theaterraum Wiens, wenn nicht sogar Österreichs, wenn nicht Europas! Ein Theaterzimmerchen im reinsten Jugendtil: Der wundervolle Jugendstilluster wirft ein mattes Licht auf die Vitrinen aus den Wiener Werkstätten. In ihnen lagern die Puppen des vielbegabten Richard Teschner (1879-1948). Er war ein Allroundgenie: Maler, Grafiker, Bildhauer, Puppenbauer und Pupenspieler. Letzteres mit intensiver Leidenschaft.Als er die Tochter des K&K Hoftischlermeisters Paulick heiratete, verbrachte er die Sommerfrische mit ihr in der väterlichen Villa am Attersee, wo auch Klimt, Emilie Flöge und viele Künstler der Jahrhundertwende verkehrten. Während des Aufenthaltes in Amsterdam und Den Haag lernte er die indonessichen Wayang-Puppen und die Marionetten aus Bali kennen. Davon beeinflusst schuf Richard Teschner seine Figuren. Mit Holzstäben werden Kopf, Hände und Beine bewegt. „Ich habe ihnen nie ein Wort, und wäre es von Goethe selbst, in den hölzernen Mund gelegt“, soll er gesagt haben.

Die Lebens- Uhr und Der Sonnentanz

Hinter einem Rundspiegel aus geölbtem Glas bewegen sich laut- und sprachlos die zarten Figuren. Dazu ertönt leise Musik. Man muss sehr konzentriet zusehen, um die kleinen Bewegungen der Puppen zu verstehen.

Das Spiel beginnt: Vor der Darstellung der astronomischen Rathausuhr in Prag hockt der Tod, in nonnenartiges Gewand gehüllt. Er wartet auf Opfer: Dem Bettler schenkt er weitere Lebenszeit, der Narr foppt ihn. den armen Gelehrten jedoch fällt er mit der Sense, die Mutter, die am Leben verzweifelt und ihm ihr Kind hinreicht, überlässt er einem jungen Ritter. Der Tod als Richter, als Tröster auch.

Auf einer goldenen Kugel tanzt der Sonnengott, der zugleich die vier Jahreszeiten und die vier Lebensalter symbolisiert.

Diese beiden Spielminiaturen werden von zarter Musik begleitet, manchmal Flöte mit Gamelaninstrumenten, dann wieder Klavier. Für eine kurze Stunde vergisst man Hektik und Sorgen, glaubt sich im Kreis von Gamelanspielern in Bali oder Java.

Bis 23. Dezember ist das „Weihnachtsspiel“ zu sehen. Ein wichtiger Tipp: Kommen Sie früh genug, um sich einen Platz in der 1. oder 2. Reihe zu sichern. Denn in der 5. Reihe sind die Feinheiten der Figuren auch für Normalsichtige nur schwer auszumachen.

http://www.theatermuseum.at

Marie Brunntaler: Das einfache Leben. Eisele Verlag

Was für ein Lesegenuss! Nachdem ich den Roman von A. Lehner“ Vater unser“ fertig gelesen hatte, schwor ich mir, jetzt lange keinen „Debütroman“ von jungen Autoren und Autorinnen in die Hand zu nehmen. Ja, ich wollte sogar eine Lesepause, wenn nicht gar eine Leseentziehungskur machen. Denn was ich in der letzten Zeit so an Neuerscheinungen, die alle vom Feuilleton hoch gelobt wurden, in die Hand bekam, war anstrengend, ekelerrend (Lehner, Vater unser) und alles andere als ein Lesegenuss.

Durch den Roman von Marie Brunntaler genas ich sehr schnell von meiner vorübergehenden Buchphobie! Ich durfte wieder in einen Roman hineinfallen, mich gegen Abend auf die Lektüre freuen! Gerade weil hier eine Autorin keine „Feuilletonlorbeeren “ einheimsen, sondern einfach über ein einfaches Leben schreiben will, überzeugte sie mich . Mit solidem ERzählstil, den manche wahrscheinlich altmodisch finden, beschreibt sie den Lebensweg zweier Schwestern, die in dem entlegenen Bergdorf Dachsberg im Südschwarzwald aufwachsen, als junge Frauen draußen in der Welt des Wirtschaftswunders ihr Glück versuchen, aber scheitern. Beide kehren als reife Frauen in ihr Dorf zurück. Nun stellt sich die Frage: Was tun mit dem Leben? Da hat Elisabeth, die tatkräftigere der beiden, die Idee, einen Rosengarten zu pflanzen. Auf 1000 m Höhe und bei diesen strengen Wintern und den trockenen Sommern! Alle schütteln den Kopf.Zunächst aucb die Schwester Adele. Doch bald überzeugt Elisabeth mit ihrer Ausdauer und Unerschrockenheit alle. Der Rosengarten gedeiht!

Brunntaler schildert kein Naturwunder, kein Märchen. Sie weiß, wovon sie erzählt, kennt die Härten des bäuerlichen Lebens am eigenen Leib. Den Rosengarten in Dachsberg gibt es zwar nicht, wohl aber in Nöggenschwiel. Dort züchtet man erfolgreich in 700 m Höhe die herrlichsten Duftrosen. Mag sein, dass diese Gärten als Ideengeber für Bruntaler fungierten.

Das beste Buch an grauen Wintertagen!

http://www.eisele-verlag.de

Maria Happel und TROI – Lesung mit musikalischer Begleitung. Wiener Konzerthaus

Nach so vielen bedrückenden Theaterabenden im Umfeld der Burg („Die Bakchen“, Die Hermannsschlacht“ oder „Die Vögel“) geht man gern zu Maria Happel, um ein wenig das strapazierte Theaterherz zu pflegen. Wenn diese Vollblutschauspielerin mit dem Temperament einer Dampfmaschine, die gerade den Berg hinabsaust, ihren Weihnachtshumor über das Pulikum ausgießt, bleibt niemand unberührt. Man weiß, wenn die Happel einen Adventabend vorbereitet, da ist Schmunzeln mit dabei, Lachen, nachdenklich den Kopf senken, eine ganz kleine Träne im Knopfloch – alles schwingt mit, alles geht „wia gschmiad“ in die Sseele.

Wenn dazu noch das Troi – Ensemble flotte bis einschmeichelnde Melodien spielt, dann herrscht Hochstimmung im Saal.

TROI-BAND, Foto: Stephan Mussil

Es sind leicht schwingende Texte, die Maria Happel auswählte. Alltagsituationen rund um den Weihnachtsstress, überspitzt und treffend formuliert. Das junge Paar einigt sich nicht: Sie will eine meterhohe Silbertanne, er eine kleine Fichte. Sie will viel Schmuck, er hätte es lieber spartanisch. Am Ende steht die hohe Silbertanne ganz ohne Schmuck im Zimmer. (Christine Nöstlinger). Oder die Geschichte vom Weihnachtskarpfen, der als geliebter Sepperl nicht geschlachtet wird. (Peter Meissner) Oder der skurrile Text von Hugo Wiener vom singenden Weihnachtsbillet, das ein ganzes Jahr lang „Stille Nacht“ unaufhörlich herunterspult. Am Schluss las Happel den berührenden Brief Albert Einsteins an seine Tochter über die Liebe als wichigste Kraft im All und auf Erden. Als Abschluss wurde das Publikum zum Mitsingen aufgefordert: Mit dem Lied „Es wird scho glei dumpa“ wurde das Licht heruntergedimmt und das unwiederrufliche Ende des Abends damit angezeigt. Logisch deshalb: Keine Zugabe.

http://www.konzerthaus.at,

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http://www.burgtheater.at/ensemble/maria-happel

„Ankunft heute. Hedy Lamarr“ Verein Kunstspielerei

Text und Konzept: Beatrice Gleicher. Inszenierung und Dramaturgie: Erhard Pauer, Entwurf und Kostüme: Josef Sonnberger

Spielort: Palais Schönburg

Im Vorwort des (gut gemachten!) Programmheftes schreibt die Autorin und Hauptdarstellerin Beatrice Gleicher: „Ich muss es schreiben mit den Augen einer Frau, die jeden deiner Momente, ob als Kind, Star, Ehefrau oder Mutter nach zu vollziehen im Stande ist …weil ich eine Frau bin.“

Wie war’s im Gefängnis?

In dem eleganten Palais Schönburg – passend zum glamourösen Ambiente, in dem sich Hedy Kiesler, später Hedy Lamarr bewegte, bewegt sich auch das Publikum. Zu Beginn nimmt es an der Gerichtsverhandlung gegen Hedy Lamarr teil. In einem schlichten Raum im Untergeschoss wird über den Fall Hedy Lamarr verhandelt. Sie wird beschuldigt, mehrere Wäschestücke in einem Kaufhaus ohne Bezahlung mitgenommen zu haben. Doch sie kann sich mit einem „Schmäh“, mit dem sie seit ihrer Jugend alles durchsetzte, was sie wollte, herausreden. Das Publikum weiß allerdings: Diese Frau ist mit 52 Jahren am Ende ihrer Karriere, steht ohne Geld und Engagement da. Das ist die Ausgangslage des Stückes.

Nun wird im Rückblick ihr Leben in Form eines Stationentheaters aufgerollt. Interessant ist der dramaturgische Kniff, dass die junge Hedy (Florine Schnitzel) und die „alte“ (Beatrice Gleicher) oft gemeinsam auf der Bühne stehen: Da sieht Hedy Lamarr – noch immer attraktiv und mit Männern flirtend, aber doch schon von Hollywood auf die Abschussliste gesetzt – ihrem eigenen Lebensweg zu: Sieht sich als junges Mädel, das bei Max Reinhardt Schauspielunterricht nimmt, die ersten Filme dreht, unter anderem den Skandalfilm „Ekstase“. Sieht sich als Gefangene ihres ersten Ehemannes, des reichen Waffenfabrikanten Mandl, sieht sich in Hollywood.

Erfolge mit fragwürdigen Rollen

Immer wieder wird sie auf die „Skandalnudel“, die sich nicht scheute, nackt gefilmt zu werden, reduziert. Die Rollen, die ihr angeboten werden, sind seicht, geben ihr keine Möglichkeit, mehr als nur schönes Dekor zu sein. Sie gründet ihre eigene Filmgesellschaft. Florine Schnitzel verkörpert perfekt diese oberflächliche, selbstverliebteFrau, die sich Männer ohne Bedenken angelt und wieder fallen lässt. 6 Ehemänner sind ihr auf den Leim gegangen. Dazu noch zahllose Affären. Dass sie gemeisam mit dem Filmkomponisten George Antheil das „Frequency Hopping Spread Spectrum“ (FHSS) erfand, wird in einer Szene so dargestellt, als ob die Erfindung in einer verspielten Stunde geboren worden wäre. Das Leichte, Spielerische, Oberflächliche dieser Glamour-Diva war der rote Faden ihres Lebens. Sie war eine Frau, die beinhart alles durchsetzte, alles bekam, was sie wollte. Aber da war sicher noch mehr. Was ging in ihrer Seele vor? -Wie verbrachte sie ihre letzten Jahre? Nun, dieses sehr publikumswirksame und rundum unterhaltsame Theaterstück war nicht für diese Fragen konzipiert. Das Publikum folgte den Stationen des Lebens von Raum zu Raum, was natürlich für Abwechlsung und Heiterkeit sorgte. Man wird aufgefordert, Hedy auf dem Schiff in die Staaten zu begleiten. Liegestühle laden zum Sonnen (im Vestibül) ein. Zum Captainsdinner wird man in einen hübschen Salon geführt, wo an liebevoll dekorierten Tischen Fingerfood serviert wird. Oder: Man sieht in einem Spiegelzimmer den Dreharbeiten von „Samson und Delilah“ zu, wobei sich Hedy Lamarr als richtige eitle Zicke gebärdet.

Ein spielfreudiges Ensemble

Beatrice Gleicher verfügt über ein exzellente Truppe, die alle, wirklich alle toll spielen, in Blitzesschnelle von einer Rolle in die andere springen, sich Bärte aufkleben, Perücken wechseln, in neue Klamotten hüpfen. Nur so ist es möglich, mit insgesamt 9 Schauspielern das ganze Personenpanorma zu bestücken. Insgesamt ein Abend, der amüsiert. Viel Applaus.

https://ntry.at/ankunftheutehedylamarr

„Rosmersholm“ von Ulf Stengl nach Motiven des gleichnamigen Ibsendramas. Theater in der Josefstadt

Regie: Elmar Goerden, Bühnenbild: Silvia Merlo und Ulf Stengl

Was man mit Ibsens Drama „Rosmersholm“ nicht alles anstellen kann: Figuren rausstreichen, Figuren umdeuten, alles überhaupt neu schreiben. Nur den Titel belassen – er lockt vielleicht ein literatur- und theateraffines Publikum eher an.

Also diesmal „Rosmersholm“ von Ulf Stengl. Drei Schauspieler, die großartig spielen, manchmal etwas überdreht, aber zur Rolle passend: Katharina Klar.

Die Bühne: Ein Landhaus sollte es sein, irgendwo weit abgeschieden. Statt dessen: Ein leerer Raum – eingerahmt von grünchangierenden Lamellen. Keine Requisiten. Das Bettzeug für den unerwarteten Gast Kroll wird auf dem Boden ausgebreitet. Als Erinnerungszitat, dass wir uns in einem ziemlich noblen Landhaus befinden, steht dann plötzlich ein hölzerner Bauernsessel auf der Bühne. Etwas lächerlich wirkende avantgardisitische Bemühtheit.

Das Match zwichen Links und Rechts

Im ersten Teil matchen sich der Gutsbesitzer Johannes (Herbert Föttinger) und der linke Journalist Kroll (Joseph Lorenz). Die Freunde haben einander ein Jahr lang nicht gesehen. Der Grund des unerwarteten Besuches: Kroll hat einen ziemlich rechtslastigen Artikel auf einer Naziplattform entdeckt, der mit dem Namen seines Freundes unterschrieben ist. Entsetzt über die politische Kehrtwendung seines Freundes hält er ihm eine politische Standpauke. Johannes rechtfertigt sich mit lahmen Argumenten, zuletzt damit, dass er den Artikel gar nicht selbst hineingesetzt hat. Der Diskussion der beiden um populistische Ansichten kann man ein gewisses Niveau nicht absprechen, sie geht aber nicht über die schon oft und allerortens zitierten Schlagwörter hinaus. Dennoch:: Herbert Föttinger als behäbig gewordener Literaturprofessor und Joseph Lorenz als leicht herabgekommener, linker Journalisten faszinieren durch ihre intensive Darstellung. Das ist Schauspielkunst vom Feinsten: Oft Gehörtes und allzu oft in TV-Debatten Abgespultes zum schauspielerischen Erlebnis gestalten! Joseph Lorenz in einer gänzlich neuen Rolle: leicht angealtert, in einem rosa Regenmantel, aus dem er sich mühselig herausarbeiten muss, zunächst verlegen, dann mit scharfer Argumentation gegen seinen Freund vorgehend, erinnert an so manche Thomas-Bernhard-Figuren: Kritisch, nörgelnd, mit moralischem Zeigefinger, Recht habend, auch Recht haberisch. Herbert Föttinger ist ein weichlicher, unsicherer Mann, der es sich längst schon unter der manipulativen Fuchtel der rasenden Rebekka bequem gemacht hat.

Match zwichen altem Mann und junger Furie

Katharina Klar, seit 2019 neu in der Josefstadt, spielt die Rebekka sehr mutig: so richtig widerlich. Man möchte sie von der Bühne stoßen, ihr den Mund stopfen. Ihr Outfit imitiert perfekt ein Jungmitglied der AFD oder sonst einer Rechten. Auffallend oft schimpft sie auf alles und drückt ihren Frust mit Fäkalienwörtern aus, weil ihr die differenzierte Sprache fremd zu sein scheint. Ihre Aktionen sind radikal und provokant, als wäre sie ein Teenager am Gipfel der Pubertät. Man muss den Einsatz, mit dem Katharina Klar diese Rolle bis zur Selbstverleugnung ausspielt, bewundern.

Immer dort, wo ein wenig Ibsen durchschimmert, wird es spannend. Etwa, wenn es um die Frage geht, wer am Selbstmord der Ehefrau Rosmers Schuld hat. Nach einer Schrei-Schlacht, in der sich beide in lächerlicher Weise mit Alkohol überschütten und dann vielleicht mit einem Feuerzeug anzünden – oder doch nicht, man weiß es nicht so genau – stehen beide in verzweifelter Umarmung. Nach dem beiderseitigen Schuldgeständnis folgt die Erschöpfung.

Applaus und Bravorufe für die Leistung aller drei Schauspieler.

http://www.josefstadt.org

Simon Stephens: Heisenberg. Akademietheater

Eine Übernahme aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus aus der Spielzeit 2016/17

Regie: Lore Stefanek, Bühne und Kostüm: Janina Audick

Georgie Burus: Caroline Peters, Alex Priest: Burghart Klaußner

Man nehme: Einen superklugen Komödientext, zwei irre gute Schauspieler – und fertig ist ein toller Theaterabend! Man muss sich auf dem Wiener Theaterteppich viele, qualvoll langweilige Stücke ansehen, bis man endlich auf eines wie dieses stößt, das „alle Stückeln“ spielt. Und das ist dann eine Übernahme aus Düsseldorf. Keine Eigenproduktion.

Bitte sich nicht vom Titel irritieren lassen und während der Aufführung irgendeine intelligente Erklärung dafür suchen! Wahrscheinlich gibt es keine, er – der Titel – ist Teil der Komödie. Wer unbedingt eine Erklärung braucht: bitte sehr -hier meine. Sehr simpel. Irgendwie spricht Heisenberg von der Unmöglichkeit, zwei komplimentäre Eigenschaften eines Teilchens gleichzeitig genau zu bestimmen. Die beiden unmöglichen Elemente sind die 44 jährige Georgie und der 77 jährige Alex. Im normalen Leben würden sie aneinander vorbeigehen, sie wären nicht gleichzeitig genau zu orten. Aber Georgie, die an einer nervtötenden Logorrhoe leidet, quatscht den schüchternen Alex auf dem Bahnhof an. Er reagiert abweisend, was aber Georgie nicht stört. Sie lässt nicht locker. Findet seinen Arbeitsplatz – eine Fleischhauerei ohne Kunden – heraus und stalkt ihn ganz ohne Genierer. Wie dieser grantige Alex da in seiner weißen Fleischhauerschürze in der Tür seines Geschäftes steht und um nichts in der Welt auch nur ein Zipfelchen seiner Gedanken freilegen will, das erinnert an die Fleischhauer-Szene aus den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ – nur mit umgekehrten Vorzeichen: Hier nun ist es Georgie, die sich diesen Mann krallen will – ganz einfach, weil sie Geld braucht! Die Szene könnte auch von Nestroy sein.

Wie sich die Temperatur zwischen den beiden ganz langsam ändert, sie sogar Sex haben (übrigens ganz ohne peinliche Nacktheit) und dann gemeinsam nach Amerika aufbrechen, um den Sohn Georgies zu suchen, das alles ist nicht billige Komödie, sondern faszinierend- tiefgründiger Text, gepaart mit kongenialer Schauspielkunst.

http://www.burgtheater.at

Elisabeth-Joe Harriet: „Hat sich mir gemocht a Schmerz.“ Eden Bar

Literarisch-musikalischer Abend. Eine Reise durch jüdisches Leben.

Klavier und Geige: Bela Fischer

Wehmütig seufzt die Geige. Sie stimmt uns ein. Auf einen Abend mit Schmerz, Schmunzeln und Lachen. Elisabeth-Joe Harriet, für Verzauberung der vielfältigsten Art zuständig, führt das Publikum in der schummrigen Eden Bar durch das jüdische Leben im Jahreskreis. Gleich jammert und singt sie los: „Oje, oje, hab ich mir aus dem Mantel a Röckle gemacht. Weil das in Teile zerfiel, hab ich mir a Häubl gemacht …bis nix mehr übrig blieb als a Schnipsl und am End a Lidl.“ – In Liedform ist die jüdische Philosophie und Lebenskunst zusammengefasst – die da meint: Aus dem Wenigen doch Großes – „a Lidl“ – machen! Begleitet von Bela Fischer auf der Geige und am Klavier führt die Künstlerin ihr Publikum in das Leben einer jüdischen Gemeinde ein, erzählt über den Rabbi als zentrale Auskunftstelle für alles und jedes. Zur Auflockerung bringt sie jüdische Witze. Sie alle – nämlich die Witze – leben von diesem „Loch“ zwischen Anlauf und Auflösung, der Kunstpause, die die Überraschung vorbereitet. Harriet nennt es „Ellipse“. Ein köstliches Beispiel sei hier zitiert (Kurzfassung): Ein altes Ehepaar beim Abendmahl. Sagt er: „Wenn einer von uns beiden stirbt, ziehe ich nach Paris.“

Eine Schikse wie ich weiß nichts über jüdische Feste. Für solche kam der Abend gerade richtig! Beste Gelegenheit, über Ursprung und Inhalt etwa des Purim- oder Pessachfestes informiert zu werden. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die jüdische Frau sich am Schabbat nicht frisieren darf – das ist Arbeit und daher verpönt. Eine Perücke löst das Problem elegant. All das und mehr hat Elisabeth-Joe Harriet in einem informativen Büchlein zusammengefasst, illustriert mit Porträts des jüdischen Malers Isidor Kaufmann (1853-1921):

„Jüdischer Festkalender mit Humorbeigaben. Was Sie schon immer nicht gewusst haben! “ Hrsg. Elisabeth-Joe Harriet. Verlag Austria Nostra.

Jeder Besucher bekam auch einen Handzettel mit einer Zusammenfassung der wichtigsten jüdischen Wörter, die zum Teil auch im Wienerischen Eingang fanden, und einigen Sprichwörtern. – „Eine jüdische Seele kann man nicht ergründen“ oder „Eine Frau stellt einen auf die Füße und wirft einen von den Füßen“ – nachzulesen ebenda. In Zukunft werde ich keine E-Mails, sondern „Blizbrife“ versenden. Meschigeh!

http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Hans-Josef Ortheil: Der von den Löwen träumte. Luchterhand-Verlag

In diesem soeben erschienen Band vereint Ortheil alle seine thematischen Vorlieben: Über eine interessante Persönlichkeit schreiben – Hemingway – über einen von ihm geliebten Ort schreiben – Venedig – und über das Schreiben selbst, beziehungsweise über Schreibhemmungen, schreiben.

Literarische Parallelen

Während der Lektüre erlebt der Leser einige Déjà-vu, die zu analysieren ihm spezielles Vergnügen bereiten könnte: Er erinnert sich vielleicht an den Werfelroman über Verdi: Der Komponist kam nach Venedig in einer echten Schaffenskrise, als er glaubte, nie mehr auch nur eine Note komponieren zu können. Dann wird dem Leser unweigerlich Thomas Manns „Tod in Venedig“ einfallen. Als Mann in einer schweren Schaffenskrise steckte, schrieb er sich diese an der Figur von Aschenbach ab. Für Thomas Mann alias Aschenbach wird Venedig zum Todesmythos. Während der Lektüre des Ortheil-Romanes fielen mir weiters die Parallelen zum Film „Il postino“ (Der Postmann) und zum Roman von Antonio Skarmeta „Mit brennender Geduld“, der dem Film zugrunde liegt, ein: Der Dichter Pablo Neruda findet in den Gesprächen mit dem jungen Briefträger einen gelehrigen Schüler, der bald auch Ideengeber wird. So auch in Ortheils Geschichte.

Hemingway, der große Trinker, in der Schaffenskrise

Wir schreiben das Jahr 1948. Ernest Hemingway und seine vierte Ehefrau Mary mieten sich im Hotel Gritti in Venedig ein. Dank des Revolverblatt-Journalisten Sergio Carini weiß bald ganz Venedig, wo und mit wem sich der große Schriftsteller, Kriegsheld und Großwildjäger herumtreibt. Das aber stört Hem, wie ihn Freunde nennen, nicht besonders. Er streift, mit allen nur möglichen Fremden redend und trinkend, durch die Stadt. Alles ist ihm recht, um von seiner Schreibhemmung abzulenken. Sein letzter Roman liegt schon lange zurück. Von Venedig erhofft er sich neuen Stoff und künstlerische Gestaltungskraft. Mit Paolo Carini, dem Sohn des besagten Journalisten, schließt er Freundschaft und engagiert ihn als „Hermes von Venedig“. Während der langen und gemütlichen Bootsfahrten durch die Kanäle notiert er akribisch alles, was er sieht, auch die banalsten Banalitäten. Dem Autor auf die bekannten und weniger bekannten Orte wie Harry‘ Bar, Torcello oder diverse campi zu folgen, bereitet zwar Vergnügen, ist aber doch durch die Banalität der Beschreibungen ermüdend. Etwas zäh wird die Geschichte, als sich Hemingway in die (real existierende) junge Adelige Adriana Ivancich verliebt. Er ist ein alter, müder Mann, der sich von der Achtzehnjährigen Verjüngung und emotionale Hochs erhofft. Aus den Begegnungen mit dieser infantil wirkenden Schönheit entsteht der Roman „Über den Fluss und in die Wälder“, der von der Kritik mit sehr viel Häme aufgenommen wurde und sicher nicht zu seinen besten Werken zählt. Der junge Fischer Paolo Carini wird zu seinem schärfsten Kritiker, ihn stößt alles, was mit dem Roman zu tun hat, ab. Er fordert von Hemingway einen ehrlichen, tiefgehenden Roman und schlägt ihm vor, von einem alten Fischer zu erzählen, der zum letzten Mal aufs Meer hinaus fährt und den Kampf mit einem Riesenfisch aufnimmt. – „Der alte Mann und das Meer“ wird zu einem der wichtigsten und bleibenden Werke Hemingways und Paolo ist stolz, Geburtshelfer gewesen zu sein.

Stilistische Tricks und Schwächen

Ortheil ist ein Meister der Spiegelfechtereien. Geschickt schiebt er reale Fakten und Fiktionen in- und übereinander. Hemingways Aufenthalte und Trinkorgien in „Harry ‚ s Bar“ sind hinlänglich bekannt. Dass der ermüdende Roman „Über den Fluss und in die Wälder“ tatsächlich auf die Liebe Hemingways zu Adriana Ivancich zurück zu führen ist und bei der Kritik durchfiel, ist historisches Faktum. Auch dass Hemingway die junge Adelige samt Mutter nach Cuba auf seine Finca einlud und seine Frau Mary damit ordentlich brüskierte, ist Faktum und wird von Ortheil als Fiktion in den Roman eingebaut. Mit der Familie Carini, Vater und Sohn, später auch Schwester und Mutter, führt Ortheil erfundene Personen ein und verquickt sie mit dem realen Geschehen. Das ist amüsant, weil sich der Leser stets fragt, was ist Fiktion und was Realität. Auf die Spitze treibt Ortheil das Spiel, wenn er Hemingways bekannte Manie, alles, was er beobachtet, akribisch aufzuzeichnen, im Roman eins zu eins umsetzt. Denn die banalen Details bleiben auch als Ergüsse eines Genies immer noch banal und langweilig. Peinlich wird es, wenn Ortheil vorgibt, den Gesprächen zwischen Hemingway und Adriana zu lauschen. Da wird es mehr als banal, peinlich banal.

Unterm Strich: „Der von den Löwen träumt“ ist ein gefälliger Roman, der vielerlei Leserinteressen bedient: Allen voran die der Liebhaber Venedigs, die dem Autor begeistert an bekannte Orte folgen. Auch alle Fans von Romanbiografien werden an dem Buch ihr Vergnügen haben. Immer vorausgesetzt, sie haben die Toleranz, die ausufernde Wiedergabe von Beobachtungen und Gesprächen als inhaltlich notwendig zu akzeptieren.

http://www.luchterhand.de

Heimito von Doderer: Die Strudelhofstiege

Theater in der Josefstadt

Regie: Janusz Kica, Bearbeitung: Nicolaus Hagg

Noch ist der Dramaturg nicht geboren, der eine spannende, stringente Fassung der Strudelhofstiege verfassen kann. Der müsste ein Genie sein. Nicolaus Hagg ist zwar ein erfahrener „Bearbeiter“ und hat auch für Reichenau (im Südbahnhotel) vor Jahren ein Fassung erarbeitet, aber auch die war sperrig, um nicht zu sagen langweilig. Das lag sicher nicht an ihm.

Nun nochmals in der Josefstadt. Man fragt sich für wen? Für Leute, die wie ich, den 1000-Seitenroman immer nur angefangen und ihn nach 50 Seiten ermattet weggelegt haben, ist diese Theaterfassung keine Aufmunterung, ihn doch einmal zu lesen. Für die versierten Dodererfans – und davon soll es ja einige geben – keine Bestätigung ihrer Begeisterung. Sie werden sich fragen: Cui bono?

Also das Beste, was man über diesen Abend sagen kann: die Schauspieler bemühen sich! Und das kommt eigentlich einem Negativurteil gleich. Da steht ein Melzer (Ulrich Reinthaller) ziemlich rat- und empfindungslos am Rande der Bühne und sieht dem Treiben der Reichen und Verwöhnten zu. Sie müssen sich Emotionen schaffen, am Besten, man klettert auf die Rax, da gibt es wenigstens den klitzekleinen Kitzel der Gefahr. Das war noch vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges. Danach ist die ganze Gesellschaft monitär und auch sonst sehr reduziert. Die Frauen mehr hysterisch als zuvor, die Männer teils melancholisch wie Melzer oder verzweifelt. Man spricht nicht wirklich miteinander, sondern murmelt gescheite Stehsätze vor sich hin. Manchmal hat eine, zum Beispiel Etelka (Pauline Knof), orgiastisch-hysterische Ausbrüche und schleckt alle Männer, die sie ergreifen kann, mit ihrer gierigen Zunge ab, bevor sie sich umbringt. Hysterie, die eher peinlich wirkt. Dazwischen die „Geistfigur“ des Major Laske (Roman Schmelzer), der eigentlich tot ist, aber vom Rande des Geschehens seine Kommentare abgibt. Als sich das gnädige Dunkel über die Bühne senkt, sind alle froh. Die Rätsel des Romans bleiben mir, der Nichtdoderer-Leserin, ungelöst. Wahrscheinlich auch denen, die schon in der Pause das Weite gesucht haben.

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Christoph W.Bauer: Niemandskinder. Haymon- Verlag

Bücher über Kriege, Nachkriegszeiten und Terror überschwemmen den Markt. Da fällt der Roman von Christoph W. Bauer zunächst positiv auf. Er „erzählt“ von den Niemandskindern, die als Väter französische Soldaten hatten und von den Einheimischen mit Verachtung gestraft und mit Böswilligkeiten verfolgt wurden- Ein Thema, das hochaktuell ist. Viele – jetzt längst schon Erwachsene – suchen heute per Internet oder Fernsehen ihre Erzeuger.

Chrisoph W. Bauer kann sich nicht entschließen, ob er das Thema als Historiker oder als Schriftsteller behandeln soll. Er macht es sich und dem Leser nicht leicht, switcht zwischen Zeiten, Orten und Personen, dass man ihm kaum und nur ungern folgt. Die „Handlung“ – soweit nacherzählbar:

Der Icherzähler ist in Tirol aufgewachsen, entflieht dem engen und stockbürgerlichen Innsbruck, lebt in Paris, erlebt eine intensive Liebe mit einer jungen Frau, die wahrscheinlich – so genau wissen er und der Leser es nicht – marokkanische Wurzeln hat. Sie genießen ihr Leben in der Banlieue von Paris. Leben von dem wenigen Geld, das sie verdient. Er redet nur – von einem Roman, den er schreiben wird, aber nie beginnt. Dann zerbröselt die Beziehung. Man bekommt mit, dass der Icherzähler Karriere an der Uni in Innsbruck macht. Ihm fällt ein Foto in einem Zeitungsartikel von Marianne, einer ehemaligen Freundin aus Kindheitstagen, in die Hände. Sie sei seit Jahren spurlos verschwunden. Er macht sich auf die Suche. Sucht zugleich auch nach seiner ehemaligen Paris-Geliebten. Nun wird die Geschichte immer wirrer. Marokkanische Soldaten als Zeugungsväter kommen ins Spiel. Alles sehr unklar. Man liest das Buch zu Ende, weil man wissen möchte, was unter dem Strich herauskommt. Und ist verärgert, weil ein wichtiges Thema vergeigt wurde. Besatzungskinder und deren Mütter hätten entweder eine reine Dokumentation oder einen Roman auf Basis klarer Strukturen verdient.

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Jonas Kaufmann im Wiener Konzerthaus.

Im Rahmen der Reihe „Great Voices“ sang Jonas Kaufmann Lieder aus Strauß-Operetten und Wiener Lieder. An seiner Seite: Rachel Willis Sorensen. Begleitet wurde er von der Prager Philharmonie. Dirigent: Jochen Rieder.

Ungeduldig wartete das Publikum auf Jonas Kaufmann. Nervöses Gemurmel: Er wird doch nicht absagen. Als er dann kam, entschuldigte er sein spätes Erscheinen damit, dass er über die Fernsehübertragung verärgert sei. Wie? Das sagte man ihm nicht? Es sei das erste Konzert zu Beginn einer langen Tournee. Da hätte er lieber zwangloser gesungen, meinte er.

Im ersten Teil standen Johann Strauß Operetten mit Liedern aus „Eine Nacht in Venedig“, „Die Fledermaus“, „Die Tänzerin Fanny Elssler“ und „Wiener Blut“ am Programm. Mag es nun der Verärgerung geschuldet sein oder dem allzu lautem Orchester, das Jochen Rieder eher marschmäßig dirigierte – Kaufmann und seine Sopranistin Willis-Sorensen kamen nicht so richtig in Fahrt. Im „Uhrenduett“ aus der Fledermaus war Kaufmann stimmlich zwar voll da, aber wirkte ein wenig gekünstelt. Willis Sorensen konnte die Szene auch nicht richtig auflockern. Ihr Sopran wirkte hart.

Nach der Pause

Nach der Pause war Kaufmann in voller Form, das Publikum bejubelte ihn. Nicht nur, weil er das Wienerische so gut drauf hatte, als wäre er hier aufgewachsen. Er strahlte vor Selbstsicherheit und Fröhlichkeit, ließ den Schmelz seiner Stimme ins Publikum strömen. „Im Prater blüh´n wieder die Bäume“, „Wien, du Stadt meiner Träume“ – man glaubte ihm einfach alles, fühlte sich fortgetragen vom „Wiener Schmäh“ und den darin verheißenen Glücksmomenten. Der Sopranistin Willis Sorensen gelang ein zauberhaftes „Vilja, Waldmägdelein“ – und so waren alle glücklich. Jonas Kaufmann beschenkte sein begeistertes Publikum mit fünf Zugaben, u.a. „Schenkt man sich Rosen in Tirol“, „Sag beim Abschied leise Servus“, „in einem kleinen Café in Hernals“ und dann noch: „Der Tod, des muss a Weana sein“.

Bürgermeister Ludwig überreichte dem Tenor den goldenen Rathausmann, weil „Kaufmann mit seinen Liedern die Schönheit Wiens in die Welt hinaus trägt“.

Das nächste Konzert der Reihe „Great Voices“ im Wiener Konzerthaus findet am 14. November 2019 statt. Man darf sich auf Juan Diego Flórez freuen!

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