Ist das wirklich Philipp Hochmair? Von der Ferne, der 2. Reihe Balkon, sieht man einen ordentlich gescheitelten Mann im Anzug und Krawatte an einem Tisch sitzen-
Foto: Stephan Brückner
und er beginnt zu LESEN! Hochmair und LESEN! Das hat man noch nie erlebt. Er bringt ja sogar Stifters Novelle „Der Hagestolz“ zum Glühen, er rast als Werther über die Bühne, er stolpert wie der tumbe Tor durch „Amerika“, er verausgabt sich bei Schillers Balladen und im Jedermann reloaded. Nie und nimmer las er – fest am Sessel klebend! Nun den Anzug versteht man noch – er imaginiert ja Josef K., einen Bankangestellten so um 1913/14 herum. Und der Text selbst ist ein trister Hammer. „Den sollte man sich nur geben, wenn man ausgeglichen ist und einen halbwegs ruhigen Tag hinter sich hat“, sagte ein Besucher nach der Lesung. Erschwerend kam noch hinzu, dass Philipp Hochmair in seine von Interviews und den Aufführungen des Jedermanns auf dem Salzburger Domplatz leicht nuschelnde, Endsilben verschluckende Aussprache verfiel. So musste man sich gehörig anstrengen, um einigermaßen mitzubekommen, was der arme Josef K. da unten mitmachen musste: Verhaftet werden, einen Prozess ohne Anklagegründe sich anhören und schließlich einen grausamen Tod durch Erstechen erleiden. Als Auflockerung gab es Dias, über deren Zweck man heftig rätseln durfte. Da sah man drei Mädels im Dirndl, sofortige Assoziation: Mädels aus einem Wachaufilm. Oder Menschen beim Heurigen. Am Ende ein Bild, das im Stadtpark von Wien aufgenommen sein könnte: Blühende Bäume, eine Statue verschwommen im Hintergrund, ein Mensch vorne – im Anzug. Kafka, Hochmair? Irgendwie tröstet man sich: Einer „Rampensau“ (für alle, die den Ausdruck nicht kennen: Es ist das größte Kompliment für einen Schauspieler und meint: Er gibt immer alles, markiert nie) darf auch einmal ein Ausrutscher passieren.
Anton Bruckner schrieb die 5. Symphonie in einer sehr schwierigen Zeit seines Lebens. 1874 verlor er die Stelle als Lehrer am Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde und damit die finanzielle Sicherheit. So flüchtete er sich in die Sicherheit des Komponierens der 5. Symphonie, wo er sich aufgehoben fühlte und alle Existenzängste vergessen konnte. Hatte er doch mit seinen Kompositionen schon große Erfolge gefeiert, zum Beispiel 1871 in der Londoner Albert Hall, wo ihm Zehntausende begeistert zugejubelt hatten. Und so komponierte er in diesem Sellbstvertrauen seine wohl anspruchsvollste Symphonie, so anspruchsvoll, dass er sie für 20 Jahre in der Schublade verschloss. So anspruchsvoll, dass Franz Schalk, als er1893 als Opernkapellmeister in Graz die Symphonie zur Uraufführung brachte, sie mit zahlreichen Änderungen und Kürzungen aufführte, um sie dem damaligen Publikumsgeschmack anzupassen. Erst 1935 brachte Sigmund von Hausegger mit den Münchner Philharmonikern die Originalfassng zur Uraufführung.
Im Gegensatz zu vielen anderen Dirigenten lässt Yutaka Sado nicht mit heftigen Trommelschlägen beginnen, sondern verwandelt diese in sanfte von Kontrabässen gespielte „Streichelschläge“ und fährt mit leisen, langgezogenen Akkorden der Geigen und Bratschen fort, um dann um so wuchtiger die Bläser und Trommler als Kontrast einzusetzen. Dieser Beginn ist typisch für die ganze Symphonie, die einem Parforceritt durch alle nur möglichen Kompositionskontraste gleicht. Sado dirigiert diese Kontraste fein ziseliert, arbeitet jedes Detail wie ein filigranes Kunstwerk heraus und führt das Publikum mit Hochspannung in die volle Klangschönheit dieser schwierigen Symphonie.
Begeisterter Applaus und eine Rose für den Dirigenten!
Text: Stephan Lack, Regie: Simon Meusburger, Puppen und Pupppenspielerin: Soffi Povo, Kostüm und Produktion: Lisa Zingerle, Bühne: Angela Konzett
In aller Gemütsruhe kann man die seltsame Maschine auf der Bühne studieren – eine Mischung aus Leierkasten und altem Feuerherd, wie er noch in ehemaligen Rauchküchen zu sehen ist. Dann ein Donnerschlag – und laute Musik, bis aus dem Off eine Stimme die Geschichte der Familie Habsburg erzählt, angefangen beim Urururgründer, einem gewissen Ferdinand. Kein Spross und keine Kriege werden ausgelassen (ein wenig zu ausführlich, das merkt sich sowieso niemand), bis die Stimme dann bei Maria Theresia landet, der „Urmama“ und klugen Töchterverschacherin. Hinter der geheimnisvollen Maschine werkt eine Laborantin. Dass sie den Auftrag hat, die Habsburger zu klonen, kann man nur aus dem Beitext entnehmen, nicht aber aus dem Geschehen auf der Bühne. Sie druckt Knöpfe, probiert Schläuche, bis plötzlich der von der Guillotine abgehackte Kopf der Maria Antoinette aus einer Schachtel springt. Sie würde gerne ihren Körper wiederhaben, aber das übersteigt die Fähigkeiten der Laborantin. Die zaubert – pardon klont – die letzte Kaiserin Zita aus ihrer Kiste, aber leider nur die Hand, die in einer geheimnisvollen Zeichensprache Befehle erteilt. Als Dritter im Bunde erscheint der traurige Maximilian, Kaiser von Mexiko, der nur 2 Jahre Kaiser sein durfte und von den Rebellen erschossen wurde. Dass sich Maria Antoinette und Maximilian aufgrund ihres gewaltsamen Todes zusammentun, hat eine gewisse makabre Logik. Und dass sich beide gegen die lästige Labornatin wenden und sie abmurxen, ist zwar etwas unklar, aber in dem Stück geht es ganz sicher nicht um Klarheit. Am Schluss taucht noch Kaiser Franz Josef auf und alle zusammen wehren sich gegen die Banalisierung und Vermarktung ihres Schicksals durch allzu geschäftstüchtige Tourismusmanager. Irgendwie läuft der Plot aus dem Ruder – worum geht es? Ums Klonen und dass die Klonen sich gegen ihren Schöpfer stellen? Oder gegen die Tourismusindustrie? Der Autor Stephan Lack hat viel zu viel gewollt und sich in seinem eigenen Geschichtenlabyrinth verirrt. Da konnte ihm auch nicht die chamante und geschickte Laborantin Soffi Povo heraushelfen.
Foto (vom Fernsehschirm aufgenommen) mit den wichtigsten Sängern und Sängerinnen der Produktion. Es fehlte die Angabe der einzelnen Namen der Künstler.
Lyrisch-komische Oper . Libretto von Sergej Prokofjew und Mira Mendelson. Musikalische Leitung: Dmitry Matvienko, Inszenierung: Damiano Michieletto.
Mit Evgeny Akimov, Petr Sokolov, Stacey Alleaume, Elena Maximova, , Vladimir Dmitruk, Anna Goryachova und andere.
Damiano Michieletto ist auf komische Opern spezialisiert, unter anderem inszenierte er im Theater an der Wien Rossinis Otello. In Prokofjews Werk sieht der Regisseur eine Mischung aus Opera buffa und Commedia dell`arte. Mit Witz und Freude an leicht absurden Szenen verspricht Michieletto einen unterhaltsamen Opernabend zu inszenieren.. Nach zahlreichen Kleiderwechseln und Irrtümern finden die richtigen Paare zusammen und es gibt eine Dreierhochzeit. Mit dem italienischen Regisseur bekommt die Oper italienisches Tempo und Witz, mit dem russischen Dirigenten Matvienko den russischen Pfeffer in der Musik.
Das Publikum darf sich auf eine amüsante Neuentdeckung freuen. Première ist am 25. März 2025
Foto Philharmonic Five von li nach re: Elmar Landerer Viola, Lara Kusztrich Violine, Edison Pashko Violoncello, Tibor Kovac Violine und Moderation, Adela Liculescu Klavier
Dmitri Schostakowitsch: Klavierquintett g-moll, opus 57
Es war eine Sternstunde, als die Philharmonic Five dieses berührende Klavierquintett spielten. Mit diesem Werk hatte sich Schostakowitsch wieder in die Riege der vom Stalinregime gelobten und geschätzten Komponisten zurückkomponiert. Seit 1936, der Auffführung seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von dem Parteiorgan Prawda als Chaotiker geschmäht, war man nun wieder voll des Lobes. Unter diesem politischen Druck, begleitet von ständiger Angst, lebte Schostakowitch bis zu seinem Tode.
Wir Heutigen konnten das Klavierquintett frei von politischer Vergangenheitsfärbung erleben und hörten eine Art von Retro-Utopie,, ein Bekenntnis zur Vergangenheit und zu musikalischen Größen, wie Bach (Prelude)als Wegweiser in eine Zukunft, kontrastiert durch exzessivem Furor (Fugue). Ein zärtlich-verträumtes Geigensolo leitet über zu einem heiteren Scherzo und einem besinnlichen Lento, bevor ein zackiger Marsch in eine zerrissene Zeit der Gegenwart überleitet.
Nach der Pause ging es mit viel „Fire“ weiter.
Am Beginn hörte man aus Antonin Dvoraks „Zigeunerliedern“ die Orchesterbearbeitung von Fritz Kreisler: „Als die alte Mutter sang“. Ebenso berührend „Sayruri’s Theme“ über eine Geisha, komponiert von John Williams. Die Violinistin Lara Kusztrich brillierte mit dem bekannten Tango „Jalousie“ von Carlos Gardel, in der Bearbeitung für Streicher. Zugegeben: Es klang perfekt, aber es fehlte doch das Bandoneon. Nach einem Mix aus Prokofjew und Schostakowitsch feierte man wieder das Zigeunerleben und die Liebe mit einem Liebeslied von Pablo de Sarasate. Da brillierte Tibor Kovac als Teufelsgeiger. Am Schluss demonstrierte Adela Liculescu ihr Können. „Man glaubt, sie hat 30 Finger“. kommentierte Tibor Kovacs den Furor, mit dem die Pianistin den „Türkischen Marsch“ von Mozart spielte
Als Zugabe spielten sie von Antonio Bazzini, La ronde des lutins ,bearbeitet von Tibor Kovac.
Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.
Das nächste Konzert im Zyklus „Philharmonic Five“ am 4. Juni 2025
Wer einmal einen „Thriller“ von Sabine Thiesler gelesen hat, der ist ihr verfallen. Mit Neugier und Ungeduld wartete man auf die Neuerscheinung: „Leb wohl, Schwester“ ist spannend und klug geschrieben, wie alle vorangehenden Bücher. Wie immer stellt die Autorin eine psychisch gestörte Figur als Mörder, Mörderin in den Mittelpunkt. Und immer ist von Anfang an klar, wer der Böse, die Böse ist. Auch dieses Mal kann man die Mörderin bei ihreren Taten „zusehen“, ist direkt dabei. Es ist eine junge Kellnerin namens Stefania. Sie lebt mit ihrem Zwillingsbruder Stefano in Ambra, einem verschlafenen Nest in der Toskana. Als Kinder wurden die beiden von ihrem Stiefvater vergewaltigt. Dieses grausame Erleben hat die beiden zusammengeschweißt und aus ihnen ein Liebespaar gemacht. Allerdings vor der Öffentlichkeit leben sie als Bruder und Schwester. Was Stefania unglücklich und neidisch auf alle glücklich Verliebten macht. Erst wenn sie diese getötet hat, kann sie einigermaßen ruhig weiterleben. Zwei in kurzen Abständen ermordete Paare machen dem Kommissaar Donato Neri schwer zu schaffen. Obwohl tatkräftig unterstützt von der neuen Kommissarin Romina, zweifelt er fast, ob sie je den Mörder finden werden….Mehr sei hier nicht verraten. Nur so viel: Die Stärke der Autorin besteht in ihrer humorvollen, leicht ironischen Charakterisierung des Kommissars einerseits und des psychologisch klug untermauerten gestörten Charakters der jungen Stefania. Und natürlich liefert das Ambiente des kleinen Dorfes und seiner oft recht skurrilen Mitbewohner den passenden Hintergrund. Auch den Krimi- und Thrillerverächtern zu empfehlen!
„Die kahle Sängerin“ war Eugène Ionescos erstes Werk. Er soll von einem Englischlehrbuch inspiriert worden sein, in dem die allerdümmsten und banalsten Phrasen als Lerngrundlagen dienten. So entstand dieses Konversationsstück, ein Feuerwerk an absurden und sinnlosen Dialogen. Mit der Uraufführung 1950 in Paris wurde gleichsam die Geburtsstunde des absurden Theaters eingeläutet.
Ionesco wollte damit vor allem das geistige Niveau der sogenannten bürgerlichen „Konversation“ ins Lächerliche ziehen. Dazu passend entwarf Laurent Pellissier eine bürgerliche Wohnstube, wo Herr und Frau Smith ihr tägliches Teeritual abspulen. Allerdings ist das Ambiente schon ein wenig ramponiert – kaputte Sessel mit schräger Sitzfläche, Skelette und allerhand Kram weisen auf die Dekadenz der Bewohner hin. Leider war Dagna Litzenberger Vinet, die Darstellerin der Mrs. Smith, erkrankt. Dankenswerter Weise sprang Regieassistentin Pia – Maria Harr für sie ein und las die Rolle aus dem Textbuch. Das war zwar heroisch von ihr, aber ihre Stimme erreichte nicht einmal die vierte Reihe. Dafür legten sich die drei anderen Schauspieler um so mehr ins Zeug: Der baumlange Simon Mantei war ein steifer Mr. Smith, der das Ritual und die Konversation ins Absurde hinüberhob. Köstlich geriet die Szene zwischen dem Ehepaar Mr. und Mrs. Martin (Simon Bauer und Nora Wagner). In dem Dialog zwischen einem Ehepaar, das sich kaum an den anderen erinnert, obwohl sie zusammen wohnen und Kinder haben, schrieb Ioesco wohl eine signifikante Szene, die für viele Paare gelten kann: Wie weit bleibt der Partner unbekannt, obwohl man mit ihm zusammen lebt?
Die Regisseurin Johanna Mitulla hatte den aktuell wirksamen Einfall, aus der absurden Komödie eine absurde Tragikkomödie zu machen: Das Ehepaar Smith ließ den Feuerwehrmann (wieder Simon Bauer) in die Wohnung und damit den Brandstifter. Dürrenmatt lässt grüßen! Wir laden uns ja sehr aktuell gerade die Brandstifter ins politische Geschehen ein und merken es nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Leider waren die Schauspieler dann zu wenig sprachdeutlich, um dieses turbulente „Feuerwerk“ an Unsinn und Abgedroschenheit klar und verständlich hinüber zu bringen. Es wurde zu einem absurden Geschwurbel, einzelne Worte und Worthülsen konnte man sich noch zusammenreimen. Aber die Grundidee war schlüssig:
Am Untergang ist man selbst schuld, weil man denVerursacher persönlich hereingeholt hat.
Gesehen zum VIERTEN MAL! Immer in derselben Besetzung – natürlich mit Olga Esina als Marguerite. Allerdings gab es zwei wesentliche Änderungen, die neugierig machten: Verletzungsbedingt fiel Esinas (Traum)Partner Brendan Saye aus. An seiner Stelle tanzte der aus der Ukraine stammende Edvin Revazov. Er hatte sein Ballettstudium in Moskau und Hamburg absolviert, brachte es unter John Neumeier schnell zum Solisten und tanzte viele wesentliche Rollen, wie Parzival, Wronski, Tadzio etc..Nun also den Armand. Von Figur und Auftreten passte er gut zu dem tolpatschigen Armand im 1. und 2. Akt, wo er den schüchtern-glücklichen Liebenden zu tanzen hatte. Aber im 3. Akt, wo der Furor und die Leidenschaft zwischen den beiden neu erwacht , da hätte ihm ein Quentchen mehr Feuer gut getan. Zwar war der „Liebespasdedeux“ perfekt getanzt, aber da gewisse Etwas fehlte. Vielleicht ist das Urteil auch durch die Erinnerung an Esina-Saye getrübt. Da war Ehrlichkeit, Verzweiflung und große Leidenschaft spürbar! An diesem Abend war es Perfektion.
Am Klavier (im Orchestergraben) war diesmal nicht Michal Bialk, sondern Oliver Kern zu hören. Da war ein neuer Klang, es schien, als ob die Musik Chopins nur für die beiden Liebenden komponiert wurde. Eine selten zu hörende Einigkeit, Subtilität und Führung begleitete, ja interpretierte und verdeutlichte, was Liebe und Leidenschaft für Marguerite und Armand bedeuten – ihr Leben.
Lina ist eine schräge Figur. Erfolgreich in ihrem Beruf -was genau macht sie? . Aber sie hat eine Macke – irgendetwas ist schief gelaufen, man hat ihr eine Bewährungshelferin als Aufpasserin zur Seite gestellt. Warum? – Das spielt im Verlauf des Romans dann keine wesentliche Rolle. Sie ist auf dem Weg in das Dorf Wildhof – nomen est omen, dort sagen sich die Füchse gute Nacht- um das Erbe ihrer durch einen Autounfall ums Leben gekommenen Eltern zu schlichten und anzutreten. Haus und Garten ihrer Kindheit sind schön romantisch verfallen. Romantisch auch der umgebende Wald. Von den Naturstimmungen lebt dieser Roman, überwuchert die eigentliche Handlung. Denn da gibt es nicht viel zu erzählen: Lina organisiert das Begräbnis ihrer Eltern, findet im Haus Spuren ihrer Zwillingsschwester Luise, die eines Tages ohne Nachricht abgehauen ist. Hin und wieder bekommt Lina Wutanfälle, die sich nicht erklären lassen. Vieles bleibt ein Rätsel, vielleicht könnte man sagen ein liebenswertes Rätsel.
Seit 125 Jahren war „Iolanta“ nicht mehr an der Wiener Staatsoper zu sehen. Nun hat sich Direktor Bogdan Roscic zum Ziel gesetzt, zu Unrecht vergessene oder vernachlässigte Werke zur Aufführung zu bringen. Allerdings war am Theater an der Wien „Iolanta“ gleich zweimal zu erleben, 2011 und 2019. Und jetzt auch in der Volksoper Wien, gekoppelt mit „Nussknacker“. Leider ist diese Kombination als wenig geglückt.
„Iolanta“ ist Tschaikowskis letztes Werk. Er ließ in dieses Märchen ( nach der Dramenvorlage von Henrik Hentze) viel von seiner durch den niederländischen Philosophen Spinoza beeinflussten Denkweise einfließen. So etwa, dass man Körper und Seele nicht voneinander trennen kann. Diese These -so der russische Regisseur Evgeny Titov in der Matinée – ließ er in die Rolle des Arztes, gesungen von Attila Mokus, einfließen, der Iolanta von ihrer Blindheit heilen soll. Er erklärt dem Vater Iolantas, dass Heilung nur möglich sei, wenn Iolanta es wolle. Gegen ihren Willen könne er sie nicht behandeln. Es gehe also um Willensfreiheit, die Kraft der Liebe und um die Frage, was wir subjektiv von der Welt wahrnehmen. Wie sieht die Innenwelt der blinden Iolanta aus?
In der Matinée stellten sich mit Arien aus „Pique Dame“ (Tschaikowski) vor: Sonya Yoncheva, Dmytro Popov, Boris Pinkhasovich, Attila Mokus, Daria Sushkova.
Man darf auf eine interessante Inszenierung und auf neue, an der Wiener Staatsoper noch unbekannte Stimmen gespannt sein.
Ein Text, der kühler, distanzierter nie geschrieben und nie gelesen ward. Das Ich -die Erzählerin – die Schwester, die Halbschwester, die Kinder – alle ohne Namen: Sie, es, Mutter, Schwester, Halbschwester. Distanz ist die Haltung, die durch die Erzählung geht und auf die Leser einwirkt. Kühl erzählt die Autorin, will aufschreiben, was das unvermutete und späte Auftreten einer bisher unbekannten Halbschwester mit ihr macht. Die Halbschwester geistert zur Zeit auch durch andere aktuelle Romane, wie in Eliszabeth Strouts Erzählung, Am Meer oder Norbert Gstreins jüngstes Buch, Vier Tage, drei Nächte. Warum gerade in und nach der Pandemie die Frage, Suche nach einer Halbschwester durch die Literatur geistert, ist nicht wirklich erklärbar. Suche nach Familie, Aufdecken von Familiengeheimnissen? Julia Schoch umkreist die Frage ohne Antwort. Mal schreibt sie über ihre Kindheit in der DDR, erzählt die Geschichte der Mutter. Dann wieder ist sie in ihrer Gegenwart. Diese schweifende, kreisende Erzählweise, macht es den Lesern nicht leicht, den Gedankensprüngen und Zeitensprüngen zu folgen. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum das Auftauchen dieser Halbschwester die Erzählerin so aus dem Gleichgewicht bringt, zumal sie ja nichts unternimmt, um diese Frau kennenzulernen.
Sie, die Icherzählerin, ist aus der Bahn geworfen, alles irritiert sie, ihre Ehe, ihr Mann, am meisten ihre leibliche Schwester. Erinnerungen aus der gemeinsamen Kindheit in der DDR halten nicht als Leim, Kitt stand. Sie versucht, ein Puzzle aus den Erinnerungen zusammenzustellen und muss feststellen, dass im Rückblick vieles nicht stimmt. Wenn sich Erinnerungen als falsch oder unsicher herausstellen, was bleibt von dem Menschen – das scheint das Grundproblem dieses „Romans“ zu sein. Da erweist sich die (halbherzige) Suche nach der Halbschwester als ein geeignetes „Verschleppungsmanöver“, das von den Grundfragen ablenkt.
Ein interessant geschriebenes, sprachlich ausgefeiltes Buch, aber doch recht seltsam, wie die ganze Familie. Ein Buch, in dem am Ende die Erzählerin sich die Frage stellt:: „Was soll das sein, ein normales Leben?“ (181) Und Ironie des Ganzen: Genau das beschreibt Julia Schoch – ein ganz normales Leben!
Julia Schoch, Das Liebespaar des Jahrunderts. Biographie einer Frau. Teil 2
Eigentlich sollte der Untertitel „Biographie einer Familie“ lauten. Denn die Autorin geht in Ichform der Entwicklung nach, wie aus der „großen, unterschütterlichen Liebe“ eine ganz normale, triviale Alltagsgeschichte wird. Wie die innige Zweisamkeit der Jungend in eine zweckorientierte Gemeinsamkeit sich langsam, zunächst unmerklich wandelt. Was schon oft dokumentiert, in vielfältigster Form literarisch verarbeitet wurde. Mal voller Klischee, mal kitschfrei. Wie eben in diesem Werk. Schochs kühle, analytische Art schafft Distanz. Sie betrachtet, analysiert, was die Jahre, die Gewöhnung mit ihnen, dem Mann und der Frau, gemacht haben. Sie beginnt lakonisch: „Im Grunde ist es ganz einfach: Ich veralsse dich“, um am Ende des Romans zu überlegen, ob es nicht doch besser wäre zu heiraten. In der Liebe, in der Zweierbeziehung ist nichts logisch. Auch wenn der Mann im jugendlichen Überschwang meint, ihre Liebe sei gegen Trennung gefeit. Denn statt sich zu trennen, genüge es, miteinander vernünftig zu reden. „Nur Idioten denken, die Liebe sei kompliziert“, sagte er. Und sie schloss daraus, sie werden „das Liebespaar des Jahrhunderts“ sein. Eben weil sie wussten, wie idiotisch Trennungen seien. Was die beiden zusammenhält, ist die Unverbindlichkeit ihrer Beziehung. Heiraten – nicht nötig. Karriere ja, aber nicht immer auf gemeinsamem Weg. Das geht solange gut, bis Kinder kommen. Dann schlägt die Organisation des Alltags zu, und das Paar merkt nicht, wie die Distanz zwischen ihnen immer größer wird. Dazwischen immer wieder Rückblicke: „Wie glücklich ich war, wie schön wir es hatten!…Die Gegenwart, das waren du und ich!“ (S23)
Julia Schoch gelingt es, völlig abseits vom Klischee, über alle Formen der Liebe, des Vertrautseins, des inneren Auseinandergehens, des Wiederzueinanderkommens mit ungewissem Ausgang zu erzählen. In klarer, unverstellter Sprache ohne literarische Überfrachtung oder modische Erzählattitüden liegt hier eine intelligente Analyse der heutigen Gesellschaft, wie sie sich in der Familie manifestiert, vor.
Julia Schoch, Wild nach einem wilden Traum. Biographie einer Frau, 3. Teil
Nun also der 3. Teil dieser „Romanbiographie“ einer Frau. Ein wildes Cover, passend zu dem Titel, macht neugierig. – Und man legt den Band enttäuscht weg. Denn während des Lesens entsteht der Verdacht, dass die Autorin hier „Reste“ einsammelt. Da und dort liegen Gebliebenes, Zettel und verschwommene Gedanken, die sie in den beiden vorangegangenen Bänden schon mehrmals griffig ausformuliert hatte. Neu ist, dass die Icherzählerin sich eingesponnen fühlt zwischen drei Männern – dem sexbetonten und lebens- und schreibtüchtigen Catalanen. Mit ihm geht es schnell zur Sache, ins Bett. Warum ihr immer wieder die Erinnerung an einen ehemaligen DDR-Soldaten dazwischen kommt, lässt sich nicht aufschlüsseln. Und ach ja, da gibt es ihren Mann, nicht Ehemann, sondern nur Mann. Und unvermeidbar – die Schreibkrise. Sie hat sich in ein Schreibseminar eingeschrieben, mit der Absicht, ihre Dissertation zu beginnen. Doch das Thema interessiert sie nicht mehr. Schreiben will sie. Doch worüber? – Das ist das Thema und die unbeantwortete Frage des 3. Bandes.
Die 7. Symphonie sollte seine letzte sein. Sibelius komponierte zwar noch eine achte, aber die vernichtete er eigenhändig. In die siebte legte er seine Gedanken über das Leben in heiter-gelassener Weise hinein. Ihm gelingt, was kaum jemand zuvor und danach gelungen ist: Er setzt die ZEIT als spürbares Element ein, als Wert, der dem Leben Sinn gibt. Es beginnt leise, zärtlich, ja auch romantisch – nicht zu Unrecht nennen viele Sibelius den letzten Romantiker. Das Element Wasser wird der Zeitmesser – viele kleine Ströme fließen zusammen und bilden den Strom des Lebens, der sich in die Welt ergießt, allumfassend. Er fließt in ein weites Land, in dem alles offen steht. Nichts eilt. Musikalisch akzentuiert Sibelius das Fließen der Zeit durch forcierten Einsatz der Bläser. All das und mehr wird klar und verständlich durch Yukata Sados subtiles Dirigat. Er macht es möglich, dass dieser Fluss in die Seele der Zuhörer fließt, sie ruhig werden lässt.
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester C-Dur (1791). Dirigent: Yukata Sado, am Klavier: Yeol Eum Son
Yeol Eum Son-Piano
Photo: Marco Borggreve
Die große Überraschung des Abends war die junge Pianistin Yeol Eum Son aus Südkorea.Man fragte sich, wie diese zarte Person mit den fast kindhaften Armen den Flügel unter ihren Willen zwingen konnte. Und wie sie das konnte! Spielerisch und leichthändig, ohne Pathos, ohne viel Zier spielte sie, als wäre sie der junge Mozart, der gerade mit seiner neuesten Kreation sein adeliges Publikum unterhalten will. Frech in einem Moment, dann gleich zart erinnernd in der Rückschau (Rondo). Das bekannte Klavierkonzert klang auf einmal frisch, als hörte man es zum ersten Mal.
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 c-Moll (1876). Dirigent: Yukata Sado
Lange wagte Johannes Brahms sich nicht an eine Symphonie. Beethoven war für ihn ein unüberwindlicher Fels, ein Maßstab, an dem er nicht wollte gemessen werden. Dann – unter dem lobenden Zuspruch von Robert und Clara Schumanns gelang das Werk. Leicht, fast tänzerisch ist der Beginn, die Themen verschwimmen ineinander, um dann im 2. Satz, angeführt von dem Alphornmotiv , sich zu einem Bekenntnis der Liebe im allgemeinen, besonders aber zur Natur zu bündeln.
Doch es war Rosenmontag, da wollte Sado nicht allzu schwer und ernst enden. Nach dem langen Applaus springt er nochmals auf das Dirigentenpult und feuert mit den Tonkünstlern eine Strausspotpourri ab, die sogar den Schani begeistert hätte. Und da sah man den sonst so ernsten Meister lachen!! Die Tonkünstler strahlten und das Publikum jubelte!
Untertitel im Original: How the Unseen World of Plant Intelligence Offers a New Understanding of Life on Earth. Deutscher Untertitel: Wie Pflanzen uns das Leben schenken.
Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff und Michael Bischoff
Zoe Schlanger ist Wissenschaftsjournalistin. Als sie es überdrüssig wurde, über den Klimawandel und die negativen Folgen zu schreiben, wandte sie sich dem Thema Pflanzen zu, insbesondere der bis heute umstrittenen Frage nach der Intelligenz der Pflanzen. Haben Pflanzen über die Wurzelspitzen ein „Gehirn“, ein „Pflanzenbewusstsein“? Wurden solche Fragen noch bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in die Esoterik verbannt, wagte man sich seit einigen Jahren Schritt für Schritt in der Pflanzenforschung voran. Es dauerte lange, bis diese „wissenschaftliche Revolution“ vorsichtig diskutiert wurde. „Jetzt befinden wir uns in der Phase des Übergangs“, schreibt Schlanger. „Die Wissenschaft geht dem Gedanken nach, dass Pflanzen intelligente Lebewesen seien, dass sie Informationen unterschiedlicher Art verarbeiten, um wohlinformierte Entscheidungen zu treffen.“(S82) Die Autorin stellt diese Erkenntnisse nicht einfach so in den Raum, sondern vertieft und untermauert sie in Einzelinterviews mit den bekanntesten Forschern auf diesem Gebiet, wie zum Beispiel Jagadish Bose oder Richard Karban. Dazwischen kann sich der Leser bei detailgenauen Beschreibungen von Pflanzen und ihrer Umgebung von der „trockenen Wissenschaft“ erholen. Zoe Schlanger erzählt auch von dem andauernden Kampf der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Fördergelder. Denn die allgemeine Skepsis diesen Fragen gegenüber ist noch nicht gänzlich ausgelöscht. Fest steht, dass Pflanzen elektrische Signale empfangen, verarbeiten und senden. dass sie Geräusche hören und als Information verarbeiten. „Die Pflanze überwacht sämtliche Teile ihres Körpers und prüft, wie gut sie funktionieren.“(211) Solche Gedanken verblüffen, überraschen. Und das ist erst der Anfang der Forschung.
Ein faszinierendes Buch, das völlig neue Denkräume eröffnet. Wir Menschen werden uns bald von dem Gedanken verabschieden müssen, dass wir die einzigen Wesen sind, die mit Intelligenz ausgestattet sind. Die Natur hat ihre eigene Intelligenz, sie zu verstehen wird noch lange dauern.
Der für seine Liebesromane einst berühmte Autor Eduard Brünhofer hat eine Schreibkrise. Der Erfolg seines letzten (Liebes)Romans liegt Jahre zurück. Der gut dotierte Vorschuss auf das nächste Buch ist aufgebraucht. Nun sitzt ihm der Verlag im Nacken – er sollte längst schon liefern. Mit mehr als vagen Ideen und einer großen Schreibunlust reist er im Zug von Wien nach München zu dem gefürchteten Gespräch mit dem Verlag. Im Abteil schräg gegenüber sitzt eine Frau mittleren Alters, die bald ein Gespräch mit Brünhofer beginnt. „Gespräch“ ist zunächst der falsche Begriff, denn sie zieht ihm buchstäblich sein Privatleben aus der Nase. Sie nervt den Autor, der nur widerwillig antwortet, ihrer Pertinenz aber nicht entkommt. Der Widerwille überträgt sich auf den Leser, der ebenso verärgert wie der Autor bereit ist, das Gespräch zu beenden und das Buch wegzulegen. Denn mehr als banaler Small-Talk tut sich nicht.
Dann aber hat die nervige Catrin – inzwischen sind die beiden per Du – die Idee, in den Speisewagen zu gehen. Dort, bei einigen Flaschen Rotwein, lockert sich das Gespräch. Eduard redet über seine gelungene Ehe mit Gina und seinen Widerwillen, noch mehr über Frauen und über die Liebe zu schreiben. Er lebt glücklich und weiß, wie das mit der Liebe geht. (Ist es Zufall, dass sich zur Zeit mehrere Autoren mir der „Liebe“ und den Schwierigkeiten mit diesem Begriff befassen, wie etwa auch Julia Schoch in ihrem Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“?)
Daniel Glattauer ist bekannt für seinen feinen Humor, mit dem er auch in diesem Buch aufwartet. Doch man hat den Eindruck, er beschreibt hier seine eigene Schreibkrise. Um sie zu bewältigen, schreibt er über einen Autor, der eine Schreibkrise hat. Das haben schon viele versucht, und selten noch ist daraus ein wirklich geglücktes Buch entstanden. Ob Eduard Brunhöfer seine Krise wird bewältigen können, sei hier nicht verraten.
Libretto: Felice Romani. Uraufführung: Dezember 1831.
Gesehen wurde die 2. Vorstellung im Theater an der Wien am 19. Februar.
Musikalische Leitung: Francesco Lanzilotta. Regie: Vasily Barkhatov. Bühnenbild: Zinovy Margolin
Man spürte schon beim Eintreten in das frisch renovierte Haus die Vorfreude und Erregung des Publikums. Endlich wieder „Theaterfeeling“ im neuen, alten Haus. Im „Himmel“, wie das großzügig und architektonisch raffinierte Pausenfoyer nun genannt wird, klirrten die Sektgläser. Die Stimmung kochte hoch, wie selten vor einem Theaterabend..
Wer die „Norma“ schon einmal im Original erlebt hatte, der verabschiedete sich am besten sofort von seinen Vorstellungen und Bildern im Kopf. Da ringt keine von allen verehrte Druidenpriesterin um Fassung, da singt keine Dienerin der Mondgöttin das Gebet „casta diva“, sondern eine rebellische, im Kampf trainierte Vorarbeiterin einer Keramikfabrik. Der russische Regisseur Vasily Barkhatov hat die Oper in eine nicht näher bestimmte Zeit unter einem Diktator wie Hitler oder Stalin versetzt. In einer Keramikfabrik, wo früher Heiligenfiguren erzeugt wurden, produziert man nun Hunderte von Köpfen des Diktators. Und in dieser Halle singt Asmik Gregorian die ikonische Arie „Casta diva“ – berückend klar in Stimme und Timbre, aber mit deutlich spürbarer innerer Abwesenheit. Denn sie sah gerade Pollione, den Boss der neuen Besatzung, vorbeigehen. Er ist ihr und ihres Volkes Feind und ihr Liebhaber. Spannung pur. Dass Fabrikshalle und Vorarbeiterin mit der Idee eines heiligen Ortes und einer Priesterin sich nicht vereinen lasssen, nimmt der Regisseur in Kauf. Wie er auch nicht vor komischen und absurden Situationen zurückschreckt.
Hatte man einmal den Schalter umgelegt und sich mit der neuen „Norma“ arrangiert, dann konnte man Musik und Gesang auf allerhöchstem Niveau und vor allem die schauspielerischen Leistungen genießen. Das leidgewohnte Opernpublikum kann das!
Norma kämpft. Gegen ihr Gewissen, das sie bedrückt. Sie hat den Eid der ewigen Jungfräulichkeit gebrochen und sich ausgerechnet in den Besatzerchef Pollione (Freddie de Tommaso) verliebt und mit ihm zwei Kinder, die sie (wie soll da gehen?) vor der Welt geheim halten muss. Die Spannung wird unerträglich, als sie von Adalgisa ( Aigu Akhmetshina), ihrer engen Vertrauten und ebenfalls Dienerin der Mondgöttin, erfährt, dass diese mit Pollione nach Rom abhauen will. Nun ist Asmik Gregorian in ihrem Element! Es dauert, bis sie in Betriebstemperatur aufläuft. Dann aber kocht sie auf – mit einer Stimme, die es wagt, weit über den Schöngesang hinauszuschreien – ihren Hass auf Pollione, ihre Enttäuschung über den doppelten Betrug. Das sind Szenen einer klassischen Dreiecksgeschichte. Banal, aber wuchtig. Da rast und kämpft eine zutiefst verletzte Frau um die Liebe eines Mannes, der all diesen Aufruhr, Zorn, Rachegefühle eigentlich gar nicht verdient. Als die Leidenschaft der ersten Zeit sich gelegt hatte, buhlte er erfolgreich um eine Jüngere. Das macht Norma zu einer Furie, die streitet, zürnt wie in einer französische Dreiecksgeschichte. Dazu kontrastiert der sanfte Mezzosopran von Adalgisa, die ehrlich bereut. Und Pollione – er hat seinen Donnertenor, mit dem er zu Beginn beeindruckte, verloren. Ist hilflos. Logisch ist deshalb auch der Schluss: Statt dass Pollione stirbt und Norma den Tod im Feuer sucht, zerrt er sie aus den Flammen heraus und sie sinken sich nach dem dramatischen Streit erschöpft in die Arme. Dass das Publikum vor Begeisterung tobte, war klar. Denn wann schon erlebte man auf der Opernbühne eine so dichte Geschichte, in der die Gottesdienerin zur Furie wird! Asmik Gregorian kann das perfekt. Ihre Stimme ist das Instrument, das all diese Gefühle ausdrückt. Dass sie und Adalgisa diesen fiesen Pollione lieben, ist nicht wrklich einzusehen. Freddie de Tommaso hat das richtige Stimmvolumen eines Tenors, um den Macho herauszukehren, aber auch die Fähigkeit, klein und erbärmlich zu wirken. Aigul Akhmetshina bezaubert mit ihrem sanften Mezzo. Zu dem Erfolgstrio passt auch der timmgewaltige Schönberg Chor. Francesco Lanzilotta dirigierte die Wiener Symphoniker mit viel Gefühl für das Belcanto.
Buch: Joseph Stein, Musik: Jerry Bock, Gesangstexte: Sheldon Hamick. Foto: Cornelius Obonya als Tevje, der Milchmann
Gesehen wurde die 103. Vorstellung seit der Wiederaufnahme Februar 2023. Leider ist es aber dann bald vorbei – nur einige wenige Abende sind noch vorgesehen. Dass jede Vorstellung bisher ausverkauft war, spricht für die Qualität dieses außergewöhnlichen Musicals und für den Geschmack des Publikums. Denn es weiß offensichtlich dieses von jeglichem Regiewahn unberührte Theater zu schätzen. Ganz zu schweigen von der mitreißenden Musik und dem exzellenten Ensemble. Wenn dann noch ein so bekannter Schauspieler wie Cornelius Obonya den Tevje spielt, singt und tanzt, dann ist es für viele ein Grund, das Musical ein zweites, vielleicht sogar ein drittes Mal zu sehen. Denn „Anatevka“ berührt und geht in die Seele. Da braucht es keine rigiden Parallelverweise auf die Gegenwart. Die ergeben sich ganz selbstverständlich.
Anatevka ist eines der vielen jüdischen Stetls im weiten Russland. Man pflegt die Tradition, ist mit humorvoller Distanz gläubig. Und so manch einer träumt davon, reich zu werden., ganz besonders Tevje, der Milchmann. Hat er doch fünf Töchter, drei davon im heiratsfähigen Alter. Die Tradition will es, dass die Ehen von der Heiratsvermittlerin Jente (humorvoll Martina Dorak) gestiftet und vom Vater abgesegnet werden müssen. Das ist so Tradition. Doch alle drei suchen sich ihren Bräutigam selbst aus, und Tevje muss klein beigeben. Vaterliebe siegt über Tradition. Cornelius Obonya ist rein körperlich ein anderer Tevje als Dominique Horwitz Letzterer war ein schmächtiger Milchmann, der an seinen vollen Milchkannen schwer schleppte, mit dem man mitlitt (s. unten Link zur Kritik vom 16. Oktober 2023). Obonya ist ein „gtandener“, von sich selbst sehr überzeugter Ehemann und Vater, der mit Gott ganz schön selbstsicher verhandelt. Dadurch bekommt das Stück einen etwas anderen Charakter – die humorvollen Szenen werden kräftiger, überdecken die zarten, leisen Töne, wie sie Domnique Horwitz der Rolle angedeihen ließ.. Insgesamt wirken alle Bewohner robuster, auch als sie ihre Heimat verlassen müssen. Sie sind gewappnet, sie machen Pläne. Es ist in ihre Wesenheit eingeschrieben, dass sie immer wieder weiterzeihen müssen. Deshalb fügen sie sich.
In den ärmlichen Häusern entlang der Dorfstraße, die ins Nichts führt, leben sie ein bescheidenesLeben, lachen, streiten, feiern. Bühnenbild (Matthias Fischer – Dieskau) und Regie (Matthias Davids) sind Gott seii Dank unverändert. Auch das Ensemble.ist bis auf einige kleine Änderungen gleich geblieben. Chor, Ensemble und die großartigen Tänzer des Wiener Staatsballetts sind eine unzerstörbare Einheit. Die Stimmen sind durchwegs sehr gut. Neu ist der Dirigent Lorenz C. Aichner, der das Orchester der Wiener Staatsoper mit viel Gespür für humorvolle, aber auch leise Töne lenkt. Insgesamt eine Aufführung, die ihre Qualität noch viele Jahre halten wird und hoffentlich irgendwann wieder zu sehen sein wird.
Nach vielen Auslandsaufenthalten ließ sich Clara Arnaud in Conserans, einer Region in den Pyrenäen, nieder, wo sie den größten Teil des Jahres lebt.
Das Buch „Im Tal der Bärin“ ist ihr Erstlingswerk, dessen Hauptfigur eine Bärin ist. Gemeint ist aber der Bär als Gesamtbegriff für das Tier an sich. Denn in einer Art Semidokumentation, angereichert mit Fakten rund um das Tier, das einst – und jetzt wieder- die Wälder und Abhänge der REgion beherrschte, verflicht die Autorin die Schicksale der Bewohner der Region mit dem Schicksal einer einzelnen Bärin. Eingerahmt wird die Erzählung vom Schicksal des zehnjährigen Jules Piquemal, der in den Jahren um 1870 ein weibliches Bärenkind direkt aus der Höhle entführt und bei sich aufgezogen hatte. Am Ende des Romans wird Jules als versoffener und herabgekommener Bärenführer in einem New Yorker Hinterhof von eben dieser Bärin getötet. Zu lange hat sie das Martyrium der Dressur erlitten, Schmerzen hingenommen und für ihn getanzt. 1902 findet man seine zerfetzte Leiche, und die Bärin wird von Parkwächtern erschossen.
Diese Rahmenhandlung, halb Fiktion, halb Realität, dient der Autorin gleichsam als Argumentationsgrundlage, als Beweis für die Grundaussage des Romans: Der Mensch findet keinen ehrlichen und respektvollen Umgang mit der Natur, in diesem Fall mit den Bären, die in dieser Region immer schon gejagt wurden. In einem klug differenzierten Personenrepertoir zeigt sie verschiedene Sicht- und Handlungsweisen der Bewohner, ihre Gründe auf, warum sie so und nicht anders handeln wollen/können. Im Grunde geht es um das alte Dilemma und die schwer zu beantwortende Frage: Wieviel wilde, ungezähmte Natur darf bleiben, ab wann gefährden sich Mensch und Tier, in allzu intimer Nähe lebend, gegenseitig?. Wer darf angreifen, töten, wer muss sich zurückziehen?
Anna studiert das Leben der wildlebenen Tiere in diversen Regionen der Welt. Nun ist sie beauftragt worden, die Bärin zu beobachten, die in dieser Region den Schafen ans Fell geht. Ihr Forchungsauftrag heißt dokumentieren, nicht eingreifen. Gaspard ist aus der Stadt geflohen, weil er will, dass seine Kinder in freier Natur aufwachsen. Er lernt das schwere und oft gefährliche Handwerk des Schafhüters vom alten Marco, der ihm nicht nur seine Herde anvertraut, sondern ihn auch in die Gefahren und Schönheiten dieser Arbeit einweiht. Ausführlich, manchmal zu ausführlich und repetitiv schildert Clara Arnaud die Faszination dieser (noch wilden) Natur der Wälder, Almen und Berge. Als der Regen ausbleibt, die Weiden in der Mittellage austrocknen und Schafe und Hirte auf die Hochweiden ausweichen müssen, kommt es zum Showdown. Die Natur in der Gestalt der Bärin rächt sich, Anna sucht einen Ausgleich zwischen Tier und Mensch, doch vergeblich…
Clara Arnaud schildert das Leben der Dorfbewohner und der Hirten mit großer Sachkenntnis, so dass man manchmal den Eindruck gewinnt, ein Sachbuch zu lesen. Klar und deutlich steht am Ende die Ausweglosigkeit der Situation vor Augen: Wo haben die Bären noch ein sicheres Rückzugsgebiet? Bis wohin dürfen Menschen Natur und Terrain für sich beanspruchen? Gibt es eine „rote Linie“? Fragen, die heute überall in der Welt gestellt werden. Wie werden sie beantwortet werden?
Wenn Meyerhoff ruft, dann kommen so viele, wie nur in das Theater reinpassen.. Denn er war und ist einer der Schauspieler, dessen nicht ganz freiwilliger Abschied von Wien und dem Burgtheater eine Riesenlücke hinterlassen hat. Mit lang anhaltendem Auftrittsapplaus wird er begrüßt, als einer den man sehr vermisst hat und der nun wiedergekehrt ist.
Sein sechstes und vorläufig letztes Buch ist eine gnadenlose Selbstanalyse, eine Abrechnung mit dem Menschen, wie er, noch unter den Folgen des Schlaganfalles leidend, seine Familie durch unkontrollierbare Wutanfälle schockiert und beleidigt hat. Bei seiner 86-jährigen Mutter, die allein das Haus an der Ostsee und den riesigen Grund rundherum bestellt, sucht er Rettung und Heilung. Die Gegensätze zwischen Sohn und Mutter könnten nicht größer sein: Er kreidebleich und angstgeplagt, sie „rüstig wie eine Ritterrüstung“.Sie genießt zu seinem Entsetzen Döner und Currywurst, er kotzt sich während der Autorfahrt an. Sie schwimmt trotz Feuerquallen, die gerade die Küste der Ostsee in Massen heimsuchen, weit hinaus, er bleibt zitternd am Ufer. Mit liebevoller Härte teilt sie ihn zu Arbeiten im Garten ein, päppelt ihn mit Hausmannskost, Wein, Bier und Whiskey auf. Nach zehn Wochen ist er wieder fit wie vormals. Zwischen dieser Mutter-Sohn -Geschichte werden Erinnerungen an „Hänger“ auf der Bühne aufgerufen und erheitern das Publikum. Berlin als hektische Stadt kommt gar nicht gut weg, viel Lob bekommt Wien ab. Langer Applaus, bis er zum Abschied winkend von der Bühne geht. Geduldig lächelnd signiert er Buch für Buch. Die Warteschlange ist lang. Kein Buch bleibt unsigniert.
Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung. Musik Viktor Ullmann. Dichtung: Peter Kien, Viktor Ullmann und Felix Braun.
Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem d-Moll.
Musikalische Fassung: Omer Meir Wellber
Die Idee, die beiden Werke ineinander zu verschränken, hatte Omer Meir Wellber schon lange. Beide sind in D-Moll komponiert rund um das Thema des Todes. 1942 wurden Viktor Ullmann und Peter Kien in das Lager Theresienstadt transportiert, das als Vorzeigelager diente. Es gab Theater, Bibliothek und Varieté. Damit wollten die Nazis Kontrollbesucher des Roten Kreuzes täuschen. Peter Kien und Viktor Ullmann schrieben das Kaiserrequiem im Angesicht des Grauens. Ihr Werk wurde nicht aufgeführt, da die Nazis sich verhöhnt fühlten. Kien und Ullmann wurden kurz darauf nach Auschwitz transportiert, wo sie ermordet wurden.
In Andreas Heise fand Omer Meir Wellber einen congenialen Partner, dessen Regie- und Choreographiekonzept die Grundidee der beiden Werke harmonisch ineinander fügt. Er fügte den Sängern Tänzer hinzu, die sie als Alterego oder als Schatten begleiten. Die Musik Ullmanns und Kiens ist von den 30-er Jahren geprägt. Man hört Operette, Foxtrott, Bach- und Mahlerzitate. Mit eckigen, oft sperrigen Bewegungen, die an Gret Palucca, dann wieder an Oskar Schlemmer erinnern, interpretieren die Tänzer und Tänzerinnen den Chor und die Sänger und Sängerinnen.
Kaiser Overall (eindrücklich und stark Daniel Schmutzhard) hat den totalen Krieg ausgerufen: Alle gegen alle! In seinem Reich zwischen grauen fensterlosen Mauern (Bühne und Kostüm Sascha Thomsen) bricht das Chaos aus, denn damit hat der Kaiser nicht gerechnet: Der Tod streikt- ab nun wird er sich zurückziehen und niemand wird sterben. Mit eindrucksvollem Bass bietet Josef Wagner als Tod dem Kaiser die Stirn und entmachtet ihn so. Der Trommler (Wallis Giunta großartig in dieser Rolle) eben noch ein Vasall des Kaisers, wechselt die Seiten und ruft zum Aufstand auf. Die Menschen erkennen einander in der Liebe. Am Ende liegt der Kaiser, seiner Insignien und Kleider beraubt, am Boden, in den Mauern gehen Fenster zur Welt auf. Hoffnung keimt auf. In die Szenen des Grauens und der Wiedererinnerung an die Liebe fügen sich die Teile des Mozartrequiems nahtlos ein. Würde der Chor nicht auf Latein singen, man hätte den Übergang nicht explizit wahrgenommen.
Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand, jeder Besucher wird sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Es steht fest: Dieser Abend wirkt als ikonisches Ereignis noch lange nach.
Inszenierung: Jacqueline Kornmüller. Musik: Johanna Doderer und Johann Strauss
„Eine verbotene Liebe wird Theater“ heißt es auf dem Programmzettel. Die Liebesbriefe zwischen Johann Strauss und der adeligen Olga Smirnitskaja sind die Grundlage für Jacqueline Kornmüllers Inszenierung, kompletiert mit den Briefen Olgas an Johann, geschrieben von Milena Michiko Flasar. und Texten des Musikwissenschaftlers Thomas Aigner und Christian Sauers.
Musiker und Musikerinnen spielen unermüdlich auf der weiten, leeren Bühne, bis sich Peter Wolf in der Rolle des Wissenschaftlers Thomas Aigner aus dem Hintergrund löst und erzählt, wie er die verschollen geglaubten Briefe in der Rathausbibliothek Wiens gut verschnürt in einer Schachtel fand. Dann beginnt das Liebesdrama zwischen Johann Strauß – glaubhaft und dem heutigen Straussbild authentisch angepasst gespielt von Christian Nickel – und der jungen, schönen Mara Romai als Olga. Geschickt nützt die Regie die Weite der Bühne, um die Distanz zwischen Johann und Olga, die selbst die starke Liebe nicht überwinden wird, zu thematisieren. Sie begegnen einander nur an gesellschaftlichen Anlässen, wagen kaum ein Wangenküsschen oder Heimlichkeiten. Das wache Auge der Mutter Olgas (streng und stumm Miriam Mercedes Vargas) verhindert Nähe. Und doch – die Briefe sprechen eine deutliche Sprache von kaum bezähmbarer Leidenschaft. Besonders Olga strahlt vor Entschlossenheit. Johann ist ein Zauderer, letztendlich ein Feigling – er duckt vor seiner allesbeherrschenden Mutter, vor Olgas Eltern. Olga wäre bereit mit Johann zu fliehen, das Wagnis einer unsicheren Zukunft auf sich zu nehmen. Amor in Person der reizenden Freundin Olgas (Laura Schlittke) fungiert als Postillon d`amour. Doch letztendlich siegt die gesellschaftlliche Norm – Johann wird nach Wien zurückkehren und sich den Anordnungen einer Mutter beugen, Olga wird in einen Zug mit unbekanntem Ziel verfrachtet. „Was ist von unserer Liebe geblieben, fragt sie in einem ihrer Briefe – Fensterblicke und Fensterküsschen“.
Um diese letztendlich banale Geschichte einer gescheiterten Liebe Tiefe und theatralische Wirksamkeit zu verleihen und sie aus der Kitschgefahr zu retten, bedient sich Jaqueline Kornmüller der Musik und vor allem einer fast therapeutisch- meditativen Langsamkeit. Wenn sich Olga im weißen, später im schwarzen, Pauline im rosa Reifrock (Bühne und Kostüme ebenfalls Jacqueline Kornmüller) in sanften, in sich ruhenden Bewegungen drehen, dahinter starr und stumm die Mutter im schwarzen Reifrock die Tochter bedroht, an den Rändern die Musikanten eine Mischung aus Johann Strauss und Joanna Doderer spielen – dann entstehen Bilder jenseits von Zeit und Raum. Etwas bemüht wirken die Einschübe über das Wetter. speziell über die verschiedenen Arten von Regen. Denn es heißt, dass der Melancholiker Strauss am besten bei Donner und Blitz komponieren konnte. Alles in allem ein Abend, der sicher eine hohe künstleriche Latte für die zahlreichen noch zu erwartenden Darbietungen im Straussjahr 2025!
Mit Texten in arabischer, französischer und englischer Sprache.
Sidi Larbi Cherkaoui widmete 2022 das Ballett „Vlaemsch“ seiner Mutter und seinen flämischen Wurzeln. Nun erforscht er in „Ihsane“ die Beziehung zu seinem Vater, der aus Marokko stammte und nach Belgien auswanderte. immer aber seiner Heimat und ihrer Tradition und Religion verhaftet blieb. Dieser Liebe zu Marokko spürt Charkaoui in „Ihsane“ nach.
Das Publikum entführte er in ein zweistündiges Märchen aus Musik, Gesang und Tanz. Der Abend wirkte wie ein riesiges, aufgeschlagenes Buch, aus dem die Figuren heraustreten, lebendig werden und Geschichten erzählen, ersingen, ertanzen. Da man die Texte nicht verstand, was sehr schade war – es wurden nur die englischen übertitelt und das viel zu schnell – war man auf seine eigene Intuition, Interpretation und auf eventuelle Erinnerungsbilder aus Marokko angewiesen.
„Ihsane“ bedeutet im Arabischen Brüderlichkeit, Liebe, Wohlwollen. Zugleich aber will Charkaoui mit diesem Titel an den brutalen Mord an dem gleichnamigen homosexuellen Jungen namens Ihsane (2012 in Lüttich) mahnend erinnern.
Es begann sehr real. In einer Medrese (Bühnenbild Amine Amharech) unterrichtet der Lehrer die arabische Schrift, lässt Schüler und Schülerinnen (!) kurze Liedtexte lernen und singen, fordert das Publikum auf, mitzusingen. Was viele auch begeistert taten. Danach löste sich die Wand der Medrese auf, übrig blieb das Tor, das, geheimnisvoll beleuchtet, Eingang oder Ausgang zu einer neuen, dem Publikum unbekannten Welt war. Im Halbdunkel verborgen spielten die Musiker eine Musik, die sehr alt klang, aber in der Tat von Jasser Haj Jussuf neu komponiert wurde. Ein magisch-mystisches Bild nach dem anderen verzauberte das Publikum. Es geschieht der Mord an Ihsane, es werden alte Mythen der Gnawas heraufbeschworen, man meint, ihre geheimnisvolle Feier (Lila) zu erleben, wo im Rauschtanz die Teilnehmer in Trance fallen und sich selbst erlösen. In weiten, im Tanz sich aufdrehenden Gewändern in den Abendfarben Marokkos (ocker, dunkelrot, lila – entworfen vom marokkanischen Designer Amine Bendriouich) erzählen die Tänzer vom Miteinander in spannenden Gruppenchoreographien, von Tieropfern, Begräbnisritualen und Teezeremonien – von einer Welt, die im Verschwinden begriffen ist und zu Tourismusperformance zu verkommen droht. Dass man die Texte der Sänger nicht verstand, hatte zur Folge, dass nach der Hälfte die Spannung und das Überraschungsmoment nachließen. Auch weil die Szenen einanander oftmals ähnelten. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen intensiven Abend mit mystischen Bildern und Musik, die erahnen lassen, was die religiöse und mystische Kultur Marokkos ausmacht(e).
Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Schäfer. Mit zahlreichen farbigen Illlustrationen von Lore Ruttan
Sy Montgomery ist den Lesern vor allem durch ihr Buch „Rendezvous mit einem Oktopus“ bekannt, in dem sie von der verblüffenden Intelligenz dieses Tieres erzählt. Mit „Das Geschenk des Kolibris“ begeistert sie die Leser für diese zartesten und doch mit Bärenkräften ausgestatteten Vögel. Schillernd in allen Farben, schwirren diese Geschöpfe mit unglaublicher Energie durch die Luft, kopfüber, im Retourgang, im Schraubflug – kurz sie sind die Kunstpiloten des Luftraumes. Leider ist ihr Überleben alles andere als gesichert.
„Dies ist die Geschichte einer Auferstehung….die Geschichte eines kleinen Wunders. Wie klein? Nicht viel größer als zwei Hummeln – denn so klein waren Zuni und Maya, zwei verwaiste Kolibriküken, als ich sie…zum ersten Mal sah“, schreibt die Autorin im Vorwort.
Als Sy Montgomery erfährt, dass ihre Freundin, die bekannte Vogelretterin Brenda Sherburn, zwei Kolibrikükeneier zur Rettung übernommen hat, beschließt sie, ihr bei diesem schwierigen Unterfangen zu helfen. Dabei lernt sie, welch ungeheure Anforderung solch ein Unterfangen stellt: Alle 20 Minuten müssen die Kleinen mit frischen Fruchtfliegen, angereichert mit Vitaminen und Ölen, mit großer Vorsicht gefüttert werden. Einmal die Fütterung vergessen kann fatale Folgen haben. Die Winzlinge gedeihen gut, bekommen ihr Federkleid und werden Maya und Zuni genannt. Eines Tages entdecken die beiden Vogelmütter hunderte Milben im Gefieder. Das kann tödlich werden. Als einzige Rettung bleibt, die Fruchtfliegen im Desinfektionsbad umzubringen. Das aber unter Lebensgefahr der Kolibris! Doch die beiden überstehen die Prozedur und können bald für die Freiheit vorbereitet werden. Sie werden zu „Wundern des Himmels“.
Ein Buch, das niemand kalt lässt. Man bekommt eine Ahnung von den Geheimnissen und Wundern der Natur, von dem wir Menschen nur einen winzigen Bruchteil erahnen können.
Regie: Margit Mezgolich. Mit Kristina Sprenger und Gregor Seberg.
Das Paar hat schon lange keinen Sex mehr. Zumindest nicht miteinander. (Daher ist obiges Foto wohl ein KI -Fake) Sie landen dort – im Bett – nie, denn sie sind vielmehr mit Diskussionen, Streit und diversen missglückten Selbstmordversuchen beschäftigt. Weil der Ehemann viele flüchtige Beziehungen und dementsprechend auch ein abwechslungsreiches Sexleben hat, inszeniert die betrogene Ehefrau einen Suizid nach dem anderen. Das ist die Ausgangslage.
Franka Rame (!929-2013) und Dario Fo (1926 – 2016) waren das produktivste (Ehe) Paar im italienischen und auch internationalen Theaterbetrieb ihrer Zeit. Sie schrieben unzählige Komödien, Sketches, Shows fürs Fernsehen, Drehbücher für Filme. Meist spielten sie selbst mit. Als ihnen die italienische Zensur immer häufiger in ihre sozialkritischen Texte hineinpfuschte, gründeten sie eine unabhängige Theatergruppe und spielten auf Sportplätzen, in Kinos, auf Straßen und öffentlichen Räumen. Ihnen war wichtig, dass ihre soziale Botschaft in der richtigen Zielgruppe ankam. Mit „Copia chiusa= „Offene Zweierbeziehung“ 1988 landen die beiden einen internationalen Erfolg. Italien war noch im Tiefschlaf, was die Rechte der Frauen betraf. Sie hat zu Hause zu bleiben. Arbeiten – gegen die Ehre des Ehemannes. Er vergnügt sich draußen recht flott mit Kurzbeziehungen. Sie droht mit Selbstmord – soweit der Normalablauf einer italienischen Ehe. Doch Rame und Fo zeigen, wie es anders gehen könnte.
In weichgespülter Löwingerkomödie führen das Kristina Sprenger und Gregor Seberg vor. Beide sind dem Publikum aus diversen Krimiserien bekannt, und der Erfolg des Abends daher vorprogrammiert. Kristina Sprengers Suizidversuche sind spektakulär, ihr Gejammer über den fehlenden Sex mit dem Ehmann ebenfalls. Als Paartherapie schlägt der Weiberheld (Gregor Seberg) eine offene Zweierbeziehung vor. Sie willigt ein – aber bald ist ihr diese Rolle zu demütigend und sie sucht sich ihrerseits einen Lover. Und der ist zum Unterschied zum Ehemann noch jung und attraktiv. Die Rache gelingt und ist süß. Ob das Thema in Zeiten der Speeddates per Handy noch relevant ist, fragt man sich. Was solls- dem Publikum gefiel es!!
Deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva. Regie: Amélie Niermeyer
Mit Tschechows „Onkel Wanja“ kann man alles machen – eine Tragödie über ein verfehltes Leben oder eine trashige Komödie, wofür sich die Regisseurin Amélie Niermeyer entschied. Lässt Tschechow seinen Figuren noch Würde im totalen Versagen, so vernichtet Niermeyer diese zur Gänze. Die Figuren taumeln durch ein bürgerlich-schäbiges Haus der 60er Jahre (Bühne Christian Schmidt) – es gibt ein Wandtelefon, einen Plattenspieler und eine Küche im Design der Gemeindewohnungen. Alle haben abgewirtschaftet, suchen im Wodka und im gemeinsamen Musikgekreische Abwechslung. Oder auch in koketten Sexspielchen.
Am Boden zerstört ist die Hauptfigur – Wanja (Rapahael von Bargen). Er stolpert, klettert Wände hoch, grölt, trinkt bis zur Bewußtlosigeit. Dass er sein Leben lang auf dem Gut geschuftet hat, damit der Professor (Joseph Lorenz) in der Hauptstadt ein gutes Leben mit seiner zweiten Frau Jelena (Alma Hasun) führen kann, hat ihn all die Jahre nicht gestört. Aber der Professor ist bankrott und verkriecht sich nun als hypochondrischer Jammerlappen, läuft in Unterhosen und Bademantel umher, kurz- er lässt ich gehen. Zu erkennen, dass man sein Tun und Arbeit einem Schmähidol gewidmet hat, tut weh. Deshalb brüllt Wanja wie ein zu Tode gequältes Tier und schießt wie wild mit der Pistole in der Gegend umher. Das Gut soll verkauft werden? -Eine Katastrophe, doch der Trott geht weiter. Aus den positiven Figuren der Maria Wojnizkaja macht Niermeyer eine schwer Gestörte, die mit einer Puppe im Arm herumläuft und sie bei Tisch füttert. Marianne Nentwich unterzieht sich dieser Figur mit erstaunlicher Würde. Einzig Sonja (Johanna Mahaffy) wirkt glaubwürdig und berührt in ihrer unerschütterlichen und scheuen Liebe zu dem zynischen, vom Leben enttäuschten Arzt Astrow (Alexander Absenger).
Ja, aus dem Text, ein wenig zurechtgebogen und ins Heute übersetzt, lässt sich leicht so eine Trashkomödie machen. Aber ob sie berührt, das bleibt offen.
Clemens Berger ist Schlawiner, Till Eulenspiegel und Don Quijote. In der ersten Hälfte des Romans unterhält er die Leser mit Witz, Ironie und tiefer Bedeutung, in der zweiten Hälfte überwiegt die tiefe Bedeutung, sprich der moralisch-sozialkritische Anspruch.
Julius Imre, geboren 9.11. 1926 in Oberwart (Burgenland), wandert als Kind mit seinen Eltern in die Staaten aus. Aus Julius Imre wird Jay Immer, weil der Name so leichter auszusprechen ist. Sein Vater schuftet als Maurer und baut die Häuser, in die später die Reichen einziehen werden. Seine Mutter putzt sie. Die Eltern erzählen ihm immer wieder von der Heimat, „doch was war das für eine Heimat, die erst in der Erinnerung dazu wurde?“ heißt es da ein wenig bitter (S22). Da Clemens Berger den Roman seinen Großeltern widmet, darf man vermuten, dass deren Biografie keine unwesentliche Rolle bei der Entstehung des Werkes spielte. Doch Bitternis ist nie die Sache des Autors und daher auch nicht die des Protagonisten.
Jay ist 55 Jahre alt und beschließt, sich nicht mehr länger als Polizist den Gefahren der Straße auszusetzen, und geht in Pension. Ehefrau Lucy hat hinter Jays Rücken die Bewerbung um den Job als Double des Präsidenten Ronald Reagan ( 1911-2004, Präsident 1981-89) eingeschickt – und Jay gewinnt ihn. Er sieht dem Präsident „wie aus dem Gesicht geschnitten“ ähnlich. Von einer Agentur gut bezahlt, beginnt für Jay und Lucy ein Leben in Scheinluxus und Clownerien. Er genießt es, wenn die Menschen ihn ehrfürchtig grüßen. Er spielt mit, wohin ihn auch immer die Agentur sendet. Zu den amüsantesten Szenen gehört sein Auftritt in Oberwart: Auf dem Parkplatz einer Tankstelle begeistert er die Massen, die ihm zujubeln, als er am Ende seiner Rede ausruft: „I bin a Ouwawoada“ ( S102f) Was dann folgt ist ein Foto- und Feierorgie mit seinen wiedergefundenen Verwandten. Doch irgendwann verwandelt sich der Clown Jay Immer alias Ronald Reagan in Don Quijote und kämpft mit Wissenschaftlern und Anhängern der Umweltbewegung für die Rettung der Welt. Der Autor ändert den Stil: In hektischer Abfolge treten neue Figuren auf, die Ereignisse überschlagen sich. Als auch noch ein Doppelgänger von Gorbatschow ins Spiel kommt, wird die Geduld des Lesers ein wenig strapaziert. Die Geschichte endet tieftraurig …
Musicbanda Franui, Stefanie Dvorak und Sven-Eric Bechtolf
Schnitzlers Reigen, einst Skandalstück und Bürgerschreck, heute ein Stück, das landauf und landab, einmal mit, einmal ohne Szenenaufbau, mit oder ohne Musik, als klassiche Lesung, zum Publikumshit unter den Schnitzlerstücken avanzierte.Nun also war der Skandal, der keiner mehr ist, im Konzerthaus als „Lesung mit Musik“ oder eher „Musik mit Lesung“ gelandet.
Zwei ganz unterschiedliche Schauspielercharaktere taten sich zusammen:
Foto: BURG PorträtsIII
Die quirlige, jeder schrägen Figur, von der Dirne über das süße Mädl bis zur dümmlichen Ehefrau,war Stefanie Dvorak meisterhaft gewachsen.. Vom tiefsten Dialekt bis zum gezierten Schönbrunnerdeutsch switchte sie problemlos. Blicke, Körpersprache changierten blitzschnell von Rolle zu Rolle. Als Dirne verschämt auf „wahre Liebe“ hoffend, als Dienstmädel verschreckt und enttäuscht, gleich darauf als Kammermädel, das vom gelangweilten Bubi des Hauses vergewaltigt wird, erniedrigt. In diesem „Akt“ erlebte man über die Rampe hinweg ein junge Frau, die sich schämt. Das Opfer fühlt sich schuldig! Weiß nicht, wie ihr geschieht! Stefanie Dvorak lieh dieser Figur mehr als nur einen literarischen Auftritt, sie gab ihr „Seele“. Als „Schauspielerin“ outrierte sie allerdings allzu sehr. Auf jeden Fall war sie es, die Schnitzlers Reigenfiguren gekonnt aus der Literatur ins Leben holte.
Foto: Anett Fritsch
Den Mann als grapschendes, nach Beischlaf gierendes Wesen, das Hirn – oder meinetwegen auch die „Seele“ abgedreht hat – konnte Sven-Eric Bechtolf recht überzeugend hinüberbringen. Ein bisserl schwer tat er sich mit den Schlawinerfiguren, wie Soldat und Junger Herr. Als eitler Ehemann, der erkennen musste, dass seine Potenz nicht mehr jederzeit abrufbar ist, vergönnte man ihm diese Niederlage gerne. Im behäbigen, eitlen und alternden Dichter schrieb Schnitzler seine eigene Karikatur – eine exquisite, weil seltene Leistung in der Literatur der Selbstbespiegelung. Da war Bechtolf in seinem Element!
Weil das jetzt so Mode ist, wird fast jede zweite Lesung mit Musik eingerahmt, unterlegt. Manchmal übernimmt sie auch den Hauptpart, wie das an diesem Abend der Fall war. (Die „Musicbanda Franui“ ist in letzter Zeit in Wien omnipräsent: Sie geben den Takt an in „Holzfällen“ und begleiten gekonnt Nicholas Ofczarek durch die Wiener Schickeria. Sie spielen im Konzerthaus mit Nikolaus Habjan am Silvesterabend auf) Markus Kraler (Kontrabass, Akkordeon) und Andreas Schrett( Trompete und Leitung der Franui) stellten den musikalischen Rahmen für diesen Abend zusammen. Da wurde, je nach Szene John Cage, Eric Satie oder Mahler und Verdi zitiert, verfremdet. Wer diese Musiker schon öfter erlebt hat, meint, das alles so oder so ähnlich schon gehört zu haben. Witzig und neu: Den Beischlaf musikalisch ausagieren! Das hatte Witz. www.konzerthaus.at
In einer Fassung von Mateja Koleznik. Deutsch von Anja Wutej
Nicolai Gogol wollte nie als der Schreiber von Leichtkomödien angesehen werden. Und so steht auch im Programmheft deutlich zu lesen: „Dass das Publikum den Revisor als bloße Unterhaltung, nicht aber als Tadel der eigenen Verhaltensmuster auffasste, betrübte Gogol noch lange Zeit“
Im Dunkeln ist gut munkeln, dachten sich wohl Regisseur Mateja Koleznik und Klaus Grümberg, der für Licht und Bühne verantwortlich zeichnet. Warum in der Mitte eine Art Raumrakete steht, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Die in den Turm eingebaute Toilette spielt eine wichtige Rolle, ein paar Stufen führen in eine nicht zu deutende Räumlichkeit. Bei Bedarf dient die Rakete als Wirtshaus oder als Bürgermeisteramt. So weit -so dunkel.
Gleich zu Beginn weiß der Zuschauer, auf welche Reise uns der Regisseur führen wird: In die Slapstickmaschinerie eines Stan Laurel und Oliver Hardy. Aus der Rakete, die offensichtlich auch einen Hintereingang hat, stolpern der Reihe nach die Figuren des Spiels. Alle müssen über irgendein Hindernis auf dem Boden hinklatschen. Stolpern und Hinfallen ist eine Hauptaktion im ersten Teil. Weiters sieht die Choreographie einen Tanz mit Stühlen und Sesseln vor, der lange dauert und immer wieder von Neuem beginnt. Höhepunkt des Unsinns ist die Besäufnis. Tabledance und Stürze vom Tisch, lallen und grölen soll das Publikum und den Pseudorevisor bei Laune halten. Doch es wirkt nicht, weil aufgesetzt und gekünstelt.
Im zweiten Teil nimmt das Stück Fahrt auf und nähert sich den Intentionen Gogols: Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, von den Noblen bis zum kleinsten Kriecher zu geißeln. Und wenn alles im Sinne Gogols läuft, dann müsste sich das Publikum auch gleich mitgegeißelt fühlen. War aber nicht der Fall: Die Lacher lachten nicht über sich selbst, sondern nur über die gekonnte Persiflage der damaligen Zeit. Wieviel und ob man das Spiel als heutiges empfand, mag bezweifelt werden. Es ist jedoch müßig zu erwähnen, dass Korruption, Speichelleckerei, Vernaderei und Kuppelei ein sehr heutiges Thema ist.
Die Qualitäten der einzelnen Schauspieler und Schauspielerinnen kamen im zweiten Teil erst so richtig zur Geltung: Roland Koch gibt den schmierigen, oberkorrupten Bürgermeister, der glaubt, das Spiel und die Dorfbewohner in der Hand zu haben. Seine eitle Dummheit ist grenzenlos, er merkt nicht einmal, dass ihn Chlestakov, der Pseudorevisor, längst durchschaut hat und ihn und alle anderen ordentlich ausnimmt. Tim Werths als vermeintlicher Revisor spielt sein Spiel mit den Menschen, ist selbst der am meisten Bestechliche. Allerdings fehlt seiner Darstellung die Doppelbödikeit und die nötige Durchtriebenheit, die sein Diener (Oliver Nägele) weit besser drauf hat. Weit überzeichnet und der totalen Lächerlichkeit preisgegeben hat der Regisseur die Rolle der Tochter des Bürgermeisters (Lola Klamroth) Sie wird zur halbdebilen Stummen degradiert, die mit vorgewölbten Hüften durch die Gegend stakst und seltsam gymnastische Verrenkungen ausführt. Differenzierter schon Andrea Wenzl, die eitle Ehefrau des Bürgermeisters. Köstlich ihr Sexhunger, mit dem sie sich über den jungen Kandidaten stürzt. Unter den vielen Bürgern dieser Kleinstadt, die ihre Rollen alle ganz ordentlich spielen, sticht besonders Martin Schwab hervor. Er torkelt als schwerhöriger Alter, sein Herrenhandtascherl schwenkend, durch die Gegend und sorgt für ehrliche Lacher. Martin Schwab kann man ja die unnötigsten Rollen geben, er macht aus allen eine Figur!
Der Abend endet so, wie der Regisseur es wohl erwartet, aber nicht verdient hat: mit reichlichem Applaus für die Schauspieler.
Eine Produktion von Musicbanda Franui. Lesung: Nicholas Ofczarek
Komposition und musikalische Bearbeitung: Markus Kraler, Andreas Schrett. Textfassung: Tamara Metelka, Andreas Schrett. Licht: Paul Grilj
Der 1984 erschienene Roman von Thomas Bernhard „Holzfällen“ war DER AUFREGER des Jahres. Klagen wurden eingebracht, Personen aus der Wiener Bussigesellschaft meinten sich wiederzuerkennen. Auslieferungsverbot wurde verhängt. Heute sind die Namen „Schall und Rauch“ und niemand regt sich mehr auf. Vielmehr amüsiert man sich über Bernhards scharfe Zunge und entblößende Charakterisierungen. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere auch unangenehm touchiert…kann ja sein, aber eher unwahrscheinlich.
Nun haben sich zwei zusammengetan, die für eine „Lesung“ des Romans ideal sind -wobei „Lesung“ das falsche Wort ist. Nicholas Ofczarek las nicht, er spielte den Ich-Erzähler, die Figur des Auersberger und die Schickeria. Mit seinem Gefühl für Timing, Wortmächtigkeit und Macht über den Text führte er spielerisch und leichtfüßig, ironisch und nie langweilig durch den Roman, der nicht so ganz leichte Kost ist. Aufregend und keinesfalls nur als Begleitung spielten die Mitglieder der Musicbanda Franui auf. Oft einen schrägen Trauermarsch – passend zum Text, der ja viel vom Begräbnis einer Schauspielerin und Tänzerin erzählt, die sich erhängt hatte. Wenn Thomas Bernhard seine spöttisch-vernichtenden Wortkaskaden über Wien, das Burgtheater, die Burgtheaterschauspieler und gleich auch in einem Zug über das traurige Los der Burgtheaterdirektoren ergießt, dann hüpft, trällert die Musik so zwischen Heurigenseligkeit, Walzer und was halt so zur „guten Unterhaltung“ einer künstlich-pseudokünstlerischen Abendgesellschaft gehört.
Ein Abend, den das Publikum im ausverkauften Burgtheater mit Begeisterungsstürmen quittierte. Es sind Kaliber wie Nicholas Ofczarek, Philipp Hochmair oder Nils Strunk, die das Haus bis zum letzten Platz füllen. Sie sind „Rampensäue“ (keine Beleidigung, sondern ein großes Kompliment), die am besten arbeiten und wirken, wenn ihnen kein Regisseur oder Bühnenbildner dreinredet. Die Schlussfolgerung mag jeder Leser selbst daraus ziehen.
Untertitel: Über die Demokratie: Erinnerungen, Gefahren und Hoffnungen
Hans Rauscher, Jahrgang 1944, hat über 50 Jahre Erfahrung im Journalismus, das politische Geschehen in Österreich immer kritisch miterlebt und in Medien wie Kurier, profil und Standard kommentiert. In diesem Buch zeigt er die Gefahren auf, in der sich die immer fragiler werdende Demokratie in Österreich (und anderen Ländern Europas) befindet. Mit einem scharfen Blick in die Vergangenheit Österreichs rollt er die Geschicke auf, schreibt von vielen persönlichen Begegnungen mit Politikern wie Kreisky, Taus, Busek, Vranitzky, rückt das Bild des oft belächelten Kanzlers Fred Sinowatz zurecht, schreibt über Haiders Charme eines Rattenfängers. Von Haider schließt er gedanklich auf zu Kurz und anderen „Feschaks“, die durch ihre Jugendlichkeit blendeten und weist klar und deutlich auf die Gefahren durch populistische Parteien hin, die querfeldein um sich greifen, weil die großen Parteien sich durch Selbstgefälligkeit und Machtgier selbst minimieren und zerstören.
Klare Worte hat er auch für die Frage der Migration, die zur Überlebensfrage der europäischen Kultur geworden ist. Und klagt die führenden Parteien und Medien an, dieses Problem zu lange klein geredet zu haben.
Ein Buch, das man nur jedem empfehlen kann, der sich für Politik, speziell für die österreichische Politik interessiert. Der klare und schlüssige Stil macht es zu einer angenehmen Lektüre, abseits von hochphilosophischen oder -wissenschaftlichen Thesen. Dem Leser sei aber auch empfohlen, nicht auf die innere Achtsamkeit und Kritik zu vergessen. Denn Rauscher kann in allen Punkten so überzeugend sein, dass man zu sehr ins bejahende Nicken gerät und auf die eigene Meinung, bzw. Erfahrung und Kritik leicht vergißt.
Es häufen sich die besinnlichen und unbesinnlichen Lesungen und Musikevents rund um den Advent. Alles schon da gewesen, entweder triefend vor Kitsch und Schein- Heiligkeit. NICHT SO WENN LORENZ AUFTRITT. Wie alle Kenner der Szene wissen, ist er der „Maestro“ der Lesungen. Ich werde nicht müde, immer wieder zu betonen, dass „Lesungen“ für seine Abende der falsche Titel ist. Denn er liefert Theater,Kleinkunst vom Feinsten. Muss nicht seine Augen im Manuskript vergraben, sondern hält Kontakt mit dem Publikum, spielt gekonnt auf dem Klavier der guten Laune. So auch an diesem Abend:
Mitten in den Auftrittsapplaus überrumpelt er das Publikum mit einer Art Schimpflaudatio über den Avent: „Würsteldampf und Glühwein, Kerzen, Zimt und Sterne – Stress pur.“ Und dann die Frage: Was würde Jesus dazu sagen? Die Frage beantwortet er mir Jörg Hellmanns Gedicht , „Jesus hat Geburtstag“. Da will Jesus einmal seinen Geburtstag nicht im Himmel, wie üblich, sondern auf Erden bei „seinen Leuten“, die an ihn glauben, feiern. Doch enttäuscht und angewidert ruft er seine Mama im Himmel an: „Mama, es zieht mich nichts auf Erden, die Menschen wollen nichts vom Frieden hören, sie wollen nur noch Fernsehröhren!“ Zwischen den Texten konfrontiert das Publikum mit Fragen, die er gleich mit einem passenden Text beantwortet. Da mischen sich Pointen im Urwienerischen, etwa von Trude Marzig oder Joachim Ringelnatz. Darauf dann beührende Szenen, die in der Seele haften: O. Henry, Die Gabe der Weisen. Die Frau verkauft ihre Haarpracht, um mit dem Geld dem Geliebten eine goldene Kette für seine geliebte Taschenuhr zu schenken. Der hat jedoch die Uhr versetzt, um ihr goldglitzernde Haarspangen zu schenken…. Auf diese szenischen Miniatur folgt von Erich Kästner, Felix holt den Senf. In beiden Szenen ist es die Liebe, die ganz tiefe Liebe zwischen den Menschen, die das eigentliche Geschenk ist. Variantenreich, klug zusammengestellt, einmal amüsant, dann sentimental – im eigentlichen und guten Sinn de Wortes – dann nachdenklich stimmend verabschiedet er sich mit einem deftig – derben Weihnachtswunsch, ganz im urwienerischen, nicht salonfähigen Stil.
Totenmessen zu komponieren schien im 19. Jahrhundert geradezu Mode gewesen zu sein. Mozarts unvollendetes Requiem war Ansporn. Je nach Gläubigkeit des Komponisten waren entweder ein strafender Gott und die Schrecken der Menschen vor dem Tod oder das in tiefer Gläubigkeit Hinübergleiten in ein himmlisches Jenseits im Fokus. Verdi komponierte 1868-1873 aus innerer Distanz zur Kirchengläubigkeit ein düsteres Szenario, in dem der Mensch vor dem strafenden Gott erzittert. Dass das Werk dennoch nicht im drohenden Donner untergehen muss, beweist Riccardo Muti immer wieder. Ihm gelingt es, aus Verdis „Messa da Requiem“ ein Sacralerlebnis ohne theatralische Heftigkeit mit feinen Zwischenabstufungen zu dirigieren. Selbst der ungläubige Zuhörer wird davon ergriffen.
Anders Daniel Harding (seit Oktober 2024 Nachfolger von Antonio Pappano als Chefdirigent der Santa Cecilia). Er lässt Orchester und Chor mit voller Wucht aufspielen. Die Sänger sind auf der Empore platziert, um sich über diese wuchtige Schallwelt hinwef Gehör zu verschaffen, was ihnen auch perfekt gelingt: Masabane Cecilia Rangwanasha lässt ihren hellen Sopran über alle Pauken und Geigen hinweg erschallen. Sie ist vollständig auf Klangvolumen konzentriert, worunter die Wortdeutlichkeit leidet. Was auch für den Chor gilt. Elizabeth DeShongs Mezzosopran ist in allen Lagen überzeugend. Dem Tenor Saimir Pirgu gelingen Passagen, die in jeder Oper als Bravourarien erklingen könnten. Verdis Messa da Requiem wird ja oft als Zwitterwerk zwischen Oper und Sakralmusik beurteilt. Herrlich der alles übertöndende Bass von Tarek Nazmi. Er war der geheime Star des Abends. Wenn er mit voller Überzeugung und ruhig zu „Mors stupebit et natura“ ansetzt, dann versteht man, was Verdi mit diesem Werk vermitteln wollte: – die Kreatur ist klein gegenüber der Macht der Natur und des Todes.
Was auch immer und wo auch immer Philipp Hochmair auftritt, ist das Theater ausverkauft bis auf den letzten Platz. Selbst die Hustenden und Schnupfenden lassen sich dieses Ereignis nicht nehmen. So auch, als er im Landestheater Niederösterreich „AMERIKA“ von Franz Kafka spielte.
Aus jedem noch so sperrigen Text schafft Philipp Hochmair als erfahrene „Rampensau“ (für alle, die den Ausdruck nicht kennen: Er ist das größte Kompliment für eine/n Schauspieler/in!) ein Theatereignis. So auch mit Kafkas Romanfragment „Amerika“, entstanden zwischen 1911-1914, in einer Zeit, als viele nach Amerika auswanderten, weil es als Hoffnungsland galt. Für Karl Roßmann jedenfalls wurde es zum Albtraum. Im grauen Anzug referiert Hochmair zunächst ungewohnt „brav“, den Anfang: Karl Roßmann landet per Schiff in New York. Doch schon nach wenigen Minuten wissen wir: Roßmann ist ein kreuzbraver Loser. Aus Mitgefühl und Verantwortung will er dem Schiffsheizer, der sich schlecht behandelt fühlt, zu seinem Recht verhelfen. Griffe da nicht als deus ex machina sein Onkel Josef ein und rettete den hilflos verstrickten Karl aus der Situation, wäre das Unternehmen Amerika schon gescheitert, bevor es begonnen hat. Wie immer, schlüpft Hochmair gekonnt in alle Rollen: Diese Kunst des blitzschnellen Rollentausches macht aus dem sperrigen Text ein spannendes Abenteuer, das davon erzählt, wie Karl, noch ein halbes Kind, von seinen Eltern zur Strafe einfach weggeschickt, scheitert, weil er sich für alle und alles verantwortlich fühlt. Mit Amerikas Lebensstil kommt er nicht zurecht, den Betrügern läuft er wie ein tumber Tor in die Hände. Am Ende hat er keine Bleibe, keine Arbeit und ist ins Nichts geworfen. Hocmair wäre nicht Hochmair, würde er aus dem Ende nicht ein furioses Finale machen: Als Zirkusdirektor – geschmückt wie ein wandelnder Weihnachtsbaum, stürzt er sich ins Publikum, um „Mitarbeiter für den Zirkus Oklahoma“ zu requirieren. Er kann jeden brauchen und nimmt auf, wen er gerade aus dem Publikum herauspickt: Pensionisten, eine Physiotherapeutin und wieder Pensionisten. Die Musik (Fritz Rainer) trommelt und paukt das Publikum in ein lachendes Finale, das mit standing ovations endet. So liebt es Hochmair, so liebt ihn das Publikum.
Gesehen wurde die 26. Vorstellung am 30. November 2024
Musiktheater für die ganze Familie. Musikalische Leitung: Alfred Eschwé. Regie: Lotte de Beer. Choreographie: Andrey Kaydanovsky, Bühnenbild: Katrin Leo Tag. Kostüme: Jorine van Beek
Wer die Oper „Jolanthe“ schon einmal gesehen hat – zum Beispiel in der ausgezeichneten Inszenierung im Theater an der Wien, dem ist ein ganz besonderer Zauber in Erinnerung: Jolanthe, die blind geborene Königstochter, ist sich ihrer Blindheit nicht bewusst. Dafür sorgt ihr Vater. Er umgibt sie mit einem duftenden Garten, mit blühenden Blumen und den schönsten Dingen. Niemand darf der Tochter von „Farben“ reden. Jolanthe ist nicht unglücklich, da sie ja von ihrem Gebrechen nichts weiß. Bis eines Tages die Liebe sie die Wahrheit „sehen“ lehrt…Tschaikowski hat in diese Musik alle Zärtlichkeit, die ein Vater für seine Tochter empfindet, gelegt. Zu den schönsten und innigsten Szenen gehört die Begegnung zwischen Jolanthe und dem Prinzen. Durch ihn erfährt sie von der Welt, für ihn ist sie bereit, sich einer Behandlung zu unterziehen. Und wie es im Märchen so sein muss: Sie wird geheilt!
Nun hat Lotte de Beer wohl gedacht, diese Oper sei irgendwie zu wenig, die muss mit Ballett aufgepeppt werden. So lässt sie die blinde Jolantha vom Nussknacker träumen, sieht sich selbst bedroht von dämonischen Männern, die sie in einer grausamen Szene fast vergewaltigen. Dazwischen tanzen die Mäuse oder einfach Figuren im weißen Ballettröckchen. Dass die Choreographie sehr einfach ausfällt, ist wohl dem unseligen Einfall zu verdanken, den Boden schräg zu stellen – eine Idee, die man vor etwa 20 Jahren landauf und landab strapaziert hatte und von der man Gott sei Dank bald abgekommen ist, da darunter die Gelenke leiden und sich für das Stück kein Mehrwert ergibt.
Nun also Jolanthe – sie sitzt oder schläft auf dem schrägen Bühnenboden. Dunkle braune Wände umstehen sie im Halbkreis. Vater und Personal sind im grauen Alltagsgewand. Nichts ist über geblieben von der Grundidee Tschaikowskis. Aus dem blühenden Garten wurde eine triste Umgebung. Da helfen auch die eingeschobenen Ballettszenen nichts. Sie halten zumindest die Kinder wach. Peinlich wird dann die ganze Szenerie, wenn Graf Vaudemont sie „im blühenden Paradiesgarten“ schlafend entdeckt und sich in sie verliebt. Da klaffen Musik, Text und das Geschehen auf der Bühne ganz gewaltig auseinander.
Gesungen wird Jolanthe von Natalia Tanasii – ordentlich, ohne Zauber in der Stimme. Zweimal vertanzt wird die Rolle der Jolanthe von Tessa Magda und Anika Mandala. Alexander Fritze als streng-besorgter Vater mit seinem schönen Bass klingt überzeugend. Aber in seinem mausgrauen Anzug verliert er viel an Persönlichkeit. Ganz und gar nicht Prinz und noch weniger Liebender ist Jason Kim als Graf Vaudemont. Alle übrigen Figuren passen sich gut an das graubraune, triste Ambiente an. „Musiktheater für die ganze Familie?“
Wenn die Tochter heiratet, dann muss auch der Exmann zur Hochzeit anreisen. Aus diversen Gründen muss er bei der Exfrau wohnen. Dass das für beide Seiten nicht einfach ist, ist voraussehbar. Und dass die beiden nach jahrelanger Trennung am Ende doch wieder zusammenfinden, ist ebenfalls voraussehbar. Doch bis dahin durchlaufen sie subtile Gedankengänge und feinverästelte Veränderungen, die Anne Taylor mit Akribie – manchmal zu akribisch – erzählt. Etwas langatmig auch die Hochzeitsvorbereitungen und die Hochzeit selbst.
Wer etwas für derartige Familiengeschichten übrig hat, dem wird das Buch gefallen.
Das Titelfoto demonstriert den Kern der Erzählung: Königin Hermione von Sizilien tanzt ziemlich engagiert – um es freundlich auszudrücken – mit Polixenes, König von Böhmen. Das macht Leontes, Ehemann Hermiones, König von Sizilien und Freund von Polixenes, so rasend vor Eifersucht, dass er alles um sich herum vergißt: seine Liebe zu Hermione, seine langjährige Freundschaft mit Polixenes, Aus der rasenden Eifersucht wird die Tragödie geboren: Es gibt Tote, Scheintote, die wieder auferstehen, Kämpfe bis aufs Messer – und doch geht am Ende alles gut aus. Ist ja ein Märchen, und daher darf es so ausgehen. Ein etwas verwirrender Plot, daher empfiehlt es sich, vor der Vorstellung die Inhaltsangabe im Programm zu lesen oder sich gleich bei Schakespeares gleichnamigem Drama, das als Vorlage galt, schlau zu machen.
Christopher Wheeldon, seit 1991 am Royal Ballett London arbeitend, ist für seine phantasievollen Handlungsballette bekannt. Ohne Scheu vor Shakepeare straffte er die an sich komlizierte Handlung zu einem Drama über männliche Blindheit, wenn Eifersucht im Spiel ist. Sein langjähriger künstlerischer Begleiter Joby Talbot komponierte dazu eine flotte, gut tanzbare Musik zwischen Musical, Filmmusik, Beat, Gershwin, Bernstein und reichlich orientalischen Klängen. Bob Crowly, der dritte Mann im creativen Triumvirat, schuf das bezaubernde Bühnenbild zwischen Düsternis (Sizilien) und Lebensfrohsinn (Böhmen) mit den dazupassenden Kostümen. Die 2. Aufführung (am 21. November) dirigierte Christoph Koncz, dem diese Mischung aus disparaten Genres hörbar gut gelang. Über alles streute Natasha Katz ein überirdisch märchenhaftes Licht.
Das Ballettensemble der Staatsoper glänzte in Hochform und Hochglanz. Allen voran Brendan Saye als König Leontes.Zu den schwersten Rollen eines Handlungsballettes gehören solche, die Gefühle wie Eitelkeit, Hochmut oder wie im Fall des Königs Eifersucht darstellen. Tänzerisch neigen manche zur Übertreibung. Brendan Saye überspringt quasi die Übertreibung und treibt die Eifersucht in den Furor. Wie von inneren Spinnen geplagt windet er sich und rollt sich ein, springt auf – kurz er wird zum beängstigenden Dämon. Seine ganze Mimik und Gestik spielen mit. Einfach: Großartig. Ihm zur Seite ist Hyo-Jung Kang eine zierlich-zärtliche Gattin, die aber einen kleinen Flirt mit Polixenes nicht scheut. Masayo Kimoto ist ein nicht ungefährlicher Freund-Feind. In seinem Tanz ist diese Ambivalenz angelegt. Intensiv auch Pauline, die Hofdame Hermiones. In ihrer kontrollierten Strenge drückt Katevan Papava dieser Figur einen eindrucksvollen Charakter auf.
Nicht in Sizilien, sondern in Böhmen ist die Lebensfreude beheimatet. Dort wächst Perdita, die Tochter Hermiones und Leontes, unerkannt als einfache Schäferin auf. Doch wie es Shakespeare will, verliebt sich Florizel, der Sohn des Königs Polixenes, in sie. Der zweite Akt ist ein einziger Hochgenuss an Farben, Tanzfreudigkeit. Das Frühlingslicht verzaubert die Natur, lässt den Baum erblühen (ähnelt fatal einem Weihnachtsbaum), und den Schäfern und Schäferinnen schießt die Tanzlust in die Beine. Unter ihnen auch „Clown“, Sohn eines Schäfers. Duccio Tariellos Kosakentanz ist Clownerie, in der sich die männliche Angeberei, das gockelartige Prunken vor den schönen Mädchen verraten. Zauberhaft und leicht wie der Frühlingswind tanzen Arne Vandervelde als Florizel und Ludmila Konovalova als Schäferin Perdita ihren Liebespas-de-deux. Dass König Polixenes diese Verbindung nicht passt, ist klar, hat er sich doch für seinen Sohn eine bessere Partie vorgestellt. Aber das Märchen muss ein gutes Ende haben: Alle treffen in Sizilien ein, wo man zuerst Leontes und Paulina in tiefer Trauer um Hermione erlebt. Denn Leontes bereut längst schon seine Eifersucht. Eine ziemlich schwierige Szene, die Brendan Saye und Ketevan Papava hier zu bewältigen haben: Er zerknirscht, sie im Wissen, dass Hermione lebt, zwingt ihn immer wieder in die Trauer – als ob sie es genießt, ihn vor Kummer und Selbstvorwürfen zerfleischt zu sehen. Das ist hohe Tanzkunst!
Und dann das glückliche Ende! Hermione lebt, Leontes und Polixenes legen ihren Streit bei und geben Florizel und Paulina ihren Segen. Kitschgefahr werden da manche schreien. Aber Wheeldon ist ein exzellenter Chroeograph. Gewitzt forciert er die Szene zur fast unglaubwürdigen „Heiligenpose“ und ironisiert sie dadurch. Ein durch und durch gelungenes Handlungsballett, dem das Publikum mit Begeisterung folgte.
Vier Tage später, am 26. November nochmals „Winter’s Tale“ in geänderter Besetzung.
Spannung und Aufmerksamkeitsgrad waren hoch, vielleicht noch um eine Spur intensiver, da man nicht mehr nur von der Handlung gefesselt wurde.
Man kannte die Handlung und konnte sich nun voll und ganz auf Änderungen in den Hauptrollen und auf Details konzentrieren. Vor allem war auch mehr Kapazität frei für die phantasievolle Musik. Etwa hörte man konzentriert den Einsatz der indischen Flöte, die dem Pas de deux von Florizel und Perdita den Märchenzauber verlieh (Foto oben).
Natürlich war man auf die Darstellung der Hauptcharaktere neugierig – wird es unterschiedliche Nuancen geben? – Marcos Menha schuf einen anderen Leontes – er trat weniger bedrohlich als Brendan Saye auf und agierte aus der Defensive heraus. Die Eifersucht quälte vor allem ihn am stärksten. ließ ihn selbst unermesslich leiden.
Dass Olga Esina als Hermione eine stärkere Gegenfigur zu Leontes war als ihre Vorgängerin (Hyo-Jung Kang), ergibt sich logisch. Diese Hermione fleht nicht um Gnade, sie ist sich ihrer Unschuld bewusst, hat sogar Momente der Verachtung für diesen Ehemann. Durch ihre starke Bühnenpräsenz verwandelt Esina Hermione in eine selbstsichere Frau, die am Ende auch nicht sofort und leicht verzeiht. Wenn sie aus der Starre der Statue sich zurückverwandelt in die Frau, die sie einmal war, muss Leontes schon einiges an Liebeswerben aufbieten, bis sie zur Vergebung bereit ist.
Davide Dato als Prinz von Böhmen erobert wie immer die Herzen des weiblichen Publikums. Da bricht Zwischenapplaus los, wenn er die Bühne mit atemberaubenden tours jetés durchquert. Aber er ist in dieser Rolle nicht nur Showman, sondern auch perfekt Liebender. Der pas de deux mit der bezaubernden Joanna Avraam als Paulina hat Charme und Jugendlichkeit.
Wie sehr dieser Ballettabend fasziniert, merkt man am Ende: Es kommt der Wunsch auf, auch noch die anderen Besetzungen zu erleben. Denn Langeweile ist diesem Triumvirat (Wheldon, Talbot und Crowly) ein Tabubegriff. Wenn noch dazu ein so begabter Dirigent wie Christoph Koncz die Musik brillieren lässt, dann bleiibt nur zu wünschen übrig, dass diese Aufführung nicht so bald vom Programm verschwindet.
Eine lieblose Komödie nach Ben Johnson und Stefan Zweig. Spielfassung Sam Madwar
Herrlich böse! Herrlich geistreich! Herrlich komisch! Mit einem Wort: Bestes Theater! Damit ist eigentlich schon alles gesagt, und der geneigte Leser möge flugs hingehen und sich dieses kostbare Relikt aus einer Zeit, als man noch wusste, was Theater bedeutet, ansehen. Kein verkopftes Regietheater! Kein Moralgequatsche. Einfach ein Spiel mit Hinter- und Vordergründen und einer klaren message: Leute amüsiert euch, denn gerade werden euch eure eigenen Fehler unter die Nase gerieben und ihr merkt es nicht.
Ben Jonson (1572 – 1837) war ein Saufkumpan Shakespeares. Im Unterschied zu diesem schrieb er Komödien à la terre par terre – also über Leute wie du und ich. Könige und Adelige interessierten ihn nicht, wenngleich dort oben diesselben Schweinerein passierten wie in den unteren Schichten. Stefan Zweig fand Gefallen an diesem hinterfotzigen Ben Jonson und bearbeitete den „Volpone“, rückte ihn mit ein paar Feinstrichen in die Nähe der Commedia dell arte.
Mit einem Superensemble und einem aus der Zeit herausgeschnittenen Bühnenbild gelingt Sam Madwar schlichtweg ein Theaterhit! In einem pompösen Himmelbett bereitet sich Volpone auf seine Sterbeszene vor. Wenn ein Reicher stirbt, dann stellen sich die Erbschleicher ein, die Volpone gründlich ausnimmt. Die würden ja alles geben, um als Haupterben im Testament zu stehen. Der eine führt Volpone seine eigene schöne Ehefrau zur geflissentlichen Bedienung zu, der andere enterbt seinen eigenen Sohn. Unterstützt von seinem flinken Diener Mosca gelingt es dem schlauen Fuchs, alle als Verlierer belämmert dastehen zu lassen. Am Ende glaubt man schon, dass Mosca ihn an Durchtriebenheit übertrumpft – aber es kommt anders.
Das Ensemble spielt in Höchstform: Johannes Terne verleiht dem Volpone eine souveräne Schlauheit. Obwohl er alle hinters Licht führt, bleibt er ein sympathsicher Schlauberger. In der Doppelrolle als Richter übertrifft er sich nochmals. Ihm zur Seite steht Mosca. Sebastian von Malfèr ist ein junger Springinsfeld, eine Figur aus Goldonis Komödien: ebenso durchtrieben schlau wie sein Herr, aber das letzte „Oitzerl“ fehlt und er hat am Ende das Nachsehen. Alle Figuren, einschließlich Diener und Gerichtsschreiber sind perfekt besetzt:
Randolf Destaller als mieser Notar, Christian Brückner als gieriger und eifersüchtiger Ehemann. Viktoria Hübsch ist seine verhuschte Frau, Peter Fuchs ein abgrundtief hässlicher und mieser Corbaccio, Benjamin Spindelberg der doofe Haudegen, Ildiko Babos eine unverschämte Hure, Florian Lebek ein bescheuerter Oberst, Robert Max Elsinger: Diener und Schreiber, Ulrike Hübl ist als Magd und Wachmeister gleichermaßen einfältig. Mit so einer tollen Truppe ergibt sich ein Theater, von dem man nicht mehr zu träumen braucht, – da ist es!
Zwei Gründe mögen ausschlaggebend gewesen sein, dieses monumentale Werk aufzuführen: Die Wiener Symphoniker feiern ihr 125 – jähriges Wirken und Philipp Jordan seinen 50. Geburtstag. Der Nochchefdirigent der Wiener Staatsoper dirigiert das Orchester, das er viele Jahre leitete.
Als Gustav Mahler 1907 -1910 diese eigenartige Symphonie komponierte, war seine über alles geliebte Tochter Maria Anna mit vier Jahren an Diphterie gestorben. In der Ehe herrschte Krisenstimmung, Alma hatte ein Verhältnis mit dem jungen Architekten Walter Gropius begonnen. Mahler selbst war zuvor von einer intensiven Schaffenskrise bedroht. Sich mit diesem Monumentalwerk daraus zu befreien, muss eine übermenschliche Kraftanstengung und zugleich Lösung von den irdischen Übeln, in denen er sich gefangen sah, gewesen sein. Die Uraufführung 1910 in München war ein durchschlagender Erfolg. Richard Wagner, Thomas Mann und die ganze musikalisch interessierte Elite waren anwesend und klatschten euphorisch Beifall.
Das Werk ist alles, nur keine Symphonie. Eher eine Mischung aus Oper, Oratorium und Theater. Von den Kritikern wurde und wird es wegen der überdimensionalen Besetzung die „Symphonie der Tausend“ genannt. Über 300 Mitwirkende hatte Philipp Jordan zu koordinieren und zu „bändigen“ – was eine übermenschliche Leistung war. Neben den Wiener Symphonikern in voller Besetzung wirkten mit: der Wiener Singverein (Einstudierung Johannes Prinz), die Wiener Singakademie (Einstudierung Heinz Ferlesch), die Wiener Sängerknaben (Einstudierung Manuel Huber und Oliver Stech) und fünf Sängerinnen (Elisabeth Teige, Johanni von Oostrum, Regula Mühlmann, Tanja Ariane Baumgartner, Noa Beinart) und drei Sänger ( Benjamin Bruns, Christopher Maltman, Tareq Nazmi)
Das Werk zerfällt in zwei Monumentalsätze. Im ersten Teil vertonte Mahler den Hymnus „Veni, creator spiritus“ -Komm, Schöpfer Geist. Wuchtig und volldröhnend wird der heilige Geist angerufen, er möge als Tröster, Friedensbringe Liebesspender sein. Orchester, Chöre und Singstimmen lässt Mahler/ Jordan zu einem eindrucksvollen Ganzen anschwellen. Aber die Töne erreichen nur den Magen, nicht die Seele. Zu laut, zu heftig lassen die Chöre Wortdeutlichlkeit vermissen. Bewundernswert monumental mit äußerer Wirkung.
Im zweiten Teil vertonte Mahler die Schlussszene aus Goethes Faust II. „Ich habe das Universum zu tönen und zu klingen gebracht“ (Zitat nach Programmheft S9) . Der Beginn ist zart, vertraute Mahlersequenzen steigen auf. Maltmans volltönender Bariton erhebt sich über den Chören und verkündet „ewiger Liebe Kern“. Nun fließt die Musik in die Seele, erreicht die Zuhörer. Allerdings wird der „Chor der jüngeren Engel“ nochmals volltönend laut. In die Innigkeit führen sogleich „die vollendeten Engel“. Doktor Marianus -rein und erhaben gesungen von dem Tenor Benjamin Bruns – verkündet das Erscheinen der Frauen an, unter ihnen auch Gretchen (Johanni von Oostrum). Höhepunkt und Ausklang ist das Erscheinen der „mater gloriosa“: Regula Mühlmanns strahlender Sopran verkündet von der Empore die Kraft der Liebe und die Erlösung Fausts. Ein Moment des Innehaltens, bevor das furiose Ende über die Zuhörer hereinbricht und die in tosenden Beifall ausbrechen.
Mit: Petra Morzé – Lesung. Romana Amerling und Michael Schade -Gesang. Bela Koreny: Klavier und Moderation
Karl Kraus war kein angenehmer Zeitgenosse, unbarmherzig geißelte er Sprach-Dummheiten und andere Betisen. Seine erklärten Gegner waren unter anderem Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Sigmund Freud – also die gesamte Literatur- und Psychoszene, erklärte Bela Koreny in seiner Anmoderation. Und Petra Morzé, passend zum kritischen Geist des Autors, im flammend roten Kleid, warf ins Publikum die ersten flammenden Kritiken gegen die Journaille als Kriegstreiber und Sprachverhunzer. Selbstbewusst verkündet Karl Kraus: „Wer gegen mich ist, wird ignoriert!“
Danach aber wurde es erst einmal operettengemütlich. Unter Korenys flinker Klavierbegleitung sang Michael Schade Lehars ins Herzen gehende „Schlager“ wie; „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Gern hab ich die Frauen geküsst, hab nicht gefragt, ob es gestattet ist“ Heute würden die Frauenmoralistinnen sich heftig gegen so einen Kerl wehren, der nicht einmal fragt! Gott sei Dank ist ihnen diese Operette („Paganini“) noch nicht in ihr Schussfeld geraten! Romana Amerling antwortete mit Kurt Weills Song: „Es war eine Nacht, da hab ich mich dir willig hingegeben“ und bringt damit Baratmosphäre ins Geschehen. Ihre zarte Erscheinung und ihr weicher Sopran waren ein angenehmer Gegensatz zu Schadens männlichem Selbstbewusstsein. Allerdings fragte man sich, wozu die beiden mit diesen tollen und starken Stimmen mit Microport singen mussten. (Wenn sie forcierten, dann hörte sich das unangenehm übersteuert an). Für Heiterkeit sorgte Petra Morzé mit Karl Kraus` „Ballade vom Papagei“ Verwundert stellt man fest: Der Kerl hatte auch Humor!
Nach der Pause wurde es um einen Deut schummriger. Dafür sorgte Romana Amerling mit ihrer zauberhaft-zarten Interpretation von „In einem kleinen Café in Hernals“. Ganz verliebt taten Schade und Amerling bei dem bekannten Duett „Im Prater blühen wieder die Bäume“ und Morzé löste die romantische Stimmung rabiat auf mit dem urkomischen Text über die Vermarktung bekannter Goethetexte. Wie aus „Röslein rot“ ein „Höslein weiß“ wird, ist wohl eine der Speespitzen des Krausschen Humors. Etwas verwundert hörte man Schuberts „Am Brunnen vor dem Tore“, zu dem Schade das Publikum zum Mitsingen aufforderte. Etwas mehr als Summen kam nicht zustande. Als Zugabe intonierte Schade „Hast du da droben vergessen auf mich?“ Brach aber nach ein paar Noten ab, er wollte wohl Heintjes Lieblingssong nicht Konkurrenz machen. Romana Amerling dagegen verabschiedete sich mit Willy Forsts Herzenbrechersong „Du hast Glück bei den Frauen, bel ami..“
Ein beglücktes Publikum bedankte sich mit viel Applaus!
Puppenspieler: Christoph Bochdansky, Soffi Povo.Text: Christoph Bochdansky, Regie : Simon Meusburger, Puppen, Kostüm und Ausstattung: Christoph Bochdansky, Musik und Licht: Simon Meusburger
Muss man Goethes Faust 1 und 2 kennen, um sich auszukennen? Ja und nein. Für manche Szenen ist es hilfreich, für manche verwirrend. Denn das Team bringt „der Tragödie Allerlei“ auf die Bühne, also ein wenig Kasperltheater, ein wenig Christopher Marlowe. Goethe kommt auch immer wieder. Das verwirrt zunächst, bis man das Verwirrspiel aufgedröselt hat und sich einfach dem Spiel überlässt. Die Idee ist nicht einfach umzusetzen. Zu viel Ehrfurcht vor dem Geistesriesen Goethe darf man nicht haben – und haben die beiden auch nicht.
Die Bühne besteht aus Tüchern und in Streifen geschnittenen Tüchern, die manchmal durch den Himmel, durch das Gewölbe Fausts, durch irdische und überirdische Gefilde wehen. Faust ist ein Griesgram, Mesphisto zuerst ein wiffer Pudel – ganz nach Goethe -, dann ein gewiefter Verführer ins Leben. Dazwischen tanzt auch Kasperle an, der quasi den historischen Faust mimt. Er zaubert, verzaubert den Teufel, macht ihn zu einer Lachnummer. Und Gretcchen – wo ist sie geblieben? Sie ist eine traurige Randfigur.. Ihr Schicksal, das Goethe in den Mittelpunkt von Faust 1 stellt, wird schnell erzählt und aus. Vor ihrer Hinrichtung darf sie noch sagen: Heinrich, mir graut vor dir. Danach gehts ab in Phantasiegefilde, in denen sich sowohl Luftgeister als auch Hexen tummeln. Am Ende siegt der Teufel und ganz nach Marlowe und dem guten alten Kasperltheater fährt Faust in die Hölle.
Der schnelle Wechsel von Bühnenrequisiten, der Witz der Darsteller, die den Puppen ihre Stimme leihen, macht den Abend amüsant. Besonders pfiffig und vielseitig gibt Soffie Povo die vielen Nebenfiguren. Christoph Bochdansky muss sich als Gott und Faust eher behäbig geben. Fazit: Ein amüsanter Schnelllauf durch die verschiedenen Faustfiguren, mal à la Goethe, mal à la Marlowe und Kasperltheater.
Eva Duda Dance Company versteht sich als „VISUELLES TANZTHEATER-AUSSTELLUNG TANZENDER BILDER2
Mit „FRIDA“ präsentiert sich die Gruppe erstmals in Wien. Dass sie nur zweimal (am 6. November das 2. und letzte Mal) auftritt ist schade. Die Prmière am 5. November war ausverkauft und ein voller Erfolg.
In getanzten Bildern führen die Tänzer das Publikum durch das Leben Frida Kahlos, ohne jedoch eine platte Biografie abzuliefern. Anspielungen auf ihr Leben werden durch eingeblendete Titel erklärt. Wie zur Auflockerung und um sich in die Lebensfreude Mexikos hineinzutanzen wirbeln Tänzer und Tänzerinnen in ihren roten Kostümen über die Bühne. Doch schlagartig bricht über Frida (wunderbar getanzt von Eleonora Accalai) der Schmerz herein; Schwer verletzt wird ihr „broken body“ in ein Mieder gepresst. Doch ihr Lebenswille ist ungebrochen und schon ist sie wieder im Leben und verliebt sich in Diego Rivera (Diego Tiborkovats, der sich humorvoll in die plumpe Figur des Malers einfügt), Köstlich die Hochzeit (Titelfoto), zunächst alles gut, bis der Frauenheld sich an das nächst greifbare Mädchen macht. Ein tief in der Seele sitzender Schmerz wird zum Trauertanz, als Frida „childless“ bleibt. Rivera amüsiert sich mit anderen Frauen. Das geht gar nicht – da muss geschieden sein. Aus den dunklen Wintermänteln dampft die Kälte der Trennung.
El dia de los muertos , Foto:Tamas Leko.jpg
In skurrilen, humorvollen Tänzen feiert die Gruppe den „dia de los muertos“ und zugleich den Tod Fridas. Im Schlusstableau wird die Tänzerin mit Schmuck und lebensbunten Kleidern zur „Ikone Frida“ dekoriert, zu der die Malschon zu Lebzeiten geworden war.
Eva Duda setzte in einer lebensstrotzenden Choreogaphie die Schmerzensgeschichte der berühmten Malerin mit Feingefühl um. Das Publikum dankte ihr dafür mit begeistertem Applaus.