Festspielhaus St. Pölten: Bruckner, 5. Symphonie in B-Dur, Yutaka Sado dirigiert die Tonkünstler- Österreich

Anton Bruckner schrieb die 5. Symphonie in einer sehr schwierigen Zeit seines Lebens. 1874 verlor er die Stelle als Lehrer am Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde und damit die finanzielle Sicherheit. So flüchtete er sich in die Sicherheit des Komponierens der 5. Symphonie, wo er sich aufgehoben fühlte und alle Existenzängste vergessen konnte. Hatte er doch mit seinen Kompositionen schon große Erfolge gefeiert, zum Beispiel 1871 in der Londoner Albert Hall, wo ihm Zehntausende begeistert zugejubelt hatten. Und so komponierte er in diesem Sellbstvertrauen seine wohl anspruchsvollste Symphonie, so anspruchsvoll, dass er sie für 20 Jahre in der Schublade verschloss. So anspruchsvoll, dass Franz Schalk, als er1893 als Opernkapellmeister in Graz die Symphonie zur Uraufführung brachte, sie mit zahlreichen Änderungen und Kürzungen aufführte, um sie dem damaligen Publikumsgeschmack anzupassen. Erst 1935 brachte Sigmund von Hausegger mit den Münchner Philharmonikern die Originalfassng zur Uraufführung.

Im Gegensatz zu vielen anderen Dirigenten lässt Yutaka Sado nicht mit heftigen Trommelschlägen beginnen, sondern verwandelt diese in sanfte von Kontrabässen gespielte „Streichelschläge“ und fährt mit leisen, langgezogenen Akkorden der Geigen und Bratschen fort, um dann um so wuchtiger die Bläser und Trommler als Kontrast einzusetzen. Dieser Beginn ist typisch für die ganze Symphonie, die einem Parforceritt durch alle nur möglichen Kompositionskontraste gleicht. Sado dirigiert diese Kontraste fein ziseliert, arbeitet jedes Detail wie ein filigranes Kunstwerk heraus und führt das Publikum mit Hochspannung in die volle Klangschönheit dieser schwierigen Symphonie.

Begeisterter Applaus und eine Rose für den Dirigenten!

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Philharmonic Five: „Passion & Fire“. Wiener Konzerthaus

Foto Philharmonic Five von li nach re: Elmar Landerer Viola, Lara Kusztrich Violine, Edison Pashko Violoncello, Tibor Kovac Violine und Moderation, Adela Liculescu Klavier

Dmitri Schostakowitsch: Klavierquintett g-moll, opus 57

Es war eine Sternstunde, als die Philharmonic Five dieses berührende Klavierquintett spielten. Mit diesem Werk hatte sich Schostakowitsch wieder in die Riege der vom Stalinregime gelobten und geschätzten Komponisten zurückkomponiert. Seit 1936, der Auffführung seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von dem Parteiorgan Prawda als Chaotiker geschmäht, war man nun wieder voll des Lobes. Unter diesem politischen Druck, begleitet von ständiger Angst, lebte Schostakowitch bis zu seinem Tode.

Wir Heutigen konnten das Klavierquintett frei von politischer Vergangenheitsfärbung erleben und hörten eine Art von Retro-Utopie,, ein Bekenntnis zur Vergangenheit und zu musikalischen Größen, wie Bach (Prelude)als Wegweiser in eine Zukunft, kontrastiert durch exzessivem Furor (Fugue). Ein zärtlich-verträumtes Geigensolo leitet über zu einem heiteren Scherzo und einem besinnlichen Lento, bevor ein zackiger Marsch in eine zerrissene Zeit der Gegenwart überleitet.

Nach der Pause ging es mit viel „Fire“ weiter.

Am Beginn hörte man aus Antonin Dvoraks „Zigeunerliedern“ die Orchesterbearbeitung von Fritz Kreisler: „Als die alte Mutter sang“. Ebenso berührend „Sayruri’s Theme“ über eine Geisha, komponiert von John Williams. Die Violinistin Lara Kusztrich brillierte mit dem bekannten Tango „Jalousie“ von Carlos Gardel, in der Bearbeitung für Streicher. Zugegeben: Es klang perfekt, aber es fehlte doch das Bandoneon. Nach einem Mix aus Prokofjew und Schostakowitsch feierte man wieder das Zigeunerleben und die Liebe mit einem Liebeslied von Pablo de Sarasate. Da brillierte Tibor Kovac als Teufelsgeiger. Am Schluss demonstrierte Adela Liculescu ihr Können. „Man glaubt, sie hat 30 Finger“. kommentierte Tibor Kovacs den Furor, mit dem die Pianistin den „Türkischen Marsch“ von Mozart spielte

Als Zugabe spielten sie von Antonio Bazzini, La ronde des lutins ,bearbeitet von Tibor Kovac.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.

Das nächste Konzert im Zyklus „Philharmonic Five“ am 4. Juni 2025

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Matinée zu „Iolanta“ von Tschaikowski. Staatsoper Wien

Seit 125 Jahren war „Iolanta“ nicht mehr an der Wiener Staatsoper zu sehen. Nun hat sich Direktor Bogdan Roscic zum Ziel gesetzt, zu Unrecht vergessene oder vernachlässigte Werke zur Aufführung zu bringen. Allerdings war am Theater an der Wien „Iolanta“ gleich zweimal zu erleben, 2011 und 2019. Und jetzt auch in der Volksoper Wien, gekoppelt mit „Nussknacker“. Leider ist diese Kombination als wenig geglückt.

„Iolanta“ ist Tschaikowskis letztes Werk. Er ließ in dieses Märchen ( nach der Dramenvorlage von Henrik Hentze) viel von seiner durch den niederländischen Philosophen Spinoza beeinflussten Denkweise einfließen. So etwa, dass man Körper und Seele nicht voneinander trennen kann. Diese These -so der russische Regisseur Evgeny Titov in der Matinée – ließ er in die Rolle des Arztes, gesungen von Attila Mokus, einfließen, der Iolanta von ihrer Blindheit heilen soll. Er erklärt dem Vater Iolantas, dass Heilung nur möglich sei, wenn Iolanta es wolle. Gegen ihren Willen könne er sie nicht behandeln. Es gehe also um Willensfreiheit, die Kraft der Liebe und um die Frage, was wir subjektiv von der Welt wahrnehmen. Wie sieht die Innenwelt der blinden Iolanta aus?

In der Matinée stellten sich mit Arien aus „Pique Dame“ (Tschaikowski) vor: Sonya Yoncheva, Dmytro Popov, Boris Pinkhasovich, Attila Mokus, Daria Sushkova.

Man darf auf eine interessante Inszenierung und auf neue, an der Wiener Staatsoper noch unbekannte Stimmen gespannt sein.

Première ist am 27. März 2025. Weitere Termine s. unter: http://www.wiener-staatsoper.at

Tonkünstlerorchester: Sibelius, Mozart, Brahms. Festspielhaus St. Pölten

Dirigent: Yutaka Sado. Pianistin: Yeol Eum Son

Jean Sibelius: Symphonie Nr. 7 op 105 (1918-1924)

Die 7. Symphonie sollte seine letzte sein. Sibelius komponierte zwar noch eine achte, aber die vernichtete er eigenhändig. In die siebte legte er seine Gedanken über das Leben in heiter-gelassener Weise hinein. Ihm gelingt, was kaum jemand zuvor und danach gelungen ist: Er setzt die ZEIT als spürbares Element ein, als Wert, der dem Leben Sinn gibt. Es beginnt leise, zärtlich, ja auch romantisch – nicht zu Unrecht nennen viele Sibelius den letzten Romantiker. Das Element Wasser wird der Zeitmesser – viele kleine Ströme fließen zusammen und bilden den Strom des Lebens, der sich in die Welt ergießt, allumfassend. Er fließt in ein weites Land, in dem alles offen steht. Nichts eilt. Musikalisch akzentuiert Sibelius das Fließen der Zeit durch forcierten Einsatz der Bläser. All das und mehr wird klar und verständlich durch Yukata Sados subtiles Dirigat. Er macht es möglich, dass dieser Fluss in die Seele der Zuhörer fließt, sie ruhig werden lässt.

Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester C-Dur (1791). Dirigent: Yukata Sado, am Klavier: Yeol Eum Son

Yeol Eum Son-Piano Photo: Marco Borggreve

Die große Überraschung des Abends war die junge Pianistin Yeol Eum Son aus Südkorea.Man fragte sich, wie diese zarte Person mit den fast kindhaften Armen den Flügel unter ihren Willen zwingen konnte. Und wie sie das konnte! Spielerisch und leichthändig, ohne Pathos, ohne viel Zier spielte sie, als wäre sie der junge Mozart, der gerade mit seiner neuesten Kreation sein adeliges Publikum unterhalten will. Frech in einem Moment, dann gleich zart erinnernd in der Rückschau (Rondo). Das bekannte Klavierkonzert klang auf einmal frisch, als hörte man es zum ersten Mal.

Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 c-Moll (1876). Dirigent: Yukata Sado

Lange wagte Johannes Brahms sich nicht an eine Symphonie. Beethoven war für ihn ein unüberwindlicher Fels, ein Maßstab, an dem er nicht wollte gemessen werden. Dann – unter dem lobenden Zuspruch von Robert und Clara Schumanns gelang das Werk. Leicht, fast tänzerisch ist der Beginn, die Themen verschwimmen ineinander, um dann im 2. Satz, angeführt von dem Alphornmotiv , sich zu einem Bekenntnis der Liebe im allgemeinen, besonders aber zur Natur zu bündeln.

Doch es war Rosenmontag, da wollte Sado nicht allzu schwer und ernst enden. Nach dem langen Applaus springt er nochmals auf das Dirigentenpult und feuert mit den Tonkünstlern eine Strausspotpourri ab, die sogar den Schani begeistert hätte. Und da sah man den sonst so ernsten Meister lachen!! Die Tonkünstler strahlten und das Publikum jubelte!

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Volksoper Wien: Musical Anatevka (Fiddler on the Roof)

Buch: Joseph Stein, Musik: Jerry Bock, Gesangstexte: Sheldon Hamick. Foto: Cornelius Obonya als Tevje, der Milchmann

Gesehen wurde die 103. Vorstellung seit der Wiederaufnahme Februar 2023. Leider ist es aber dann bald vorbei – nur einige wenige Abende sind noch vorgesehen. Dass jede Vorstellung bisher ausverkauft war, spricht für die Qualität dieses außergewöhnlichen Musicals und für den Geschmack des Publikums. Denn es weiß offensichtlich dieses von jeglichem Regiewahn unberührte Theater zu schätzen. Ganz zu schweigen von der mitreißenden Musik und dem exzellenten Ensemble. Wenn dann noch ein so bekannter Schauspieler wie Cornelius Obonya den Tevje spielt, singt und tanzt, dann ist es für viele ein Grund, das Musical ein zweites, vielleicht sogar ein drittes Mal zu sehen. Denn „Anatevka“ berührt und geht in die Seele. Da braucht es keine rigiden Parallelverweise auf die Gegenwart. Die ergeben sich ganz selbstverständlich.

Anatevka ist eines der vielen jüdischen Stetls im weiten Russland. Man pflegt die Tradition, ist mit humorvoller Distanz gläubig. Und so manch einer träumt davon, reich zu werden., ganz besonders Tevje, der Milchmann. Hat er doch fünf Töchter, drei davon im heiratsfähigen Alter. Die Tradition will es, dass die Ehen von der Heiratsvermittlerin Jente (humorvoll Martina Dorak) gestiftet und vom Vater abgesegnet werden müssen. Das ist so Tradition. Doch alle drei suchen sich ihren Bräutigam selbst aus, und Tevje muss klein beigeben. Vaterliebe siegt über Tradition. Cornelius Obonya ist rein körperlich ein anderer Tevje als Dominique Horwitz Letzterer war ein schmächtiger Milchmann, der an seinen vollen Milchkannen schwer schleppte, mit dem man mitlitt (s. unten Link zur Kritik vom 16. Oktober 2023). Obonya ist ein „gtandener“, von sich selbst sehr überzeugter Ehemann und Vater, der mit Gott ganz schön selbstsicher verhandelt. Dadurch bekommt das Stück einen etwas anderen Charakter – die humorvollen Szenen werden kräftiger, überdecken die zarten, leisen Töne, wie sie Domnique Horwitz der Rolle angedeihen ließ.. Insgesamt wirken alle Bewohner robuster, auch als sie ihre Heimat verlassen müssen. Sie sind gewappnet, sie machen Pläne. Es ist in ihre Wesenheit eingeschrieben, dass sie immer wieder weiterzeihen müssen. Deshalb fügen sie sich.

In den ärmlichen Häusern entlang der Dorfstraße, die ins Nichts führt, leben sie ein bescheidenesLeben, lachen, streiten, feiern. Bühnenbild (Matthias Fischer – Dieskau) und Regie (Matthias Davids) sind Gott seii Dank unverändert. Auch das Ensemble.ist bis auf einige kleine Änderungen gleich geblieben. Chor, Ensemble und die großartigen Tänzer des Wiener Staatsballetts sind eine unzerstörbare Einheit. Die Stimmen sind durchwegs sehr gut. Neu ist der Dirigent Lorenz C. Aichner, der das Orchester der Wiener Staatsoper mit viel Gespür für humorvolle, aber auch leise Töne lenkt. Insgesamt eine Aufführung, die ihre Qualität noch viele Jahre halten wird und hoffentlich irgendwann wieder zu sehen sein wird.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.

http://www.volksoper.at und

http://www.silviamatras-reisen.at/volksoper-wien-anatevka-fiddler-on-the-roof/ Meine Kritik vom 16. Oktober 2023

Wiener Konzerthaus: Verdi – Messa da Requiem

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia – Roma. Wiener Singakademie – Einstudierung Heinz Ferlesch

Sopran: Masabane Cecilia Rangwanasha, Mezzosopran: Elizabeth DeShong, Tenor: Saimir Pirgu, Bass: Tarek Nazmi.

Dirigent: Daniel Harding

Totenmessen zu komponieren schien im 19. Jahrhundert geradezu Mode gewesen zu sein. Mozarts unvollendetes Requiem war Ansporn. Je nach Gläubigkeit des Komponisten waren entweder ein strafender Gott und die Schrecken der Menschen vor dem Tod oder das in tiefer Gläubigkeit Hinübergleiten in ein himmlisches Jenseits im Fokus. Verdi komponierte 1868-1873 aus innerer Distanz zur Kirchengläubigkeit ein düsteres Szenario, in dem der Mensch vor dem strafenden Gott erzittert. Dass das Werk dennoch nicht im drohenden Donner untergehen muss, beweist Riccardo Muti immer wieder. Ihm gelingt es, aus Verdis „Messa da Requiem“ ein Sacralerlebnis ohne theatralische Heftigkeit mit feinen Zwischenabstufungen zu dirigieren. Selbst der ungläubige Zuhörer wird davon ergriffen.

Anders Daniel Harding (seit Oktober 2024 Nachfolger von Antonio Pappano als Chefdirigent der Santa Cecilia). Er lässt Orchester und Chor mit voller Wucht aufspielen. Die Sänger sind auf der Empore platziert, um sich über diese wuchtige Schallwelt hinwef Gehör zu verschaffen, was ihnen auch perfekt gelingt: Masabane Cecilia Rangwanasha lässt ihren hellen Sopran über alle Pauken und Geigen hinweg erschallen. Sie ist vollständig auf Klangvolumen konzentriert, worunter die Wortdeutlichkeit leidet. Was auch für den Chor gilt. Elizabeth DeShongs Mezzosopran ist in allen Lagen überzeugend. Dem Tenor Saimir Pirgu gelingen Passagen, die in jeder Oper als Bravourarien erklingen könnten. Verdis Messa da Requiem wird ja oft als Zwitterwerk zwischen Oper und Sakralmusik beurteilt. Herrlich der alles übertöndende Bass von Tarek Nazmi. Er war der geheime Star des Abends. Wenn er mit voller Überzeugung und ruhig zu „Mors stupebit et natura“ ansetzt, dann versteht man, was Verdi mit diesem Werk vermitteln wollte: – die Kreatur ist klein gegenüber der Macht der Natur und des Todes.

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Tschaikowski, Jolanthe und der Nussknacker. Volksoper

Gesehen wurde die 26. Vorstellung am 30. November 2024

Musiktheater für die ganze Familie. Musikalische Leitung: Alfred Eschwé. Regie: Lotte de Beer. Choreographie: Andrey Kaydanovsky, Bühnenbild: Katrin Leo Tag. Kostüme: Jorine van Beek

Wer die Oper „Jolanthe“ schon einmal gesehen hat – zum Beispiel in der ausgezeichneten Inszenierung im Theater an der Wien, dem ist ein ganz besonderer Zauber in Erinnerung: Jolanthe, die blind geborene Königstochter, ist sich ihrer Blindheit nicht bewusst. Dafür sorgt ihr Vater. Er umgibt sie mit einem duftenden Garten, mit blühenden Blumen und den schönsten Dingen. Niemand darf der Tochter von „Farben“ reden. Jolanthe ist nicht unglücklich, da sie ja von ihrem Gebrechen nichts weiß. Bis eines Tages die Liebe sie die Wahrheit „sehen“ lehrt…Tschaikowski hat in diese Musik alle Zärtlichkeit, die ein Vater für seine Tochter empfindet, gelegt. Zu den schönsten und innigsten Szenen gehört die Begegnung zwischen Jolanthe und dem Prinzen. Durch ihn erfährt sie von der Welt, für ihn ist sie bereit, sich einer Behandlung zu unterziehen. Und wie es im Märchen so sein muss: Sie wird geheilt!

Nun hat Lotte de Beer wohl gedacht, diese Oper sei irgendwie zu wenig, die muss mit Ballett aufgepeppt werden. So lässt sie die blinde Jolantha vom Nussknacker träumen, sieht sich selbst bedroht von dämonischen Männern, die sie in einer grausamen Szene fast vergewaltigen. Dazwischen tanzen die Mäuse oder einfach Figuren im weißen Ballettröckchen. Dass die Choreographie sehr einfach ausfällt, ist wohl dem unseligen Einfall zu verdanken, den Boden schräg zu stellen – eine Idee, die man vor etwa 20 Jahren landauf und landab strapaziert hatte und von der man Gott sei Dank bald abgekommen ist, da darunter die Gelenke leiden und sich für das Stück kein Mehrwert ergibt.

Nun also Jolanthe – sie sitzt oder schläft auf dem schrägen Bühnenboden. Dunkle braune Wände umstehen sie im Halbkreis. Vater und Personal sind im grauen Alltagsgewand. Nichts ist über geblieben von der Grundidee Tschaikowskis. Aus dem blühenden Garten wurde eine triste Umgebung. Da helfen auch die eingeschobenen Ballettszenen nichts. Sie halten zumindest die Kinder wach. Peinlich wird dann die ganze Szenerie, wenn Graf Vaudemont sie „im blühenden Paradiesgarten“ schlafend entdeckt und sich in sie verliebt. Da klaffen Musik, Text und das Geschehen auf der Bühne ganz gewaltig auseinander.

Gesungen wird Jolanthe von Natalia Tanasii – ordentlich, ohne Zauber in der Stimme. Zweimal vertanzt wird die Rolle der Jolanthe von Tessa Magda und Anika Mandala. Alexander Fritze als streng-besorgter Vater mit seinem schönen Bass klingt überzeugend. Aber in seinem mausgrauen Anzug verliert er viel an Persönlichkeit. Ganz und gar nicht Prinz und noch weniger Liebender ist Jason Kim als Graf Vaudemont. Alle übrigen Figuren passen sich gut an das graubraune, triste Ambiente an. „Musiktheater für die ganze Familie?“

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Wiener Konzerthaus: Mahler, Symphonie Nr.8. Wiener Symphoniker unter Philipp Jordan

Zwei Gründe mögen ausschlaggebend gewesen sein, dieses monumentale Werk aufzuführen: Die Wiener Symphoniker feiern ihr 125 – jähriges Wirken und Philipp Jordan seinen 50. Geburtstag. Der Nochchefdirigent der Wiener Staatsoper dirigiert das Orchester, das er viele Jahre leitete.

Als Gustav Mahler 1907 -1910 diese eigenartige Symphonie komponierte, war seine über alles geliebte Tochter Maria Anna mit vier Jahren an Diphterie gestorben. In der Ehe herrschte Krisenstimmung, Alma hatte ein Verhältnis mit dem jungen Architekten Walter Gropius begonnen. Mahler selbst war zuvor von einer intensiven Schaffenskrise bedroht. Sich mit diesem Monumentalwerk daraus zu befreien, muss eine übermenschliche Kraftanstengung und zugleich Lösung von den irdischen Übeln, in denen er sich gefangen sah, gewesen sein. Die Uraufführung 1910 in München war ein durchschlagender Erfolg. Richard Wagner, Thomas Mann und die ganze musikalisch interessierte Elite waren anwesend und klatschten euphorisch Beifall.

Philipp Jordan©Amar Mehemdinovic

Das Werk ist alles, nur keine Symphonie. Eher eine Mischung aus Oper, Oratorium und Theater. Von den Kritikern wurde und wird es wegen der überdimensionalen Besetzung die „Symphonie der Tausend“ genannt. Über 300 Mitwirkende hatte Philipp Jordan zu koordinieren und zu „bändigen“ – was eine übermenschliche Leistung war. Neben den Wiener Symphonikern in voller Besetzung wirkten mit: der Wiener Singverein (Einstudierung Johannes Prinz), die Wiener Singakademie (Einstudierung Heinz Ferlesch), die Wiener Sängerknaben (Einstudierung Manuel Huber und Oliver Stech) und fünf Sängerinnen (Elisabeth Teige, Johanni von Oostrum, Regula Mühlmann, Tanja Ariane Baumgartner, Noa Beinart) und drei Sänger ( Benjamin Bruns, Christopher Maltman, Tareq Nazmi)

Das Werk zerfällt in zwei Monumentalsätze. Im ersten Teil vertonte Mahler den Hymnus „Veni, creator spiritus“ -Komm, Schöpfer Geist. Wuchtig und volldröhnend wird der heilige Geist angerufen, er möge als Tröster, Friedensbringe Liebesspender sein. Orchester, Chöre und Singstimmen lässt Mahler/ Jordan zu einem eindrucksvollen Ganzen anschwellen. Aber die Töne erreichen nur den Magen, nicht die Seele. Zu laut, zu heftig lassen die Chöre Wortdeutlichlkeit vermissen. Bewundernswert monumental mit äußerer Wirkung.

Im zweiten Teil vertonte Mahler die Schlussszene aus Goethes Faust II. „Ich habe das Universum zu tönen und zu klingen gebracht“ (Zitat nach Programmheft S9) . Der Beginn ist zart, vertraute Mahlersequenzen steigen auf. Maltmans volltönender Bariton erhebt sich über den Chören und verkündet „ewiger Liebe Kern“. Nun fließt die Musik in die Seele, erreicht die Zuhörer. Allerdings wird der „Chor der jüngeren Engel“ nochmals volltönend laut. In die Innigkeit führen sogleich „die vollendeten Engel“. Doktor Marianus -rein und erhaben gesungen von dem Tenor Benjamin Bruns – verkündet das Erscheinen der Frauen an, unter ihnen auch Gretchen (Johanni von Oostrum). Höhepunkt und Ausklang ist das Erscheinen der „mater gloriosa“: Regula Mühlmanns strahlender Sopran verkündet von der Empore die Kraft der Liebe und die Erlösung Fausts. Ein Moment des Innehaltens, bevor das furiose Ende über die Zuhörer hereinbricht und die in tosenden Beifall ausbrechen.

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Jonas Kaufmann: Viva Puccini! ( Wiener Konzerthaus)

Jochen Rieder dirigiert die Deutsche Staatsphilharmonie. Maria Agresta – Sopran

Es war der 13. Oktober, der Abend nach der Première (9. Oktober in Paris mit Valeria Sepe). Mit insgesamt zehn Aufführungen in kurzen Abständen von zwei bis drei Tagen, abwechselnd mit Maria Agresta und Valeria Sepe, tourt Jonas Kaufmann durch Österreich, Deutschland und die Schweiz. In Luzern wird er die Tour am 9. November 2024 beenden.

Puccini singt Jonas Kaufmann besonders gerne. Wie die starken Emotionen, die Puccini mit seiner Musik provoziert, entstehen, sind eines der ungelösten Geheimnisse, meinte Jonas Kaufmann einmal in einem Interview. Eine Erklärung sind die intensiven Frauenrollen – Tosca, Manon, Butterfly. Mit den entsprechenden Partnern wie Jonas Kaufmann wird deren Schicksal musikalisch direkt in die Seelen der Zuhörer transportiert. So auch an diesem Abend. Maria Agresta als Tosca und Jonas Kaufmann als Cavaradossi waren eine ideale stimmliche Paarung. Agrestas stellenweise metalliger Sopran passte in die Rolle. Das Duett „Mario! – Son qu!“ wurde ein Miniaturkammerschauspiel. Beide gaben der konzertanten Aufführung durch kleine szenische Apercus Farbe Die Arie „Vissi d`arte“ sang Agresta frei von Selbstmitleid, fast nüchtern überlegend. Nachdenklich und sich zurücknehmend gestaltete Kaufmann seine legendär gewordene Interpretation von „E lucevan le stelle“.

Für die Rolle der Mimi war die Stimme Agrestas um eine Spur zu metallisch, Kaufmanns geschmeidiger Tenor mit dem Hauch von Bariton passte gut für die Rolle Rudolfos. „O suave fanciulla“ hatte Schwung mit kleinen Funken Humors. Nach der Pause folgte das Duett Butterfly- Pinkerton. Kaufmann ließ den lüsternen Mann durchblicken, den die Schüchternheit Butterflys richtig anheizt. Maria Agrestas Butterfly war jedoch weniger scheu, eher erstaunlich kräftig. Als Manon, die den verletzten und grollenden Des Grieux wieder betören will, passte ihre Stimme perfekt. Kaufmanns Ausruf der Ergebung „Manon, mi fai morir, dolcissimo soffrir“ war das stimmige Ende eines stimmungsgeladenen Abends. Allerdings war Jonas Kaufmann bei den Zugaben von Husten geplagt. Man fragte sich besorgt, ob seine Stimme diese Mammuttournee unbeschadet überstehen wird. Viel Applaus für Agresta, den Dirigenten und das Orchester. Standing Ovation für Kaufmann!

www.konzerthaus.at und alegria.de (Veranstalter) und jonaskaufmann.com

Grafenegg: Tonkünstler-Orchester unter Yutaka Sado

Programm: Georg Friedrich Haas: „I don´t know how to cry“, Alexander Arutiunian: Konzert für Trompete und Orchester. Trompete: Patrick Hofer. Ludwig van Beethoven: Eroica

Auf den ersten Blick mag das Programm eher zufällig gewählt worden sein. Doch bei näherem Hinsehen und Hinhören entdeckt man den gemeinsamen Gedanken: Das Heldische, für etwa einstehen oder der heldische Widerstand, wenn man so will.

Georg Friedrich Haas: „I don´t know how to cry“ (Ich weiß nicht, wie ich noch weinen soll“ (2023)

Georg Friedrich Haas gilt als einer der bedeutenden Erneuerer der Musik. In seinen Kompositionen spielen Melodie und Rhythmus keine Rolle mehr, sie werden durch sogenannte Cluster oder Tontrauben, wie er sie nennt, ersetzt. Da das Werk eine österreichische Erstaufführung ist, war der Komponist persönlich anwesend und formulierte in der Einführung mit wenigen Worten grundsätzliche Gedanken zur Musik: „Musik ist als Ausdrucksmittel viel präziser als Sprache“ und weiter: „Ich fürchte mich, wir sind bedroht“ und meinte damit die Kriege und Unruhen. „Alles schreit in meiner Musik, dahinter aber gibt es ein Licht“. In dem Prosa-Gedicht „I don´t know how to cry“ formuliert die Autorin Jill Carter all diese Bedohungen aus. Es endet mit dem Ausruf der Verzweiflung. In der Musik von Haas sind Wut und Ohnmacht deutlich zu hören, aber er lässt nach jedem Cluster der Wut oder Verzweiflung Lichtgedanken durchschimmern.

Sado leitet die Tonkünstler mit der gewohnten Behutsamkeit – nie lässt er das Dunkle, Drohende ausufernd laut werden, sondern spinnt einen dumpfen Klangteppich, dem er einen leichten Vorhang der Hoffnung folgen lässt. Haas war mit der Interpretation sichtlich zufrieden und bedankte sich herzlichst bei Sado und dem Orchester, aber auch beim Publikum, das ihm eifrig applaudierte.

Alexander Arutiunian: „Konzert für Trompete und Orchester As Dur, 1950“ An der Trompete: Patrick Hofer, erster Trompeter der Tonkünstler

Als Alexander Arutiunian ( 1920 -2012) das Werk komponierte, stand Armenien unter russischer Herrschaft. Armenische Künstler wussten jedoch immer, wie sie sich künstlerisch aus der russischen Umklammerung lösen und emanzipieren könnten. So wurde dieses Trompetenkonzert eine Hommage an die armenische Musiktradition, besonders der Volksmusik. Es beginnt heiter, farbenfroh. Das Trompetensolo steigt auf und leitet die Themen. Patrick Hofer spielt die Soli, die viel von ihm abverlangen, mit ruhiger Sicherheit, unterstützt von Sados sensibler Führung des Orchesters. Fröhlich, vielleicht auch ein wenig aufmüpfig erklingt das Wechselspiel der Themen – eine Hommage und eine dezente Betonung des ungebrochenen Bekenntnisses zur armenischen Musik und der armenischen Eigenständigkeit auf dem Gebiet der Kunst. Das Publikum bedankte sich mit viel Applaus, besonders bei dem Trompeter Patrick Horn.

Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr.3 Es-Dur op.55 „Eroica“

Die Vorgeschichte ist bekannt: Beethoven, zunächst begeistert von den Ideen der Aufklärung und Napoleon, betitelte diese Symphonie „Bonaparte“. Als dieser sich zum König krönen ließ, verging dem Meister die Begeisterung und er widmete die Symphonie Fürst Lobkowitz, nicht zuletzt auch deshalb,, weil dieser ihm dafür gut bezahlte. Da das Werk als musikalisches Heldengedicht konzipiert war, blieb Beethoven bei „Eroica“ als Hommage an alle Helden, die er sonst noch verehrte. Und nicht von der Hand zu weisen ist die Idee, dass er in sich selbst ein heldisches Aufbäumen verspürte, wissend um seine baldige totale Taubheit. Dass er im letzten Satz Themen aus seiner Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“ verwendet, unterstreicht nochmals diesen Heldengedanken. Prometheus – der sich gegen Zeus auflehnt, Prometheus, der sich gegen die absolute Macht wehrt, wurde ja der Inbegriff des Helden.

Wie es Sados Art ist, lässt er das Heldische nicht übermächtig werden. Wie oft schon hörte man diese Symphonie als „Heldengetöse“! Sado dirigiert mit Behutsamkeit -„laut“- das gibt es bei ihm nicht. Als wäre er mit den Noten verwoben, dirigiert er die Symphoniker mit dem ganzen Körper, es hat den Anschein, die Musik strömt aus seinem Körper heraus auf die Musiker über. Zunächst also der feine, ja zärtliche Beginn, der sich zur Erregung steigert. Bevor Sado den „Marcia funebre“ beginnt, macht er eine lange Pause – aus Achtung und um neu sich zu sammeln. Dann arbeitet er elegant die einzelnen Themen heraus: Trauer, Bedrohung und Erschütterung. Ganz leise verklingt auch dieser Satz. Dann wieder Pause vor dem Scherzo – Sado nimmt die Herausforderung elegant, ebenso die Streicher, die die vielen Pizzicati bravourös meistern. Im Finale gibt Sado alles – sein ganzer Körper beugt, wiegt, tanzt. Es ist spannend, ihm beim Dirigieren zu beobachten! Zwischen zärtlichen und expressiven Prometheus – Themen wechselt Beethoven über Tänze zu dem fulminanten Schluss, wo Orchester und Dirigent wirklich alles geben!

Langer Applaus braust auf, vom sichtlich erschöpften, aber glücklichen Sado und dem Orchester mit Freude und Stolz angenommen.

Wieder einmal zur Erinnerung: Yutaka Sado wird noch einige wenige Male in Grafenegg, Festspielhaus St. Pölten und im Musikverein dirigieren, bevor er in seine Heimat Japan zurückkehrt. Er wird sehr fehlen!!

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Wiener Konzerthaus: Mahler Academy Orchestra, Dirigent: Philipp von Steinaecker. 1. Konzert aus dem Zyklus Originalklang

Sergej Rachmaninoff, Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 d-moll op.30 (1909). Klavier: Leif Ove Andsnes

Was für ein grandioser, fulminanter Saisonauftakt!! Mit Leif Ove Andsnes war ein Pianist von höchstem Rang an den Tasten , feinfühlig unterstützt von Philipp Steinaecker, der das Orchester ausgewogen in Klang und Volumen zum KLavierpart dirigierte.

Dieses berühmte Klavierkonzert, das vom Pianisten höchste Konzentration und Einsatz abverlangt, wurde 1910 von Rachmaninoff persönlich am Klavier mit dem New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Gustav Mahler aufgeführt. Im gestrigen Konzert spielte Leif Ove Andsnes auf einem Steinway-Konzertflügel, auf dem Sergej Rachmaninoff gespielt haben könnte. Aufgrund der Nummer K96 ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, wenn es auch nicht hundertprozentig bewiesen werden kann. Es brauchte nicht unbedingt dieses Wissen, um die Bewunderung für Leif Ove Andsnes noch zu erhöhen. Wahrscheinlich wäre Rachmaninoff von der Interpretatation Andsnes‘ genauso begeistert gewesen wie das Publikum. Sein Anschlag ist weich, seine Hände fliegen über die Tasten. Die leisen Töne „singen“, wie es Rachmaninoff forderte (Zitat Programmheft, S9)

Das 3. Klavierkonzert beginnt mit dem „gesungenen Thema“, wie Rachmaninoff es wollte, perlend, tänzerisch gespielt von Andsnes. Das Orchester brauste langsam auf und stellte intensive Spannungen her. Virtuose Kadenzen wechselten mit Sehnsuchtsmelodien, das Klavier verlor nie die Führung. Die Soli gerieten prächtig, nie plärrend. „In die Tasten hauen“, wie es immer wieder auch von namhaften Pianisten zu hören ist, gab es nicht. Im „Intermezzo“ übernahm das Klavier die von Streichern und Oboen vorgegebenen Themen. Dabei verzauberte Steinaecker das Orchester und Klavier zu Traumsequenzen, bis das Klavier dann heftig das Finale ankündigte und zum dritten Satz überleitete. Was Klavier und Orchester musikalisch da aufbereiteten, war ein dicht ineinander verwobener Strauß an Themen. Ein Trommelwirbel kündete den Höhepunkt an und riß das Publikum in einen Strudel von musikalischen Explosionen. Danach ließ der Dirigent Publikum und Musikern eine Atem-und Einwirkungspause, um zum fulminanten Schluss überzuleiten.

Begeisterung beim Publikum, Bravorufe für den Pianisten, den Dirigenten und das Orchester. Leiv Ove Andsnes bedankte sich für den tosenden Beifall mit einer Zugabe: Sergej Rachmaninoff Etude C-Dur op33/2

Gustav Mahler, Symphonie Nr.5 (1901-1903)

Philipp von Steinaecker beschäftigt sich schon lange mit der historischen Aufführungspraxis aus der Zeit Gustav Mahlers, den Spieltechniken des Fin de Siècle und den dazugehörigen Originalinstrumenten . Er ist überzeugt, dass unsere Zeit gar nicht mehr weiß, wie etwa die 5. Symphonie mit den damals verwendeten Instrumenten geklungen haben mag. Geschmack, Moden und Bearbeitungen haben das Original zugedeckt. An diesem Abend spielten die Musiker auf alten Instrumenten aus der Zeit Mahlers, die Steinaecker mit Hilfe von Experten gefunden hat und sorgfältig restaurieren ließ.

Ein Titan kämpft um seine Sicht auf die Welt, um sein Verhältnis von Musik und Welt. Gustav Mahler wird zum selbstbewussten Neuerer in der Musikwelt, „einer Musik, die ohne äußeren Anlass entsteht…niemand soll fragen warum!“ So Gustav Mahler über seine 5. Symphonie (zitiert nach Programmheft S13)

Das bekannte Trompetensolo verkündete den Beginn des 1. Satzes. Drückend und schwer schleppte sich der Marsch in b-moll voran, bald jedoch abgelöst von ruhig dahingleitenden Tönen der Oboe. Höhepunkt der „nihilistischen Musik“ (Furtwängler über diesen 2. Satz, zitiert aus Programmheft S14) ist der 2. Satz. Steinaecker schenkte sich und dem Orchester nichts, stieg voll in den Wahnsinn ein, der diesen Teil der Symphonie durchdringt. Das Scherzo -prominent eingeleitet durch das Hornsolo (Jonas Rudner) – steigert die Anforderungen an Dirigent und Musiker noch einmal. Virtuos führte Steinaecker das Orchester durch diesen anspruchsvollen und komplizierten Satz. „Das Pubikum -o Himmel – was soll es zu diesem Chaos, das ewig aufs Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zu Grunde geht…für ein Gesicht machen?“ (Zitat Programmheft, S16) So Mahler in ironischer Verzweiflung über diesen „gemischten Satz“. Wie auch immer – das Publikum war gebannt. Danach die sanfte Beruhigung im Adagietto, mit dem Gustav Mahler Alma seinen musikalischen Heiratsantrag machte. Da konnte er nur mit Schönheit verführen – was auch an diesem Abend voll gelang. Das Publikum durfte im Wohlklang baden, sich im Dialog zwischen Harfe, Bratschen und Geigen wiegen. Denn im 5. Satz wird dem Orchester, Dirigenten und Publikum nichts geschenkt. Voller Klang, volles Pathos – alles ohne Schonung.

Zur Gretchenfrage, wie und ob man den „neuen“ Klang, den die alten Instrumente erzeugten, hörte?! Nun – darauf wird ein Musikkenner vielleicht eine kompetente, klare Antwort geben können. Hier sei nur ein laienhafter Vergleich angestellt: Es war vielleicht so, wie bei einer Weinverkostung. Dem einen schmeckt der unbearbeitete „Naturwein“, spritzig, leicht, ohne aufgesetztes Bouquet, der andere hats gern voluminöser à la Barique.

Das Publikum jedenfall war begeistert, belohnte das Orchester und vor allem den Dirigenten mit langem, sehr langem Beifall. Der – schier aufgelöst und schweißgebadet, hatte er doch wirklich alles gegeben – bedankte sich glücklich und erleichtert.

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Grafenegg Festival, 1. September 2024: Andrè Schuen , Bariton und Daniel Heide Klavier – Lieder von Brahms und Mahler

Wo Andrè Schuen und Daniel Heide auftreten, da sind die Erwartungen hochgesteckt und werden auch zu hundert Prozent erfüllt, gilt doch der Bariton als einer der besten Liedinterpreten im europäischen Raum. Und Daniel Heide ist sein steter und congenialer Begleiter am Klavier.

So war es auch in dieser Matinee. Nur mit dem Unterschied, dass Schuen ohne Romantik- Mähne und Bart auftrat. Was ihn zwar äußerlich angepasster wirken ließ, aber seiner Interpretation keinen Abbruch tat. Für diesen Vormittag im Auditorium hatte er Lieder von Brahms und Mahler ausgewählt. Eine „schwere Kost“, wie vielleicht einige meinten und fern blieben. Die aber kamen, erlebten Andrè Schuen, der diesen Liedern über Leid, Tod und über die Liebe als Siegerin in die tiefsten Tiefen des Lebens folgte. Ohne Maniriertheit und künstliche Attitüden – ehrlich und überzeugend. Sein warmer Bariton ertönte voll bis in den Bass und schwang sich hinauf ins feinste Falsett – mühelos und ungekünstelt. Daniel Heise begleitete ihn auf dieser Liedreise mit Hingabe und Einfühlungsvermögen. Man spürte in jeder Phase die Seelengleichheit der beiden Interpreten.

Johannes Brahms komponierte die „Vier ernsten Gesänge“ im Mai 1896 als Totenopfer für Clara Schumann, die im Sterben lag. Es sind einfache Lieder, die vom Sterben, dem bitteren Tod und dem Leiden derer handeln, die „keine Tröster finden“. Aber die Liebe bewirkt Linderung, sie ist größer als Glaube und Hoffnung. Geschickt und mit Gespür für die richtige Wirkung wählte Andrè Schuen danach Kompositionen Gustav Mahlers nach Texten aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ und vollführte damit eine heftige Wende – thematisch und geangstechnisch. Nun war männlicher Soldatenstolz angesagt. Stolz zieht der Jungverliebte unter tralali, tralala in den Krieg ( „Revelge“). Doch er und seine Kameraden werden nur mehr als Gebeine unter tralali, tralala sich vor dem Haus der Liebsten einfinden. Grausig, bitter und stark sang Schuen dieses Lied männlicher Verblendung! Mit dem „Lied des Verfolgten im Turm“ sang ein Mädchen gegen den Revoluzzerstolz ihres Liebsten an, der im Kerker sitzt – ein spannungsgeladener Dialog. Feinen Humor ließ Schuen im „Rheinlegendchen“ aufblitzen. Der späte Mahler klang im bitteren Lied „Zu Straßburg auf der Schanz“ an. Leise, behutsam und mit Gefühl für die Stille zwischen den Tönen öffnete Schuen das Geheimnis des wundervollen Liedes „Urlicht“. Zart verhauchte er die letzten Worte “ ein Lichtlein…..wird leuchten mir bis an das ewig selig´ Leben“. Danach nochmals Johannes Brahms mit dem Lied für Clara Schumann „Wie bist du, meine Königin“, dann ohne Pathos ruhig und schlicht „Mondenschein“ (Text Heinrich Heine), wobei sich wieder zeigte, dass Schuen keine Angst vor Süße, Sehnsuchtsseufzen und Romantik hat. Alles ist ihm echt und erfühlbar.

Begeisterte Bravorufe verlangten nach einer Zugabe- wie so oft in seinen Konzerten sang er ein Volkslied auf Ladinisch aus seiner Heimat Südtirol.

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Sommerabend in Grafenegg: Tönkünstler Orchester mit Wohlfühlmusik unter dem designierten Dirigenten Fabien Gabel und mit Renaud Capucon -Violine

Paul Dukas: „L’apprenti sorcier“ (Der Zauberlehrling) Symphonische Dichtung für Orchester (1897)

Mögen so manche über die sogenannte Programmmusik die Nase rümpfen, an diesem Abend zeigte sich, wie vielgestaltig, spannend und aufregend sie sein kann. Goethe wusste, wie man Spannung aufbaut. zum Beispiel in der Ballade „Der Zauberlehrling“, und Paul Dukas verstand sie perfekt in Musik umzusetzten. Alles beginnt recht friedlich mit den Streichern, bis die Trompete einsetzt und der Zauberlehrling den Spruch verkündet. Mit dumpfen Rhythmen kommt der Besen zum Einsatz – bedrohlich, Die Gefahr steigert sich. der Lehrling ahnt noch nichts. Noch hüpft und gurgelt das Wasser herein, bis es zum bedrohlichen Schwall wird. Da zerhackt der Lehrling in seiner Verzweiflung den Besen, doppelt so viele Wassermassen stürzen herein, die Musik schwillt an, bis der Meister eintritt und alles beruhigt. – Bestes Beispiel, wie amüsant und lautmalend Programmmusik sein kann.

Maurice Ravel: Sonate für Violine und Klavier (1923). Violine: Renaud Capucon

Das“ Allegretto“ ist reine Wohlfühlmusik: Nach einem lieblichen Anfang übernimmt die Geige die Führung, das Orchester untermalt, man glaubt Wasser rauschen zu hören, das leise verplätschert. Im „Blues“ ändert sich die Stimmung, rascher Tempowechsel, die Geige wird heftiger, Pizzicati, manchmal witzige Dissonanzen, ein wunderbarer Dialog zwischen Flöte und Geige, Im „Perpetuum mobile“ gewinnt man den Eindruck eines davonrasenden Zuges, der Geiger geigt um sein Leben, während der Zug ins Leere rast. Atemlos, eine sehr moderne, fast heutige Komposition.

Maurice Ravel: „Tzigane“ Rhapsodie de concert für Violine und Orchester (1924)

Erinnerungen an so manche „Zigeunermusik“ in der Puszta steigen auf. Renaud Capucon als „Teufelsgeiger“ mit Rasanz und weichem Schmelz. Zitate aus bekannter „Zigeunermusik“ (der Ausdruck war zu Ravels Zeiten als Ehrentitel gemeint). Ein feingesponnener Dialog zwischen Harfe und Geige lässt kurz träumen, dann rast die Geige davon – das Tempo berauscht!

Viel Applaus für Renaud Capucon, den Dirigenten und das Orchester. Nach der Pause dann die wunderbar dirigierten und von den Tonkünstlern fein aufbereiteten:

„Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgski. Instrumentierung : Maurice Ravel 1922

Oft gehört im Radio oder auf diversen Tonträgern, aber an diesem Abend klang die Musik wie neu: Spannend, strukturiert dirigiert und gekonnt von den Tonkünstlern umgesetzt! Unter dem allseits bekannten Motiv der „Promenade“ spaziert der Komponist durch die Ausstellung seines russischen Malerfreundes Viktor Alexandrowitsch Hartmann. Die Bilder sind verschollen, doch die Musik macht sie uns lebendig! Der Rundgang beginnt mit dem Bild „Gnomus.Vivo“ – wir hören einen dumpfen, grollenden Zwerg, der zornig aufstampft. Dann spaziert der Komponist weiter zu der Traumvorstellung eines Schlosses, das sich aus dem Morgennebel hebt. Das Orchester leitet nach der Promenade über zu den verspielten Bildern aus den „Tuilerien“, um nach weiteren zwei Bildern zu den berühmen Thema der Kücken, die sich aus ihren Eierschalen herauskämpfen, nahtlos überzuleiten. Wie sehr Musik humorvoll sein kann, hört man auch in dem Streit zwischen dem reichen und dem armen Juden und dem aufgeregten Geschrei und Getratsche auf dem Markt von Limoges. Und wie eine Schocktherapie spaziert der Komponist zu dem tragischen Bild der Katakomben, um sofort wieder ins Humrvolle zu gleiten – zum Bild der watscheldnden Baba-Yaga. Machtvoll endet der Gang durch die Ausstellung mit dem Bild des „Großen Stadttores von Kiev“: Kirchenglocken schallen durch Klostergesänge – die Reise endet in Russland mit einer tiefen Verehrung für russische Musik

Ein Abend, der tief in die Seele drang. Renaud Capucon beeindruckte als „Teufelsgeiger“, und der designierte Chefdrigent der Tonkünstler Fabien Gabel lenkte die Muiker sehr präszise und mit viel Schwung durch diesen Abend. Langer Applaus und laute Bravos!!

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Grafenegg -Sommerklänge: Prélude im Schlosshof mit den Ensembles der Grafenegg Academy und Abschlusskonzert „Zeitenwende“ im Wolkenturm mit dem Grafenegg Academy Orchestra

Jedes Jahr kommen in Grafenegg junge Profi-Musiker aus aller Welt zusammen, um eine neue Art des Musizierens zu erproben. In großer Freiheit und mit kraftvollem Einsatz schaffen sie die Brücke zwischen älterem und neuem Repertoire.

©Silvia Matras. LInks Schloss, Mitte: Bläserensemble im Schlosshof. Rechts: Spiegelungen in der Tuba

Im Schlosshof hörte man Unerhörtes: Nach den flotten „Rheinischen Kirmestänzen“ von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) wagte sich das Bläserensemble an „Burdocks“ („Kletten“) von Christian Wolff (1970/71) – eine Musik mit Widerhaken – daher der Name. Spannend aufbereitet: Die Musiker waren auf drei Ecken des Schlosshofes aufgeteilt, das Klavier stand im ersten Stock des Schlosses und war nur durch das geöffnete Fenster zu hören. Die Musiker spielten ohne Dirigenten und hatten wenig, bis keinen Blickkontakt. Für die Zuhörer spannend anzuschauen und anzuhören, wie sich die musikalischen Dialoge dennoch präszise entwickelten. Danach folgte als Kontrastprogramm zwei Liebesbezeugungen an Frauen: Das Adagietto aus der 5. Symphonie von Gustav Mahler. Unter dem einfühlsamen Dirigat von Jonathan Bloxham entwickelte sich diese in die Tiefe der Seele wirkende Musik und blühte auf.Man spürte die Liebe Gustav Mahlers zu seiner Alma in jedem Ton. Ähnlich auch in der Musik Richard Wagners: „Siegfried-Idylle“ (1870), das er seiner Frau nach der Geburt des Sohnes widmete.

Ein Spaziergang durch den von der Abendsonne beleuchteten Park war willkommen. Denn nach dem intensiven Erlebnis im Schlosshof brauchte es Zeit, um sich auf Neues einzustellen.

Colin Currie, Foto: Silvia Matras

Wieder leitete Jonathan Bloxham das Grafenegg Adademy Orchester. Zuerst „leichte Kost“: Anton Weberns Bearbeitung von Bachs „Musikalischem Opfer“ (Fuga 2, Ricercata). Neugierig war man auf Andew Normans „Switch“ Konzert für Schlagwerk und Orchester (2016). Was der Schlagzeuger Colin Currie rein körperlich leistete, war schier unglaublich: Er spang zwischen den am Bühnenrand sehr präsent aufgestellten diversen Schlagzeuginstrumenten wild hin und her, verfehlte dennoch keinen einzigen Einatz. Er war die Musik, das Konzert. Was Norman hier komponierte, war tatsächlich ein Switchen – ein Wischen -zwischen Filmmusik, Hüpf- und Springspiel, Theater und Artistik. Tosender Applaus für Dirigent, Colin Currie und das Orchester. Zur Beruhigung folgte Johann Brahms Bearbeitung von Haydn-Variationen und als Abschluss eine Hommage an Schönberg: Kammersymphonie Nr.1, sehr schwungvoll und tänzerisch.

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Grafenegg Sommernachtsgala 2024 im Wolkenturm

Festliche Stimmung, man spürte die Spannung: Wird das Wetter halten? Vorausgesagt waren Gewitter, die knapp den Rand von Grafenegg streifen würden. So war es dann auch: Gleich zu Beginn des Konzertes fielen zehn Tropfen, gerade genug, dass im Publikum ein Rascheln war, Regenpelarinen wurden übergezogen.

Im Bild: Regula Mühlemann ©ORF/Roman Zach-Kiesling

Aber die Sopranistin Regula Mühlemann ließ sich in ihrer vor jugendlicher Lebensfreude strotzenden Arie als Juliette („Je veux vivre“ – Arie aus der Oper „Roméo et Juliette“ von Charles Gounod) nicht stören. Durch ihren wunderbaren Sopran, der in der Höhe genau so leicht klang wie in der Mittellage eroberte sie schnell die Herzen des Publikums. Ganz bezaubernd erklang ihr Lied der „Nachtigall“ von Alexander Alabieff. Hätten Nachtigallen In den Bäumen geschlummert, wären sie erwacht und hätten mit ihr ein Duett gesungen. Die Flöte ersetzte glaubhaft deren Gesang. Bezaubernd erklang ihre Stimme vom oberen Wiesenrand über die Köpfe der Zuhörer hinweg, als sie den Kusswalzer „Il bacio“ von Luigi Arditi sang. Ihr Roméo war Pene Pati, ein Tenor aus Samoa. Berührend sangen beide das bekannte „Nachtigall-Lerchenduett“. Als Macduff ( Verdi, Macbeth) in der Arie „Ah, la paterna mano“ wirkte Pati sehr authentisch. Witzig und unterhaltsam war seine gesungene Geschichte aus Samoa, wo die Tradition der Rhapsoden hoch gehalten wird..

Die Überraschung des Abends war der aus Litauen stammende Akkordeonist Martinas Levickis. Die Carmen-Suite von George Bizet, in der das Akkordeon wie eine Singstimme klang, hatte man so sicher noch nie gehört.

Unter der zierlichen, temperamentvollen Dirigentin Marta Gardolinska wurde jedes einzelne Stück ein Solitär in dem bunten Programmstrauß. Wie immer auf höchstem Niveau spielte das Tonkünstler Orchester Niederösterreich. Das Publikum honorierte die Qualität der Darbietungen mit viel Applaus. Wie es gute, alte Tradition ist, klang die Sommernachtsgala mit dem „Marsch Nr. 1“ von Edgar Elgar aus.

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Wiener Konzerthaus: Wiener Kammerorchester, Dirigent Julian Rachlin, Cellistin: Raphaela Gromes

Kompositionen: Max Bruch-Kol Nidrei. Camille Saint-Saens – Konzert für Violoncello und Orchester Nr.1. Ludwig van Beethoven: Eroica

„Kol Nidrei“ von Max Bruch basiert auf dem jüdischen Gebet, das am Vorabend des Jom Kipurfestes gebetet wird. Obwohl Max Bruch Protestant war, war er mit jüdischen Gebräuchen vertraut. Der erste Teil ist ein Bußgesang, im zweiten verwendet er Lord Byrons Hymne „Oh Weep for Those that Wept on Babel´s Stream“. Raphaela Gromes gilt als eine der bedeutendsten Cellistinnen der Gegenwart. Ihr Spiel auf einem Cello von Carlo Bergonzi ist weich, innig, voller Wärme. Sie taucht in das Gebet tief ein. Julian Rachlin dirigiert das Wiener Kammerorchester feinsinnig, legt einen lyrisch-innigen Teppich unter das Spiel der Cellistin.

Das „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1″ gehört zu den am häufigst gespielten Kompositionen von Camille Saint-Saens. Gleich zu Beginn wird das Cello ziemlich gefordert. Rasche Wechsel im Tempo, Marsch, Scherzi, dann wieder schlichter „Gesang“. All das verlangt virtuoses Spiel, das Raphaela Gomes meisterhaft beherrscht. Als Zugabe spielte sie das Gebet um Frieden von der ukrainischen Komponistin Hanna Hawrylez „Prayer“. Begleitet von den Celli des Orchesters entwickelte sich ein inniges Gebet mit den immer gleichen Gebetsformeln. Das war wohl einer der Höhepunkte des Abends. Lange Stille, bevor das Publikum applaudierte und Gomes aus der Tiefe dieser Musik zurück in die Wirklichkeit kam.

fOTO. : Dan Porges Getty Images

Beethovens „Eroica“ ist eine sichere Erfolgsnummer in Konzertgeschehen. Für jeden Dirigenten eine große Herausforderung. Julian Rachlin führte das Orchester mit sicherer Hand durch die Höhen und Tiefen Beethovens. Vom Triumph Napoleons hin zum Trauermarsch, die Klage über den Heroen, der sich selbst zum Herrscher krönte. Kriegsgetöse neben Friedenswunsch.

Die thematische Klammer dieses Abends war: Wunsch nach Frieden, vom Publikum dankbar und hefftig akklamiert.

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Konzerthaus: „Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg: Mitglieder der Wiener Symphoniker. Patricia Kopatchinskaja, Joonas Ahonen am Klavier

Die Notenständer der Musiker sind mit Zeitungsfetzen, vielleicht auch Kleiderresten bestückt. Kopatchinkskaja betritt wie immer vom Publikum aus die Bühne, spielt ein wenig mit den Musikern, die noch im Begiff sind, ihren angestammten Platz zu verlassen und im Kreis gehend einen anderen einzunehmen. Das ist Ritual bei Aufführungen mit Kopatchinskaja, die dafür bekannt und vom Publikum geliebt wird, dass sie die traditionelle Form eines Konzertes auflöst.

Sie trägt das traditionelle Pierrot-Kostum und ihr Gesicht ist weiß geschminkt, die Augen schwarz umrandet. Sie wirkt wie ein verlorenes Kind. Doch gleich wird sie zum zornigen Kind, stampft mit den Füßen, gestikuliert wild mit den Armen und schreit, krächzt und grunzt – ja auch diese Töne sind zu hören. Es sind dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds „Pierrot lunaire“ op.21, die Arnold Schönberg vertonte. Diese Vertonung wird allgemein als Schlüsselwerk der musikalischen Moderne angesehen und verursachte bei der Uraufführung 1913 in Prag einen heftigen Konzertskandal. So heftig waren die Reaktionen, dass Schönberg für jede folgende Aufführung eine Zusicherung für störungsfreies Musizieren forderte. Die Kritiken waren heftig, spöttisch bis verletzend. Die wenigen positiiven lobten den Mut der Pierrotdarstellerin Albertine Zehme und ihre eigenwillige Rezitation.

Nun, Skandale gibt es heute nicht mehr. Denn Schönbergs Musik – hier noch nicht atonal – und die Interpretin Kopatchinskaja haben ihre unbestrittene Position im Musikleben. Dennoch: Ich konnte von dem Text kaum etwas verstehen, gerade hin und wieder Wortfetzen. So konnte ich daher nicht nachvollziehen, warum sie fast die Sprachcontenance verliert. Die Musik Schönbergs ging irgendwie bei diesem Artikulationsspektakel unter. „Die Interpretaton der irrealen Pierrotfigur entzieht sich einer gängigen Verstehensroutine“ heißt es im Programmheft. Gut, aber wenn ich nur irrwitzige Laute vernehme ohne auch nur den geringsten Anhaltspunkt, warum gerade geschrien, gekreischt wird, dann fehlt mir der Zugang. Nicht aber das Publikum – ein Teil brach in Begeisterungsapplaus aus.

Den Abend retteten die Zwischenstücke, die Kopatchinskaja unter dem Künstlernamen PatKop komponierte. Da konnten die sechs fantastischen Musiker richtig brillieren.

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Festspielhaus St. Pölten: PROKOFJEW/RACHMANINOW

Tonkünstler-Orchester. Dirigent Hugh Wolff. Am Klavier: Andrei Korobeinikov

Gabriela Lena Frank: „Escaramuza“ für Streicher, Schlagwerk, Harfe und Klavier

Escaramuza bedeutet Scharmützel. Die in Kalifornien 1972 geborene Komponistin spürt in dieser Musik ihren südamerikanischen Wurzeln nach. Quelle ist die Kachampa-Musik aus den peruanischen Anden aus der Zeit vor der spanischen Eroberung. Traditionelle Krieger bringen sich unter den präzisen und stark affektiven Rhythmen in Kampfstellung. In freudiger, tänzerischer Stimmung wärmen sie sich nach einem eindrucksvollen Basstrommel-Solo auf und der Kampf kann beginnen. Ein aufregend-spannendes Stück. Hugh Wolff dirigiert „auf Schlag“, stark akzentuiert und das Orchester übernimmt die Kampfrituale eins zu eins. Franks Musik ist weit mehr als eine „Vorspiel“. Sie kann dem stark emotionalen Klavierkonzert Prokofjews durchaus Parole bieten.

Sergej Prokofjew: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2

Prokofjew ´komponierte dieses Konzert 1912, da war er gerade einmal 21 Jahre jung. Schon das Konzert Nr. 1 war ein riesiger Erfolg, allerdings gingen die Meinungen darüber auseinander. Das zweite sollte ein Riesenskandal, ähnlich der Aufführung von Strawinskys „Sacre du printemps“ werden. Die Menschen verließen scharenweise den Saal. Porkofjwe soll diesen Skandal genossen haben, so erzählt man. Viele meinten:“ Der muss komplett irre sein!“, andere sahen in ihm den Retter aus den „blutarmen und verzärtelten Kompositionen“ ( so der Komponist Nikoai Mjaskovski -zitiert aus dem Programmheft), wie sie die Musiksäle in dieser Zeit überschwemmten.

Bis heute zählt dieses Klavierkonzert zu den großen Herausforderungen für Orchester, Dirigent und vor allem den Pianisten. Der in Russland geborene Andrei Korobeinikov nahm diese Herausforderung mühelos an und raste gemeinsam mit dem Orchester mit geballter Energie durch die Sätze. Hugh Wolff führte souverän durch diese Emotionsbombe, ohne je den Überblick zu verlieren. Vom Pianisten wurden geradezu animalische Kräfte verlangt, die Korobeinikov im Übermaß hatte, musster er nur mit einer Minipause in allen vier Sätzen präsent sein. Er verlangte dem Klavier ein Maximum ab, und es gab Momente, in dem man das Gefühl hatte, Orchester und Klavier rasen in einen Wirbelsturm hinein, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Bei all diesem Kraftaufwand wurde die Musik nie zu „Lärm“, vor dem man davonlaufen oder die Ohren verstopfen wollte, sondern war ein gebündelter, präszis geführter Anschlag auf Herz und Hirn. Die Begeisterung des Publikums honorierte diese Extremleistungen mit viel Applaus.

Sergej Rachmaninow: Symphonische Tänze op.45

Eine Fassung ohne Klavier. Die berühmten „russischen“ Glocken vermisste man auch.

Eine emotionale Steigerung zum vorher Gehörten war unmöglich. Daher wählte man klug eine „Softvariante“ aus. Rachmaninovs Musik klingt zu Beginn verführerisch, man meint sich in Walzerklängen wiegen zu können. Doch von einer Walzerseligkeit ist Rachmaninov weit entfernt, die Musik bleibt „walzerisch“, gerät aber immer wieder durch den häufigen Rhythmus- und Tempowechsel auf Abwege. Die Streicher sind schwer gefordert, die Blechbläser führen das „Dies irae“-Motiv glanzvoll an. Tam-Tam-Schläge lassen die Musik leise „verenden“.

Man darf sich auf eine weitere Zusammenarbeit zwischen Hug Wolff und den Tonkünstlern freuen!

Langer, begeisterter Applaus!

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Theater Akzent: La Bohème – eine Hommage an Charles Aznavour und das französische Chanson

Mit Bela Koreny – Klavier und Moderation, Stella Grigorian, Karl Markovics. Am Bass: Johannes Strasser, Saxophon: Herwig Gradischnig. Akkordeon: Aaron Wonesch

Am 22. Mai 2024 feierte die Gruppe auf den Tag genau den 100. Geburtstag von Charles Aznavour. Bela Koreny erzählte von seiner Begeistrung für Charles Aznavour, den er oft im Konzert erlebte, ihn persönlich aber nie getroffen hat. Routiniert – manchmal ein wenig zu salopp routiniert – begleitete er Stella Grigorian und Karl Markovics am Klavier. Für den authentischen Hintergrundsound sorgten Johannes Strasser am Bass, Herwig Gradischnig am Saxophon und Aaron Wonesch am Akkordeon. Die ehemalige Opernsängerin brachte ihren Mezzosopran wirkungsvoll und manchmal mehr an Operette als an Aznavour-Sound erinnernd zur Geltung. Sie kann halt ihre Divenattitüde nicht ablegen. So gelangen die verschiedenen Chansons – welche, das konnte man leider nicht in Erfahrung bringen, da ein Programmzettel fehlte – zwar musikalisch einwandfrei, aber es fehlte das typische Flair, das ein Aznavour oder eine Edith Piaf hatte. Für „Aznavourerleben in Reinkultur“ sorgte Karl Markovics, der kurze Passagen aus dem Leben des Sängers erzählte, etwa seine Beziehung zu Edith Piaf. Wenn er deutsche Chansons in einem Sprechgesang mit liedhaften Ansätzen vortug, dann spürte man den Geist dieses Ausnahmesängers durch. Ganz stark dann sein Schlussauftritt mit „Ich bin ein Homo“. Aznavour war der erste, der dieses heikle Thema in ein Chanson einbrachte, und es wurde ein Riesenerfolg. So auch im Theater Akzent!! Denn Markovics stieg voll und ganz ein in die Rolle des Travestiten, der von der Gesellschaft verachtet wird. Gänsehautwirkung!

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Wiener Staatsoper – Solistenkonzert: Benjamin Bernheim

Am Klavier begleitete ihn Carrie-Ann Matheson

Der 1985 in Paris geborene Tenor Benjamin Bernheim hatte in kurzer Zeit eine steile Karriere auf dem Opern- und Liedsektor hingelegt. Er gilt als Grandseigneur der französischen Romantik, was er an diesem Abend überzeugend bewies. Melancholie, Sehnen, Ruhe, Mond und Waldesrauschen beherrschten das erste Lied von Charles Gounod.: „L’Absent“ „Die köstliche Stunde“ von Reynold Hahn führte mit viel franzsösichem Parfüm neuerlich in den vom Mond beglänzten Wald, und Benjamin Bernheim machte daraus ein feinziseliertes Panorama. Jauchzend und hoch angesetzt der Schluss: „C’est l‘ heure exquise!“ Den Höhepunkt des romantischen Kunstliedes bildete der Liedzyklus „Poème de l’amour et de la mer“ von Ernest Chausson. Im ersten Lied, „Les fleurs des eaux“ ließ Benjamin Bernheim spielerisch das Meer über den feinen Sand rollen, man spürt benahe die Wellen auf der Haut, um gleich darauf voll die Emotionen aufwallen zu lassen. Mit der Stimmgewalt des Operntenors besang er in seiner Geliebten die Verkörperung der Liebe und der Jugend. In der Romantik muss gleich nach dem Triumph die Wehmut kommen – und Bernheim sang ahnungsvoll den Abschied herbei. Am Ende gab er dem vollen Drama Raum, wenn er von „l‘ angoisse de mon coeur“ sang.Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung heißt es im darauffolgenden Lied „La mort de l‘ amour“: „Wie Tote waren wir erbleicht“. Der Sänger vermied es, daraus ein larmoyantes Drama zu gestalten, sondern hielt die Emotionen bewußt flach und hauchte das Lied in einem kunstvollen Falsett aus.

Nach der Pause wehte mit Puccini ein frischer, dramatischer Wind und Bernheim ließ den Opernsänger aufblitzen. Volle Oper im Lied „Mentia l’avviso“ . Das Meer fasziniert Puccini und Bernheim. In „Terra e mare“ rollen die Wellen des Meeres durch den Raum, Sturm durchwühlt die Wellen. Ja, das kann Bernheim mit seiner Stimme perfekt. Mit gezügeltem Temperament in Stimme und Ausdruck „reiste“ er danach durch Henri Duparcs „L‘ invitation au voyage“. Verzückung und Ekstase blieben nobel angedeutet. Ganz anders dann Richard Strauss. In „Heimliche Aufforderung“ zog Bernheim alle Register seines Könnens: Von flott bis verträumt. Er ließ das Trinkgelage ebenso lebendig werden wie den Rosengarten und scheute sich nicht, die volle Romantik auszusingen: „O komm, du wunderbare, ersehnte Nacht“. Mit warmem Timbre seiner Stimme sang er von „des Glückes stummen Schweigen“ („Morgen“) Und als Abschluss das wunderbare Lied „Cäcilie“: „Wenn du wüßtest, was träumen heißt“ -genau das hatte er dem Publikum an diesem Abend geschenkt: Das Träumen. Mit seiner vielfärbigen Stimme und dem Mut zum schlichten Ausdruck schuf Benjamin einen meditativen Abend. Er musste nicht mit voller Opernstimme paradieren. Bewusst verzichtete er auf Glanz und Gloria. Nicht unwesentlich trug zu seinem Erfolg Carrie Ann Matheson bei. Wie sie mit zarten, fast schmetterlingsgleichen Händen über die Tasten schwebte und den Atem des Liedes und des Sängers stützte, war congenial!

In der Zugabe erlaubte Bernheim sich, sein Publikum mit der vollen Kraft seiner Opernstimme zu beeindrucken:: „Dein ist mein ganzes Herz“ war der fulminante Schluss.

Begeisterter Applaus http://www.staatsoper.at

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Grafenegg: Osterkonzert – „The Erlkings“ mit Liedern von Beethoven und Schubert

„The Erlkings“ – das sind: Bryan Benner-Gesang und Gitarre aus Orleans. Ivan Turkaij-Violoncello aus Zagreb. Simon Teurezbacher: Tuba, aus dem Mostviertel. Thomas Toppler-Schlagwerk und Vibraphon aus der Steiermark. Marcello Smigliante-Gentile: Mandoline, aus Neapel.

Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe verspricht alles nur keine klassische Interpretation der Lieder. Wer die Originale im Ohr hat – vielleicht von Fritz Wunderlich oder Andrè Schuen -, der muss sie schnell vergessen. Denn Countrysong, Folk und Pop spielt gegen Klassik an und gewinnt. Das kapiert man gleich: „Adelaide“ von Beethoven hat nichts mit Romantik und Schmachten zu tun. Man glaubt sich in einem irischen Pub. In „Sehnsucht“ gibts wenig Sehnsucht, eher stampfendes Werben.

Bryan Brenner moderiert vor jedem Song – so nennt er das Lied „An die Hoffnung“ ein „Cowboycountrysong“. Im Effekt endet es wie ein Schlaflied. Harte Takte leiten das „Mailied“ ein, die Musiker stampfen zum Refrain „be happy forever“.

Bryan Brenner ist ein perfekter Entertainer und hat das Publikum in der Hand. Seine Stimme erinnert an die guten Zeiten der Singersongwriters. Manchmal geht dem Ensemble die Begeisterung durch und es wird heftig. Dann Bryan Brenner entschuldigend: „Das war jetzt ein bisserl übertrieben.“

Nach der Pause wagten sich die Erlkönige an Schubert heran. Dazu Bryan Brenner sehr selbstbewusst: „Schubert erlauben wir uns“ . „Auf dem Wasser zu singen“ und „Der Jüngling am Bach“ sind noch von Schubert angehaucht. Gänzlich ausgeflippt erklingt die „Forelle“. Klingen ist das falsche Wort – sie wird vom Ensemble und mit Begeisterung vom Publikum „eingeklatscht“ – Volksfeststimmung macht sich breit. Gespannt ist man auf den „Erlkönig“. Zur allgemeinen Gaudi fordert Brenner das Publikum auf, den „Erlkönig“ aufzusagen – die ersten Zeilen klappen recht gut, der Rest zerrinnt in Gelächter. Und schon legt die Gruppe los: Thomas Doppler spielt Kastagnetten, als würde er Carmens Auftritt vorbereiten – aber statt Carmen reitet der Vater mit dem Kind. Die Tuba (Simon Teurezbacher) sorgt für Gruseleffekt. Und Brenners Erlkönig hat was von einem verführerischen Straßensänger. Doch es geht auch mit mehr Schubert: „Meeresstille“, „An den Mond“ und die „Nähe des Geliebten“ bringen Schuberttöne, das Verlorensein, das vergebliche Hoffen.

Heftig und an die Grenze des Erträglichen gehend erklingt „Gretchen am Spinnrad“: Mit Männererotik und den passenden Hüftrollern interpretiert Brenner die Verliebtheit Gretchens, als „die eines unaufgeklärten Teenagers“ . Bollywoodreife Leistung!

Begeisterung im Publikum!

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TANGO ORCHESTRAL – Richard Galliano, Yukata Sado, Tonkünstler Orchester

Es war eine Hommage an den französischen Akkordeon- und Bandoneonspieler Richard Galliano, tatkräftig unterstützt von den Tonkünstlern, die Yukata Sado mit der bekannt sensiblen Hand dirigierte.

Galliano war mit Astor Piazzolla eng befreundet. Daher machte es Sinn, mit der Komposition Piazzollas „Las Cuatro Estziones portenas“ ( „Die vier Jahreszeiten in Bueonos Aires“) den Abend zu eröffnen. „Der Frühling“ beginnt mit spitzen, kurzen Takten, die dann langsam in den sanften Tangohauch des Frühlings übergehen. Wer schon einmal im November, Dezember in Buenos Aires war, den wird die Musik an den Duft der Lindenblüten und an das Vogelgezwitscher in den großen Parkanlagen erinnern. Darauf folgte „Der Herbst“ – eine Musik voller Tangoschmelz. Schmelz ohne Schmalz – das treffen die Musiker (circa 30-40 Streicher), Sado und Galliano vortrefflich!

Ein typischer Nino Rota folgte: „Konzert für Streicher“ 1. Satz – heiter, leicht, als Teppich für ein Filmgeschehen ideal. Yukata Sado ließ die Streicher schwelgen.

Dann wieder Auftritt Galliano mit der Eigenkomposition „Tango pour Claude“ für Akkordeon und Streicher, gewidmet Claude Nugaro, dem französischen Jazz-Sänger und Dichter und engem Freund Gallianos. In der darauffolgnden Komposition „La valse à Margaux“ zitiert Galliano wieder Astor Piazzolla, der ihn ermutigt hatte, die französische „Musette Neuve“ zu schaffen, so wie er den Tango Nuevo kreiert hatte. Fortsetzung mit Nina Rotas „Konzert für Streicher“ – 2. 3. und 4. Satz, der zärtlich beginnt, sich in die Weite verbreitert und mit einem allegrissimo endet.. Yukata Sado ließ die Streicher brillieren.

Richard Galliano beendete das Konzert mit den Eigenkompositionen „Habanerando“ und „Opale Concerto“. Sado legte einen zärtlich-sanften Teppich unter Gallianos kunstvolles Spiel, während Galliano aus seinem Akkordeon ganz ungewöhnliche Töne zauberte, die zunächst wie leises Echo durch den Raum zogen, hin und wieder wie ein Dialog zwischen Vogelstimmen klangen und in einem leisen Traum endeten.

Geschickt ließ Galliano das Publikum in dieser Traum-Tangostimmung verweilen und spielte als Zugabe „Oblivion“ von Astor Piazzolla. Unterdessen setzte sich Sado auf die Stufe seines Dirigentenplatzes und hört diesem einmaligen Akkordeonkünstler voller Bewunderung zu. Galliano „versank“ geradezu in seinem Spiel. Zwei weitere Eigenkompositionen beendeten diesen wundervollen Abend.

Begeisterter Applaus und standing ovation!

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Wiener Konzerthaus: Il Giardino d’Amore/Fatma Said/Jakob Józef Orklinski/ Stefan Plewniak

Giovanni Battista Pergolesi: Stabat mater

Besetzung: Sopran: Fatma Said, Alt: Countertenor J.J. Orlinski und Il Giardino d‘ Amore mit Stefan Plewniak Violine und Dirigat

„Stabat mater“ von Pergolesi – passt nicht nur als vorösterliches Thema in die Zeit, sondern ganz besonders auch als Memorial an all die Toten der Kriege ringsum in der Welt. Unterstützt vom sanften Dirigat Plewniaks und den Streichern sangen Fatma Said und Jakub Orlinski die Klagen einer Mutter, die ihren toten Sohn im Arm hält, im harmonischen Gleichklang, dann wieder im Solo. Pergolesi komponierte die Klage der Mutter nicht als reinen Trauergesang. Immer wieder strahlt fast eine heitere, leicht tänzerische Melodie auf, die Trost vermittelt. Saids schöner, heller Sopran, in der Höhe genauso sicher und warm wie in der Mittellage, paart sich mit dem Alt des Countertenors. Atemberaubend lässt Fatma Said die Klage in einem langsam verhauchenden „Amen“ ausklingen.

Nach der Pause werden die beiden Zeitgenossen und Musikheroen des Hochbarock einander gegenübergestellt: Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel. Mit „Gelosia“ forderte Vivaldi die Grenzen der weiblichen Stimme heraus – für Fatma Sais kein Problem, die Töne perlen wie frisches Quellwaser von musikalischen Höhen in den erdigen Boden der Wut. In Händels Arie „Lascia che io panga“ gibt sie dem Schmerz eine beseelte Stimme. Ganz auf das Wesen des Countertenors hin hat Händel „Furibondo spira il vento“ komponiert. Orlinski nimmt die Herausforderung locker an und lässt die Koloraturen in den Höhen spielerisch leicht glänzen. Das Publikum dankte mit Beifallsgetöse.

Danach noch eine Steigerung: Stefan Plewniak und die erste Geigerin Ludmila Piestrak spielten den 2. und 3. Satz des „Concerto in a-moll RV 522 von Antonio Vivaldi. Plewniak im schwarzen Gewand erinnerte an einen Priester, der sich mit dem Teufel verbunden hat: So muss Vivaldi, der prete rosso, auf seine Schülerinnen und sein Publikum gewirkt haben: Wie im Rausch steigerte Plewniak das Tempo zu einer Art Höllenfahrt und nahm seine congeniale Partnerin mit. Jubel im Publikum! Und ein da Capo dazu: Ähnlich rauschhaft der 1. Satz des Concerto D-Dur, RV 208. Dann innig und intensiv: Fatma Said in der Rolle des Farnace aus der gleichnamigen Oper von Vivaldi: „Gelido in ogni vena“. Zu Boden sinken der Countertenor und alle Musiker, während er die Arie des Anastasio aus der Oper „Il Giustino“ (Vivaldi) „Ich fühle es in meiner Brust“ singt. Ein ironischer Spaß? Gemeinsam singen sie die Arie aus der Oper „Rinaldo“ von Friedrich Händel und werden vom Publikum mit Schreiapplaus und standing ovation belohnt.

Mit diesem Konzert ging das „Porträt Fatma Said“ zu Ende.

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Wiener Konzerthaus: Patricia Kompatchinskaja & Friends: „Dies irae“

Mit „Colloredo“ und „Company of Music“. Einstudierung: Johannes Hemetsberger. Michael Wendeberg: Klavier, Orgel, Cembalo. Patricia Kompatchinskaja: Violine, Idee, Künstlerische Leitung.

„Warum nur spielen, was wir wissen und verstehen. Besser nach vorne schauen und auf Neues stoßen“, schreibt Patricia Kompatchinskaya auf ihrer Homepage als Motto ihrer künstlerischen Tätigkeit. Das gilt auch für die Zuhörer und ganz besonders für die Rezeption der Aufführung“Dies irae“.Man konnte den Analysemotor abschalten und sich einfach auf das Geschehen einlasssen, das aufregend, spannend und total neu für einen Konzertabend war.

Noch hat das eigentliche Konzert nicht begonnen und doch ist man schon mitten drin. Blaues Licht im Saal, dumpfe Glockenschläge, Tritte von marschierenden Soldaten – man wird von Giacinto Scelsis „Okanogon“ (1968), als Tonaufnahme abgespielt, empfangen. Dann betritt Kompatchinskaja die Bühne, sie wirkt wie eine Teufelsgeigerin auf leerer Landstraße. Sie spielt so lange, bis alle aus der „Truppe“ sie einholen. Die Verzauberung durch die Teufelsgeigerin kann beginnen: Abwechselnd werden Kurzkompositionen von George Crumb (1929-2022) und Heinrich Ignaz Biber (1674 – 1704) gespielt. Die Musiker sitzen nicht festgenagelt auf ihrem Platz, sondern bewegen sich auf der Bühne tänzerisch-spielerisch. „Battalia“ (Schlacht) von Biber mischt sich mit Devil Music von Crumb, bei einer Jimmy Hendrixeinlage kreisen wilde Hornissengeigentöne durch den Saal. Zur“ Crucifixus – Improvisation“ von Antonio Lotti ( 1667-1740) tragen Musiker einen offenen Holzsarg durch die Saalmitte, der später als Echokammer für Hammerschläge dient. Kopatchinskaja stellt in diesem Konzert die Hauptfrage, die alle angeht: Wie viel Zeit haben wir noch, bevor die Natur sich rächt und alle Leben auf der Erde vernichtet sein wird?“ Eine Frage, die schon in dem Gregorianischen Hymnus „Dies irae“ gestellt wurde und von Galina Ustwolskaja (1919-2006) neu vertont wurde. Aufwühlend, atemberaubend endet dieser Abend mit dem Einzug der Trompeter von Jericho, die einst die Stadt zu Fall brachten.

Begeisterter und langer Applaus für die alle Musiker und Musikerinnen, ganz besonders für Patricia Kompatchinskaja.

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Volksoper: West Side Story

Idee und Buch: Jerome Robbins und Arthur Laurents, Musik: Leonard Bernstein, Gesangstexte: Stephen Sondheim

Regie: Lotte de Beer, Choreographie: Bryon Arias, Bühne: Christopf Hetzer,Kostüme: Jorine van Beck, Dirigent: Ben Glassberg

„I like to be in America“ – mit diesem Song ist das Hauptthema des Musicals angegeben. Einwanderer aus Puerto Rico wollen als Amerikaner akzeptiert werden und ihren Traum vom Eigenheim und friedlicher Koexistenz verwirklichen – im wunderbaren Song „Somewhere there is a place for as“ in einer erträumten Idylle vertont.. Doch wo schon andere den Platz und das Lebensrecht beanspruchen, kommt es unweigerlich zu Konflikten. Aktuell zu erleben: der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern. In der Literatur dramatisiert in „Medea“ von Euripides, Grillparzer und anderen, besonders aber von Shakespeare. Die aktuelle Aufführung folgt in groben Zügen dem Drama Shakespears „Romeo und Julia“, heruntergebrochen auf die Kämpfe zwischen den Straßengangs. Die Jets unter ihrem Anführer Riff (beeindruckend Oliver Liebl) wollen die „Sharks“, die aus Puerto Rico eingewandert sind, nicht dulden. Das Viertel gehört ihnen. In einer Straßenschlacht soll die Entscheidung fallen.. In atemberaubenden Choreographien (Bryon Arias) entwickelt sich ein mörderischer Kampf, in dem Tony (Christof Messner) versucht, Frieden zu stiften, aber selbst zum Mörder wird. Man kommt aus dem Staunen über die unwahrscheinliche Kraft und Gewalt, mit der diese beiden Gangs aufeinander losgehen, nicht heraus. Eine Szene ist stärker, intensiver als die andere. Man erfährt im Programmheft, dass Bryon Arias aus so einem gewaltbereiten Viertel in Puerto Rico stammt und gerne bei so einer Gang dabei gewesen wäre. Doch die Mutter hatte anders entschieden und ihn in die Ballettschule geschckt. So ist erklärbar, warum die Kampfszenen eine derartige Dichte und Heftigkeit bis fast zur Unerträglichkeit entwickeln, etwa die Vergewaltigung Anitas. Myrthes Montero gibt dieser Figur durch ihre Bühnenpräsenz und tolle Stimme Stärke und Ausstrahlung.

Die Liebesgeschichte zwischen Tony und Maria (stimmgewaltig Jaye Simmons) ist der zweite Strang des Geschehens. Manche mögen sich unter den beiden Figuren (in Erinnerung an den Film, der seit der Uraufführung 1961 immer wieder einmal zu sehen war) vielleicht andere Typen vorgestellt haben als die beiden, etwas bieder wirkenden. Aber ihr Aussehen passt punktgenau in die Rolle, die ihnen zugeschrieben wird: Sie wollen anders sein als all die Gewaltbereiten, weit weg gehen und ein bürgerliches Leben führen. Ihr schwärmerischen Liebesduette gehen zu Herzen und bilden einen Gegenpol. Wie schon bei Shakespeare siegt auch in dieser Story der tödliche Hass.

Begeisterter und langer Applaus, besonders für Jaye Simmons, Myrthes Monteiro, Christof Messner und Oliver Liebl. Ganz besonders viel Applaus für die gesamte Tanztruppe! Anerkennungsapplaus für Ben Glassberg, der mit Verve dirigierte.

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Festsoielhaus St. Pölten: Tonkünstler Orchester: Bruckner 7. Dirigent Yutaka Sado

Es gibt Momente im Leben, in denen „die Dinge …positive Eigendynamik annehmen.“ Diese Erfahrung „findet in der siebten Symphonie von Anton Bruckner eine Kristallisation dieses allem menschlichen Leben innewohnenden Phänomens“. So Klaus Laczika im Programmheft und ähnlich auch in der Einführung zu diesem Abend. Als Bruckner die siebte Symphonie komponierte (1881-1883), war er in einem schwebenden Zustands der Zufriedenheit. Was deutlich zu spüren ist, insbesondere wenn Yutaka Sado die Tonkünstler dirigiert. Sado hat sich die Musik Bruckners (und in logischer Folge die Mahlers) zu eigen gemacht. Die innige Verbundenheit mit ihr war an diesem Abend wieder einmal deutlich zu spüren.

Das Allegro moderato beginnt wie eine Musik aus den Tiefen des Traumes geholt, losgelöst von jeglichen Alltagssorgen. Man ahnt den zukünfigen Komponisten Gustav Mahler, der in seinen Symphonien von diesem musikalischen Giganten stark beeindruckt war. Nach einer wahrhaftigen Himmelsfahrt , aus der die Verehrung für Wagner herauszuhören ist, leitet Bruckner zum Adagio über, das er, den Tod Richard Wagner vorausahnend, als Trauermusik komponierte. Trotz der schrecklichhen Erfahrung des Ringtheaterbrandes am 8. Dezember 1881 schrieb er wie in Trance eine sanfte Musik, in der er auch die Tuba, die Wagner eigens für seine Kompositionen bauen ließ, verwendete. Nach einem machtvollen Anklang an sein „Te Deum“ und einem schwingenden, fast fröhlichen Teil klingt das Adagio aus. Scherzo und Finale „sind „harmonischen Experimenten gewidmet“ (Klaus Laczika im Programmheft) und klingen mit schwebender Fröhlichkeit aus.

Wieder einmal hat sich bestätigt: Wenn Yukata Sado dirigiert, genießt man ein besonders intensives Musikerlebnis. Ohne Eitelkeit und bombastische Gesten führt er das Orchester und dringt gleichsam in die feinsten verborgenen Muskeln der Komposition ein. Und das Orchester folgt ihm im vollen Vertrauen. Gemeinsam schaffen sie jedes Mal ein unvergessliches Musikereignis! Um so betrüblicher ist es, dass Yukata Sado mit dieser Saison das Orchester verlässt.

Begeisterter Applaus

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Konzerthaus: ORF Radio-Symphonieorchester: Debussy, Ravel und Mahler.

Dirigentin: Marin Alsop, Sopran: Louise Alder

Claude Debussy: Prélude à l`après – midi d’un faune

Debussy war von Stéphane Mallarmés Gedicht „L´après -midi d`un faune“ so beeindruckt, dass er es in Musik umsetzte. Als Mallarmé sie hörte, war er schwer beeindruckt und meinte sogar. dass Debussy die Themen Schwermut, Sehnsucht und Schmerz noch besser in Töne umgesetzt hätte als er in Worte. Durch das feinsinnige Dirigat von Marin Alsop, die den Flöten genug Raum lässt, entstanden Stimmungsbilder zwischen Traum und Wirklichkeit.

Maurice Ravel: Shéhérezade. Vertonung von Gedichten von Tristan Klingsor. Sopran Marin Alder

An Stelle von Fatma Said, die kurzfristig krank wurde, sprang die junge Sopranistin Louise Alder als Liedinterpretin ein. Mir ihrem feinen, in allen Lagen sicheren Sopran führte Louise Alder das Publikum in die duftende und verträumte Welt des orientalischen Märchens, sensibel und kongenial geleitet von Marin Alsop. Leider mangelte es der Sängerin an Wortdeutlichkeit. Aber der Zauber ihrer Stimme ließ diesen Mangel vergessen.

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4, Sopran: Louise Alder

Diese Symphonie ist voll von romantischen Zitaten und Symbolen aus der deutschen Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“, zusammengestellt von Achim von Arnim und Clemens Brentano. Mahler verwendet Themen aus der Romantik, der Volks- und Militärmusik und macht daraus eine ganz eigenwillige, neue, nie zuvor gehörte Musik. Genau so empfanden es wohl alle Zuhörer an diesem Abend; Man hörte einen Mahler, den man so noch nie gehört hatte: Manch einem mag der Gedanke gekommen sein, dass Marin Alsops feinsinniges Dirigat dieses Wunder vollbrachte. Sie ließ der Stille ihren Raum, hob die einzelnen Instrumente klar heraus, besonders die Flöten und Bläser. Führte sie im 3. Satz zusammen mit den Geigen zu einer Musik des Paradieses. Auch im Finale bleibt sie der Romantik verpflichtet. Am Ende der Symphonie leitet Gustav Mahler zum Lied „Das himmlische Leben“ (aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“) über. Es störte schon nicht mehr, dass Louise Alder die Worte ineinander verwebte. Denn der fein gewebte Klangteppich, in den Marin Alsop den Text bettete, hatte das Publikum bereits sinnlich umfangen.

Langer und begeisterter Applaus für Orchester, Dirigentin und Sängerin!!

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Konzerthaus Wien: Fatma Said -Reise durch die Welt der Lieder

Am Klavier: Joseph Middleton

Die aus Ägypten stammende Sängerin Fatma Said ist in dieser Saison die Protagonistin der „Porträtreihe“. Bei ihrem ersten Konzert „A Sense of Mosaic“ im November stellte sie sich mit unbekannten Liedern von Brahms. Camille Saint Saens, Francis Poulenc und vielen anderen vor und begeisterte das Publikum.

Nun also setzte sie ihre Reise durch die Welt der Lieder fort. Sie begann mit Mozartliedern. Die Miniaturen waren eine Herausforderung, der sie anfangs nicht so ganz gewachsen war. Zuweilen kratzte die Höhe. Erst im dritten Lied „Männer suchen stets zu naschen“ fand sie den richtigen Ton und brillierte mit dem humorvollen Schluss. Die Schubertlieder waren mehr ihr Terrain – „Der Tod und das Mädchen“ wurde zu einer schlichten, berührenden Miniatur. In den „Nachtviolen“ zauberte ihre Samtstimme Seligkeit und Frühlingsluft. „Ganymed“ wurde zu einem Bekenntnis der ungezügelten Leidenschaft. Schumanns „Widmung“ an seine Frau Clara wurde zu einem innigen Liebesbekenntnis.

Nach der Pause begeisterte sie das Publikum mit „canciones populares“ von Manuel de Falla, darunter besonders intensiv das Wiegenlied „Nana“ und „Tus ojillos negros“ -„Deine schwarzen Augen“ Zart, nur angehaucht gelang das Lied „Del cabello mas sutil“ („Vom feinsten Haar“). Von der Kraft des Gesanges kündete das Lied „Gib mir eine Flöte und sing“ von Najib Hankash – ein fast träumerisches Bekenntnis zu der Kraft der Musik, insbesondere des Liedes. Joseph Middleton war ein einfühlsamer Begleiter am Klavier.

Weitere Termine:

29. Jänner 2024/ ORF Radio Symphonieorchester Wien: Mahler 4. S<mphonie, Sopransolo: Fatma Said

2. März 2024: Il Giardino d‘ Amore und Fatma Said: Arien von Vivaldi und Händel

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Wiener Konzerthaus: Nikolaus Habjan: „Abpfiff 2023“

Oboe: Sebastian Breit, Akkordeon: Tobias Kochseder, Violoncello: Eduardo Antiao, Klavier: Ines Schüttengruber

Gemeinsam mit den vier Musikern kommentierte und pfiff Nikolaus Habjan Arien von Mozart, Rossini, Schubert, Beethoven, Verdi. Milhaud, Dvorak u.a.

Es wurde kein Rückblick über 2023, sondern ein echter Ab-Pfiff: Das Jahr soll abgehen, es war nicht immer schön. Deshalb soll der vorletzte Abend der heiteren Muse gehören. Diesmal brachte Habjan keine Puppen mit, sondern sein Talent zum Kunstpfeifen und vier tolle Musiker. Humorvoll und mit einer kleinen Dosis Respektlosigkeit vor manchem unsinnigen Libretti, kommentierte er jeweils vor jedem „Pfiff“ Sinn und Unsinn der folgenden Arie. Gleich zu Beginn amüsierte er das Publikum mit der Arie des Cherubin aus der „Hochzeit des Figaro“ von W.A.Mozart und meinte dazu: „Es ist die Arie eines voll pubertierenden Knaben, der ganz verrückt nach gleich zwei Frauen ist“: „Voi che sapete“. Das Faszinierende an Habjans „Pfiffarien“ ist, dass man die Figur, die Situation und das Ambiente der jweiligen Arie auch ohne Worte miterlebt. Was vorausseetzt, dass das Publikum opernaffin ist. Der vollbesetzte Mozartsaal und der jeweils begeisterte Applaus zwischen den Arien ließen dies vermuten. Von heiter bis romantisch pfiff Habjan dem Publikum die Ohren voll. Unter den gewählten Arien war auch das berühmte „Lied an den Mond“ aus der Oper „Rusalka“ von Anton Dvorak. Das war hohe Kunst, dieses Sehnsuchts- und Liebeslied, das zu den innigsten dieser Gattung gehört, nicht zu verpfeifen. Habjan pfiff sich in die leisen, ganz leisen, dann auch sehr hohen Töne der Arie hinein und versetzte das Publikum direkt an den Teich, an dem der Prinz und Rusalka im Kuss gemeinsam in den Tod gehen. Begleitet von allen vier Musikern mit Innigkeit und Zartheit.

In Kurzfassung brachte er dem Publikum die Gemütslage des verliebten Müllersburschen aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert näher: Der Verliebtheit des Burschen haftet nichts Tragisches an, es ist nur jugendliche Schwärmerei, die bald vergehen sollte. Deshalb pfiff Habjan den Vogelgesang als heitere, tröstliche Begleitung.

Geschickt verquickte er die verschiedenen musikalischen Interpretationen der Orpheusgestalt, pfiff mit Innigkeit die seelenvolle Arie aus Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“ „Ach, ich habe sie verloren“ und kontrastierend die Arie der Eurydike aus Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ : „Der Tod will mir als Freund erscheinen“ („Eurydike findet die Ehe mit Orpheus langweilig, da haut sie lieber mit dem Gott der Unterwelt ab“ – so Habjan). Besonders soll nochmals das Spiel der vier Musiker hervorgehoben werden, die in den „Erholungspausen“ Habjans das Publikum mit Musik von Bach, Wunderer und anderen Komponisten begeisterten.

Das Publikum bejubelte Nikolaus Habjan und seine Musiker mit langem und begeistertem Beifall. Als Zugabe pfiff er die Arie der Rosina aus Rossinis „Barbier von Sevilla“. Dann wünschte er einen guten Rutsch ins Jahr 2024.

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Musikverein Wien: Andrè Schuen, Lieder von Schubert und Mahler

Am Klavier: Daniel Heide

Andrè Schuen ist auf dem internationalen Musikparkett längst kein Unbekannter mehr. 2023 sang er in der Wiener Oper und bei den Salzburger Festspielen in Mozarts „Le nozze di Figaro“ beide Male den Grafen Almaviva und jüngst war er als Schwanda, der Dudelsackpfeifer im Museumsquartier (Theater an der Wien) in einer wenig geglückten Inszenierung zu erleben. Man spürte ganz deutlich, dass ihm diese Rolle nicht behagte.

Strahlkraft und Sinnlichkeit seiner Stimme kommen am besten im Liedgesang zur Geltung. In der congenialen Begleitung des Pianisten Daniel Heide war er im Frühjahr im Konzerthaus mit seiner Interpretation der „Schönen Müllerin“ von Franz Schubert zu hören. Ein tiefes Erlebnis, das in Erinnerung bleibt.

Nun also am 16. Dezember im ausverkauften Brahmssaal des Musikvereins. Vom ersten Ton an lebt Schuen in der Musik, steigt tief in das Lied ein, lässt sich auf die existentielle Ebene ein, begleitet von dem sensiblen Pianisten Daniel Heide. Am Beginn standen die „Vier Lieder eines fahrenden Gesellen“. Darf man heutzutage noch den Begriff „Inbrunst“ verwenden? Egal – Schuèn sang sie mit Inbrunst, drang mit seinem vollen, weichen Bariton bis in die Tiefen der Existenz ein. Mit Mut zur Dramatik sang er das Universum Mahlers, besonders intensiv etwa das Lied „Ich hab`ein glühend Messer“ , bei dem sein Bariton tief in den Bass hineinreichte. Mt der Auswahl der Mahler- und Schubertlieder bewies Schuen das Gespür für die tiefe Tragik, die beide Liedkomponisten miteinander verband. Auch Querverweise und Übergänge von einem Komponisten zum anderen wurden deutlich.

Für Schubertlieder ist Schuens Vortragskunst ganz besonders ideal. Mit der sensiblen Klavierbegleitung Daniel Heides und seinem samtig-weichen Bariton gestaltetet er die Lieder zu einem Lebensbild des Komponisten, lässt vergebliche Hoffnungen und flüchtiges Liebesglück spürbar werden.

Ein großer, berührender Abend abseits des allgemeinen Musik- und Medienrummels!! Als Zugabe sang Schuen zuletzt ein ladinisches Volkslied aus seiner Heimat Südtirol. Langer, begeisterter Applaus!

www.andreschuen.com und www.musikverein.at

Volksoper Wien: „Lass uns die Welt vergessen“ Volksoper 1938

Ein Auftragswerk zum 125. Geburtstag der Volksoper Wien. Buch von Theu Boermans unter Verwendung der Operette „Gruss und Kuss aus der Wachau“ von Jara Benes, Hugo Wiener, Kurt Breuer und Fritz Löhner – Beda

Karen Kagarlitsky dirigiert die Originalmusik der Operette, sowie zusätzlich Musik von Arnold Schönberg, Viktor Ullmann, Gustav Mahler und eigene Kompositionen.

Selten noch hat eine öffentliche Institution so akribisch, ehrlich und aufwühlend die eigene NS-Vergangenheit beleuchtet. Dem Dreigespann Theu Boermans (Inszenierung), Bernhard Hammer (Bühnenbild) und Anjen Klerks (Video) gelang ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Mit dem Spiel auf drei Ebenen, die der Probenarbeit zur Operette, zeitgleich mit dem politischen Geschehen „draußen“ und dem Einblick in die Privatatmosphäre aller Beteiligten entstand eine minutiöse Zusammenschau zeitgleicher Ereignisse, die einem manchmal den Atem verschlug.Wie oft hat man schon die Geschichte um den Einmarsch der Hitlertruppen, den Auftritt Hitlers auf dem Heldenplatz und die jubelnden Massen in kurzen Wochenschauausschnitten gesehen! Und wie oft schon davon gehört, gelesen. An diesem Abend jedoch wird man miteinbezogen. Man sieht Hitler am Heldenplatz, die jubelnde Menge und davor die Menschen, die in Furcht ihre Abreise vorbereiten. Starke Szenen wie die, in der die Witwe Bründl (Ulrike Steinsky) die Schönheit der Wachau besingt und sich der jüdische Souffleur Osip Rosental erhängt (beeindruckend Andrea Patton), wird man so schnell nicht vergessen. Während Österreich Schritt für Schritt seine Unabhängigkeit verliert – ebenfalls in Videos eingespielt-, deklariert sich die Hälfte des Volksopernensembles als begeisterte Nazis und übernimmt die Führung im Theater. Nun heißt es: Widerstand oder sich fügen. Wie entscheiden sich die einzelnen Mitglieder? Schnell heißt es : Kunst geht über Politik. Dass aus dem heiter-witzigen Operettenstück im Laufe der Proben unter Naziführung bald der größte Kitsch wird, kann man plastisch miterleben. Ein starkes Ende lässt das Publikum erstarren: Vorne spielen sie das ktischig-fröhliche Finale der Operette, im Hintergrund sehen die K-Insassen auf die unbekümmert – heitere Szenerie herab. Aus dem Off singt Hugo Wiener, der nach Bogotà fliehen konnte: „Im Prater blühen wieder die Bäume“. Der begeisterte Applaus galt den durch die Bank hervorragenden Leistungen der Schauspieler, vor allem aber dem Team der Inszenierung und der Dirigentin. Nicht unerwähnt bleiben soll die akribisch wissenschaftliche Aufarbeitung und Hilfe von Marie Theres Arnbom, Direktorin des Österreischischen Theatermuseums. Das ausgezeichnete Programmheft liefert viele zusätzliche Hintergrundinformationen zur Entstehung des Stückes und zu biografischen Details der an der Operette beteiligten Künstler. Und einmal mehr muss dankbar angemerkt werden: Es ist eine Aufführung frei von didaktischem Erziehungswillen.

www.volksoper.at

Theater Akzent: The Tiger Lillies‘ Christmas Carol: A Victorian Gutter

Martyn Jacques: Erzähler, Akkordeon, Klavier. Adrian Stout: Scrooge, Bass, diverse Instrumente wie singende Säge, Budi Butentop: Percussion und Gesang

Die Geschichte vom Geizhals Scrooge und seiner Verwandlung in einen Menschenfreund hatte 2021 in London Première und war gleich ein Riesenerfolg. Ebenso im ausverkauften Theater Akzent. Das Bühnenbild war eine Mischung aus Marionettentheater und Cabaret und zauberte Weihnachtsstimmung mit Augenzwinkern in den Saal. Die drei Sänger erinnerten an Figuren aus Brechts „Dreigroschenoper“. Martyn Jacques als genialer Bänkelsänger erzählte die Geschichte, mal begleitete er sich am Klavier, mal mit dem Akkordeon. Mit beißendem Humor – so weit man den Text mitbekam – erzählte er von den hungernden Straßenkindern in London, von der menschlichen Kälte des Geizhalses, die erst schmilzt, wenn ihm Sterben in totaler Einsamkeit angedroht wird. Alles ohne didaktischen Unterton, die „Moral von der G´schicht“ war in pures musikalischens Vergnügen verpackt. Man schmunzelte, forschte aber zugleich in seinem Innersten nach, wie es da um die eigene Menschenfreundlichkeit steht.

Das Publikum dankte mit frenetischem Applaus und standing ovations. So manche einer – wie auch die Schreiberin dieser Zeilen – hätte sich Übertiteln gewünscht. Denn man konnte das meiste nur erraten, der feine, hinterlistige Humor der Gruppe blieb leider oft auf der Strecke.

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Wiener Konzerthaus: Plattform K & K Vienna. Fatma Said: „A Sense of Mosaic“

K&K steht für Kirill Kobantschenko, den Primgeiger der Wiener Philharmoniker und Gründer der Plattform, die sich als „Hommage an die kaiserlich-königliche Musiktradition versteht“ (Zitat aus Programm). Kirill Kobantschenko: Violine, Petra Kovacic Violine, Michael Strasser Viola, Florian Egger, Violoncello, Bartosz Sikorsi Kontrabass, Christoph Eggner Klavier.

Fatma Said, geboren in Kairo, erhielt schon zahlreiche Auszeichnungen in der Kategorie Lied und ist auf dem Weg zu einer internationalen Karriere. In der Saison 2023/24 ist sie Porträtkünstlerin des Wiener Konzerthauses. Das Programm war voller Überraschungen. Die größte Überraschung aber war die junge Sängerin! Mit ihrem warmen Sopran, der in den Tiefen wie in den Höhen gleichermaßen rein und verführerisch klang, bezauberte Fatma Said sofort das Publikum.

Zum Auftakt gab es von Richard Strauss die Suite „Der Rosenkavalier“, bearbeitet von der Plattform K&K Vienna. Mit ungezähmter Spielfreude überschütteten die Musiker das Publikum mit den bekannten Motiven aus besagter Oper und gaben damit auch das Thema des Abends vor: heitere Melancholie. das Lebensgefühl um 1900. Fatma Said „sang sich ein “ mit Liedern von Brahms (Ophelia Lieder). Mit „Violons dans le soir“ von Camille Saint-Saens verführte sie das Publikum mit ihrem weichen Sopran, der bis ins Mezzo reicht. Mit ihrem romantisch – minimalistisch, fein ziselierenden Stil formte sie aus jedem Lied eine Miniatur-Kostbarkeit. Dies kam besonders stark in dem Lied des ägyptischen Komponisten Sherif Mohie El Din „Against whom?“ zur Geltung. Von Pianissimi steigerte sie sich zu klangvoller Dramatik. Im Lied „Les chemins de l‘amour" von Francis Poulenc erklangen die „chemins de l’amour“ wie hauchzarte Liebesversprechen. Zum Abschluss sang Fatma Said zwei Songs von George Gershwin: „Sommertime“ und „By Strauss“ und zeigte sich von der humorvollen Seite.

Die Musiker der K&K Plattform Vienna spielten mit vollem Steicherklang von Ottorino Respighi die Suite Nr.3, übten sich in einem Tango von Astor Piazzolla: „Invierno porteno“ – wobei man ein wenig das Bandoneon vermisste – und griffen in die volle Dramatik bei den 3 Stücken von Manuel de Falla „Introduccion“, „El sombrero de tres picos“ und „Danza ritual del fuego“.

Als Zugabe sang Fatma Said den bekannten Song „Somewhere over the Rainbow“ von Harold Arlen.

Man darf auf die nächsten Liederabende mit Fatma Said am 11. und 29. Jänner 2024 im Wiener Konzerthaus gespannt sein.

www.konzerthaus.at

Grafenegg stellt Saisonprogramm 2024 vor

Die Sommersaison in Grafenegg findet 2024 vom 20. Juli bis 8. September statt. Die Neuigkeit: Die Reitschule wird erweitert und 2026 unter dem neuen Namen Rudolf Buchbinder Saal“ eröffnet. Die traurige Nachricht: Yutaka Sado wird heuer zum letzten Mal die Festival-Eröffnung (16. August) dirigieren. Am Programm: George Gershwin und Arnold Schönberg. Er verlässt mit 2024 die Tonkünstler. Ihm folgt Fabien Gabel, der am 23. August das Abendkonzert dirigieren wird. Composer in Residence wird Enno Poppe sein. Er wird am 28. August sein neues Werk „Strom“ dirigieren.

Für Gäste, die Übernachtungsmöglichkeiten suchen, werden neben den schon bestehenden Hotels neu B&B in den umliegenden Kellergassen angeboten.

Das ganze Programm im Detail: www.granegg.com

Konzerthaus: Cleveland Orchestra, Simon Keenlyside, Franz Welser-Möst: Gustav Mahler, Lieder und 7. Symphonie

Sechs ausgewählte Lieder, Bearbeitung für Bariton und Orchester von Luciano Berio, interpretiert von Simon Keenlyside

Gustav Mahler wurde in dieser Woche hoch gefeiert: Die Tonkünstler spielten unter Yudaka Sado im Festspielhaus St. Pölten und im Musikverein die 6. Symphonie (s. den Beitrag dazu auf dieser Webseite).

Und nun also Gustav Mahler im Konzerthaus. Im ersten Teil faszinierte Simon Keenlyside als Liedinterpret. Die von Luciano Berio bearbeitete Fassung der 7 ausgewählten Lieder ist keine Neuinterpretation, sondern eine stärkere Betonung der expressionistischen Elemente . Für den Sänger keine leichte Aufgabe. Simon Keenlyside ist bekannt, dass er Lied oder Arie mit exzellenter Wortdeutichkeit und völlig akzentfrei singt, dabei spiegelt sich der Sinn des Liedes in seiner Körpersprache, Gestik und Mimik ebenso wider wie in seinem Gesang. Die 7 ausgewählten Lieder stammen aus der von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellten Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, von denen Mahler 24 vertonte. Sieben interpretierte Keenlyside an diesem Abend. Leicht und spielerisch brachte er die ersten beiden Lieder „Frühlingsmorgen“ und „Ablösung vom Sommer“ vor, die Tragik des Soldatenlebens in „Revelge“ lag dem Bariton besonders gut. Doch auch die feine, zarte Romantik im „Urlicht“, in dem bekannte Melodien, die für Mahler so markant sind, zitiert werden. Begeistern konnte er auch in den letzten beiden Liedern „Rheinlegendchen“ und „Hans und Grete“, die er mit dem für das Volkslied typischen Humor vorbrachte. Welser-Möst leitete das Cleveland Orchestra mit feiner Zurückhaltung. Für die ausgezeichnete Interpretation gab es ausführlichen Beifall.

Gustav Mahler, 7. Symphonie

Nach der Pause war es vorbei mit Zurückhaltung. Der volle Einsatz vom Orchester und Dirigenten war verlangt. Und Welser-Möst schonte weder sich noch das Orchester. Ähnlich wie in der 6. Symphonie komponierte Mahler die Untergangsstimmung dieser Zeit, nur legte er die Themen noch collagenhafter an. Die zu entwirren und zu einem klanglichen Ganzen zusammenzuführen, war die grandiose Misterleistung des Dirigenten und des Orchesters. Wie schon in der 6. verwendete Mahler auch in der 7. Herdenglocken, dazu noch Mandoline und Gitarre. Die Vielfalt der Themen zu strukturieren und in präziser Form zu spielen, die Steigerung und Spannung bis zum furiosen und nihilistischen Ende durchzuhalten, gelang Orchester und Dirigenten bis zum tosenden und tobenden Schluss.

Der Schlussapplaus brach orkanartig los und endete in standing ovations.

Anzumerken ist noch: Welser-Möst, der ja krankheitshalber alle Operntermine absagte, versprach alle Termine im Zyklus „Welser-Möst im Konzerthaus“ einzuhalten.

www.konzerthaus.at

Festspielhaus St. Pölten: Gustav Mahler, Symphonie Nr.6. Judaka Sado dirigiert die Tonkünstler.

Wenn Judaka Sado die Tonkünstler dirigiert, dann weiß man am Ende, Mahler noch nie so aufregend gehört zu haben.

Gustav Mahler gab der 6. Symphonie den Beinamen „Tragische“. Er komponierte sie im Sommer 1903/04, als die tragischen Ereignisse seines Lebens noch in der Ferne lagen. Es war wohl eine Art prophetische Ahnung, die allgemein herrschende Untergangsstimmung dürfte er gespürt haben. Als er 1906 die Uraufführung dirigierte, war das Publikum begeistert, die Kritiker weniger. Sie fassten ihr Urteil mit der Frage zusammen: Wozu der Lärm? (Zitat Ute van der Sanden, die vor Beginn die Einführung hielt)

Judaka Sado ist ein Dirigent, der aus dem „Lärm“ wundervolle Strukturen entstehen lässt. Gebannt hört man ihm zu, bewundert seinen körperlichen Totaleinsatz. Er ziseliert die Strukturen, lenkt die 112 Musiker mit Feingespür durch diese gewaltige Komposition. Anders als so manch selbstverliebter Dirigent, stellt er sich ganz in den Dienst des Komponisten, erarbeitet die musikalische Architektur dieses Monumentalwerkes klar heraus.

Im ersten Satz ertönt die von Mahler so gern eingesetzte Marschmusik, begleitet von einem schwungvollen Seitenthema und dem Klang der Herdenglocken, die für Mahler „Symbol für extremste Weltferne, Entrücktheit und Nähe zu Gott“ (Programmheft) sind. Sado führt die Musiker markig und draufgängerisch durch diesen 1. Satz bis zum pompösen Schluss. Spannung pur. Langeweile kommt keine Sekunde auf, schon gar nicht im nachfolgenden Scherzo. Hier arbeitet Sado die ironische Komponente deutlich heraus: betulich, „altväterisch“ – so Mahlers Angabe. Man darf schmunzeln. Überirdisch fein dirigiert er die Musiker durch das Andante. Man versinkt in der Romantik und möchte daraus nicht aufwachen. (Die Schwärmerei sei entschuldigt, aber so war es!). Im Finale glaubt man sich in die Filmmusik eines Thrillers versetzt: Das Unheil schleicht sich an, droht immer heftiger. Zwei Hammerschläge (ein riesiger Holzhammer wird auf eine Holzkiste gedonnert, genau nach Anweisung des Komponisten) verkünden das Unausweichliche, die Zerstörung triumphiert mit einem letzten Hammerschlag. Auch wenn aus der Ferne die Glocken erklingen – die Hoffnung hat keine Chance.

Als sich Yutako Sado vor dem begeisterten Publikum verbeugt, sieht man in seinem Gesicht die Spüren der Anspannung und Erschöpfung. Er schenkt sich und seinen Musikern nichts, verlangt das Äußerste. Das macht diesen Dirigenten zu einem der besten Mahlerinterpreten.

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Grafenegg, 25. August 2023: Mahler Chamber Orchestra, Daniil Trifonov, Daniel Harding.

Es war einer dieser Sommernächte, die Menschen mit heiterem Sinn erfüllt. Im Park von Grafenegg lagerten sie und picknickten oder lasen und lachten und redeten…Die Stimmung war erwartungsvoll. Über dem machtvollen Wolkenturm stieg die zarte Silhouette des Mondes auf. Grillen zirpten und hin und wieder hörte man einen Vogel im Schlaf zwitschern.

© Silvia Matras

„Nein, Sie müssen keine Angst vor der Musik eines Komponisten haben, der noch lebt“, meint Ursula Magnes in ihrer humorvollen Einleitung. Der noch lebende Komponist ist George Benjamin (geb. 1960), und schrieb mit „Concerto for Orchestra“ (2019-2020) ein „elegantes Divenkleid für Orchester“ – so wieder Ursula Magnes. Nun, das Divenkleid wirkte ein wenig ramponiert, so als hätte die Trägerin eine Nacht lang wild durchgetanzt. Jedenfalls führte Daniel Harding das Mahler Chamber Orchestra mit sicherer Hand durch das Klanggewirr. Manchmal aggressiv, dann doch auch ein wenig romantisch, hin und wieder glaubte man Vögel zwitschern zu hören – insgesamt eine Musik, die aufweckt und durchaus gut hörbar war. Ursula Magnes hatte nicht zu viel versprcochen.

Danach folgte das mit Spannung erwartete „Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op.54 (1841-45) von Robert Schumann, am Klavier der Starpianist Daniil Trifonov. Ihm eilt der Ruf voraus, ein „Wahnsinniger “ am Klavier zu sein. An diesem Abend wirkte er gezähmt, in sich gekehrt. Innig, zärtlich klangen die flinken Triller im „Allegro affettuoso“ und ebenso feinsinnig erklang das „Andantino grazioso“. Selbst im „Allegro vivace“ ließ der Pianist immer spüren, dass Schumann in diesem Konzert die Liebe zu seiner Frau Clara in Noten gefaßt hatte. Daniel Harding lenkte mit kundiger Hand durch das ausgeklügelte Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester. Ein Abend, der ganz zu dieser Sommerstimmung passte. Obwohl es leicht zu regnen begann, spielte Trifonov als Zugabe Bach.

Nach der Pause ging das Konzert im Auditorium mit der Symphonie Nr.3 F-Dur op. 90 von Johannes Brahms weiter. Brahms schrieb dieses Werk mit 50 Jahren (1883), und man sagt, es sei die Essenz seiner Werke. Die Uraufführung im Wiener Musiverein war ein Triumph. Clara Schumann schrieb in einem Brief an Brahms: „Jeder Satz ist ein Juwel.“ Dirigent und Orchester in Höchstform entführten das Publikum in eine jubelnde Natur, ließen einen Waldzauberteppich erklingen, dass am Ende viele meinten, diese Symphonie noch sie so herzergreifend gehört zu haben. Langer Applaus und standing ovations belohnten Dirigent und Orchester für die großartige Leistung.

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Kultursommer am Semmering: Andrea Eckert präsentiert Georg Kreisler

Begleitet von den Wladigeroff Brothers und Otmar Klein, der mit Rat und viel Information den Abend mitgestaltete.

Endlich wieder Andrea Eckert, die viele vermissen! Und endlich wieder Georg Kreisler in einer stimmigen, künstlerisch hoch qualifizierten Darbietung. Wer Andrea Eckert kennt, der weiß, dass sie die höchsten Anforderunen an sich stellt und das Publikum die höchsten Erwartungen erfüllt sieht. Man denkt an ihre „Callas“ oder „Rosa“ – jüngst noch im Nestroyhoftheater/Hamakom zu sehen.

Im edlen Smoking, die Haare hoch gesteckt, verkörpert sie eine Diseuse aus dem vorigen Jahrhundert, aus der Zeit, als Juden Wien verlassen mussten, wenn sie es noch konnten. Ohne Larmoyanz erzählt Andrea Eckert von Kreisler, der mit 17 Jahren gemeinsam mit seiner Familie in die USA emigrierte. In Wien war der Tod zu Hause – „Der Tod, des muas a Weana sein..“ singt Kreisler/ Eckert – genau mit dem nötigen Mix aus Wiener Schmalz und Hinterfotzigkeit! Drüben war es nicht leicht – und Kreisler fragt: „Meinen Sie, es ist leicht? – Man muss nur wissen, man hat niemals ein Zuhause“. Diese bewußt gemachte Heimatlosigkeit lässt den jungen Kreisler einfacher die Schwierigkeiten „drüben“ und dann wieder „herüben“ überstehen. Er geht nach New York, aber keiner will seine traurigen Lieder hören. Also stellt er um auf Humor, abgrundtiefen Humor, der tief aus der jüdischen Seele kommt. Und er hat Erfolg. Natürlich dürfen jetzt nicht die bekannten Zungenbrecherlieder fehlen, …“Der Putz war da, der Kohn war da…“ und sie diskutieren. Da glänzt Andrea Eckert mit ihrer hinreißenden, humorvollen Darbietung.

Nach dem Krieg kehrt Georg Kreisler nach Österreich zurück – aber er ist nicht willkommen und er riecht denselben Mief wie vor dem Krieg. Berührend in den Liedern „Verlassen“ und „Mein kleines Mädele“. Doch weil der Abend nicht traurig enden soll, entlässt Andrea Eckert uns mit dem Hit „Mein Mann will mich verlassen – Gott sei Dank!“

Für den mitreißenden Abend gab es ganz, ganz herzlichen Applaus!

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Sophie Heinrich und Paul Rivinius: In Almas Musiksalon, verlegt ins „Muth“

Foto „das Muth“: Helmut Karl Lackner

Die Idee, einen Salon, besser DEN Salon à la Berta Zuckerkandl ins Heute zu transportieren, hatte Sophie Heinrich, Konzertmeisterin bei den Wiener Symphonikern, schon vor einiger Zeit gehabt. Nach ausgiebigem Studium der Literatur über „das Teufelsweib Alma Mahler“ hatte sie Musik von Alma, ihrem Lehrer Alexander Zemlinsky, ihrem Ehemann Gustav Mahler für den Salonabend im Muth zusammengestellt.

Sophie Heinrich spielte auf einer Stradivari. Ihr Begleiter auf einem Bösendorfer Flügel war Paul Rivinius. Neben dem Klavier deuteten ein Lehnsessel und eine alte Stehlampe die Atmosphäre eines Salons um 1900 an. Dort saß Sophie Heinrich und las Zitate aus Almas Tagebuch und Beobachtungen von Zeitgenossen vor. Nach dieser kurzen Introduktion griff sie zum Instrument und verwandelte sich in eine wahre Teufelsgeigerin. Paul Rivinius war ein behutsamer Lenker durch die manchmal recht furiose Salonmusik.

Den Auftakt machte die Serenade in A-Dur von Alexander Zemlinsky, der Alma in Kompositionslehre unterrichtete. Zwischen den beiden soll es ja ein inniges Techtelmechtel gegeben haben. Die Musik ist teils zärtlich-einschläfernd, teils hart und energisch, wie er sich in Gegenwart der Schönen gefühlt haben mag. Dann kam Alma selbst zu Wort – eher zur „Note“. Bevor sie Gustav Mahler heiratete, komponierte sie selbst eifrig. Die beiden Liebeslieder „Bei dir ist es traut“ und „Waldseligkeit“ klingen innig, zärtlich. War die Adresse, an die sie gerichtet waren, noch Zemlinsky oder schon Mahler? Eher Zemlinsky, denn Mahler hatte ihr ja strikt verboten zu komponieren: „Du sollst so werden, wie ich dich brauche!“ schreibt er seiner Braut. Sie soll – so erzählt Sophie Heinrich – eine Nacht lang in ihrem Zimmer ratlos auf und abgewandert sein, unschlüssig, ob sie so einen Tyrannen heiraten will. – Sie wollte! Denn Ruhm und Genialität eines Mannes zogen sie ihr ganzes Leben hindurch an. Und sie scheint sich an dieses Verbot gehalten zu haben. Es wurden außer diesen beiden Liedern aus der Brautzeit keine späteren Kompositionen gefunden. Jedenfall dankt ihr Mahler mit einem innigen Liebeslied und mit dem zu Herzen gehenden Adagietto aus der 5. Symphonie – einfühlsam und virtuos von Sophie Heinrich gespielt, Die Bearbeitung für Violine und Klavier stammt von Robert Wittinger.

Danach vergönnten die beiden Interpreten dem Publikum eine Pause und mit der Sonate von Richard Strauss Erholung von so viel Liebesgeflüster. Diese erfrischende Salonmusik schrieb Strauss mit 23 Jahren und da wußte er bereits, wo es lang gehen soll. Alle Charakteristika seiner Musik waren schon aufbereitet – spannend zu hören!!

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Grafenegg – Schlossklänge: Mendelssohn-Bartholdy, Paulus Oratorium

Tonkünstler Orchester Niederösterreich, Dirigent: Fabien Gabel, Arnold Schönberg Chor: Leitung Erwin Ortner

Nikola Hillebrand: Sopran, Johanna Krokovay: Alt, André Schuen: Bariton, Werner Güra: Tenor

Mit dem Oratorium „Paulus“ (Uraufführung 1836 in Düsseldorf) wurde Mendelssohn-Bartholdy schlagartig in ganz Europa bekannt. Er wurde als Originalgenie gefeiert, einer der die Romantik mit der Klassik versöhnte und neu aufstellte. Oratorien wurden vor ihm zahlreich komponiert, alle mit dem Ziel, die Reformation zu stoppen. Nun also kommt ein Komponist mit jüdischem Hintergrund und protestantischem Glauben und versöhnt die Gegensätze!

Der Schönbergchor beginnt mit Macht einen Triumphgesang zu Ehren Gottes, dann setzen die Solistimmen ein:

Mit klarem Sopran, herrlich in der Höhe, sicher in der Mittellage singt Nikola Hillebrand von Stephanus. Dann setzt der Tenor (Werner Güra) etwas verhalten fort mit der Geschichte der Juden, die Moses‘ Gesetze missachteten. Erster Höhepunkt ist die hochdramatische Forderung, formuliert vom Chor: Steinigt ihn (Stepahnaus). Kühl, fast wie ein Chronist, bestätigt der Tenor (Werner Güra)) die Tat. Spätestens mit diesen Szenen versetzt der Komponist die Zuhörer in Hochspannung, untermalt von dem Orchester, das Fabien Gabel stilsicher dirigiert. Opernhaft geht es weiter: Saulus erfährt an sich die Erleuchtung und wird zu Paulus. Großartig setzt da André Schuen mit seinem volltönendem Bariton, der bis in die Tiefen des Basses reicht, ein – er ist ein demütig-kraftvoller Paulus, ein Erneuerer, der die Worte des Herrn über die Grenzen verbreiten wird. Seine Arie „Ihr Männer, was macht ihr da?“ ist Mahnung, Aufforderung, die Gräben zwischen allen Menschen zuzuschütten! Kaum eine passendere Botschaft an all die kriegswahnsinnigen Machtgierigen hätte zu Zeiten wie diesen musikalisch erklingen können!

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