Volksoper Wien: ALMA

Oper in fünf Akten. Musik: Ella Milch-Sheriff, Libretto: Ido Ricklin. Musikalische Leitung: Omer Meir-Wellber

Es musste ja so kommen – Alma Mahler-Werfel als dankbare Titelfigur eines Musikdramas war fällig! Man glaubt, aus den zahlreichen Bio- und Autobiographien schon genug über die Skandallady und Männerverschlingerin zu wissen. Doch wie sagt die Protagonistin über sich selbst: „Niemand wird es gelingen, mich vollständig zu beschreiben. Ich stecke voller Rätsel.“ Ihren Lebensweg nochmals einfach nacherzählen oder nachsingen? „Das wäre nicht mehr als ein Wikipedia-Artikel“ meinte der für das Libretto Verantwortliche (zitiert aus der Stückeinführung). Da kam die Idee auf, ihren Lebenslauf nicht vorwärts- sondern rückläufig zu zeigen, beginnend 1935 mit dem Begräbnis Manons, der Tochter von Gropius. Der Mehrwert dieser Idee darf bezweifelt werden. sorgt sie doch in manchen Szenen für zeitliche Überschneidungen.

Offensichtlich gingen Librettist, Komponistin und die Wiener Volksoper als Auftragsgeberin davon aus, dass das p.t. Publikum bestens über Almas Sexskandale informiert ist.( Paulus Manker hat ja mit dem Stationendrama „Alma“ für handgreifliche Aufklärung gesorgt) Das “ Rätsel Alma“ geht der Librettist Ido Ricklin erst gar nicht an – er bleibt an der Oberfläche und schildert eine nach Sex und Macht gierende Frau.

Dass „Alma“ ein Publikumshit wird oder schon ist, ist verstehbar. Denn Annette Dasch ist stimmlich und darstellerisch die perfekte Alma. Ihr gelingt es mühelos, von der 56-Jährigen, vom Alkohol Gezeichneten in die Rolle des jungen Mädchens zu schlüpfen, die den Heiratsantrag Gustav Mahlers annimmt. Dass er ihr mit dem Heiratsantrag auch gleich das Komponieren verbietet, ist für Alma ein unerträglicher Schmerz. Später wird sie den Schmerz um ihre nie geschriebenen Kompositionen dem um ihre toten Kinder gleichstellen. Annette Dasch gelingt es, diese Komponente als Charaktergrundlage zu verdeutlichen. Ihr zur Seite steht die ungeliebte Tochter Anna, die einzig Überlebende von Almas Kindern. Zwischen den beiden herrscht kriegerische Abhängigkeit. Annelie Sophie Müller zeigt in dieser Rolle ihre Wandelbarkeit. Als Carmen erlebt man sie als selbstsichere Frau, die lieber in den Tod geht als sich der besitzergreifenden Liebe zu unterwerfen. Als Anna tritt sie durch ihren klaren Sopran und ihre schlichte Personencharakterisierung aus dem Schatten, den ihr leider das Libretto zugeschrieben hat. Sie ist Korrektiv und Fragerin.

Der Handlungsstrang konzentriert sich auf die Kind-Mutterbeziehung, besser auf die fehlende Beziehung. Grausam bis zur Unerträglichkeit wühlt die Regisseurin Ruth Brauer-Kvam in blutigen Geburts- und Abtreibungsszenen. Wenn die Nabelschnur dem ungeborenen Kind von Kokoschka – beeindruckend der Koloraturssopran Hilo Beggio – und der Mutter heraushängt, wenn die Frühgeburt Martins krass und abstoßend gezeigt wird, dann muss man Annette Dasch bewundern, dass sie all das mitträgt. Ruth Brauer-Kvam ist ja für ihren überbordenden Einsatz von grellen Effekten bekannt, aber in diesem Fall hat sie den Bogen überspannt. An anderen Stellen wiederum wirken ihre Regieeinfälle zu verspielt. Wenn die Särge der Kinder auf einer Art Minieisenbahn hereingefahren werden. Das erinnert fatal an eine Grottenbahn. Die Alma-Männer sind bis auf Kokoschka eher blass und unscheinbar geschildert. Gropius (Florian Hurler) darf im Hintergrund eckige Tanzbewegungen ausführen, Werfel (Timothy Fallon) darf zwar Alma auf dem Klavier vergewaltigen. Aber sonst bleibt er eine Nebenfigur. Auch Mahler (Josef Wagner) wirkt schattenhaft. An Kokoschka (Martin Winkler) kann sich die Phantasie der Regisseurin genüsslich abarbeiten.

Die Idee, die Tode ihrer vier Kinder als epischen Handlungsstrang zu nützen, ist an sich ein guter Ansatz. Leider fehlt dem Libretto die Kraft des Dialogs und die Regie vertut sich in grellen Sex-, Geburts- und Todesszenen. Die Musik von Ella Milch-Sheriff passt sich an das Geschehen an: Einmal heiter mit Wienerlied-Anklängen, dann meint man Mozart zu hören und natürlich Mahler. Wenn nötig gibt es heftiges Blech. Omer Meir Wellber dirigiert diese verschiedenen Musikzitate gekonnt zu einem passablen Bogen rund um das Trauer- und Erotiktableau auf der Bühne. Begeisterter Applaus für alle Sänger, besonders aber für Alma, Anna und den Dirigenten.

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Oper Graz: Giuseppe Verdi: La Traviata

Wiederaufnahme: 6. Oktober 2024, 35. Vorstellung am 02.11.2024

Inszenierung: Peter Konwitschny, Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker, Licht: Daniel Weiss und Joachim Klein, Chor: Johannes Köhler, Dirigent der Grazer Philharmoniker: Matteo Beltrami

Glück gehabt! Es wäre wirklich jammerschade, wenn man diese packende Inszenierung von Peter Konwitschny verpasst hätte (letzte Vostellung am 10. November 2024)! Wieder einmal bewahrheitet sich, was Opernfans nicht müde werden zu wiederholen: Kluge, interessante Inszenierung haben ein langes Haltbarkeitsdatum. Seit der Wiederaufnahme dieser Inszenierung (Première an der Oper Graz am 22. Jänner 2011) am 06. Oktober wurde sie mit viel Erfolg 35 Mal gespielt. Immer ausverkauft! Ein Denkanstoß für den Direktor der Wiener Oper!

Ein Sessel und mehrere rote Vorhänge genügen als Bühnenbild, was das Regiekonzept von Peter Konwitschny bestens unterstreicht: Straff geführte Handlung, einige Szenen radikal gekürzt, Konzentratrion auf die beiden Protagonisten Violetta und Alfredo. Die bis ins kleinste Detail durchdachte Personenführung verstärkt das Drama der beiden wie unter einer Riesenlupe. Man bleibt gepackt vom Anfang bis zum Ende. Galina Cheplakova bietet alles für die Rolle: Sie überzeugt mit ihrem klaren Sopran und ihrer sensiblen Schauspielkunst. Ihr gegenüber hat Peter Konwintschy einen schüchternen, fast tollpatschigen Alfredo gestellt, von Alexey Neklyodov bis zur Selbstaufgabe und Hingabe gesungen und gespielt. Sein schmiegsamer Tenor kann alles: schüchtern flehen, die Liebe als einzige Daseinsform einfordern und leben, wüten und auch ganz feige sich vor der Sterbenden zurückziehen. Da gibt es Momente, die den Atem stocken lassen: Violetta zögert, soll sie sich auf die Liebe einlassen. das Herz will es, der Verstand weigert sich. Bei diesem berühmten Duett steht sie allein auf der Bühne, Alfredo singt machtvoll aus der Tiefe des Zuschauerraumes sein lockendes, forderndes „croce bellissima“. Überraschend neu gestaltet Konwitschny die Szene zwischen Violetta und Giorgio Germon, dem Vater Alfredos. Um seine brutale Forderung, Violetta müsse auf Alfredo verzichten, moralisch abzusichern, bringt er die Tochter, die verheiratet werden soll, mit. Doch die beiden Frauen schließen sich gegen den Vater zusammen – so wird aus dem „liebenden Vater“ ein brutaler Erpreser. James Rutherford gibt diesem janusköpfigen Moralisten seine mächtige Stimme!

Das Ende gestaltet Konetschny brutal und schonungslos die Männerwelt demaskierend.: Violetta stirbt allein, Alfredo und der Vater ertragen es nicht, Violetta bis zum Ende beizustehen. Sie ziehen sich zurück und betrauern sie aus dem Off des Zuschauerraumes. Die kämpferisch für Frauen sich einsetzende Direktorin der Volksoper Wien, Lotte de Beer, hätte mit diesem Ende ihre Freude!

Violetta geht mit dem Rücken zum Publikum in den Bühnenhintergrund – eine schmale, schutzlose Gestalt. Das Licht verlischt, ganz langsam schließen die Vorhänge. Mit frenetischem Applaus erlöst sich das Publikum aus dem Bann dieser packenden Sterbeszene.

Matteo Beltrami leitet die Grazer Philharmoniker mit Feingefühl durch das musikalische Drama, immer mit den Sängern im Einklang!

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Wiener Staatsoper: György Kurtag, Fin de Partie. Text: Samuel Beckett

Inszenierung, Bühne und Kostüme: Herbert Fritsch. Musikalische Leitung: Simone Young. Licht: Friedrich Rom.

Titelfoto: Hamm/Philippe Sly und Clov/Georg Nigl, Foto: Wiener Staatsoper-Sofia Vargaiová.jpg

UNGLAUBLICH wie Musik, Gesten und Choreographie taktgenau aufeinander eingespielt sind,den Text wörtlich nehmen und zu einer Art Slapstick-Komödie werden lasssen. Keine Langeweile, kein Zwang zur Interpretation! Absurdität lässt sich nicht erklären, ist frei von Moral oder Deutung! Herrlich, man kann einfach den Un-Sinn genießen, muss nicht nach dem tieferen Sinn fragen. Für Regisseur Herbert Fritsch das, was der Wiener „a gmahte Wiesn“ nennt. Er kann sich an Einfällen austoben – und es fällt ihm viel zu diesem verrückten Text und dieser Partitur ein!

Als Samuel Beckett „Fin de Partie“, diese Ikone des absurden Theaters, in den späten 50er Jahren schrieb, da tobte in Paris der Existentialismus, der Surrealismus, der Kommunismus – alle zusammen und alle gegeneinander. Die Welt war alles andere als verstehbar. Beckett war der Star unter den Schriftstellern und fühlte sich nicht berufen, sie zu deuten. Als György Kurtag „Fin de Partie“ das erstemal in Paris Ende 1950 sah, war er von dem Text elektisiert. Über Jahre komponierte er an der Oper, übrigens seine erste Oper überhaupt, bis sie endlich 2018 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde.

Was durchgehend auffällt, dass Gesten und Musik einander komplimentieren. Fritsch nennt es eine „Gestenpartitur“. Simone Young gelingt es, die einzelnen Musikzellen genau auf die Handlung, die Gestik abzustimmen. Man könnte mit geschlossenen Augen verstehen, was auf der Bühne vorgeht. Die Musik hat Witz und strotzt nur so von Einfällen. Sie ist nie laut, vordrängend, immer eins mit dem Bühnengeschehen. Ein weißer Raum mit Licht- und Schattenwirkungen, die nicht von außen kommen – denn ein „Außen“ scheint nicht zu existieren -, bildet den nüchternen Rahmen, in dem die vier Personen die Sinnlosigkeit des Lebens besingen.

Georg Nigl als Clov. Foto: Wiener Staatsoper -Michael Poehn.jpg

Was die Sänger nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch leisten, ist bewundernswert. Den Reigen des Absurden eröffnet Clov (Georg Nigl) mit seinem Leitertanz. Souverän in Stimme und absurder Pantomime wird er den Diener des blinden und gelähmten Hamm mimen. Seine Unterwürfigkeit ist vorgetäuscht, darunter lauert die Bösartigkeit. Am Ende wird er Hanm verlassen.

Nell/Summers und Nagg/Workman. Foto: Wiener Staatsoper-Michael Poehn.jpg

Die Eltern Hamms haben bei einem Radunfall die Beine verloren. Der mitleidlose Sohn hat sie in zwei Mülltonnen gesteckt, aus denen nur die Köpfe herausschauen. Was Charles Workman als Nagg und Hilary Summers als Nell in diesen schwierigen Rollen stimmlich und pantomimisch leisten, das grenzt ans Unglaubliche! Ihre Eheszenen, besonders die Kussszene, sind Glanzleistungen des finsteren Humors.

Sly/Clov, Nigl/Hamm. Fotos: Wiener Staatsoper-Michael Poehl.jpg

Stimmlich und darstellerisch verlangt die Rolle des Hamm dem Sänger sehr viel ab. Philippe Sly gelingt es, den Armen nicht zu erbärmlich, den Herrischen nicht zu hart erscheinen zu lassen. Er braucht ja Clov, nicht nur wegen seiner körperlichen Gebrechen, sondern auch als Zuhörer, wenn er seinen „Roman“ weiterspinnt. Vor allem aber sehnt er sich nach Nähe. Am Schluss wird Hamm einsam zurückbleiben, und Clov reisefertig mit Hut und Koffer ungerührt am Rande stehen.

Ein großartiger Abend, den das Publikum mit begeistertem Applaus aufnahm. Besonderen Applaus erhielt Simone Young, die mit sicherer Hand das Orchester der Wiener Staatsoper durch diese anspruchsvolle Partitur dirigierte.

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Volksoper Wien: Georges Bizet, Carmen

Musikalische Leitung: Tobias Wögerer (Debüt), Regie: Lotte de Beer. Bühne: Kristof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek

Schade! Es wäre eine tolle „Carmen“ , wären da nicht die vielen verzichtbaren Regiemätzchen von Lotte de Beer. Ihre Ansage vor Beginn der Oper lässt Schlimmes befürchten: „Zigarettenrauch auf der Bühne zu zeigen ist verboten (was gar nicht stimmt), Femizid aber ist erlaubt!“ Was heißt das – will sie Carmen leben und in Notwehr Don José erstechen lassen? So arg wird es dann doch nicht!

Was den Abend auf allen Linien rettet, sind die wirklich interessanten und tollen Stimmen: Allen voran Annelie Sophie Müller als Carmen. Warum findet man von ihr keine Presefotos?

Annelie Sophie Müller muss nicht mit vordergründiger Erotik in Stimme und Gesten die Männer (und das Publikum) betören – es ist ihr klarer Mezzsopran, der in allen Lagen überzeugt. Ihr Spiel ist gelenkt von haarscharfer Intelligenz. Vor den Männern hat sie wenig Achtung, sie nimmt sie und vergißt sie fast augenblicklich. L´amour ist für sie eher ein „bourgeoiser“ Begriff. Womit wir beim Regiekonzept von Lotte de Beer wären. Carmen und ihr Gefolge sind „Bohemiens“. Ihr Lebensinhalt heißt „Freiheit“, um die es auf allen Linien zu kämpfen gilt. Gegenspieler ist die gesamte Bourgeoisie, worunter Lotte de Beer ganz besonders die Theaterbesucher zählt – also jegliches Pulikum, auch das gerade anwesende. Deshalb lässt sie ab der Hälfte der Oper immer wieder im Hintergrund Theaterlogen aufziehen, von denen aus „das Publikum“ Carmen beobachtet. Warum Carmen ihrerseits dieses Publikum beobachtet, immer wieder in die Logen klettert, das erschließt sich nicht. Warum ein Kind aus dem Saal-Publikum mehrmals nach vor an die Brüstung läuft, um zu fotografieren, und eine verlegene Mutter sie wegholt, ist auch nur einer der vielen Gags, die mehr störend als erhellend wirken.

Ebenso wie Annelie Sophie Müller begeisterte auch Tomislav Muzek als Don José. Ein Tenor mit Kraft bis in die Höhen. Leider ließ die Regie ihn in den ersten beiden Akten als tölpelhaften Loser agieren. was zur Folge hat, dass er keine Sekunde ein „brauchbares Liebesobjekt“ für Carmen ist. Allerdings ändert sich das im Schlussakt – hier kann Muzek zeigen, dass er sowohl darstellerisch als auch stimmlich grandios ist. Auch die kleineren Rollen überzeugen: Joye Simmons als Frasquita und Maria Hegele als Mercédes bringen frischen Wind als Kartenlegerinnen und Carmens Weggefährtinnen. Hedwig Ritter als Micaela hat ein gutes Stimmpotential, allerdings wirkt sie in der Höhe etwas scharf. Pablo Santa Cruz lässt als Zunigo mit seinem geschmeidigen Bassbariton aufhorchen. Daniel Schmutzhard legt die ungeliebte Rolle des Escamillo mit überzeugend ironischem Blick auf diese Figur an. Dazu hat Lotte de Beer wieder einen ihrer „Einfälle“ : Carmen erkennt plötzlich in einer Art Trance, was sie als Geliebte Escamillos erwarten würde: Ein Leben als brave Bürgerin, die am Morgen den Tisch fürs Frühstück deckt und dem scheidenden Escamillo in den Mantel hilft. Eingerahmt wird diese Szene durch eine Art „Hochzeitsbogen“ oder auch grünem Pavillon. Unter diesem Biedermeierrahmen lässt Lotte de Beer die Ermordung Carmens stattfinden, umstellt von dem Publikum, die alle aus den Logen steigen und das Paar sensationslüstern umringen. Man kapiert: Eine Frau wird auf offener Straße ermordet und alle sehen zu. Ein bisschen zu plakativ!

Das Publikum applaudierte allen Sängerinnen und Sängern mit Begeisterung, besonders aber Annelie Sophia Müller und Tomislav Muzek. Viel Applaus erntete auch Tobias Wögerer, der das Orchester mit Bravour und Temperament dirigierte.

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Salzburger Festspiele 2024: Jacques Offenbach „Les Contes d´Hoffmann“

Hoffmann säuft, das wissen wir. Er ertränkt seinen Kummer um ein Weibsbild – man kann es Stella, Olympia, Antonia oder Giulietta nennen. Aber dass er sich in die Gosse säuft, wie ein Obdachloser seine Habeligkeiten im Einkaufswagen durch die Gegend schiebt und am Boden schläft – das ist schon die erste Veränderung, die zunächst Verwunderung, später Verärgerung erregt. Der Pariser Regisseurin Marianne Clément gelingt es, aus der wunderbaren Oper mit wirklich betörend – romantischen Arien und Szenen ein ganz und gar abtörnendes Musik-Drama zu machen. Ein Drama in jeder Hinsicht. Denn dank des tollen Einfalls, aus Hoffmann einen Filmregisseur zu machen, ist Hoffmann nun nicht der Hoffmann, der leidet und deshalb säuft, sondern irgendein Hoffmann, der irgendeinenen belanglosen Film dreht.Und deshalb ist Olympia keine mechanische Puppe, sondern eine widerliche Zicke, die Hoffmann eine auf die Finger klopft, als er sie antapscht. Und Antonia stirbt nicht – obwohl Hoffmann, mit Händen wild fuchtelnd sich um Texttreue bemüht – sie geht einfach gelangweilt ab. Und Giulietta in Venedig???? Die Käfige aus Holz, in denen Hoffmann herumturnt, sollen wohl die abgefackten Paläste sein…Spiegelarie – nix da, gestrichen!

Dass der Dirigent Marc Minkowski bei diesem gedankenlosen Regiekonzept auch nicht so recht weiß, wie er die Philharmoniker dirigieren soll, ist kein Wunder. Und so spielen halt die Philharmoniker ihr Spiel herunter….

In diesem Regiechaos müssen gestandene, gute Sänger und Sängerinnen sich abmühen. Allen voran Benjamin Bernheim – sein sanfter, träumerischer Tenor ist fehl am Platz. Kate Linsey scheint es am Anfang große Schwierigkeiten zu bereiten, die Muse irgendwie in dieses irre Regiekonzept glaubwürdig hineinzuzwängen. Pudelwohl fühlt sich Kathryn Lewek in den drei Frauenrollen, die sie stimmlich auszufüllen, aber nicht auszufühlen versucht. Die meiste Zeit stehen viele Figuren herum und wissen nicht, warum und wie sie agieren sollen. Dem konfusen Regiekonzept sei Dank!! Und dem Intendanten der Festspiele sei einmal mehr die Frage gestellt: Warum nach dem Flop von „Falstaff“ im Vorjahr nun ein fast identischer Regieflop in diesem Sommer? Hat Herr Hinterhäuser nie das Regiekonzept abgefragt und nie die Proben besucht???? Oder ist ihm das Genre Oper nur insoweit ein Anliegen, als es Geld einbringt, weil vom Publikum gewünscht und geliebt. Will er dem Publikum diese Liebe austreiben? Und ist ihm vielleicht so ein Flop willkommen, um irgendwann einmal aus den Festspielen Trauerspiele zu machen?

Gesehen und durchgelitten am 13. August 2024. Am Ende lautstark die Regisseurin ausgebuht!

Theater Scala: „Shockheaded Peter“

Junk-Oper nach den Motiven aus „Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann von den Tiger Lilies, Julian Couch und Phelim McDermott. Musik von Martyn Jacques

Die aktuelle Inszenierung: Regie und Raum: Marcus Ganser, musikalische Leitung Bela Fischer jr., Kostüm Anna- Sophie Lienbacher, Maske: Gerda Fischer, Zoe Marvie, Requisitenbau: Nikki und Paul Barner. Bühnenbau: Adrian und Emanuel Burcea, Andrei Indries, Gabriel Galea

Welch ein Feuerwerk an Ideen, Farben und Gags! Im schnellen Wechsel schlüpfen 6 Schauspieler und Schauspielerinnen in 29! Rollen. Georg Kusztrich, Bettina Soriat, Leopold Dallinger, Teresa Renner, Georg Hasenzagl, Katrin Fuchs und Bela Fischer jr. sind abwechselnd Eltern, Kinder oder andere Figuren. Nur einen davon hervorzuheben wäre den anderen gegenüber nicht gerecht! Denn alle leisten mit enormer Spielfreude und Körpereinsatz großes Theater mit großem Spaß- und Staunfaktor. Als Zuschauer wird man förmlich von den Einfällen überschüttet. Erschöpft ist am Ende das Publikum von so viel Phantasie, Aktionen und Skurrilitäten. Putzmunter am Ende die Schauspieler.

„Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann dürfte noch allen in Erinnerung sein. Ein wenig abgewandelt, von erzieherischen und moralischen Tendenzen befreit haben die Tiger Lillies. zur „Junk-Oper“ vor dem Verstauben gerettet. Marcus Ganser hat es congenial in Anlehnung an die Tiger Lillies -Fassung aufpoliert.

©BettinaFrenzel_TomLackner

Das Wunschkind wird vom Storch in der Kiste geliefert, aber leider, leider ist es alles anderes als ein Wunschkind, also ab unter das Sofa. Und leider, leider haben auch die nachgelieferten Kinder ihre schweren Mängel: Paulinde zündet sich und das Haus an, dem Daumenlutscher werden die Daumen abgeschnitten und so weiter.Alle bösen Kinder sterben. Erleichtert lassen die Eltern die Leichen unter dem Sofa verschwinden. Der Mangel an Zuwendung gebiert Grausamkeiten, grad so aus Jux“, kommentiert der Confrencier. Trotz der genussvoll dargebrachten Grausamkeiten bleibt einem das Lachen nicht im Hals stecken. Denn: Es ist alles nur eine „Junk-Oper“, Theaterdonner eben! Daher darf man sich von Herzen amüsieren! Und voller Begeisterung klatschen und kreischen. Zur Freude des Ensembles!

Infos und Vorverkauf: 01/544 20 70 http://www.theaterzumfuerchten.at

Das Stück bleibt noch bis zum 25. April 2024 in der „Scala“, Wiedner Hauptstraße 108, 1050 Wien zu auf dem Spielplan.

Volksoper: W.A. Mozart: Cosi fan tutte

Eine Produktion des Opernstudios der Volksoper Wien im Muth. Musikalische Bearbeitung für Kammerorchester: Malte Kroidl. Inszenierung und Strichfassung: Maurice Lenhard. Musikalische Leitung: Gregor Hanke. Bühne und Kostüme: Christina Geiger

Titelfoto: Fiordiligi – Kamila Dutkowska und Dorabella -Maria Hegele (Foto: Barbara Palffy)

Ein verjüngter Mozart! Wenn das Ensemble aus dem Opernstudio auf eine Oper schaut, die schon von vielen Regisseuren und berühmten Sängern (oft zu Tode) gespielt wurde, dann weht ein frischer Wind durch das Libretto, und der hinterlistige Humor Mozarts darf voll aufblühen.

Den Erfolg heimst das ganze Team ein: Christina Geiger schuf ein zur Außentemperatur passsendes frühlingshaftes Bühnenbild. Auf einem Nobeltennisplatz findet der Kampf um die Geschlechterhoheit statt. Maurice Lenhard lenkt die jungen Sänger (bis auf Marco di Sapia, der dem Ensemble der Volksoper angehört) mit sensibler Hand durch Gags und heiteren Klamauk und sorgt für Lachen und Lächeln im Publikum. Selten noch sah und hörte man diese Oper so verschmitzt und schwungvoll. Dass die Musik voll zur Geltung kommt, das liegt an der kundigen Leitung von Gregor Hanke. Aber zuallerst an den Sängern:

Fiordiligi (Kamila Dutkoswska) war eine innige, sehr verliebte Braut, ihre Stimme hell, klar in allen Lagen, ihr Spiel zärtlich-verschmitzt. Sie ist es ja, die die Wette Alonsos fast zu Fall bringt und sich lange gegen das Werben des vermeintlichen fremden Kriegers (Ferrando-Stanislaw Napierala) wehrt, bis ihr die Hormone durchgehen und sie sich ihm heftig hingibt. Ihrer Schwester Dorabella (Maria Hegele) gelingt der Umstieg auf den neuen Verehrer problemlos. Sie ist die Intellektuelle, die ihrer Schwester die Finten der Verführung beibringt. Ihr glasklares Timbre passt punktgenau zu dem Charakter.

Foto: Barbara Pallfy

Die Verführer und letzten Endes die Betrogenen sind die beiden reizenden Schurken Guglielmo (Pablo Santa Cruz, im Foto links). Mit seinem sonoren Bassbariton bezirzt er mit viel Spielfreude im Nu die gar nicht spröde Dorabella, während sich der zunächst glücklose Ferrando (Stanislaw Napierala im Foto rechts) sich vergiblich an der treuen Fiordiligi abmüht.

Marco di Sapia singt und spielt Alonso als souveränen „maître de plaisir“, der von vornherein nicht an die ewige Liebe und Treue glaubt. Hinterlistig treibt er die beiden Paare in ein Gefühlschaos. Unterstützt wird er von Despina, mit Urkomik und toller Stimme von Jaye Simmons gesungen.

Eine rundherum gelungene Aufführung. Viel Applaus!

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Staatsoper Wien: Orwell/Raskatow: Animal Farm

Foto: Napoleon(Bankl) inmitten seiner Wahlhelfer

Wenn ein genialer Autor (George Orwell), ein ebenso genialer Komponist (Alexander Raskatow), ein aufs Wesentliche reduzierender, kluger Bühnenbildner (Paolo Fantin), ein einfallsreicher, „animalistischer“ Kostümbildner (Klaus Bruns) und ein animalisch orientierter Choreograph (Thomas Wilhelm) zusammenkommen – dann kann nur etwas Großes, Einmaliges daraus werden. Und wenn dann noch Damiano Michieletto auf die Musik und den Text genau hin inszeniert und Alexander Soddy die musikalische Sprache Alexander Raskatows mit genau den richtigen Akzenten dirigiert, nie die Klänge und Lauteffekte überstrapaziert, sondern fein dosiert, im Einklang mit den Sängern dirigiert und ein Ensemble grenzgenial singt und spielt – ja, dann kann nur eine OPERA CONTEMPORANEA, die alle Wünsche erfüllt, das Ergebnis sein.

Im Vorwort zur Textausgabe der Animal Farm, wie sie 1946 in der Ukraine erschien, erklärte George Orwell, was ihn zu diesem Roman in Form einer Fabel, bewogen hatte: Als er sah, wie ein kleiner Junge einen Karrengaul mit der Peitsche schlug, „kam mir der Gedanke, dass, wenn diese Tiere sich nur ihrer Stärke bewußt würden, wir keine Macht über sie hätten.“ (Zitat aus Programmheft, S 55) und dass diese Tiere, einmal an der Macht, sich genau zu solchen Despoten entwickeln würden, wie diese es waren, gegen die sie einst gekämpft hatten. Macht korrumpiert.

In Fabelform erzählt Orwell, wie jede Revolution – er meint nicht nur die russische Oktoberrevolution von 1917 – sich in ihr Gegenteil verkehrt. Schon in der Französischen Revolution hieß es: Die Revolution frißt ihre Kinder. Manipulation, Entmachtung aller kritischen Stimmen, Umschreiben der Vergangenheit und willkürliche Veränderungen der Gesetze – all diese Missstände sind aktueller denn je. Orwell hatte vorausgeahnt, dass seine „einfache, für jedermann verständliche Geschichte“ auch noch weit in die Zukunft hinein Gültigkeit haben wird.

Als Damiano Michieletto, auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für eine moderne Oper war, kam ihm die „Aimal Farm“ in den Sinn und er wußte auch sofort, wer der geeignete Komponist dafür ist: Alexander Raskatov, in Russland geboren und seit Jahrzehnten im Westen lebend! Er gilt als der „unzeitgemäße Komponist“ der Gegenwart, weil er sich nicht um Moden, Tendenzen kümmert, Seine Musik verlangt den Sängern extremsportliche Leistungen ab: Hinter Tiermasken singen, grunzen oder trällern, in höchsten Tönen quietschen, ohne die Ohren der Zuhörer zu quälen.

Michieletto versetzt das Geschehen auf eine Tierfarm. Am Beginn sind die Tiere in Käfigen gefangen – das Bühnenbild erinnert in gruseliger Weise an Käfige, in denen Gefangene noch heute in vielen Ländern vor Gericht vorgeführt werden. Grau und düster ist das Leben der Tiere, bis Old Major, – großartig der Bass Gennady Bezzubenkov in dieser kurzen, aber eindrucksvollen Rolle – zur Befreiung von dem Tyrannen Mensch und zur Gleichheit aller Tiere aufruft. Die Revolte gelingt, die Besitzer verlassen ihr Land und schon haben sich zwei Tiere zu Bossen aufgespielt, Bosse, die gleicher sind als alle: Das Schwein Snowball wird der Chefideologe, der ähnlich wie einst Leo Trotzki die theoretischen Strukturen und Ideologien der zukünftigen Diktatur entwirft. Michael Kniffke singt diese Partie mit der nötigen Kälte in der Stimme. Zuerst sein Kompagnon, dann sein Gegenspieler: Napoleon (an Stalins Charakter angepasst), mit „machtvoller“ Stimme von Wolfgang Bankl dargestellt und gespielt. Bald schon erkennt man unter den Tieren: Die Mitläufer, die Vivatschreier, die Bewunderer, den Skeptiker, wie etwa Benjamin, den Esel: bemitleidenswert und mit viel Einsatz gesungen von dem Countertenor Karl Laquit. Auch die Kunst wird instrumentalisiert:

Artem Krutko als Minimus liefert eine köstliche Parodie auf all die Künstler, die sich an die Macht anschleimen. Überhaupt ist die Oper voller humorvoller Exzentrik, etwa wenn die eitle Stute Mollie (Holly Flack, großartig!) Mr. Pilkington (Clemens Unterreiner) verführt und ihr Pferdedasein mit einer rosaglitzernden Existenz als Partygirl tauscht. Mollie entwickelt Verführungstöne jenseits der Königin der Nacht, da purzeln die hohen C und F nur so aus ihrer Pferdekehle.


Es kommt, wie es in einer Revolution immer kommt: Napoleon lässt Snowball und alle anderen Gegner liquidierern. Am Schluss machte er Geschäfte mit dem Menschen, Mr. Pilkington. Zur Bestechung lädt er ihn zu einem Gelage ein, auf dem ein Schwein als besondere Köstlichkeit serviert wird. Die Gesetze von Gleichheit unter den Tieren sind aufgehoben. Es menschelt wieder gehörig. Machtvoll sticht Napoleon das Messer in den Leib des toten Schweines.

Endszene: Napoleon (Bankl) sticht ein Schwein ab. ©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Langer, begeisterter Applaus!

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Theater an der Wien im Museumsquartier: Schwanda, der Dudelsackpfeifer

Musik: Jaromir Weinberger, Libretto: Milos Kares, Deutsch von Max Brod. Musikalische Leitung: Peter Popelka. Inszenierung: Tobias Kratzer, Bühne und Kostüm: Rainer Sellmaier, Video: Jonas Dahl und Manuel Braun

Es ist schon ein Kreuz mit den verschiedenen Bearbeitungen des Librettos. Ursprünglich war Schwanda ein Dudelsackpfeifer aus den böhmischen Landen, der den Menschen mit seiner Musik Fröhlichkeit bescherte. Weinberger und Kares verknüpften diese Legende mit der Geschichte vom Räuber Babinsky und brachten die „Volksoper“ 1927 mit Erfolg zur Uraufführung. Das Werk sollte in Zeiten des aufkommenden Nationalismus auf die Werte der Tradition hinweisen. Max Brod übersetzte das Libretto nicht eins zu eins, sondern tilgte alle Anspielungen auf tschechische Tradition und machte aus Schwanda, dessen Frau Dorota und Babinsky eine Dreiecksbeziehung. Die jetzige Inszenierung leiht sich dazu noch Ideen aus Schnitzlers „Traumnovelle“, so dass das ganze Werk nun eine nicht immer gelungene Mischung aus vielen Motiven ist, die zu entschlüsseln das Publikum ohne Hilfe nicht imstande ist. Deshalb auch die lange und sehr ausführliche Einführung vor der Aufführung. Doch sollte Theater, Musik an sich nicht ohne Erklärungen funktionieren? Vielleicht hat man zu viel gewollt…

Es beginnt mit einer langen Ouvertüre, in der noch gar nichts passiert. Die Musik ist heftig und verspricht Dramatik, neue Horizonte. Doch dann öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick auf eine stincknormale Wohnung mit breitem Bett frei. Dort arbeiten sich gerade Schwandas Frau Dorota und der böse (Räuber?) Babinsky in heftigen Kopulationen aneinander ab. Dann tritt Schwanda ein—und: wirft den Rivalen nicht hinaus, sondern lädt ihn auf eine Pizza ein. Gut, dass alle drei ganz fantastische Sänger und Schauspieler sind, so übersteht man diese skurrile Szenerie leichter. Da ist allen voran Andrè Schuen – er meistert die schwierige Aufgabe, einen tumben Tor, eine Art Parzival, den nichts berührt, darzustellen. Sein weicher, klangvoller Bariton passt bestens in diese Rollenschattierung, die er das ganze Stück über nicht verlieren wird. (Es ist anzunehmen, dass viele unter den Zuschauern – unter anderem auch ich – seinetwegen gekommen sind.) Pavel Breslik macht als Verführer nicht nur eine elegante Figur, sondern betört auch durch seinen vollen Tenorklang. Den Verführer nimmt man ihm ab, den bösen Räuber gar nicht. Am schwierigsten ist die Rolle der Dorota. Sie soll dem Charme Bablinskys erliegen und zugleich Schwanda ihre Liebe gestehen. Mit ihrem hellen Sopran, der durchaus auch in der Höhe sicher ist, gelingt Vera-Lotte Boecker das mühlos. Obwohl sie die meiste Zeit in einem Art Baby Doll auf der Bühne herumläuft, kann sie in dieser Rolle überzeugen. Dann wirds komisch-tragisch und ganz und gar unlogisch. Nach einer langen Videofahrt durch Wien – vorbei an Liebedienerinnen und Pratersensationen – landet Schwanda bei einer gefühlsmäßig eingefrorenen Lady (Ester Palù) – sie soll wohl an die unbekannte Schöne aus Schnitzlers „Traumnovelle“ erinnern. Ein wenig zu vordergründig und fast ungeschickt verführt sie den armen Schwanda – der eigenltich gar nicht will. Dann wird es ganz wild: Dem armen Schanda droht der Tod mit dem Schwert. Henker ist einer der Mönche in roter Kutte und Maske (Traumnovelle). Dorota stürzt herein, fleht um Schwandas Leben, nützt nichts, aber Babitzky ist der Erlöser. Ein Erlöser in die Hölle, wo geilster Sex angesagt ist – das Video lässt keine Wünsche an Deutlichkeit offen – aber auch da zaubert Babinsky Schwanda heraus. Ende gut? Noch nicht ganz -vorher gesteht Babinsky Dorota im trauten Schlafzimmer seine Liebe. Doch sie entscheidet sich für Schwanda.

Fazit: Flotte Musik, alles drin: Walzer, Volksmusik, schrille Neutönende, gut gespielt von den Wiener Symphonikern und temperamentvoll dirigiert. Etwas chaotische Handlung, aber das ist man ja bei Opern gewöhnt. Tolle Sänger!

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Wiener Staatsoper: György Ligeti: Le Grand Macabre.

Text: Michael Meschke und György Ligeti nach Michel de Ghelderode

Musikalische Leitung Pablo Heras-Casado, Inszenierung und Bühne Jan Lauwers, Kostüme Lot Lemm, Choreographie Paul Blackman und Jan Lawers

Es passte alles zusammen: Direktor Bogdan Roscic hatte sich vertraglich verpflichtet, auch Klassiker des 20. Jahrhunderts zu spielen. Der 100. Geburtstag des Komponisten G. Ligeti war ein geeigneter Anlass, diese Pflicht zu erfüllen.. Mit „Le Grand Macabre“ hätte man keinen besseren Griff machen können. Ebenso wenig mit dem Winningteam Heras-Casado, Jan Lauwers, Lot Lemm und dem Choreographen Blackman gemeinsam mit Lawers. Allesamt erfahrene Theatermacher. Und so kam es, dass eine Oper des 20. Jahrhunderts ein Riesenerfolg wurde. Publikum und Kritiker waren begeistert – ein seltener Fall von Einmütigkeit.

Autohupen eröffnen den Abend und stimmen das Publikum auf Unerhörtes, noch nie Gehörtes und noch nie Gesehenes ein. Mit einem Bühenbild – Ausschnitte aus dem „Breughelland“ -, Tänzern in „Nacktkostümen“ hat man genug zu tun, alles zu erfassen – da wird gehüpft, gevögelt, geschlemmt, was das Zeug hält – alles aufgelöst in choreografische Kleinszenen, die nie auch nur die Spur von Ordinärem haben. Ein Kunststück sondergleichen. Wir sind in einem Schlaraffenland, wo alles erlaubt ist. Die Musik karikiert das Geschehen, nimmt dem Obszönen das Geile und formt es zu einer „Commedia dell`Arte“ um. Unterhaltsam wie die Musik sind die Einzelszenen: Da wird nicht angeklagt, nicht angespielt auf Aktuelles, sondern nur einfach das Leben in allen Facetten genossen – wie der Säufer Piet vom Fass ( sehr überzeugend Gerhard Siegel) verkündet. Wer nicht als Mann spurt – dem droht die Peitsche: Marina Prudenskaya ist eine urkomische Mescalina, fordert von ihrem Gespons Astradamus mehr sexuellen Einsatz – Wolfgang Bankl darf gehörig unter ihr leiden. Überhaupt ist Venus gefragt (toll in der Doppelrolle als Venus und Chef der Gepopo: Sarah Aristidou). Mitten in diesem heftigem Treiben taucht der allen unbekannte Nekrotzar auf – eine gesangliche und darstellerische Sonderleistung von Georg Nigl. Er stellt sich vor als der Tod! Durch den Sturz des Kometen sollen Erde und Menschen vernichtet werden – das hat schon bei Nestroy nicht geklappt, und heute noch weniger: Alle fürchten sich, jammern, aber – kein Tod, kein Komet, denn Nekrotzar hat sich zu Tode gesoffen – „consummatum.est“ – heißt es, als er verendet. Dass die Wiener den Tod durch Gesang und Wein vertreiben, das ist Standard. Was Ligeti daraus macht – ist einfach die Parodie auf die Parodie mal drei!! Eine ganz zwielichtige Rolle spielt der Pseudofürst Go-Go (eindrucksvoll der Countertenor Andrew Watts). Seine Herrschaft steht auf wackligen Papierbeinen, wie seine Krone auch.

Ein Wirrwarrbild, das sich immer wieder auflöst, neu bildet – das Publikum ist vollauf beschäftigt. Langeweile – keine Sekunde. Höchstens ein ganz kleines Bisschen nach dem Tod des Todes. Das wäre ein passender Schluss, doch es geht noch weiter. Denn man will ja zeigen, das man den Tod nicht fürchtet. Das allerdings hat das Publikum schon begiffen. Das altbekannte Wiener Motto leitet den Schluss ein: „Fürchtet den Tod nicht, irgendwann kommt er, doch nicht heut.“ und „Wir haben Durst, also leben wir“ singt Piet vom Fass. Wie zur Bestätigung, dass auch Sex und Erotik nicht vertrocknen, singen die beiden Verliebten Amanda und Amando (Maria Nazarowa und Isabel Signoret) von ihrem Liebesglück. Unter heftigem Geschmuse und einer furiosen musikalischen Feier des Lebens geht ein machtvoller Abend mit hintergründiger Musik und vielen ebensolchen Anspielungen zu Ende. Ein Extraapplaus galt dem Dirigenten Heras-Casado, der mit den Sängern mitatmete, die Musik nie über die Sänger triumphieren ließ.

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Volksoper Wien: Anatevka (Fiddler on the Roof)

Musik: Joseph Stein, Musik: Jerry Bock, Gesangstexte: Sheldon Hornick. Nach der Geschichte von Sholem Alejchem

Gute Musik und ein gescheites Buch sind alterslos. Dieses Musical ist seit der Uraufführung von 1964 in New York um kein Bisschen gealtert. Im Gegenteil – heute mehr denn je aktuell.

Unter der musikalischen Leitung von Freddie Tapner spielte das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper mit so viel Freude und Verve, dass man Mühe hatte, nicht vom Sessel aufzuspringen und mitzutanzen! Dazu ein Bühnenbild (Mathias Fischer-Dieskau), das das Publikum direkt in ein altes Dorf irgendwo in den Tiefen Russlands hineinversetzt: Häuser, die eher klapprigen Hütten gleichen, ein Straßendorf, das bis in den Horizont verläuft, wo sich ein wolkenverhangener Himmel öffnet. Manchmal scheint ein tröstliches Morgenrot das Dorf zu erhellen, manchmal ist dieses Rot ein Flammenzeichen der Gefahr. Die sensible Lichtregie von Frank Sobotta versetzt Menschen und Häuser in eine mystische, archaische Zeit, verstärkt wird dieser Eindruck durch das Geigenspiel des „Fiddler auf dem Dach“, Lukas Kusztrich. Wie ein Hüter des Dorfes spielt er auf den Dächern stehend, manchmal tröstlich, dann wieder Geheimnisvolles ankündigend.

Die Menschen in diesem Dorf Anatevka führen ein ärmliches, aber nicht unglückliches Leben. Die Tradition wird hoch gehalten, man feiert den Shabbat – diese Szene ist tief berührend -, fragt in schwierigen Situationen den Rabbi, der jedoch auch keine Lösung bereit hat. So wendet sich Tevje, der Milchmann, direkt an Gott mit seinen Fragen und Problemen. Dominique Horwitz ist ein Tevje, wie man sich ihn nicht besser vorstellen könnte: In seinem Gesicht, Stimme und Gestik zeichnet sich die Mühe des Lebens ab. Als drei seiner Töchter sich ihren Bräutigam ohne die Heiratsvermittlerin (großartig Martina Dorak) und ohne ihn um Erlaubnis zu fragen aussuchen und sich still und heimlich verloben, bricht für ihn im ersten Moment die Welt zusammen. Doch dann kommen seine Erwägungen – humorvoll: Einerseits, andrerseits – und letztlich versöhnt er sich mit diesen aufmüpfigen Töchtern und deren Verlobten. Jüdischer Humor glänzt immer wieder auf – zum Beispiel in der Traumszene: Tevje muss seiner Frau Golde – ganz ausgezeichnet von Regula Rosin gespielt und gesungen – klar machen, dass seine älteste Tochter Zeitel (stimmlich und darstellerisch gut: Anita Götz) nicht den reichen Fleischer (Marco di Sapia), sondern den armen Schneider Mottl (Oliver Liebl) heiraten wird.

Alle Darsteller, bis in die kleinsten Nebenrollen, sind stimmlich und darstellerisch gut besetzt. Nicht unerwähnt dürfen die Leistungen der Tänzer des Wiener Staatsballetts bleiben: Der Kasatschok und der Flaschentanz sind Glanzleistungen.

Dass das Musical heute mehr denn je aktuell ist, macht der Schluss deutlich: Ein Erlass des Zaren zwingt die Bewohner, binnen kurzer Zeit Haus und Heimat zu verlassen: „Heimat verlassen tut weh, sehr weh“ singt Tevje. „Ja, wir ziehen weg von hier, Gewalt vertreibt die einen, Gleichgültigkeit die anderen.“ Wer denkt da nicht an die jüngsten Ereignisse?

Und wieder einmal zeigt sich, dass eine kluge Regie, die ohne Schnick Schnack und modische Attitüden auskommt, erfolgreich ist. Das Publikum dankte dem Ensemble und dem Dirigenten mit viel Applaus und Bravorufen!

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Volksoper Wien: Richard Strauss, Salome

Inszenierung: Luc Bondy, für die Salzburger Festspiele 1992. Neu inszeniert von seiner Witwe Marie-Louise Bischofberger-Bondy

Was für ein Abend! Endlich ein Opernabend, wie man ihn schon lange nicht mehr erlebte. Nach den vergeigten Inszenierungen der Salzburger Festspiele 2023 , wie die „Hochzeit des Figaro“ unter der fürchterlichen Hand von Kusej oder der „Falstaff“ unter der noch schrecklicheren Regie von Christoph Marthaler, durfte das opernaffine Publikum endlich wieder aufatmen und eine Operninszenierung genießen – ja „genießen“, bei der alles stimmte: Das Orchester, geführt von der kundigen Hand Omer Meir Wellbers, die Sänger und Sängerinnen auf höchstem Stimm- und Spielniveau.

Bondys Inszenierung ist feinsinnig, humorvoll ohne respektlos zu sein. Er schreibt durchaus seine eigene Interpretation dem Werk ein, verliert dabei nie den Blick auf das Wesentliche. Für ihn ist Salome das verwöhnte Girl einer reichen Familie, sie ist all des unsinnigen Geschwätzes und der unerträglichen Festgelage überdrüssig. So schleicht sie sich von der Tafel weg und hört den verstörenden Gesang eines Mannes aus der Tiefe eines Brunnens. Er singt von einem Gott, der da kommen wird. Der Gott interessiert sie wenig, der Mann, der da singt, umso mehr. Und so befiehlt sie, ihn aus seinem Brunnengefängnis frei zu lassen. Von dem Moment an erwacht in dem gelangweilten Mädchen die Sexualität, die Gier nach Körperlichkeit. Je mehr sich Jochanaan von ihr abwendet, desto mehr ist Salome fasziniert. Was? – ihr soll etwas verwehrt werden, was sie begehrt. – das gibt es nicht! Und so beginnt eine der spannendsten Szenen des Abends: Astrid Kessler singt und bezirzt den Mann mit allen Tricks eines jungen Mädchens, das gewöhnt ist zu bekommen, was sie begehrt – einen Kuss. Tommi Hakala stimmlich und körperlich ein eindrucksvolles Mannsbild, wendet sich angewidert ab – aber, und da merkt man die subtile Personenführung Bondys – doch nicht so ganz angewidert, wie er als Gottesmann sein sollte. Das Spiel zwischen den beiden wird dringlich, erotisch, musikalisch von Omer Weir Wellber mit Fingerspitzengefühl und punktgenau dirigiert -, bis es fast zur Annäherung kommt. Die Spannung ist spürbar zwischen den beiden, doch dann löst sich Jochanaan aus dem erotischen Bann und kehrt zurück ins sein Verlies.

Weil Bondy allen orientalischen Schnickschnack wegließ, kommt keine Langeweile auf – dafür sorgt die urkomische Figur des Herodes – von Wolfgang Ablinger Sperrhacke köstlich persifliert. Sein leichter S-Fehler macht ihn fast zu einer commedia dell´arte Figur. Er glaubt nicht wirklich an seine Macht, fürchtet sich recht naiv vor dem Propheten, den er da eingesperrt hat. Sein Motto: Sicher ist sicher, besser ihn am Leben zu lassen, man weiß je nie, wozu er gut ist. Ein wenig tölpelhaft befiehlt er Frau und Tochter, merkt nicht, dass er ins Leere rennt mit seinem befehlerischen Gehabe. Das ist große Schauspiel- und Regiekunst: Eine Figur aus dem gewohnten Rollenschema zu heben, ohne sie ins Gegenteil zu verkehren. (Martin Kusej sollte sich da einiges von dem Regiegenie Bondy abschauen, aber er war ja nicht anwesend. Wohl aber Hinterhäuser, auch ihm möge dieser Abend eine Lehre sein!). Das Spiel zwischen Salome und Herodes gipfelt zunächst einmal in dem berühmten Tanz. Auch hier regiert die humorvolle Hand Bondys: Astrid Kessler legt eine Persiflage zwischen Ärobic, Streetdance und Schleiergewachel hin – für Herodes gut genug, um sich daran aufzugeilen. Danach verhandeln die beiden um den ihr zugestandenen Preis, der da ist: Der Kopf des Jochanaan. Den will Herodes ihr nicht liefern – wie gesagt, den Propheten braucht er vielleicht noch in der Zukunft, und zwar lebendig. So setzen sich die beiden an einen Schreibtisch, gerade als wären sie in einem Salon von Zuckerkandel oder Mahler-Werfel. Er bietet ihr Schmusck, sie verlangt den Kopf, er steigert sein Anbot, sie will den Kopf. Das ist durchaus komisch, wie sich der Handel da abspielt. Klar, Salome gewinnt. Man bringt ihr den Kopf in blutige Tücher gehüllt. Und da zeigt sich wieder einmal mehr die Regiepranke Luc Bondys und die Genialität des Komponisten Richard Strauss: Langsam, ganz langsam dämmert Salome, dass sie nicht wusste und nie wissen wird, was Liebe ist: „Liebe schmeckt öde nach Gewalt“, erkennt sie. Die Gewalt manifestiert sich in ihr – das dumme Girl ist nicht mehr, zurück bleibt eine junge Frau mit liebeleeren Händen und Lippen. In diese starke, berührende Szene schreit Herodes, plötzlich angewidert und machtbewusst, was er bis dahin nie war: „Tötet dieses Monster“.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus den Sängern für die außergewöhnlichen Leistungen, allen voran Astrid Kessler für die lebendige und starke Interpretation der Salome, dem Dirigenten Omar Meir Wellber und dem Orchester der Volksoper Wien und dem Team rund um Marie-Louise Bischofberger-Bondy (Erich Wonder für die interessante, schlichte Bühne, Susanne Raschig für die dezent-zeitlosen Kostüme) und posthum natürlich Luc Bondy für eine Inszenierung ohne abgetroschene, allzu überdeutliche Anspielungen auf gesellschaftliche Um-Auf- oder Zusammenbrüche.

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Volksoper Wien: Le nozze di Figaro von W.A. Mozart

Julian Rachlin dirigiert das Orchester der Volksoper Wien

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Ein „Figaro“, wie man ihn sich nicht schöner wünschen kann. Wenn Marco Arturo Marelli inszeniert, dann weiß man, dass es nicht nur gut, sondern exzellent wird! Und so war es auch. Marelli, dafür bekannt, dass er für Regie, Bühne und Licht zeichnet, stellt ein Gesamtkunstwerk auf die Bühne. Dekor und Kostüme (Dagmar Niefind) bleiben in der Zeit vor der Französsichen Revolution. Marelli verzichtet bewusst auf die für das Publikum oft leidvolle Aktualisierung und wirkt deshalb umso „moderner“. Zauberhaft ist das Bühnenbild, wofür er sich von dem Gemälde Bayeux`“Sturz der Giganten“ und Daniel Grans „Aufnahme Dianas in den Olymp“ inspirieren ließ. Verstellbare Wände und große Fenster imaginieren viel Licht. Dass Marelli ein großer Lichtkünstler ist, ist ebenfalls bekannt und bestätigt sich in dieser Inszenierung einmal mehr. Von feinem Lichtzauber eingesponnen sind ganz besonders die Szenen im Salon der Gräfin, die ihren melancholischen Erinnerungen an die vergangene Liebe nach-sinnt:“Dove sono i bei momenti..“ Kamila Dutkowska ist als verletzte Gräfin gut besetzt. Sie liebt den Grafen noch immer, ist aber einem kleinen Gspusi mit Cherubino nicht abgeeigt. Ganz zart, fein gesponnen umhüllt das Licht Susanna, wenn sie im letzten Akt wie im Traum versunken die Arie „Vieni, non tardar o gioia bella“ singt. Lauren Urqhart ist die bezauberndste Suanna, die man sich vorstellen kann: Mit ihrer Stimme, die den Himmel öffnet, gepaart mit intensiver Spielfreude ist sie Zentrum und Star des Abends. Hoffentlich wird so noch lange der Volksoper erhalten bleiben!!

Marellis Stärke liegt auch, und das ganz besonders, in einer genauen Personenführung. Die große Zahl der Personen, Intrigen, Capriolen und Verwirrungen punktgenau und gestochen scharf zu inszenieren, ist eine große Kunst. Jede kleinste Bewegung hat Sinn, ist komisch und zugleich Charakteristikum. Den Grafen Almaviva (Orhan Yildiz) lässt er nicht als den großen Unsympathler erscheinen, sondern eher als harmlosen Lebemann der jedem Weib aus Gewohnheit nachstellt, insbesondere aber Susanna, die ihn mit ihrem Charme und Unerschrockenheit reizt. Am Ende hat er ja doch das Nachsehen und bekennt sich (mehr unfreiwillig als freiwillig) zu seiner Frau. Gott sei Dank lässt sich Marelli nicht auf die übliche, inzwischen auf vielen Bühnen schon allzu üblich gewordene Metoo-Anspielungen ein. Wie er sich überhaupt von jedem Regie- und Modetheater fern hält, wofür ihm das Publikum dankbar ist.

Evan Hughes ist als Figaro zwar der Hansdampf in allen Gassen, doch die Lösung des Problems findet nicht er, sondern Susanne. Stimmsicher fordert er den Grafen heraus: „Se vuol ballare..“, aber gegen Ende muss er erkennen, dass Susanna und nicht er das Heft in der Hand hat.

Bezaubernd ist Wallis Giunta als Cherubino. Mit ihrer Auftrittsarie „Voi che sapete cos`è amor“ hat sie Susanna und die Gräfin für sich gewonnen. Ebenso das Publikum. Mit sportlichem Hocheinsatz und großem Talent für Situationskomik sprintet sie unter Betten, Röcke, Sessel und Tische und sorgt ordentlich für Verwirrung am Hofe des Grafen.

Julian Rachlin, den wir bisher nur als Geiger kennenlernten, entpuppt sich als einfühlsamer Dirigent. Geschickt führt er auf Ton und Aktion hin punktgenau passend Orchester und Sänger zusammen. Selbst im größten Tumult verliert er nie die Führung. Man hört jede komische Gebärde, die leisen Untertöne oder die feine Ironie genau heraus. So wurde der Abend zu einem ganz besonderen ERlebnis!!

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Puccini: La Bohème. Volksoper Wien.

164. Vorstellung. Neueinstudierung: Angela Brandt

Regie: Harry Kupfer (1935-2009)

Ein Abend des musikalischen Wiedererkennens und Erinnerns. Harry Kupfers dem Realismus verschriebener Regie, die Personenführung gepaart mit dem praktischen und eher unromantischen Bühnenbild von Reinhart Zimmermann ergaben einen Abend des fast puren Operngenusses. Fast – weil Carlo Goldstein meinte, er müsse Kupfers Regie durch ein erdiges und oft sehr deftig-lautes Dirigat betonen. So ging die zauberhafte Kennenlernszene von Rodolfo und Mimi im Getöse des Orchesters unter. Anett Fritsch als Mimi und Giorgio Berrugi als Rodolfo hatten große Mühe, ihre Stimmen über den Orchestergraben hinwegzutragen. Beide passen in die Rollen stimmlich und schauspielerisch gut, wenn das Orchester ihnen die Möglichkeit lässt, ihr Können zu beweisen.

Harry Kupfers Regiekonzepte waren dem Realismus eines Bert Brecht verpflichtet: Gutes, solides Bühnenbild, keine Extravaganzen in der Interpretation, sondern immer dem Werk treu ergeben. Ein Parsifal im Gefängnis – wie man ihn letztens in der Staatsoper in Wien zu sehen bekam – wäre ihm nie in den Sinn bekommen. Seine Figuren sind, was der Komponist in sie hineinkomponierte: Menschen, und keine Metafiguren. Daher musste sich der Zuhörer nie mit sonderbaren Regieeinfällen plagen und darüber die Musik „überhören“. Deshalb sorgt die Wiederaufnahme der Bohème für ein fast „neues“, weil seit Jahren nicht mehr erlebbares – Opernerlebnis: Einfach dem Komponisten und dem Regisseur zuhören, was er uns erzählt: Das Leben von jungen Leuten, die auf die Borugoisie pfeifen, nichts ernst nehmen, bis dann das Leben sie ernst nimmt. So greift Kupfer im 2. Akt in die volle Lebenslust, lässt Kinder, Gaukler und Menschen tanzen, singen, um dann im 3. Akt die trübe Wirklichkeit um so stärker wirken zu lassen. Unromantisch und sehr realistisch beschließen Mimi und Rodolfo nicht im Winter sich zu trennen, sondern erst im Frühjahr, wenn die ersten Blüten den Schmerz mildern. Und ganz schnörkellos und schlicht stirbt Mimi. Fast unbemerkt. Kein Tränendrama, sondern harte Realtiät.

Gespielt und gesungen wird von dem Ensemble mit großem Einsatz, wenn der Dirigent ihnen die Chance gibt. Neben den beiden Protagonisten fallen Lauren Urquhart als Musetta und Andrei Bondarenko als Marcello stimmlich und schauspielerisch auf. Leider kam die berühmte „Mantelarie“ des Colline (Aaron Pendleton) zu unspektakulär über die Bühne. Die in ihr enthaltene Gesellschaftskritik blieb ungehört. Zusammenfassung: Ein wichtiger Abend, der so manche Regisseure an ihre eigentliche Aufgabe erinnern sollte: Nicht die Egomanie mit unverständlicher und skandalträchtiger Regie befriedigen, sondern dem Werk und der Musik sich unterordnen!

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Staatsoper Wien: Gustav Mahler, Von der Liebe Tod. Das klagende Lied, Kindertotenlieder

Dank des wunderbaren Dirigats von Lorenzo Viotti, der die Musik Mahlers feinsinnig und detailreich dirigierte, war dieser unselige Abend auszuhalten. Man musste nur die Augen schließen, dann blieb man von diesem „spektakulären Bühnenbild“ (so Direktor Roscic) von Calixto Bieito verschont. Plastikschläuche und Körperverrenkungen – was hatte sich dieser Regisseur dabei gedacht? Manche Sequenzen glichen einer Schülerauffführung. Dass das Publikum angetan war, kann ich nicht behaupten. Rund um mich herum nur Kopfschütteln. Diese Aufführung bestätigt wieder einmal mehr, wie Regietheater Oper kaputt macht – man versteht, warum Philippe Jordan keine Lust mehr hat, an der Wiener Oper zu dirigieren.

Eigentlich müssten der Direktor und der Bühnenbildner am Ende der Aufführung dem Publikum das Eintrittsgeld zurückgeben. A propos Geld: Es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass man an der Tageskasse bis 18h Karten für fast alle Vorstellungen um 49 Euro bekommt. Und dass vor der Tür einer steht, der ein ganzes Paket an Karten für diverse Vorstellungen – auch für Rigoletto!! – um 49 € anbietet. Die Dummen sind die Vollzahler!!!

Wolkenturm/Grafenegg: Beethoven: Fidelio (Konzertant, Textfassung Walter Jens: Roccos Erzählung, Bearbeitung: Brigitte Karner)

Gstaad Festival Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden

Es war ein Abend, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen konnte: Die Sonne ging in rosaroten Wolken unter und ließ ihr letztes Licht über das Schloss, den Park und den Wolkenturm fallen. Sanfte Wärme bis spät in die Nacht. Decken und Jacken blieben unausgepackt.

„Fidelio“ als konzertante Aufführung ist ein seltenes Erlebnis. Manchmal auch ein seltsames. Wenn etwa Leonore (Sinéad Campell-Wallace) im eleganten roten Abendkleid stimmgewaltig ihr Leid und ihre Sehnsucht nach Florestan besingt („Komm Hoffnung..“) Da schließt man am besten die Augen und versetzt sich selbständig in einen düsteren Raum. Gegen Ende des ersten Aktes macht es durchaus Sinn, wenn der Erzähler/ Rocco das Leid der Gefangenen schildert und der Chor den Gesang „O welche Lust, in freier Luft“ anstimmt. Das hilft dem Zuhörer, in die Oper einzusteigen und sie zu erleben. Trotz Abendkleidung der Protagonisten.

Nach der Pause stieg die Spannung – denn jetzt wird Jonas Kaufmann singen. Er muss „aus dem Stand“ heraus gleich voll einsteigen – glaubt man. Doch er beginnt den berühmten Schrei „Gott!“ – sonst ein Schrei, der durch Mark und Bein geht – mit einem Piano und singt auch weiterhin nicht mit „voller Stimme“. Fast hatte man den Eindruck, dass er sich ein wenig müht. In dem Terzett mit Rocco (Andreas Bauer Kanabas), Florestan und Leonore übertönt die stimmgewaltige Sinéad Campell- Wallace die beiden Männer. Kaufmann hält sich zurück?? Und so bleibt es bis zum Schluss. Die Oper müsste „Leonore“ heißen, weil Campell-Wallace die Rolle derartig stimmgewaltig und alle anderen Stimmen verdrängend verkörpert. Ihr galt auch der meiste Applaus. Zum Ende ehrt der Rocco – Simonischek – den Mut der Frau an sich. Er löst Leonore aus der Einmaligkeit ihres Schicksals und macht sie zur über die Oper hinausreichende Ikone der Frau, die durch Mit-Leiden und entschlossenes Handeln Krieg und Hass besiegt.

Falk Struckmann war ein überzeugender Pizarro. Die Gewalt seiner Stimme ließ die Figur griffig werden. Andreas Bauer-Canabas ein Rocco, genau zwischen Mut und Unterwürfigkeit. Christina Landshamer eine sympathische Marzelline, Matthias Winckhler als Don Fernando ein ruhiger Bote der Gerechtigkeit.

Jaap van Zweeden leitete das Gstaad Festival Orchestra mit feinem Gespür. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn war ein exzellenter Partner der Sänger.

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Landestheater Salzburg, George Bizet: Carmen

Aufführungsort: Zirkuszelt in der Arena/Messe Salzburg (wegen Renovierung des Landestheaters)

Gabriel Venzago dirigiert das Mozarteumorchester Salzburg

Man blickt auf das Rund der Zirkusarena und wartet auf den Auftritt der Arbeiterinnen aus der Zigarrenfabrik. Doch die kommen nicht, statt dessen eine Schar von Frauen, die sicher nicht in einer Fabrik arbeiten. Man wartet auf Carmen, die Anführerin der kämpfenden und schreienden Schar. Als sie auftritt ist man irritiert: Carmen im sibernen Abendkleid? Ihre Auftrittsarie „si je t`aime..“ singt sie eher so nebenbei, ganz als wäre das eine nebensächliche Alltäglichkeit, die sie mit links erledigt: so ein paar Jungsoldaten verführen. Dann besteigt sie eine Mondschaukel aus Silber und lässt sich in die Höhe ziehen. Dazwischen turnen und jonglieren einige recht planlos, ein Clown steht herum. Man ist ratlos und wird es immer mehr. Erst am Ende des zweiten Aktes fällt der Groschen: Hier wird nicht Carmen gespielt, wie man sie so oft schon erlebte. Man sieht eine Carmen, die eine Art Zirkusprinzessin ist, im Zirkus mit den Akrobaten lebt. Das Leben spielt sich nicht in einer Räuberhöhle oder Wirtshaus ab, sondern mitten im Zirkus. Ab da waren das Regiekonzept von Andrea Bernard und die Kostüme von Stefanie Seitz verständlich.

Doch weit wichtiger als der Regieeinfall waren die Stimmen. Und was für Stimmen!!!! Luke Sinclair als Don José war (für mich) einer der besten in dieser Rolle, die ich je gehört habe. Solch einen Tenor würde man sich an der Wiener Staatsoper wünschen: Klarer Tenor, mühelos in der Höhe, weich in den tiefen. Und er sah noch dazu gut aus und spielte den verletzten Liebenden mit einer Hingabe, die an die Intensität eines Rolando Villazon erinnert. Es geschah für mich zum ersten Mal, dass die Rolle des Don José die der Carmen überstrahlte. l Deniz Uzun als Carmen war ebenfalls sehr überzeugend, Stimme und Spiel passten genau in die Rolle! Höhepunkte der Oper waren das Liebeduett zwischen José und Carmen und natürlich die Schlussszene! Was für eine tiefe, aussichtslose Liebe war es, die José in der Verzweiflung Carmen töten ließ. Doch leider, leider hatte der Regisseur eine unglückselige Idee: José schleppte Carmen in den Kasten, in dem kurz vorher der bekannte Zaubertrick der zersägten Frau vorgeführt wurde. Dann packte José das am Boden liegende Schwert und bohrte es durch das Holz in Carmens Herz. Die dann tot herausfiel. Diese Aktion zerrisss die Intensität des Tötungsaktes und zog sie ins Lächerliche.

Trotz allem; verdienter tosender Applaus für alle, besonders für Deniz Uzun und Luke Sinclair!!! Danach trat auch der Intendant Carl Philipp von Maldeghem vor den Vorhang und bedankte sich beim Publikum für die Treue, die es dem Theater im Zelt „trotz Sturm, Regen, Kälte und Hitze“ gehalten hat. Viel Applaus für Maldeghem, der sich Gott sei Dank gegen Köln entschieden hat. Nach dieser miesen Hetze der Kölner Presse gegen ihn, durchaus verständlich. Und die Salzburger sind glücklich, dass er bleibt!!!

http://www.salzburger-landestheater.at