Aus dem argentinischen Spanisch von Matthias Strobel
„Pola Oloixarac ist eine der besten Schriftstellerinnen des Internets, dem einzigen Land, das größer ist als Argentinien“ schreibt Joshua Cohen auf dem Innenumschlag des Buches.
„Oloixaracs Sprache könnte schärfer nicht sein“ Spiegel Online, ebenda
„Ohne Zweifel einer der ersten spanischsprachigen Klassiker des 21. Jahrhunderts“. El Mundo – lese ich auf der Rückseite des Covers.
Ich orte einen akuten Fall von „Des Kaisers neue Kleider“!!! Kein Kritiker traut sich zu sagen, dass dieses Buch unverständlich ist. Um sich keine Blöße zu geben – man will ja nicht als Philosphie und Psychologie – und sonstiger Kulturbanause dastehen, lobt man, was man nicht versteht. So ist man auf der sicheren Seite.
Also ich gestehe: ich habe nicht verstanden, was diese Autorin erzählen will. Da geht es um einen Urwaldforscher, der verschollen ist, um Psychos mit „wilden Theorien“, dem Paar K. und Papst, die sich in sado-masochistischen Praktiken üben, um eine angeblich schöne Philosophiestudentin, die in Buenos Aires ihr Unwesen treibt..
Als ich in einer Radiobuchbesprechung hörte, dass der Roman in Buenos Aires handelt und vieles sich um Psychoanalyse dreht, war ich neugierig. Ich lebte einige Zeit in dem Stadtviertel Palermo, bevor es zur schicken Bistro- und Hotelzone wurde, also lange vor 2015. Da saßen die Studenten in den herrlich verschmuddelten Cafés und diskutierten über Freud und die Entwicklung der Psychoanalse. Mag sein, dass es auch solche Figuren wie in dem Roman gab, aber die Mehrheit war um Ernsthaftigkeit bemüht.
Bei der Lektüre des Buches stellte sich mir wie so oft bei hoch gelobten Genieautoren die Frage: Quo vadis Literatur?
Als Dacia Maraini für ihr Buch „Die stumme Herzogin“ recherchierte, stieß sie auf die Chronik der Pest, die 1743 in Messina ausbrach. Als Corona sich in Italien und ganz Europa auszubreiten begann, erinnert sich Dacia Maraini an die Geschichte der Pest und arbeitet diese historisch belegten Fakten in den Roman „Trio“ ein.
Es scheint, dass die Autorin für Dreierbeziehung in ihren Romanen eine gewisse Vorliebe hat. Ihr vorletzter Roman handelt von drei Frauen – so auch der Titel- und den Generationsproblemen zwischen den Alten, den Mittelalterlichen und den Jungen.Im „Trio“ geht es salopp gesagt um eine „Menage à trois“. Annuzza und Agata sind Freundinnen seit Kindheit an. Als sie sich beide in den schönen, edlen, klugen Girolamo (gibt es solche Männer überhaupt???) verlieben, zerbricht ihre Freundschaft daran nicht, im Gegenteil, sie wird fester, stärker. Girolamo heiratet Annuzza, hält sich aber Agata als Geliebte, die er mit Wissen Annuzzas, wann immer ihm danach ist, aufsucht. Den viel interessanteren Rahmen dieser etwas gefühlstriefenden Geschichte bildet jedoch die Geschichte der Pest. Man staunt, welche Maßnahmen man damals schon kannte: 40 Tage Quanrantäne, nur abgekochtes Wasser verwenden, Sauberkeit als oberste Prämisse.
Der kurze Roman liest sich leicht, aber der Verdacht kommt auf, dass er eine „Anlassgeschichte“ zur Coronaepidemie ist, eine Art „Restlverwertung“. Denn die Geschichte der Dreierbeziehung ist etwas dünn geraten.
Was Sie schon immer über Mozart wissen wollten! Mit Mozarts Hund „Gaukerl“ vom ersten bis zum letzten Auftritt in Wien
Immer durch dieselben Straßen, immer durch dieselben Parkanlagen und Gärten zu spazieren verliert langsam seinen Reiz. Gegen die coronabedingte Spaziermüdigkeit hilft dieses Büchlein, das zu Mozarts Wirkungsstätten führt. In die Tasche stecken und los geht`s in schmale Gassen in der Innenstadt, in Hinterhöfe, auch zu wenig bekannten Plätzen in der Vorstadt.
Die Autorin kennt „ihren Mozart“! Sie führt die Leser zu den Orten, die Mozart in den letzten zehn Jahren in Wien frequentierte. Als Mozartguide fungiert der Hund „Gaukerl“. Humorvoll kommentiert er aus Hundesicht das Geschehen. Diese gelungene Mischung aus Information und Humor ist ja Harriets Stärke. Wer sie zum Beispiel von ihren Auftritten als Arthur Schnitzlers Witwe kennt, weiß das zu schätzen. In diesem Buch erfährt man nicht nur viel über Mozart, sondern auch so manches Wissenswertes aus der Wiener Gesellschaft. Etwa wie Johann Edler von Trattner zu seinem immensen Reichtum kam: Er hatte das Privileg, Schulbücher für alle Schulen in der Monarchie zu verlegen. Außerdem verdiente er sich mit Raubkopien eine goldene Nase. Und er legte das gewonnene Geld klug in Grundstücke und Immobilien an. Bedenkenlos ließ er alte Häuser abreißen und baute den heutigen Trattnerhof , wo er unter anderem ein florierendes Casino einrichtete. Die Story erinnert an so manche Immobiliengrößen von heute.
Nicht uninteressant sind die regelmäßigen Besuche Mozarts in der Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“, wo sich besonders viele Künstler versammelten. Ein Logenbruder war auch Angelo Soliman. Als prominenter Schwarzer, damals Mohr genannt, erlangte er durch seinen Tod traurige Berühmtheit: Kaiser Franz II. ließ ihn von dem Bildhauer Franz Thaler abhäuten und ausstopfen. Bis 1848 konnte man ihn in der Naturalien-Sammlung des Kaisers mitten unter Wasserschweinen und seltenen Vögeln bewundern.
Lebendig und pointiert lässt Elisabeth – Joe Harriet das Leben Mozarts inmitten der Wiener Gesellschaft, von reichlichem Bildmaterial begleitet, entstehen. Der schmale Band sticht angenehm aus den oft schwer lesbaren, allzu wissenschaftlichen Büchern über Mozart heraus. Eine gute Medizin gegen Coronaüberdruss! Die Autorin wird -sobald es coronabedingt möglich ist – zu Mozarts Stätten führen .
Dieser Doppelnutzen macht das Buch besonders attraktiv: Einerseits erlebt man die zehn letzten Lebensjahre Mozarts direkt vor Ort nach, andrerseits sind solche Apercus über die Wiener Gesellschaft auch nicht uninteressant.
Also den Frust über die ewig gleichen Spazierwege vergessen und auf Mozarts Spuren mit dem Buch in der Hand losziehen.
Traurig schließe ich dieses Buch. Traurig, weil es zu Ende ist. So fühle ich mich immer, wenn ich – was selten genug der Fall ist – ein Buch beendet habe, das mich durch Tage gefangen hielt. Eine literarische Kostbarkeit darf nur in kleinen Dosen genossen werden, sage ich und lese immer nur ein Kapitel. Dann lege ich das Buch weg. Lasse Sprache und Bilder, die Hartmann einfühlsam und subtil erstehen lässt, in mir wirken, lese einige Stellen nochmals, um sie besser in mich aufnehmen zu können und lange zu bewahren.
Lukas Hartmann ist kein „Seitenfüller“. Seine Sätze sind jeder für sich kostbar, bildhaft, stark. Banalitäten lässt er nicht durchgehen. Denn die Bilder des Malers Louis Soutter, dessen Leben und Werke Lukas Hartmann auf knapp 250 Seiten beschreibt, waren für ihn „ein künstlerisches Offenbarungserlebnis“, wie er im Nachwort gesteht. Erst nach langer und eingehender Beschäftigung mit diesem Ausnahmekünstler wagte er es, dieses Buch zu schreiben.
Die alles beherrschende Mutter
Louis Soutter (1871 -1942) wächst in einem gut bürgerlichen Haus in Morges am Genfer See auf. Er und seine Schwester Jeanne werden von der ehrgeizigen Mutter zu „Wunderkindern“ gedrillt. Sie sollen als Musiker Weltkarriere machen: Louis als Geigenvirtuose und Jeanne als Sängerin. Beide versuchen immer wieder, sich diesem Zwang zu entziehen. Mit mäßigem Erfolg. Das übergroße Mutterbild wird ihr Leben beherrschen und zum Teil auch ruinieren. Nur der Älteste der drei Kinder, Albert, scheint zunächst davonzukommen. Er übernimmt die Apotheke des Vaters. Doch auch er scheitert und rettet sich in den Suff.
Louis versucht tatsächlich ein Geigenstudium, gibt es aber bald zu Gunsten der Malerei auf. Seine Heirat mit einer reichen Amerikanerin scheitert kläglich, weil er ihren Anforderungen nicht genügen kann. Zurück in der Schweiz, versucht er mit mäßigem Erfolg, sein Geld als Geiger zu verdienen. Aber er spürt, es ist die Malerei, die sein Leben bestimmt. Unfähig, sich selbst zu erhalten, wird er bald in ein Altersheim eingewiesen, wo er 19 Jahre bis zu seinem Tod 1942 bleiben wird. In einem armseligen Zimmer malt er wie besessen. Bilder, die sich ihm aufdrängen. Er kann nicht anders, er muss seine inneren Qualen, seine Visionen vom kommenden Krieg malen.Hellsichtig weiß er, dass Mussolini und Hitler den Tod von Millionen Menschen verursachen werden.
Seine Bilder
Seine Bilder wurden zu Lebzeiten von niemandem geschätzt. Heute werden sie in verschiedenen Museen ausgestellt. Soutter selbst hatte Zweifel, ob sie irgendwem einmal etwas bedeuten werden. Manche Bilder zerreißt er, manche verschenkt er, die meisten stapelt er in seiner Kammer zu großen Haufen. Als seine Augen immer schwächer werden, malt er mit Fingern, lässt sie wie in Trance über das Papier tanzen, einer inneren Musik folgend. Er stirbt 1942 einsam in seiner Kammer, inmitten einer Unmenge von Werken.
Geschickt beleuchtet Lukas Hartmann diesen schwierigen und schwer fassbaren Charakter von verschiedenen Seiten und wechselt den Standpunkt der Betrachter. Einige Male reflektiert die Mutter in der Ichform über ihre Wünsche und Vorstellungen, die sie für die Kinder hatte. Als objektiver Beobachter fungiert ebenfalls der Cousin Charles-Edouard, der später als Architekt Le Corbusier eine intenationale Karriere machen wird. Dass die beiden in Anschauungen und Lebensformen total verschieden sind, wird dem Cousin sehr schnell klar. Dennoch besucht er Louis in Abständen von mehreren Jahren immer wieder, obwohl er mit seinen Bildern nichts anzufangen weiß. Aber die intensiven und sehr kontroversiell geführten Auseinandersetzungen über die Aufgaben der Kunst faszinieren den Cousin.( Dass Hartmann von der kalten Architektur Le Corbusiers nicht sehr viel hält, lässt er dabei deutlich werden) Als glühender Verehrer von Mussolini und Hitler wird Corbusier erst nach dem Tod von Louis dessen Hellsichtigkeit erkennen.
Besonders berührend schildert der Autor das innige Verhältnis zwischen Louis und seiner Schwester Jeanne. Sie ist die einzige aus der Familie, die ihn versteht und versucht, ihm in seiner Lebensuntüchtigkeit Halt zu geben. Die Kindheit der beiden, die, vertieft in Spiele und erfüllt von gegenseitiger Zärtlichkeit, der Härte der Mutter zu entgehen versuchen und sich eine eigene Welt bauen, war nur in diesen Phasen des ungestörten Zusammenseins glücklich. Doch auch Jeanne wird später nicht die nötige Kraft aufbieten, sich gegen die Mutter zu stellen. Sie zerbricht in diesem Kampf und wird Selbstmord beghen.
Das Leben Louis Soutters erinnert in vielen Zügen an den Schweizer Autor Robert Walser (1878-1956). Beide hatten mit den bürgerlichen Lebensformen und den Anforderungen der Gesellschaft an sie schwere Probleme. Beide versuchten im Gehen über weite Strecken ihre innere Unruhe zu bezähmen. Beide fanden in der (unfreiwilligen) Abgeschlossenheit eines Heimes einen gewissen Frieden und schufen wichtige Werke. Auch der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) erlitt ein ähnliches Schicksal: Nach der schmerzvollen Trennung von seiner Geliebten Suzette Gontard und nach deren Tod zerbricht in ihm das Korsett, das ihn bis dahin in einer gewissen bürgerlichen Bahn gehalten hat. Er geht, geht, geht, weit und als er nach Tübingen zurückkehrt, hat sich sein Geist verwirrt, so glaubt man.Nach einer sinnlosen Zwangsbehandlung im Tübinger Klinikum zieht sich Hölderlin bis zu seinem Tod in die Einsamkeit eines Turmes zurück. Und vielleicht darf ich auch Parallelen zu Peter Handke ziehen. Er wählt die Abgeschiedenheit selbstbestimmt. Ebenso wie Soutter und Walser ist ihm das Gehen in der Natur Impuls und schafft ihm inneren Frieden.
All diesen Künstlern gemeinsam ist das innere Brennen für ihre Kunst, das bedingungslose Wollen und Schaffen. Lukas Hartann ist ein congenialer Übersetzer, Vermittler zwischen diesem so schwer fassbaren Künstler Louis Soutter und den Lesern. In der Flut der historischen Biografien, die zur Zeit den Markt überschwemmen, leuchtet dieses Buch als seltener Diamant heraus.
Untertitel: Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die WElt eroberte.
Zauberer, so lesen wir, waren am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesellschaftsfähig bis in höchste Kreise hinauf. Auch Intellektuelle und Künstler interessierten sich für die Zauberer und deren Macht über die Menschen. Thomas Mann kleidet in seiner 1930 erschienenen Erzählung „Mario und der Zauberer“ prophetisch die dämonische Macht des Faschismus in die Person des Zauberers Cipolla ein.
Malte Herwig hat in dieser Biografie das Leben des Helmut Schreiber, alias Kala Nag oder Kalanag, wie er sich zuerst nach dem Elefant aus dem „Dschungelbuch“ benannte, fast mikroskopisch genau recherchiert und daraus eine interessante Biografie geschrieben. Schreiber, der schon mit 15 Jahren als Zauberer auftritt, ist von immensem Ehrgeiz zerfressen: Er will der beste Zauberer aller Zeiten werden. Früh erkennt er, dass Zauberkunststücke allein nicht genügen, er muss das Publikum für sich gewinnen, es faszinieren, um es zu beherrschen. Er macht Karriere, begeistert das Bildungsbürgertum der Zwischenkriegszeit, wird die wichtigste Figur im Verein „Der magische Zirkel“, bald auch auch der Direktor. In dieser leitenden Stellung versteht er es geschickt, eventuelle Konkurrenten auszuschalten, zu desavouieren.
Bald schon wird er zum Entertainer der NS-Gesellschaft, wird von Göring, Göbbels und vor allem von Hitler eingeladen zu zaubern und tourt mit seiner Zauberrevue durch Europa. So nebenbei produziert er auch Nazifilme und wird Chef der Bavaria. Lauthals stimmt er in den Chor ader antijüdischen Hasspropaganda ein. Und dann bricht das 1000-jährige Reich zusammen, und man könnte meinen, jetzt ist es aus mit dem großen Zauber. Nein, für Helmut Schneider nicht. Er weiß ja, wie man blendet, ablenkt. Kurz: es gelingt ihm zunächst nicht, sich vor den Amerikanern gänzlich „rein“ zu zaubern. Doch vor den Engländern erzählt er ohne Scham, er sei nie in der Partei gewesen, ja , ganz im Gegenteil, er habe im Widerstand gekämpft und vielen Menschen das Leben gerettet.
Parallelen zu solchen Reinwaschungsproszessen gab es ja viele. Wer das Buch von Herbert Lackner, „Rückkehr in die fremde Heimat“ (im März 2021 erschienen) liest, der staunt, wie wie leicht es war, sich als „unbedenklich“ einstufen zu lassen und danach als Politiker, Künstler, Anwälte, Richter weiter zu arbeiten.
Zurück zu Kalanag/Schreiber: Er zieht nach Kriegsende eine Show der Sonderklasse auf. Woher er das Geld für die teure Ausstattung hatte, ist nicht klar, Malte Herwig vermutet, dass er sich am gut versteckten „Nazigold“ gütlich tat. Schreiber wird zum Großmeister der Zauberer, verdient Unsummen. Seine Frau, die erotisch-exotische Gloria unterstützt ihn tatkräftig, Lusus pur ist angesagt, all das unterstrichen durch den Geparden, der mit ihr auftritt und der neben ihr im Restaurant sitzt.
Doch mit dem aufkommenden Fernsehen hat der Zauber ein Ende. Kalanags Schow ist nicht mehr zeitgemäß. Helmut Schneider stirbt 1963 verarmt und ruhmlos. Ein wichtiges Buch über das Thema: Vergangenheitsbewältigung oder besser über die Tricks, sich seine Vergangenheit wegzuzaubern.
Wien 1934. Die überzeugte Kommunsitin und Schutzbündlerin schickt ihre beiden Söhne ins „Ferienlager“, um sie vor der Verfolgung durch die Nazis zu retten. Slavko der Ältere wird in einem Lager verhungern. Karli, der Jüngere, erlebt zunächst eine gute Zeit in Moskau, wo diese Schutzbundkinder richtig verwöhnt werden. Doch nachdem Hitler den Pakt mit Stalin gebrochen hat, ist es aus mit der heiteren Kindheit. Jugendgefängnis, Straflager folgen. Nach 20 qualvollen Jahren ist Karl frei, heiratet eine Russin und hat mit ihr 2 Kinder. Eines davon ist die Autorin, die später den Lebensweg ihres Vaters penibel recherchieren, Akten und Briefe aufstöbern und sie teilweise in Originalform in den Roman einsetzen wird. Apropos „Roman“: manchmal wirkt er wie eine Dokumentation, ein Skript für eine Doku im Fernsehen, dann wieder schaltet die Autorin auf eine quasi auktoriale Erzählhaltung um. In diesen Teilen bemüht sie sich um eine bewusst karge Sprache, für Poesie ist da kein Platz. Rasche Schnitte von einer ERzählform zur anderen, vom Brief zu Aktenauszügen und kurzen Hinweisen auf den Geschichtshintergrund erinnern immer wieder an eine Voralge für eine Doku. Selten schreibt die Autorin über die innersten Gefühle der Personen. Da heißt es nur: Nina (Mutter der Autorin und erste Ehefrau ihres Vaters) hat Heimweh nach Russland. Arnautovic meidet ganz bewusst eine zu starke Gefühlsebene. Auch wohl deshalb, um klar zu machen, dass in diesen Zeiten es eher ums Überleben als ums Erleben von „schönen Gefühlen“ ging. Und auch, um sich klar darüber zu werden, was ihren Vater zu dem harten, ehergefühlskalten Mann gemacht hat.
Cui bono?
Es hat den Anschein, als sei es derAutorin nicht leicht gefallen zu sein, über ihren Vater offen zu berichten, denn er ist nach seiner Rückkehr aus Russland keineswegs ein sympathischer Mann, betrügt seine Frau, die er zuerst zwingt, mit ihm nach Wien zu ziehen, ihr aber bald die Kinder nimmt und von langer Hand die Scheidung plant, weil er mit einer anderen liiert ist. Dieses spürbare Zögern, über diesen Vater offen und ehrlich zu schreiben, ehrt Ljuba Arnautovic. Denn andere Autoren und vor allem Autorinnen scheuen und scheuten sich nicht, über ihre Familie blank und frei, für den Leser schon peinlich genau zu berichten. Das Familienschicksal in die Öffentlichkeit zu bringen ist Mode geworden. Ljuba Arnautovic weiß ganz offensichtlich um diese Problematik und wählt deshalb die herbe Form der Mischung aus Erzählung und Dokumentation. Fragt sich nur: Ist eine Familiengeschichte auch „Literatur“? Und man fragt sich: Cui bono entstand dieses Buch? Am ehensten wohl für die Autorin selbst, sie will sich ein Bild von diesem durch den Gulag hart gewordenen Mann machen. Die Detailinformationen über das Schicksal von Schutzbundkindern in Russland ist für jeden Leser interessant und informativ. Denn darüber wird ja in keinen Geschichtsbüchern berichtet. Es ist auch interessant zu erfahren, wie sich das Geschichtsbild, die Haltung zum Kommunismus all dieser Familienmitglieder und Freunde in und nach dem Krieg veränderte oder auch gleich blieb.
Was für ein Buch! Es verdient tatsächlich, ein Epos genannt zu werden, auch wenn es nicht in Reimen, auch nicht in einem erkennbaren Versmaß geschrieben ist. Aber die Sprache ist frisch, frech und wirklich neu. Ein mitreißender Stil.
Worum geht es?
Tatsächlich um eine Heldin im altgriechischen Sinn. Selbst Sophokles hätte Anne Bauemanoir das epitheton ornans „Heldin“ verliehen und über sie ein Drama geschrieben.
Sie war 18 Jahre jung, als sie im 2. Weltkrieg der Résistance beitrat und überzeugte Kommunistin wird. Zunächst war es ihre Aufgabe zu gehorchen und geheimnisvolle Koffer mit geheimnisvollen Inhalten von A nach B zu transportieren. Doch eines Tages muss sie sich die Frage stellen: riskiere ich Gefängnis oder sogar mein Leben, wenn ich eine jüdische Familie vor dem Tod rette oder tue ich so, als ob ich nichts wüßte. Sie – rettet die beiden Kinder. Die Eltern und das Baby wollen nicht mit ihr gehen. Nach dem Ende des Krieges studiert sie Medizin, heiratet, bekommt 2 Kinder und arbeitet als erfolgreiche Ärztin. Doch das politische Geschehen lässt sie nicht los. Helfen, das Ideal eines gerechten Staates zu verwirklichen, bleibt ihr Lebensszweck-. Sie arbeitet weiter als Mitglied einer Untergrundbewegung, wird denunziert und muss ins Gefängnis. Bevor sie zu 10 Jahren Haft verurteilt wird, kann sie nach Tunis entkommen. Nun setzt sie sich verstärkt für ein freies Algerien ein. Nach ihrer Scheidung lebt sie in Algier, versucht ein Gesundheits- und Bildungswesen in dem neu gegründeten Staat auf die Beine zu stellen. Doch in den Wirren des neuen Staates ist auch sie gefährdet. Sie flieht nach Frankreich, wo sie bis heute in einem kleinen Dorf lebt. Sie schreibt ihre Memoiren mit dem Titel „Le feu de la mémoire“, auf Deutsch: „Wir wollen das Leben ändern“. Und bald soll der 2. Band erscheinen.
Dieses Buch ringt dem Leser in jeder Hinsicht Bewunderung ab: einmal für die Heldin – die sich sicherlich gegen diesen Ehrennamen wehrt – und noch einmal für die Autorin. Sie hat mit genauen Recherchen den Hintergrund dieser politisch schwierigen Zeit erhellt, ohne damit den Fluss der ERzählung zu belasten. Außerdem ist ihre Sprache frisch, pointiert und daher reines Lesevergnügen.
Es traf sich, dass ich das schmale Büchlein – angenehm leicht zu halten, was der Faule besonders schätzt- zu lesen begann, als meine Faulheit gerade den Höhepunkt erreichte und sich mehr und mehr zur geistigen Trägheit entwickelte. Ich stand knapp vor einer saftigen Depression. Nix half: draußen arschkalt, drinnen – was tun? Kochen? – eher fad, putzen – keinen Bock darauf. Na dann lesen! -Oh bitte nein! Ich bin für eine WEile davon geheilt, fand die meisten Bücher als reine Zeitverschwendung – also Lebenszeitverschwendung.
Was also tun? Also Selbstdiagnose – mit Hilfe dieses Büchleins. Ja Büchlein, nicht Buch, nicht Wälzer! Gott sei Dank!Und finde schon so einen klitzekleinen Fingerzeig: Humor, Selbstironie – alles besser als Selbstmitleid.
Nach einer philososphischen und literarischen Betrachtung über die Faulheit – muss wahrscheinlich sein, sonst wird aus dem Büchlein ein Blättlein und schließlich ist Daniela Strigl ja auch Literaturwissenschaftlerin – also dann doch die Seiten mit Selbstanalyse: Da bekennt sich Daniela Strigl ganz ungeniert zur Faulheit, schreibt witzig über ihre Beweggründe zur Faulheit. Und ich bekenne mich mit ihr als „Anstrengungsvermeiderin“. Was für ein verführerisch hässliches Wort für Lahmheit, Stumpfsinn. Und dann die beste Überraschung, die ein Buch bieten kann: Heute, während ich das Buch lese und diese Zeilen schreibe, ist der 22. März 2021. Und was lese ich auf Seite 38: Der 22. März wurde zum „Goof Off Day“ ausgerufen – zum Weltfaulheitstag. Na also, da wird mein Zustand also gerade international gefeiert. Wenn das nicht ein tolles Omen ist.
Und was passiert plötzlich? Die Faulheit macht einer Freude über den internationalen Feiertag Platz!! Also feier ich mit Daniela Strigl und fühle mich in bester Gesellschaft, wenn auch nur in Gestalt des Büchleins.
Die Treue ist vieldeutig geworden, fast schon abgeschafft, spielt zwischen Freunden, Ehe- und Liebespaaren eine geringe bis keine Rolle. Weil sie unangenehme Fragen aufwirft, denen Marco Missiroli in seinem Roman nachgeht.
Abgehandelt wird die Frage auf allen Alters- und Gesellschaftsebenen. Eine klare Antwort kann der Autor natürlich nicht geben, will er auch nicht. Er spiegelt nur die verschiedenen Facetten, Fragen wider, wie sie von denen diversen Protagonisten gestellt werden.
Angesiedelt ist der Roman in Mailand in den Jahren von 2009 bis in die fast-Gegenwart. Mailand ist eine Großstadt, wie alle anderen auch. Der Leser wird über Gassen und Plätze geführt, und ist er nicht wirklich ein Kenner der Stadt, sagen ihm die Namen nichts. Man spürt, hier unterliegt der Autor einer Schreibmode: möglichst viele Straßen und Plätze zu benennen, ohne aber die soziale Geografie wirklich miteinzubeziehen.
Carlo und Margherita sind ein Paar, wie es scheint, modern-glücklich. Also dem Anschein nach. Aber Carlo ist von einer Obsession besetzt, die da heißt: Sofia. Sie ist Studentin in seinem Seminar, er hätte sie gerne gevögelt, wie es eben umgangssprachlich so genannt wird. Kommt aber nicht dazu. Ist der Nichtvollzug des Sexualaktes schon Untreue, fragt sich Margherita und verführt ihren schwulen Masseur. Der jedoch bleibt seinem Giorgio treu, auch wenn er einmal mit einer Frau geschlafen hat. Das sieht er nicht als Treuebruch an.
Nach Jahren erleben wir Carlo und Margherita als Elternpaar und als fürsorgliche Pfleger und Betreuer der schwerkranken Mutter Margheritas. Es scheint, dass diese Aufgabe die Frage nach Treue obsolet gemacht hat. „Eine freie Ehefrau der Fünfziger, hier bin ich.“ Mit diesem kryptischen Satz endet der Roman.
Stilistisch übt sich Marco Missiroli im Perspektivewechsel, der sogar so weit geht, dass die Zuordnung der Personalpronomina oft nicht klar ist. Von welcher Person ist die Rede, die gerade mit „sie“ genannt wird? Ist diese Zweideutigkeit gewollt? Anzunehmen. Er will den Leser zum Rückblättern, Innehalten, sich neu Orientieren auffordern. „Sie“ kann die Ehefrau, die erträumte Geliebte, die Mutter, die Schwiegermutter sein. „Er“ der Ehemann, der Masseur, der Freund des Masseurs, manchmal auch César, der Kampfhund. Der Masseur hat eine eigenartige Vorliebe für Hundekämpfe, liebt diesen César über die Maßen, obwohl er ihn einmal angefallen und verletzt hat. Diese überriebene Liebe zum Kampfhund, noch über dessen Tod hinaus, ist wahrscheinlich auch eine Variante der Treue.
Der Leser folgt dem Autor durch das Labyrinth der Treue manchmal sehr interessiert, manchmal gelangweilt. Gelangweilt dann, wenn Marco Missiroli allzu detailverliebt Gesten und Aktionen des Alltags schildert, die banal und unwichtig sind. Hier wäre Straffung nötig.
„Die Geschichte zwischen Rossini und Dostojewskij ist erfunden“, klärt Michael Dangl die Leser auf der Innenseite des Covers auf.
Geschickt verbindet Michael Dangl in dem Roman drei seiner „Passionen“: die Liebe zur Musik, besonderns zu der von Rossini, die Liebe zur russischen Literatur, besonders zu der von Dostojewskij, und natürlich seine Begeisterung für Venedig. Liest man den Roman, so muss man neidvoll anerkennen: der Mann kennt sich auf allen drei Gebieten aus. In einem Interview betonte er, die Romane Dostojewskijs auf Russisch gelesen zu haben. Man weiß ja, dass Michael Dangl sehr oft seine Frau besucht, die in Russland lebt, und er daher einen intensiven Bezug zu diesem Land und der Sprache hat..
Der Einfall, den düsteren, lebensunfrohen, schwermütigen Dostojewskij dem lebensbejahenden Genussmenschen Rossini gegenüber zu stellen, ist ziemlich gut. Dazu noch Venedig als Ort des Geschehens – diese Dreierkomposition muss ja ein Erfolg werden!
Dostejewskij kommt nach einer Italienreise, die er ohne Begeisterung abolviert hat, erschöpft in Venedig an. Eigentlich hat er vor, am nächsten Tag wieder abzureisen. Es ist schwül, er versteht kein Wort Italienisch – nicht die besten Voraussetzungen also, die Schönheit der Stadt zu genießen. Ein für Dostojewskij eher aufdringlich wirkender Kofferträger namens Beppo nimmt sich seiner an und bringt ihn zur Unterkunft. Später wird sich herausstellen, dass Beppo zur Entourage Rossinis gehört und sich immer wieder um Dostojewskij kümmern, ihn einmal sogar das Leben retten wird. Am nächsten Morgen wartet Beppo auf den unwirschen Dichter und geleitet den Widerwilligen durch die Gassen Venedigs. Nichts kann Dostojewskij von der angeblichen Schönheit überzeugen. Er schwitzt und will nur seine Ruhe. Und bald beginnt sich im Leser Ungeduld zu rühren. Nach gefühlten zweihundert Seiten – in Wahrheit etwas über hundert – tut sich noch immer nichts. Wir gehen mit dem müden Dichter durch Venedig, hin und wieder erkennt man eine Gasse oder einen campo aus eigener Venedigerfahrung und bewundert das Detailwissen des Autors. Aber das reicht nicht, um das Interesse wach zu halten. Die Sätze schrauben sich in die Länge, so lange und mühevoll, wie der Gang des Dichters. Als der den Markusplatz betritt, empfindet er zwar die Schönheit der Architektur, aber auch Ängste und Erinnerungen an seine Zeit im Straflager überfallen ihn, als er in eine Passkontrolle gerät. Am Abend dieses ersten Tages betritt er vollkommen erschöpft eine kleine Trattoria, wo er – endlich, sagt der ebenso erschöpfte Leser – auf Rossini und dessen heitere Entourage trifft. Nun beginnt die eigentliche Geschichte.
Lebenslust und Lebensüberdruss
Größere charakterliche Gegensätze hätte der Autor gar nicht finden können. Rossini hat lange schon das Komponieren sein lassen und sich dem Lebensgenuss hingegeben: Essen, trinken, Musik und Gesang, heitere Gesellschaft. Geld spielt keine Rolle. Dostojewskij, bettelarm, mit den Erfahrungen des Straflagers im kranken Körper, kann da nicht mithalten. Doch er bewundert die Urkraft, die Rossini antreibt, wenn er auch von dem Tempo, mit dem alles abläuft, überfordert ist. Im Gespräch zwischen den beiden flicht Michael Dangl geschickt historische Fakten über Venedig ein – etwa über den Hass der Venezianer auf die österreichische Besatzung oder über Künstler, die Venedig geprägt haben. Auch hier braucht der Leser Geduld, denn oft sind diese Passagen sehr lange und man bekommt den Eindruck, hier brüstet sich ein Autor allzu sehr mit seinem Wissen. Dann der Paukenschlag: Rossini schlägt Dostojewskij vor, ein Libretto für die von ihm geplante Oper über Casanova zu schreiben! Die Versuchung ist groß, diesen Vorschlag anzunehmen. Aber Dostojewskij zögert, weiß im Innersten, dass er für diese heitere Figur eines Weiberhelden und Lebenskünstlers nicht das nötige Verständnis aufbringen kann. Am Ende der Geschichte ist klar, Dostojewskij wird das Libretto nicht schreiben und Rossini die Oper nicht komponieren. Doch bis dahin erfahren wir noch viel über Dostojewskij, über seine Spielsucht, über die missglückte Ehe und immer wieder über die Zeit im Straflager. Als Kontrapunkt flicht Michael Dangl die kuriosen Ausflüge mit Rossini ein, etwa die Fahrt in einem Privatboot in die Lagune. Es wird gegessen, Karten gespielt, getrunken, kokettiert und auch geschwommen. Die Episode, als Rossini sich in einem fahrbaren Zelt ins Wasser tragen lässt, ist besonders witzig und erinnert an die Königin Victoria, die sich auf Isle of Wight ebenfalls in einer „Wasserkarrosse“ in die Fluten fahren ließ.
Es sind die vielen skurrilen Einfälle, die Michael Dangl in die Geschichte einflicht, die den Leser bei der Stange halten und über so manche Passagen, in denen der Autor seine Protagonisten allzu lange philosphieren lässt, hinweg helfen. Gerade deswegen verzeiht man dem Autor auch so manche Sprachkapriolen, wie etwa wenn er über die „Kurzatmigkeit der Gassen Venedigs“ schreibt.
Der Titel
Im Roman gerät Dostojewskij bei einer Wanderung in das Dorf Malamocco am Ende des Lido. Er lernt dort eine junge Frau kennen, hilft ihr bei der Gartenarbeit. Es entspinnt sich eine zarte Liebe. Zum Abschied schenkt sie ihm eine große Tomate aus ihrem Garten, die er wohlbehalten bis Petersburg bringt. So gesehen müsste der Titel „Eine Tomate für Dostojewskij“ heißen oder auf gut Österreichisch: Paradeiser für Dostojewskij. Aber Orangen klingen halt einfach besser.
Michael Dangl ist ein interessantes Charakterbild der beiden Künstler und eine Hommage an Venedig gelungen. Was er aber an Bildungswissen in die Seiten stopft, beschwert den Roman sehr und nimmt viel von der Leichtigkeit, mit der die Geschichte fast wie ein Märchen daherkommt.
Im Bildraum 01, Strauchgasse 2, 1010 Wien. Noch zu sehen bis 2. April, danach in einem Link, der noch angegeben wird.
Der Titel bezieht sich auf einen Gedanken des Schriftstellers Ivo Andric, der die Grabmale des jüdischen Friedhofs als „sleeping Lions guarding the city“ bezeichnete. „Für mich sind die Menschen, die ich porträtiert habe, die „Guarding Lions“, die Beschützer und Beschützerinnen der Stadt, weil sie für Gleichberechtigung kämpfen“, erklärt Elodie Grethen. „Ich fotografierte Queer- Menschen, um ihnen eine Platform für ihre Kunst zu geben und die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Andersseins sich nicht in das herrschende traditionelle Gesellschaftsmuster einfügen.“
Neben Porträts fotografiert Elodie Grethen auch Orte, die symptomatisch für die Vergangenheit und Gegenwart der Stadt sind, etwa die Büste Titos, aufgenommen in der „Tito Bar“ (s. obiges Foto). Oder die beiden Hochhäuser der Wiener Städtischen Versicherung und der Samsung-Gesellschaft. Sie wurden während des Krieges fast vollständig zerstört und bilden nun, wieder aufgebaut, ein Mahnmal der Erinnerung.Manche Fotos sind mehrfach deutbar, wie das einer Frau, deren Kopf und Oberkörper in einem transparenten Schlauch steckt, aus dem ihre Arme und Fäuste wie in letzter Kraft und Rebellion herausragen. Es handelt sich um Radojka Lakic, die auf Grund ihrer antifaschistischen Haltung gefoltert und getötet wurde.
Elodie Grethen wurde 1988 in Frankreich geboren, studierte in Wien bei Friedl Kubelka künstlerische Fotografie. Seit 2017 hat sie in vielen Gruppen- und Einzelausstellungen ihre Fotos gezeigt. Sie lebt in Wien und besuchte Sarajevo für längere Zeit, um dieses Projekt zu realisieren.
In den kunstfernen Zeiten, wie wir sie gerade jetzt erleben, ist eine Ausstellung wie diese die beste Erfrischung, ein „Überlebensmittel“! Sie ist jedem sehr zu empfehlen, besonders aber allen, die eine Aufmunterung brauchen, allen, die sich nach einem Lächeln sehnen. Denn diese Bilder machen froh, heiter, nachdenklich. Man staunt über die künstlerische Kraft, die in Menschen steckt, die ohne Kontakt mit dem internationalen Markt und dessen Moden und Trends malen, weil sie wollen, ja müssen. Sie erzählen in ihren Bildern ihr Leben, ihre Träume, ihre Alltagswelt. Geklagt wird nicht. Angeklagt schon gar nicht. Das Leben in seinen Härten und Freuden wird abgebildet.
Die Leser meiner Webseite wissen, dass ich oft auch persönliche Aspekte in meine Berichte einfließen lasse. Beim Besuch dieser Ausstellung stiegen Erinnerungen an Künstler, die ich persönlich erleben durfte, auf. Künstler, die von sich selbst sagen, dass ihnen der Pinsel, der Buntstift einfach in die Hand gelegt wurde. Ohne über diese Gabe lange nachzudenken, malen sie. Ob andere sie der „naiven Kunst“, der „art brut“ oder dem „Surrealismus“ zuordneten war und ist ihnen herzlichst egal. Essaouira ist eine mystische Stadt, voller Spiritualität, die selbst der fremde Besucher spürt, wenn er sich länger dort aufhält. Ich hatte den Eindruck, dass hier jeder malt. Malen ist Leben. Keiner der Künstler hat eine Ausbildung. Einer der ganz wilden ist Said Quarzaz. Seine Fabeltiere und Dämonen entstehen in Trance, was ich sofort glaubte. Denn Formen, wie er sie erfindet, sind im Alltag nie zu finden. Auch Frauen malen. Fatima Ettalbi kümmert sich tagsüber um ihren Mann und die vier Kinder, des Nachts malt sie Bräute, Vögel und Blumen. Ihre Bilder sind von einer inneren Heiterkeit durchstrahlt. Mohammed Tabal ist der Maler der Gnawa, der Nachfahren der schwarzen Sklaven, die einst aus dem Süden nach Essaouira geholt wurden. Ihre Feste sind durchdrungen von orgiastischer Musik, die sich in Tabals Bildern widerspiegelt.Eine ganz persönliche Erinnerung verbindet mich mit der 2004 verstorbenen Malerin Carmelina Alberoni aus Capri Ein Jahr vor ihrem Tod besuchte ich die damals 81-Jährige. Rüstig und heiter saß sie in ihrem Zimmer, dessen Wände von oben bis unten mit ihren Bildern voll waren. Sie hatte zu malen begonnen, um ihrem kranken Sohn zu zeigen, wie es geht, erzählte sie. Aus der Not wurde Leidenschaft. Bald wurden ihre heiteren Bilder aus Capri in ganz Italien bekannt.
Die Sammlung Infeld
Doch nun zur Sammlung von Peter Infeld. Der Musikkenner und Kunstmäzen sammelte gemeinsam mit seiner Mutter Margaritha unter anderem Bilder kroatischer Maler und Malerinnen, wovon nun 120 Werkee von 31 Künstlern im museum gugging ausgestellt sind. Ich will auf keinen Fall in die Diskussion einsteigen, was „naive Kunst“ in der Theorie bedeutet. Denn mit Theorie hatten all die ausgestellten Künstler nichts auf dem Hut. Ihre farbenfrohen, dem Leben zugewandten Bilder sind meist spontan entstanden. Viele Künstler sind autodidakt, also von keiner vorgegebenen Sicht- und Malweise geprägt. Und das genau macht den Reiz und die Vielfalt dieser Ausstellung aus. Ich kam mit großen Erwartungen und wurde – nicht enttäuscht! Schon das Äußere des Museums stimmt fröhlich: kindlich gemalte Sonnen strahlen Heiterkeit von den Wänden.
Es fällt mir schwer, aus der Vielzahl und Vielfalt der Bilder einzelne besonders hervorzuheben. Aber auf eine Malerin will ich doch besonders hinweisen. Nicht weil heute Frauentag ist, sondern weil Mara Puskaric-Petras mit ihren zarten Bildern aus einer verträumten Frauenwelt mich besonders berührte: Sie malt sich in ihrem Zaubergarten als „Frau im Garten“ oder als kleine Frauenfigur, die still dasteht und Hahn und Henne beim Kokettieren zusieht. Leider darf ich die Fotos an dieser Stelle nicht veröffentlichen – sehr schade. Doch von dem heiter-boshaften „Schwarzen Hahn“ von Ivan Vecenaj-Tislarov sei hier die Rede und darf auch ein Foto gezeigt werden:
„Der schwarze Hahn“ – das stolze Vieh scheint das kleine Dorf total unter seiner Kontrolle zu haben. Er ist gerade dabei, aus der Malerkiste ( im rechten Bildrand) ein Bild nach dem anderen mit seinem Schnabel zu zerstören. Die Pracht und Selbstgefälligkeit im bunten Kleid! Mit beißendem Humor sieht auch Ivan Generalic seine Mitmenschen:
Man lacht und bedauert sie zugleich – die alte Braut im komischen Hochzeitsschleier, mit der großen Schürze, dem dicken Bauch und dem verzweifelten, angestrengt frohen Blick. Kein Bräutigam ist in Sicht, der ihr Kind einmal ernähren und beschützen wird. Die Landschaft um die arme Frau ist öd und leer. Nur eine Katze schleicht ihr neugierig hinterher. Größenverhältnisse und Perspektive werden grundsätzlich „flachgelegt“, etwa in den zarten, flächigen Traumbildern von Pal Hamonai. In seinen akribischen Architekturbildern malt Emerik Fejes nach Ansichtskarten die Destinationen, die er nie bereist hat, von denen er nur träumen kann. Ein „Kopfreisender“, der das Zimmer wegen einer schweren Krankheit nie verlassen konnte. Auch von diesen beiden Künstlern kann ich leider keine Fotos veröffentlichen. Also mein Rat: Am besten hingehen, anschauen! Freude wird garantiert!
Der Eisele Verlag ist dafür bekannt, Literatur aus dem Englischen oder Amerikanischem auf den deutschsprachigen Markt erfolgreich zu platzieren. Mit viel Spürsinn werden immer wieder vorwiegend Autorinnen vorgestellt, von denen das leseaffine Publikum vorher nie etwas vernommen hat.
Diesmal also: Der steinerne Engel, geschrieben Anfang der 60er Jahre. Zu dieser Zeit war das Thema „alte Menschen kämpfen um ihr Recht auf selbstbestimmtes Leben“ noch nicht in den Fokus der schreibenden Zunft gelangt. In meinem literarischen Gedächtnis war einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste, der sich mit dem Thema beschäftigte, der schwedische Autor Jonas Jonasson. Sein Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ war gleich bei seinem Erscheinen 2010 ein Bestseller. Seither ist das Thema in vielen, ja zu vielen Romanen behandelt worden: Als Erinnerung an Großmutter, eingepackt in eine Familiengeschichte, als die weise Frau, die dem Kind die traurige Kindheit versüßt, bis zuletzt zu dem frech das Thema ironisierenden Roman von Lisa Eckhart, Oma. In den letzten Jahren kam es regelrecht zu einer Überschwemmung des Buchmarktes mit Oma/Opa- und Altengeschichten.
Deshalb mag man mir verzeihen, wenn ich dem Buch nicht ganz gerecht werden konnte. Denn immer wieder passierte es mir beim Lesen, dass ich dachte: Nein, nicht schon wieder. Dabei ist dieser Seufzer der Autorin gegenüber völlig ungerecht, denn als sie den Roman schrieb, betrat sie fast thematisches Neuland.
Worum geht es? Hagar Sipley ist eine grantige Alte, die bei ihrem Sohn und der Schwiegertochter lebt. Ihr Grant und ihre Streitlust lässt sich die „böse“ Schwiegertochter nicht mehr länger gefallen und will Hagar Shipley ins Altersheim abschieben. Klar, dass diese sich mit allen Mitteln wehrt und die „Einweisung“ listig zu verhindern versucht.Doch vergebens. Noch im Altersheim, schon sehr hilfsbedürftig, sucht sie die Pflegerinnen zu drangsalieren, um sich ein ganz ganz kleine Freiheit im Handeln und Denken zu verschaffen. Um vor sich und dem Gott, den sie nicht um den Tod anbetteln will, mit Würde zu leben oder eben zu sterben. Das Ende ist von machtvoller Würde. Dazwischen kämpfte ich manchmal mit einem gewissen Verdruss in mir. Vor allem, wenn die Autorin in Attributen versinkt. Fast kein Substantiv, dem sie nicht irgendeine Eigenschaft hinzufügen muss. Entgegen der Regel: weniger ist mehr.
Insgesamt aber ein hinterlistig-humorvoller Roman. Gescheit gemacht, weil es Margaret Laurence gelingt, die Hauptfigur durchaus auch unsympathisch zu schildern. Sie entgeht dadurch dem literarischen Klischee: Nette Alte, der von den Jungen Unverständnis entgegengebracht wird. Ganz im Gegenteil: Hagar Shipley kann ganz schön widerwärtig sein. Aber genauso auch der Sohn und die Schwiegertochter. Sympathie und Antipathie werden alternierend verteilt. Dadurch unterscheidett sich dieser Roman von solchen mit ähnlichen Theme in angenehmer Weise..
Im Weltmuseum Wien ist die spannende und sehr einfallsreich konzipierte Ausstellung über die Kunst und Kultur der Azteken (1430 – 1521 n. Chr.) zu sehen. Gestaltung in Zusammenarbeit mit“ Linden-Museum Stuttgart“, „Nationaalmuseum van Wereldculturen“ in den Niederlanden und des Museo Nacional INAH Mexiko.
Im Entree überraschen riesige Fotos, die sich in der darunter befindlichen dunkelpolierten Platte wie in einem geheimnisvollen See spiegeln.Sie zeigen den Plan der Hauptstadt der Azteken. Tenochtitlan wurde auf mehreren kleinen Insels mitten im Texcoco- See gegründet und war mit Dämmen mit dem Festland verbunden. In den großartigen Palästen wohnten die Mächtigen, Reichen, in den Megatempeln die Götter.Als Kontrast werden auch Bilder aus der Gegenwart eingeblendet: eine Draufsicht auf die heutige Riesenstadt Mexico – City, gebaut auf den Ruinen der Azteken-Stadt. Statt derPaläste – gesichtslose Betonarchitektur, statt Tempel – Geschäftstürme. Das Leben heute wird in typischen Touristenfotos gezeigt: bunte Märkte, Feste.
So eingestimmt betritt man die geheimnisvolle Welt der Azteken und lässt sofort die Gegenwart hinter sich. Statuen der Götter und Göttinnen, Vogelköpfe, Schädel- und Vogelmasken strahlen aus dem Dunkel hervor.
Aber neben dem Reich der Götter, Mythen und des Ritus wird auch in witzigen Wandzeichnungen amüsant das Alltagsleben dargestellt. Die Haushaltspflichten der Frauen, die Arbeit der Männer auf dem Feld oder in den Handwerksläden. Auch Erziehung und Moral kommen ins Bild:
Einmal verheiratet, heißt es ewige Treue halten! Ehebruch wurde mit dem Tode bestraft. Ziemlich heftige Gesetze! Aber sie galten für beide. Auch der Mann war zur Treue verpflichtet und konnte nicht, wie in manch anderen Kulturen, einfach seine Frau verstoßen und sich eine neue wählen. Das wiederum ist ziemlich sympathisch. Schulbildung galt für Mädchen und Buben gleichermaßen. Auch sympathisch. Die Erziehung war sehr streng, Hiebe und noch härtere Maßnahmen sorgten für Disziplin, weniger symoathisch. Handwerker hatten eine Sonderstellung und wurden hoch geachtet, besonders die Federkünstler. (Im Obergeschoß ist in der Abteilung „Mittelamerika“ auch der prunkvolle Federschmuck zu sehen) Hebammen waren ebenfall sehr angesehen.All diese interessanten Details sind neben den Zeichnungen in kleiner Schrift angebracht und ein wenig mühevoll zu lesen.Fast unlesbar sind auch manche Beschriftungen an den Vitrinen. Da die Räume wegen der Empfindlichkeit der ausgestellten Objekte abgedunkelt sein müssen und die Texte direkt auf die Vitrinen appliziert sind, sind die Texte kaum zu entziffern. Und Handytaschenlampen sind nicht erlaubt. Aber die spannende und aufschlussreiche Gestaltung der Ausstellung macht diese Mängel mehr als wett.
Unter den vielen Höhepunkten der Ausstellung ist auch die mystisch-wirkende Rekonstruktion des Templo Mayor zu nennen. Hellblaue Installationen aus dem Dunkel erstrahlend imaginieren Mauern und Inneres des Tempels und lassen ahnen, wie eindruchsvoll dieses Bauwerk einmal war.
Will man um sich die Welt vergessen, dann greift man gerne zu den Büchern von Luca Di Fulvio, des beliebtesten Bestsellerautor Italiens.
Nun hier sein neuer, 700 Seiten starker Roman. Wir befinden uns in Rom um 1870. Es ist die Zeit, als aus den vielen Kleinstaaten ein geeintes Italien wird. Aber Rom gehört noch zum Kirchenstaat. Die Kämpfe um diese Stadt bilden den Kern dieses Romanes. Die unterschiedlichsten Interessen und Figuren kämpfen auf verschiedenen Seiten, um dann doch zu einer Einheit zu finden, die da heißt: Italia.
Da ist der Knabe Pietro aus dem Waisenhaus, den eine Contessa an Sohnes statt annimmt. Der unerwartete Wechsel in Luxusleben endet jäh, als der Conte stirbt und die Contessa – im Roman meist Nella genannt – all ihrer Güter beraubt wird. Beide ziehen nach Rom in ein Elendsviertel. Dann ist da das Mädchen Marta, auch sie ein Waisenmädchen. Sie wurde von Melo, der als Pferdeknecht in einem Zirkus arbeitet, aufgezogen. Rund um diese drei Hauptfiguren entwickelt Di Fulvio das Panorama Roms – prächtig, schmutzig, verkommen und doch anziehend. Die Rovolution brodelt, alle kämpfen – alle aus verschiedensten Motiven. Und das ist auch die Crux des Romanes: die ermüdenden Kampfszenen nehmen viel zu viel Raum ein, Brutalitäten nützen sich ab, der Leser beginnt quer zu lesen. Schade! Im Grunde könnte Di Fulvio den Roman um die Hälfte kürzen, dann wäre er toll. So ist er ein Pageturner, weil man ungeduldig über die seitenlangen Kampfberichte hinwegblättert.
Außerdem stößt der allzu ausgeprägte Hurrapatriosmus aller Figuren ein wenig sauer auf. Trotz ausgezeichneter Figurenzeichnungen enttäuscht der Roman. Leser, die Di Fulvios lebensnahe und ans Herz greifende Erzählgewalt kennenlernen wollen, denen sei der Roman „Der Junge, der Träume schenkte“ empfohlen. Da zeigt sich Di Fulvio als Autor eines Pageturners der Sonderklasse! (s. auch meine Kritik).
„In 33 Schritten zum Verhandlungsprofi“ verspricht der Untertitel, der allerdings zu große Erwartungen weckt. Das schmale Büchlein ist flott geschrieben, mit lustigen Zeichnungen und erklärenden Diagrammen aufgelockert.
In sieben großen Hauptkapiteln, die in kleine Schritte unterteilt sind, führt die Autorin durch die Hürden, Tücken einer Verhandlung. Die größte Hürde ist man selbst, besser seine „Gremlins“, wie sie es nennt. Gegen diese „inneren Monster“ gilt es anzukämpfen. Die da sein können: Pessimismus – „ich werde es eh nicht schaffen“ -, dem Gegner keinen Verhandlungsspielraum lassen wollen und mit „schwachen Worten“ (Konjunktiven!) argumentieren. Vor allem weist Nicole Soames immer wieder auf die eminent wichtige „emotionale Intelligenz“ hin, die sie im Laufe des Textes dann nach amerikanischem Rategebervorbild nur EI nennt. Wie überhaupt das Büchlein sehr an diese Ratgeber erinnert. Was genau die EI ist, wie man sie in sich aufbaut und in der Verhandlung einsetzt, bleibt unklar. Am Ende der Lektüre ist man zwar kein Verhandlungsprofi, aber nimmt doch einige feste Ratschläge mit, die da wären: sich gut auf die Verhandlung vorbereiten, auf die Körpersprache achten, dem Gegenüber einen Spielraum lassen. Das weiß man im Grunde eh alles, aber es ist ganz nützlich, das einmal gut aufgelistet und argumentiert vorgesetzt zu bekommen.
Elf Künstler, die in der Zeit von 1919-1938 die Österreichische Moderne repräsentierten.
Titelbild: Herbert Boeckl: Große sizilianische Landschaft 1924 (Detail) Leopold Museum Wien, Foto: Silvia Matras.Copyright: Herbert Boeckl-Nachlass, Wien
„Menschheitsdämmerung “ ist ein vieldeutiger Titel. Er umschreibt eine Zeit, in der Menschen Kriegstraumata verarbeiten mussten und die nächste Katastrophe bereits heraufdämmert. Eine Zeit, mit der die Maler dieser Epoche ganz verschieden umgehen. Alfons Walde findet in der Darstellung der heimatlichen Höfe, tief geduckt in eine alles zudeckende Schneelandschaft, seinen festen Mittelpunkt. Auf die Menschen, die in seiner Landschaft leben, ist viel Hartes herabgeprasselt, aber sie finden im Glauben ihren Halt.
Während ich vor dem Bild stehe und über die Wucht des Pinselstriches und des schweren Rahmens staune, erfahre ich vom Saalaufseher, dass der Rahmen allein ein Gewicht von 45 kg haben soll. Wenn diese Angabe richtig ist, so passt das Gewicht des Rahmens zum Gewicht, das auf den Menschen unter den fordernden Lebensbedingungen lastet.
Passend zu dem Thema Schwere des Lebens hängen im selben Raum die Bilder von Albin Egger-Lienz. Er arbeitete während des Ersten Weltkrieges als Kriegsmaler direkt an der Front. In den Bildern „Finale“ (1918) malt er keine Menschen, sondern „Menschenmaterial“, wie es in der damaligen Kriegsführung hieß: Graue, zu unkenntlichen Leiberresten verformte Tote liegen in- und übereinander verkrallt. Menschen als Abfall.
Anton Kolig malt die Verletzlichkeit des Mannes, allerdings nicht auf dem Schlachtfeld, sondern geborgen im Privaten. Dennoch aber ausgesetzt, nackt. Zwar umgibt den jungen Mann ein Wohnraum, doch Geborgenheit sieht anders aus. Rosarot glänzt das ungesunde Fleisch, als wäre es von Messern zerschnitten.
…und plötzlich ist alles privat..
Temperatur, Themenstellung, Ausstrahlung – alles ändert sich, als ich den Raum mit Werken von Herbert Boeckl betrete. Und plötzlich führen mich diese Bilder zurück in das Atelier meines Vaters. Eduard Matras war Schüler von Herbert Boeckl, hat wie er Cézanne (und van Gogh) überaus verehrt. Boeckl war ein Künstler, der internationale Strömungen genial in seinen Kompositionen verarbeitete. Und er gab diese Einflüsse an seine Schüler weiter. Nur schwer konnte sich mein Vater – und andere Maler dieser Epoche – vom Einfluss Boeckls befreien. Ich erkenne den üppigen Farbauftrag, das Auftürmen der Farbmassse, das Abgrenzen mit schwarzen Umrissen, ähnlich wie in den Bildern meines Vaters. Auch die Themenstellungen sind ähnlich: Die Welt ist nicht mehr nur von Krieg und Elend erfüllt, es gibt Ruhe, Gelassenheit – Stillleben und Porträt werden wieder aktuell. Die Stadt, die Zivilisation und die Industrie faszinieren. Viele Bilder meines Vaters behandeln in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg genau diesen Aufbruch. Leider sind sie für mich nicht mehr auffindbar, in Depots diverser Museen oder in den Räumen der Sammler verschollen. Er führte auch kein Verzeichnis, wohin er seine Bilder verkaufte. Mir war immer schon klar, dass er nicht zu den Erneuerern gehören wollte. Abstraktion war nicht sein Thema.
Auch in den Bildern von Josef Dobrowsky oder Sergius Pauser finden sich diese Themen: Ruhige Landschafts- oder Straßenbilder, Porträts. Es scheint ein Rückzug in eine Art von Idylle stattgefunden zu haben, allerdings kitschbefreit. Revoluzzer waren sie alle nicht.
Dann findet sich doch einer in der Ausstellung: Alfred Wickenburg. Er gründete 1923 die „Grazer Sezession“, der auch mein Vater später angehörte, obwohl er sich der kubistisch-avantgardistischen Richtung nicht anschloss. Wickenburg war so etwas wie ein Erneuerer, Erwecker. Er brachte den Kubismus in die Provinzhauptstadt und erregte mit seinen Bildern großes Aufsehen. Das Leopoldmuseum zeigt Werke von einer ungewöhnlichen Farbtransparenz, gepaart mir harten Verformungen.
Die Ausstellung „Menschheitsdämmerung“ zeigt nur einen kleine Auswahl von Künstlern in der Zwischenkriegszeit. Sie erhebt nicht den Anspruch auf einen umfassenden Überblick, will nur ein Teilsegment, aber ein durchaus wichtiges dokumentieren. Denn diese Zeit ist zwar, was Schriftsteller, Komponisten und Theaterleute betrifft, gut aufgearbeitet und interpretiert – z. B. in den Büchern von Herbert Lackner: Als die Nacht sich senkte, um nur ein aktuelles Werk zu nennen. Aber in der bildenden Kunst gibt es noch Lücken. Und eine dieser Lücken füllt diese Ausstellung. Sie zeigt, dass die meisten Künstler eine eher traditionelle Thematik und Bildgestaltung bevorzugten. Das Feste, in Tradition Verankerte, gab Halt und vielleicht auch Zuversicht. Der krasse Expressionismus war mehr die Ausdrucksweise der Rebellen, wie Oskar Kokoschka einer war. Doch das wäre eine andere Ausstellung…
Schade, dass die Ausstellung „Hundertwaser-Schiele“ nach Ende des letzten Lockdowns nicht noch einmal aufgenommen wurde. Aber es gibt ja noch den ausführlichen Katalog, ediert von Hans-Peter Wipplinger.
Die Ausstellung „Menscheitsdämmerung“ wird noch bis 5. April 2021 zu sehen sein.
Untertitel: Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten 1933-1943
In dem 2018 erschienen Buch „Zeit der Zauberer“ beschreibt Eilenberger die Entwicklung der Philosophie Heideggers, Cassirers, Benjamins und Wittgensteins und ihre Denkwege in der Zeit von 1919-1929. Nun also im Zeitalter der Gleichberechtigung von Mann und Frau widmet er sich vier Frauen, die auf unterschiedliche Weise die Zeit des Nationalsozialismus und des Totalitarismus gedanklich und durch reale Lebensentwürfe bewältigt haben oder bewältigen wollten.
Es sind teils bekannte, teils der Allgemeinheit unbekannte Namen: Simone de Beauvoir, Simone Weil, Hannah Arendt und Ayn Rand. Sie lebten in einer Zeit, die der Gegenwart nicht unähnlich ist: Das wirtschaftliche Überleben ist für viele aus der Mittel- und Unterschicht mehr als fraglich, das geistige Leben wird von der Politik abgewürgt oder in eine ihr genehme Richtung gelenkt.
In Zeiten der Not und des von Krieg und Verfolgung bedrohten Lebens entwickelten jede der vier Frauen eine eigene Denk- und Lebensstrategie: Ayn Rands Eltern wurden während der Russischen Revolution enteignet, sie selbst floh nach Amerika und wurde zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. In ihren von Nietzsches Gedankengut beeinflussten Romanen und Theaterstücken dreht sich alles um die individuelle Freiheit, die mit allen Mitteln gegen Zugriffe des Staates verteidigt werden müsse. Dies geschehe am besten durch radikalen Individualismus.
Das Leben Simone Weils ist ihr geistiges Skriptum. Was sie gedanklich fordert, das lebt sie in radikaler, zur Selbstaufgabe hin neigender Art und Weise: Als Tochter gut bürgerlicher Eltern widerstrebt ihr alles, was mit Besitz zu tun hat. Ihre zerbrechliche Gesundheit setzt sie immer und überall aufs Spiel, sie brennt für die soziale Aufgabe, gründet ein privates Flüchtllingshilfswerk, arbeitet in einer Fabrik, um die Probleme der Arbeiter nachvollziehen zu können. Ihre Zerbrechlichkeit ignorierend schreibt, lehrt und arbeitet sie unermüdlich. Ihre ärgste Sorge lässt sie hellsichtig vor einem totalen Überwachungsstaat warnen. Sie stirbt 1943 in einem Sanatorium in Endgland an Herzversagen, Tuberkulose, Hungerödemen und in geistiger Verwirrung.
Religion trägt für Simone de Beauvoir die Hauptschuld für die menschlichen Verfehlungen. Frei von der gängigen Moral gehen sie und Sartre immer wieder neue Liebesbeziehungen ein, bleiben aber als Freunde bis zum Schluss miteinander verbunden. Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ wird zum Kultbuch der Frauenbewegung.
Hannah Arendt flieht vor den Nationalsozialisten nach Paris und später in die USA, wo sie Forschungen über Entstehung und Gefahren des Totalitarismus betreibt. Mit ihrem Werk „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ erlangt sie Weltruhm. Das Buch gilt bis heute als wichtigste Grundlage der Totalitarismusforschung.
Vier Frauen, vier verschiedene Biografien. Eilenberger zeigt auf, wie die verschiedenen Lebenswege die Enststehuung des philosophischen Gedankengutes beeinflussten. Entgegen einer in der wissenschaftlichen Diskussion weit verbreiteten Meinung, dass Kunst-Werke per se und nicht aus der Biografie des Künstlers gedeutet werden dürfen, besteht Eilenberger auf der These, dass die Lebensumstände es sind, die ein Werk unterschwellig oder ganz offen beeinflussen, ja erst entstehen lassen. Als Leser kann man dieser These durchaus folgen.
Deshalb ist dieses Buch eine Mischung aus Biografie und Interpreation philosophischer Texte. Obwohl scheinbar mit leichter Hand geschrieben, steht doch einiges dem flüssigen Lesen und Verstehen im WEge: Der Autor springt recht rasch von einer Figur zur anderen, ohne den Übergang deutlich zu machen. So fragt man sich recht oft, von welcher „sie“ denn gerade die Rede sei. Das Prinzip des geichzeitigen Beschreibens der vier Frauen in einem abgesteckten Zeitrahmen verhindert ein genaueres Eingehen auf die Einzelperson. Über jede dieser vier Frauen wäre es interessant, eine ausführliche Biografie zu lesen, in der detaillierter auf die Zusammenhänge von Leben und Werk eingegangen wird. Denn jede einzelnes Leben dieser Frauen böte ausreichend Stoff für eine eigene Biografie.
Untertitel:Wie Europas Künstler und Wissenschaftler den Nazis entkamen. Verlag: ueberreuter
Nach dem Buch „Als die Nacht sich senkte“, in dem Herbert Lackner die Reaktionen der Intellektuellen und Künstler auf Hitlers Regime schildert, dokumentiert er nun in dem Nachfolgewerk „Die Flucht der Dichter und Denker“ akribisch genau die Schicksale all derer, die vom Naziregime verfolgt wurden und die Flucht bis Frankreich schafften, wo sie vorläufig zu Ende war. In dem geschilderten Zeitrahmen von 1933 bis 1942 wurde es für Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und für Hitler unliebsame Personen immer schwerer, in Deutschland oder Österreich zu leben. Viele wurden vrrschleppt und in den Konzentrationslagern getötet. Wer noch genug Geld oder Beziehungen zu in Frankreich lebenden Freunden hatte, der schaffte es bis Paris. Als Paris 1940 von den deutschen Truppen eingenommen wurde, flüchteten die meisten nach Marseille, in der Hoffnung, eine Schiffspassage nach Amerika zu bekommen. Als keine Schiffe mehr von Marseille fuhren, war Lissabon die letzte Hoffnung.
Varian Frys Rettungsaktionen
Zu den spannendsten Kapiteln des Buches zählen Lackners Recherchen über die Rettungsaktion für gefährdete Künstler, Intellektuelle und Politiker, die Thomas Mann in New York ins Leben rief. Mit Hilfe von 200 begüterten Geschäftsleuten und der Unterstützung von Eleonor Roosvelt, der Frau des Präsidenten, sammelt er eine beträchtiliche Summe Geld und schickt den Journalisten Varian Fry nach Frankreich, um die auf einer Liste stehenden 2200 Personen, alle bekannte Persönlichkeiten aus dem Kulturleben und der Politik, vor dem Zugriff der Nazis zu retten. Varian Fray wird über 16 Monate in Südfrankreich im Untergrund arbeiten und viele Menschen mit Schiffspassagen nach den Staaten versorgen und sie so vor den Nazis retten, darunter so bekannte Persönlichkeiten wie Alma Mahler-Werfel und ihren Ehemann Franz Werfel.
Wo es Herbert Lackner möglich war, verfolgte er deren Schicksal auch nach der Ankunft. Nicht alle konnten und wollten in den Staaten bleiben. Einige sind zurückgekehrt. Deren Schicksal schildert Herbert Lackner in seinem jüngst erschienenen Buch „Rückkehr in die fremde Heimat“.
Ausstellung in der „AG 18 Urban Art Gallery- Kuratiert von „Improper Walls“
Mut und großen Optimismus bewiesen Margot und Michael Schmitz, als sie im Oktober 2018 die „AG 18 Urban Art Gallery“ gründeten. Der Name der Galerie ist Programm: Im Zentrum der Ausstellungen stehen Künstler aus dem städtischen Bereich, die in erster Linie für den öffentlichen Raum arbeiten und auf dem internationalen Kunstmarkt (noch) nicht reüssieren. „In Österreich ist es nicht einfach, ein Publikum zu finden, das sich für diese Sparte der Kunst interessiert. Wer Kunst als Spekulationsobjekt oder als Imageaufwertung kauft, wird in dieser Galerie nicht fündig werden. Unsere Zielgruppe sind Menschen, die mit Neugier und Entdeckerfreude in die Ausstellung kommen. Durch moderate Preise und inhaltliche Vielfalt reizen wir die derzeit noch geringe Kaufbereitschaft an“, erklärt Michael Schmitz im Interview mit der Autorin des Beitrages.
In der aktuellen Ausstellung „Beyond Dystopia“ stellen nur österreichische Künstler aus. Einige kommen nur aus der Street Art – Szene, einige haben sich unter anderem auch mit Street-Art beschäftigt. Es ist nicht immer leicht, in den Werken die Beschäftigung mit der Street Art -Szene nachzuvollziehen. Ursprünglich wurde sie ja aus dem öffentlichen Protest heraus geboren. Street Art war und ist ein Mittel, politisch brisante Themen im öffentlichen Raum, besonders auf Mauern zu diskutieren, zu verbreiten. Den Kunstinteressierten bekannt sind die „murales“ von Diego Rivera (1886-1957). Der mexikanischen Künstler malte die Geschichte Mexikos auf Riesenwände, um das Selbstbewusstsein der Menschen und den Stolz auf ihre Vergangenheit zu stärken. Mitte des 20.Jahrhunderts entstanden auch in Europa die ersten „murals“ oder „murales“. Als die Hirten des sardischen Bergdorfes Orgosolo erfuhren, dass auf ihren Bergweiden ein NATO Truppenübungsplatz geplant war, begann sich der Protest unter anderem auch auf den Mauern mit starken Bildern erffolgreich zu artikulieren. Als das Ladadika-Viertel in Thessaloniki durch die überbordende Nachtclubszene an Reiz verlor und die kleinen Geschäfte und Hotels wegzogen, begannen unbekannte Künstler durch Mauerbilder auf den Verfall hinzuweisen. Thessalonikis Stadtväter erkannten den touristischen Wert dieser murales und gründeten 2012 ein „Street Art Festival“ mit deutlichem Protestcharakter.
Stoßrichtung der „urban art“
Anders als in der „Street Art“ ist die „urban art“, wie sie in der Galerie AG18 gegenwärtig gezeigt wird, nicht unbedingt an ein Protestthema gebunden. Titel und Bildgestaltung weisen auf eine eher willkürliche Aussage hin, die sich der Betrachter selbst zurechtlegt. Etwa Fatis an islamische Kunst erinnernde Blütenarabeske oder Marielle Lehners Wolken-Naturbild in Hellblau. Geheimnisvoll ist David Leitner „Wandgemälde“, eine Mischung aus Collage, Murales und Installation. Eine deutlich aggressive Handschrift weisen hingegen die Bilder des Künstlers „Golif“ auf: Die Gesichter aus schwarzen Pinselstrichen auf grünem Grund, die Augen mit schwarzer Maske verdeckt, sind Warnung, vermischt mit Aggression und Abwehr. Colin Linde spielt mit Farben und Formen eines Miro, alles durch ein zerbrochenes Smiley ironisiert. Den gebrochenen Menschen, der zum Objekt wird, das beliebig bemalt, missbraucht und ausgestellt wird, zeigt Linda Steiner mit der blauen Skulptur.
Das Spannende an dieser Ausstellung liegt gerade in der Vielfalt der Themen, der Darstellungsformen, in dem völlig neuen Blick, den der Betrachter in sich aufrufen muss
Foto von oben nach unten: Linda Steiner, David Leitner. Von li nach re: Colin Linde, Golif. (Alle Fotos: Silvia Matras)
Die Ausstellung ist noch bis Ende Februar oder länger (genaues Datum ungewiss) zu sehen.
Sheila Hicks, geboren 1934 in Nebraska, ist eine der wenigen Künstlerinnen, die Malerei und Webkunst miteinander verknüpfen. Ihr großes Wissen um indigene Webpraktiken ist neben dem Studium der Malerei und Architektur Grundlage ihres Oeuvres.
In vier großzügig ausgestalteten Räume entwickelt sich eine Dramaturgie des Raumes aus Malerei und Skulptur. Im ersten Raum spielt die Sheila Hicks mit „Bildern“ aus Längsfäden, die im Farbverlauf in verschiedenen Rot- und Blautöne changieren.
Immer wieder aber werden aus Webbildern Halbreliefs, in denen Architekturmerkmale dominieren, indem sie die Fäden zu dreidimensionalen Säulen oder Kuben bündelt..
An Bäume und Wurzeln erinnern die in sich verschlungenen Seile, die ein bizarres Schattenbild an die Wand werfen. Daneben ragt wie eine Mahnsäule ein Baumrumpf aus geflochtene Garnenbis an die Decke. An der Stirnseite liegt ein Hügel aus gelb-orangefarbigen Pölstern aufgeschichtet. Vorhänge wehen vom Boden bis zur Decke. An orientalische Sitzkissen wiederum erinnern die in verschiedenen Größen und Farben gewebten Gebilde an der gegenüberliegenden Wand. Kommt man näher, eröffnet sich ein buntes Fadengewirr, als sähe man auf einen herbstlichen Waldboden. Der Interpretation sind keine Grenzen gesetzt.
Fotos: Silvia Matras
Am meisten beeindruckt der Raum mit monumentalen Webbildern, die Gebetsteppiche oder Tore zu alten Palästen sein könnten. Shella Hicks zitiert damit die Webkunst aus Marokko oder Peru, mit der sie sich lange befasst hat. Diesen Werken hat die Kuratorin Bärbel Vischer eindrucksvoll die Skuptur „Tor zum Garten“ von Walter Pichler gegenüber gestellt.: Ein mächtiges Tor, das den verschlossenen Eingang zu einem ägyptischen oder griechischen Palast oder zum Garten Eden sein könnte. Vielleicht spielt hier das Thema der Macht, deren Zugang der Allgemeinheit verschlossen bleibt, eine Rolle.
Warum jetzt schon wieder eine Kreiskybiografie, wird sich so mancher Leser fragen. Wahrscheinlich gibt es sicher mehr als zehn Publikationen, die sich mit der Kultfigur Kreisky befassten, darunter viele von prominenten Autoren wie Heinz Fischer, Wolfgang Petritsch oder Oliver Rathkolb. Nun also dieses Werk. Es erscheint in einer schwierigen Zeit. Corona fordert von der Bevölkerung alles ab. Die Regierung herrscht, ohne viel Überlegungen werden Gesetze erlassen, die nicht immer nachvollziehbar sind. Und der selbstbewusste Kanzler sonnt sich in seinen imperialistischen Operettenauftritten. Was hätte wohl Kreisky zu all dem gesagt? Vielleicht: „Lernen Sie Demokratie, Herr Bundeskanzler“ ( Ich zitiere hier Herbert Hutar, mit dem ich ein Gespräch am Silvestertag 2020 über Kreisky und Kurz führte)
Genau diese konträre Auffassung von Politik wird beim Lesen dieser Biografie klar: Kreisky „herrschte“ auch, er wurde ja auch oft „Sonnenkönig“ genannt, aber: Er informierte sich, sprach mit den Leuten aus dem Volk, die ihn jederzeit – und wirklich jederzeit! – anrufen und ihm die Probleme schildern konnten. Er verstand die Sorgen der Menschen, wusste fast immer Lösungen. Und: Er konte auch einsehen, wann er verloren hatte – etwa in Sachen Atomkraftwerk. Gesetze oder Erlässe,die im Nachhinein vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden, gab es damals nicht. Christoph Kotanko zeichnet das politische Porträt objektiv, bringt in Interviews mit Persönlichkeiten aus Kreiskys engstem Umfeld das Pro und Kontra um die politischen Entscheidungen und das Charakterbild des Kanzlers.
Der Stil Kotankos, fern von historischer Gestik, ist lebendig und frisch. Mit Wehmut liest man über diese Zeit, die auch nicht immer leicht war. Aber man wusste damals, Politik hieß Verantwortung übernehmen. Und das tat Bruno Kreisky.
Losgelöst von literarischen Ambitionen plaudern die beiden Freunde über alles und nichts, in freiem Slam-Gerede. Kein Satzgefeile, sondern wie es kommt. Und „es“ kommt recht unorthodox daher, manchmal frei von Grammatik, ganz wie den beiden der Schnabel gewachsen ist. Themen purzeln übereinander und untereinander. Für den Leser reinstes Gehirnjogging. Den Sprüngen zu folgen verlangt mehr Anstrengung als man hinter dem Titel vermutet.
Glaubt man sich im sicheren Gewässer des Verstehens, schon ist man mitten in einer Untiefe, einem Strudel. Wie jetzt? wie ist der Schmäh gemeint? -Natürlich ernst! Denn „alle sind so ernst geworden“ – also nehmen Suter und sein Freund den blödesten Schmäh ernst, wie etwa die orangene Badehose. Peinlichkeiten werden ausgewalzt, alles wird aufs Korn genommen, vor allem das allgemein Übliche. Manchmal übellaunig-witzig, manchmal geistlos. Das Geistlose wird adoriert, verziert, bis es sich selbst denunziert. Der literarisch hochangesehene PEN-Club wird hochachtungsvoll zerlegt, bis nix mehr über bleibt. Schnöselwendungen werden nicht entschnöselt, sondern ernstlich verwendet. All die Ähmms und Sozusagen und Undsoweiter der Politiker und Großredner delikat genossen. Den täglichen Unfug benützen die Gesprächspartner wie ein hochgeistiges Denkgebilde und zerlegen ihn genüsslich..
Mit schmallippigem Lächeln denunzieren Suter und sein Gesprächspartner, der meist der Motor und Fragesteller ist, die Floskeln, die Notlügen, die höflichen Lügen. So nebenbei erfährt man auch Privates, wie etwa Suters Liebe zum Mundharmonikaspiel.
Der Reiz dieses Gesprächskauderwelsch‘ liegt im bewusst Unliterarischen, im locker Dahergesagten ohne Konzept. Manche Steigerungen reichen bis ins Absurde eines Ionesco – etwa wenn die beiden über die mangelnde „Willkommenskultur“ blödeln, die der Tausenderschein erfährt. Keiner will ihn, keiner kann herausgeben, keiner kann spontan wechseln.
Tipp für zukünftige Leser: Immer nur eine, maximal 2 Geschichten lesen. Dann das Buch einige Tage ruhen, den Humor sich absetzen lassen. Denn Geblödel, auch wenn es noch so geistreich daherkommt, nervt in zu großen Dosen. Das ist wie mit Weihnachstkeksen oder Schokolade: Man überisst sich leicht.
Wenn einem der Zufall ein Buch von Jason Starr in die Hände spielt, dann sollte man dem Zufall sehr, sehr dankbar sein! Denn Jason Starr gehört zu den wenigen, die einen Thriller mit Hochspannung schreiben können. Da kaut kein Detektiv seine Theeorien seitenweise wieder. Da gibt es keine peinlichen Seitenfüller, wie Restaurantbeschreibungen oder gar Kochrezepte. Nein, bei Starr gehts ans Eingemachte, an die Existenz des Protagonisten. Und man bangt mit ihm, obwohl er kein ausgesprochener Sampathieträger ist. Weglegen, bevor man das Buch zu Ende gelesen hat, verlangt Disziplin. Es gilt ja noch den Arbeitsalltag zu bewältigen. Es am Abend im Bett zu lesen, ist auch keine gute Idee, denn dann liest man bis in die Morgenstunden und kann sich vom Schlaf verabschieden.
Jack Harpers ist nicht gerade ein Glückspilz. Mit seiner Musik konnte er nicht reüssieren, als Makler ist er eine Niete. Die Ehe mit seiner Frau Maria ist alles andere als beglückend. Gäbe es da nicht seinen Sohn Jonah, hätte er nie zu saufen aufgehört. Als er sich übers Internet in eine Vermittlungsplattform einloggt und zum ersten Date eilt, beginnt sein Absturz.
Jason Starr ist ein Autor des Erwarteten. Man weiß spätestens nach dreißig Seiten, dass sich der Typ in seinen Untergang katapultiert. Aber wie er das macht, ist voller Spannung. Und das Ende kann man dunkel ahnen, aber dann ist doch alles ein wenig anders.
Die passende Lektüre, wenn einem Corona, die faden Feiertage und sonst noch vieles auf den Geist geht.
Sie müssen vor den Vorhang! – die Ideengeber und Kuratoren dieser für das Museum innovativen Ausstellung: Andreas Kugler, Jasper Sharp, Stefan Weppelmann, Andreas Zimmermann.
Und natürlicher die Ausstellungsgestalter: Dani Mileo, Joris Nielander (Tom Postma Design, Amsterdam)
Diese Ausstellung überrascht, fasziniert und begeistert durch das Unerwartete! Nichts in den vier Sälen entspricht dem üblichen Ausstellungsklischee. Schon die immens vergrößerte Skulptur des Hörrohrs im Halbstock (John Baldessari) ist ganz und gar ungewöhnlich: Ruft man laut in das Rohr hinein, so hört man Musik des ertaubten Giganten. Vielleicht schaut deshalb die Büste des Kaisers ein wenig grantig drein, denn in keinem hehren Museum darf man schreien, schon gar nicht laut.
Bild oben: Rebecca Horn: Konzert für Anarchie. Bild unten: A. Rodin: Das eherne Zeitalter (Fotos: Silvia Matras)
In Zusammenarbeit mit dem Musikverein entstand dieses einmalige Erlebnis von Synästhesie. Schauen und Hören verbinden sich, und man ist sofort gefangen von den unterschiedlichsten Gefühlen und Eindrücken. Noten wirbeln computereingefangen über die Zeichnungen von Jorinde Vogt. Vom Plafond hängt die geheimnisvolle Skulptur eines zertrümmerten Klaviers der Künstlerin Rebecca Horn. Die kaputten Tasten fahren mit einem ziemlichen Knall heraus – als hätte Beethoven gerade voller Wut auf das Instrument eingehämmert. In der Mitte steht prominent die Skulptur von Rodin „Das eherne Zeitalter“. Da mag man sich fragen, welchen Bezug sie zu Beethoven hat. Sich fragen, sich wundern, bewundern ist in dieser Ausstellung die Maxime. Alles darf gedeutet werden. Nicht beliebig, sondern mit Sorgfalt und Bedacht ist hier einem Genie und seinen genialen Zeitgenossen nachzuhorchen. Bei den Klängen der „Waldsteinsonate“ und der letzten Klaviersonate in c-moll op.111. Mit welcher Wucht und innerem Kampf Beethoven seine Kompositionen zu Papier brachte, erkennt man in den Originalnotenblättern: wild, wütend, durchgestrichen, überschrieben, ausradiert. (Alles Saal I)
Saal II: Stille
Bild links: Goya, Capricho Nr.40: A quel mal morir? Bild Mitte: Jan. Bild rechts: Guido van der Werve: everything is going to be alright. Fotos: Silvia Matras Bild rechts:Jan Cossiers: Prometheus. Fotocredit: Photographic Archive Museo National del Prado, Madrid
Im abgedunkelten Saal der Stille leuchten die Bilder in zweifacher Form: real von den Wänden und im Bodenspiegel. Es ist die Stille des Staunens, der Ehrfurcht vor der Größe des/der Genies. Magie erstrahlt und lässt jeden verstummen vor der Wucht des Eindrucks, wie aus Dunkel das Helle der Werke hervorstrahlt: Der machtvolle Prometheus, der Feuerbringer, der Menschenermöglicher, dann die boshaften Caprichos Goyas, der ebenso an Taubheit litt wie Beethoven und ebensolche genialen Werke aus seinem Leiden heraus schuf. An der Stirnwand fährt ein Eisbrecher durch das wässrige Eis, über das ein Mensch marschiert. Er scheint mit kraftvoller Ruhe das Schiff zu ziehen. Es ist der Künstler selbst, der sich dem Risiko Tod aussetzt und dabei filmen lässt. Wie ein Schritt aus der Idee hinaus in die nüchterne Realität: das originale Hörrohr Beethovens. Sich vorzustellen, welche Qualen es ihm verursachte! In der Stille dieses Raumes bekommt der Laie eine leise Ahnung von der Wucht, die den Künstler zu seinem Schaffen zwingt.
Saal III
Bild links: Philipp Otto Runge, Felsenlandschaft im Elbsandsteingebirge (Ausschnitt). Bild rechts: William Turner, Fire at the Grand Storehouse of the Tower of London (Ausschnitt). Alle Fotos: Silvia Matras
Oben, in der Kuhle zwischen Decke und Wand, läuft das Bekenntnis Beethovens zur Natur als sinnstifende Lebenskraft: „Wie froh bin ich einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können. Kein Mensch kann das Land so lieben wie ich- geben doch die Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht.“ – Den Widerhall der Natur“ kann Beethoven in seiner Seele hören, aus ihm schöpft er Kraft. Diese machtvolle Quelle setzt er um. Dazu sollte man Teile der 3. Sinfonie hören – aber leider, viel zu leise. Schade.
Saal IV – der Saal der Ver-Wunderung
Zwei Künstlerinnen reden und tanzen – „Beethoven bewegt“? – eine Minimalperformance zu einer vom Zuhörer ungehörten Musik. Verwundern darf sein. Vorher konnte man ausgiebig bewundern.
Es ist ein strahlender Winternachmittag. Vom Gut Gasteil schaut man auf die weite Landschaft, Hügel, Wälder und Wiesen. Rund um das Gut stehen die hochragenden Frauenfiguren von Charlotte Seidl. Aus blauer, naturfarbener oder leicht rötlicher Keramik. Im Hof des Gutes begrüßen andere dieser imposanten Frauenfiguren die Gäste. Im großen Schauraum knistern große Holzscheite im Kamin. Die Wände sind mit Bildern aus den kürzlich vergangenen Austellungen geschmückt. Zwei Werke von Robert Hammerstiel (gestorben am 23. November 2020) fallen sofort ins Auge: Leuchtende Farben,voneinander scharf abgesetzt wie in Holzschnitten, sind seine typischen Stilmittel. Farben der Befreiung: Rot, Lila, Orange.
In der Galerie selbst, durch die Charlotte Seidl persönlich jeden Gast führt, sind unter anderem die zart-abstrakten Bilder von Lubomir Hnatovic zu sehen. Diese reine Poesie des Lichtes und der Farben erinnert an Turner. Neu im Kreis der Gasteilkünstler ist die Malerin Mona Seidl. Sie lebt am Traunsee. Ihre Werke sind Traumbilder des Sees. Immer wieder begeistern die poetischen Naturabstraktionen von Nadja-Dominique Hlavka. Träume am Wasser, Träume von Pflanzen, eingebettet in zart blau-grüne Farben, die in einem hellen Tag verschwimmen. Charlotte Seidls Sammlung der Keramikbilder hat sich vergrößert. Auffallend viele Frauenfiguren, die heiter und unbeschwert zu sein scheinen, bevölkern die Bildertraumwelt.
Seit mehreren Jahrzehnten wirkt Charlotte Seidl als Vorreiterin auf dem Gebiet der Ausstellungskunst. Intensiv arbeitet sie an der Schließung der Gräben, die sich zwischen Künstler, Kunstwerk und dem Publikum auftun. Sie hat Künstler ausgestellt, lange bevor sie bekannt wurden. Oder besser gesagt: Viele wurden durch sie bekannt und starteten vom Gut Gasteil aus ihren Weg in Museen und Galerien der großen Städte. Daher öffnet jede Ausstellung neue Wege für Künstler und Publikum.
Mona Seidl, Traunsee
Robert Hammerstiel, Gasse
Nadja – Dominique Hlavka: Sommerstille
Charlotte Seidl: Keramikbild
Weitere Künstler in der Ausstellung „full house“: Daniele Panteghini, Anna Maria Brandstätter, Andrea Trabitsch, Mela Diamant, Andreas Sagmeister, Lotte Seyerl, Edgar Holzknecht, Manfred List, Marina Horvath. Die Ausstellung ist noch am 14., 15. bzw. am 21., 22. Dezember 2020 jeweils von 10-18h und den ganzen Winter über bis zum 25. April gegen Voranmeldung zu sehen.
Am 1. Mai 2021 wird die nächste Ausstellung mit Werken von Leena Naumanen und Angi Eisenköck eröffnet.
Rafael Jablonka, 1952 in Polen geboren, zählt zu den profiliertesten Kunstkennern, seine Sammlung zur amerkinaschen und deutschen Kunst der 1980-er Jahre zu den bedeutendsten in der Kunstwelt. In einer Reihe von Ausstellungen werden in der Albertina Werke aus dieser umfangreichen Sammlung gezeigt werden. Für die jetzt laufende wählte Jablonka Werke von Künstlern seiner eigenen Generation, worauf der Titel hinweist.
In einem Gespräch mit Eric Fischl (Katalog S 21) erzählt Rafael Jablonska, dass er zunächst ein „etwas naiver Kurator“ war und später „Kunsthändler aus Not“ wurde. Tatsächlich ist sein Weg zum Kunstssammler recht ungewöhnlich: Zunächst studiert er in Krakau Bauwesen. Da ihm die Arbeit im Baubüro zu eintönig erschien, übersiedelte er in die BRD und begann Kunstgeschichte zu studieren, freundete sich mit Künstlern seiner Zeit an, reiste oft in die USA und begann sich auch für die amerikanische Kunst zu interessieren. Es war also der Weg eines kunstbesessenen Laien, der mit frischem und unverstelltem Blick seine Sammlung anreicherte. Die Unbekümmertheit, die aus dieser Sammlung den Besucher anweht, ist wohl eines der großen Plus. Mit diesem frischen, „naiven“ Blick lässt sich auch am besten die Sammlung betrachten. Sie verlangt keine spezielle éducation. Der Überraschungeffekt wirkt stark und direkt. Gleich im ersten Saal staunt man über die Serie der Installationen von Mike Kelley (s. Titelfoto): Bunte Glasbehälter, riesige Flaschen, in denen ganze Bauwerke oszillieren, blinken, schnarren, krachen. Eine laute, grelle Welt, aber im abgedunkeltem Raum fast schon ein Mythos. Ein Mythos von einer Zukunft, die wir gar nicht so wollen, aber in ihrer Präsentationsform doch goutieren.
Bild li: Eric Fischl: Catboy, Ausschnitt. Re:Franceso Clemente: Selbstporträt, Ausschnitt. Beide Fotos: Silvia Matras
Die Verblüffung ist groß – Eric Fischls Catboy – auf den ersten Blick eine heitere Figur im Katzenlook, doch aus dem Maul guckt ein scheuer Kinderblick. Francesco Clementes ernster Blick, in Rot vor schwarzem Hintergrund, lässt den Betrachter so schnell nicht los.
Diese sehr individuelle kleine Auswahl zeigt, mit vieviel Buntheit im künstlerischen Spektrum die Ausstellung aufwartet. Unbedingt ansehen. Sie ist noch bis 21. Februar zu besichtigen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Marieke Heimburger
Untertitel: Die Geschichte von Mileva Maric, Albert Einsteins erster Frau, die maßgeblich an seinem Erfolg beteiligt war und doch bis heute eine Unbekannte ist.
Marie Benedict erzählt in Form einer Romanbiografie sehr berührend das Leben von Mileva Maric. Dabei stützt sie sich in erster Linie auf Dokumente und Briefe, soweit vorhanden, erlaubt sich aber in künstlerischer Freiheit Gedanken und Sätze, die sie Mileva sagen lässt. So wird aus einer nüchternen Biographie ein packender Roman, der sich so weit wie möglich an die Fakten hält.
Mileva studiert als eine der ersten Frauen überhaupt in Zürich Mathematik und Physik (1896). Unterstützt wird sie in diesem für die damalige Zeit ungewöhnlichen Weg von ihrem Vater, der sehr früh schon ihe Begabung erkannte und förderte. Aber es ist keineswegs leicht für eine aus Serbien stammende junge Frau, sich durchzusetzen. Doch ihre Klugheit und Fröhlichkeit ziehen den jungen Albert Einstein, der mit ihr dieselbe Klasse besucht, in den Bann. Er macht ihr den Hof. Als sie schwanger wird, lässt er sie im Regen stehen, kümmert sich wenig bis gar nicht, hat auch kein Interesse an dem Kind, genannt „Lieserl“. Es ist nur die erste von zahllosen Lieblosigkeiten, die Mileva schlucken muss. Als er sie dann endlich heiratet, wird sie zuerst zu seiner Hausfrau, dann zu seiner Gefährtin in der wissenschaftlichen Forschung. Für Marie Bendedict ist es klar, dass Mileva an den Schriften über dieRelativitätstheorie wesentlich mitgearbeitet hat. Einige Forscher bezweifeln das. Doch dass Albert Einstein nach der Scheidung das Geld aus dem Nobelpreis ihr überlassen muss, ist Faktum. Die Ehe wird ein Disaster, Einstein ein Monster. Je größer sein Erfolg, desto mieser behandelt er Mileva. So darf sie ihn nur ansprechen, wenn er es erlaubt, muss in der Öffentlichkeit drei Schritte hinter ihm gehen. Sie schluckt das für einige Zeit der beiden Kinder wegen. Doch dann reicht es ihr. Sie verlangt die Scheidung und zieht 1914 mit den beiden Buben nach Zürich, wo sie bis zu ihrem Tod 1848 in einem bescheidenen Wohlstand, aber völlig vereinsamt lebt.
Mileva Milic‘ Schicksal ist kein Einzelfall. Zahlreiche Frauen stellten und stellen bis heute ihr Talent hintan, weil sie die Karriere ihres Ehemannes unterstützen müssen/wollen. Es ist noch nicht allzu lange her, dass Malerinnen um eine Ausstellung ihrer Werke sehr kämpfen mussten. Nur wenigen ist es gelungen. Ja, es herrschte noch bis vor wenigen Jahren die Meinung in der Männerwelt, dass Frauen kein kreatives Potential hätten. Und wie heißt es bis heute noch? – „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau.“ Den Mann kennt man, die Frau aber kaum.
Man darf auf die neue Romanbiographie von Marie Benedict über Lady Churchill gespannt sein. Sie soll in den nächsten Monaten 2021 erscheinen.
Immer mehr Kulturschaffende und Kulturliebhaber leiden unter dem arroganten und kunstverachtenden Maßnahmen der Politik! Aufstehen dagegen ist Pflicht, aber ganz offensichtlich ohne Wirkung. Kurz und Co gehören ja auch nicht zu den „Kulturverliebten“. Wann sah man sie in einem Theater, in der Oper oder in einer Ausstellung? Es sei denn, die Medien sind vor Ort und berichten eifrig!!!
Ulrich Weber ist Kurator des Dürrenmatt-Nachlasses. Er schrieb die erste umfassende Biographie des weltbekannten Autors von Dramen wie „Besuch der alten Dame“ oder die „Physiker“. Die meisten Leser und Theaterbesucher kennen diese Dramen, vielleicht noch Krimis wie „Der Verdacht“ oder „Der Richter und sein Henker“. Doch darüber hinaus weiß man recht wenig über FD.
Ulrich Webers Biographie umfasst über 700 Seiten, 200 davon sind für den wissenschaftlich sorgfältig aufbereiteten Anhang reserviert. Zahlreiche Fotografien zeigen FD mit seiner Familie und engen Freunden.
Wenn der Verlag auf der Rückseite des Covers damit wirbt, dass diese Biographie auch für Leser und Schüler interessant ist, so darf das bezweifelt werden. Nur wer ein spezielles Interesse an Dürrenmatts Leben und Werk hat, wird sich durch diese eher nüchtern und sachlich geschriebene Biographie durcharbeiten. Wer das jedoch auf sich nimmt, der erfährt tatsächlich interessante Details aus dem Leben und Arbeiten dieses Giganten der deutschsprachigen Literatur.
Die Anfänge
1921 im Emmental in der Schweiz geboren, beschließt FD schon in jungen Jahren „Künstler“ zu werden. Zunächst probiert er es mit der Malerei, erkennt aber bald, dass er nicht genug Talent hat. Nach dem überstürzten Abbruch des Germanistikstudiums beschließt er kategorisch: Ich werde Schriftsteller. Und: Ich werde Ehemann. 1946 heiratet er die Schauspielerin Lotti Geissler, mit der er bis zu ihrem Tod 1983 verheiratet bleibt. Interessantes Detail aus dieser Zeit: Sympathisiert Dürrenmatt noch als Student mit Hitler-Deutschland und dem Anschluss, so schreibt er mit dem Drama „Romulus der Große“ (1947)die erste große Abrechnung mit der deutschen Vergangenheit. Zugleich ist das auch sein Durchbruch als anerkannter Dramatiker. Doch die Familie (Sohn Peter ist schon auf der Welt) lebt in ärmlichen Verhältnissen. Er entwickelt sich zum „Meister im Schnorren“ (S 136). Aus Geldnot schreibt er Theaterkritiken, Hörspiele und Krimis. In dem Krimi „Der Verdacht“ erwähnt er als erster Autor überhaupt den Holocaust.
Welterfolge
Die Töchter Barbara und Ruth werden geboren, die Geldnot wird größer. Erst 1956 mit den Welterfolgen „Der Besuch der alten Dame“ und „Die Physiker“ kann die Familie in ein großes Haus in Neuchâtel ziehen und im Wohlstand leben. FD genießt diesen Reichtum durchaus, kauft teure Autos und führt ein gastliches Haus. Berühmt ist sein Weinkeller mit edlen Tropfen aus der ganzen Welt. FDs Gäste müssen trinkfest sein! Er ist es zum Leidwesen seiner Ehefrau auch.
FD schuf mit den beiden Dramen beklemmende Parabeln „um die eigendynamishe Macht des Geldes und das Verschwinden des Schuldbewusstseins“ (S194). Die Frage nach dem Verhältnis von moralischer und rechtlicher Schuld wird den Autor auch weiterhin beschäftigen, besonders die Aufarbeitung der Naziverbrechen. Mit dem Film „Es geschah am hellichten Tag“ wird er auch als Drehbuchautor erfolgreich. In der Folge reist FD mit oder ohne Ehefrau Lotti -meist ohne – von einem Theater, einer Besprechung zur anderen. Die drei Kinder bleiben sich meist selbst überlassen. Lotti ist immer wieder krank, fällt in schwere Depressionen. FD schreibt, liest – sehr viel über Naturwissenschaften und Philosophie – und beginnt sich wieder für Malerei zu interessieren. Sammelt Bilder bekannter Maler wie Hans Falk oder Varlin. Die langjährige „distanzierte Freundschaft“ mit Max Frisch geht 1976 zu Ende.
Die schweren Jahre
Ende 1970 beginnt eine schwere Zeit. Sein Drama „Die Frist“ ist ein großer Misserfolg. FD arbeitet intensiv an den „Stoffen“ – eine Rückschau auf sein Leben und Werk mit Überlegungen über das Theater, Leben und Tod. Viele seiner Texte werden immer wieder umgeschrieben und bleiben meist unvollendet. 1983 stirbt Ehefrau Lotti. Aber schon 1984 heiratet er Charlotte Kerr, weil er an Vereinsamung leidet. Nun prallen zwei gegensätzliche Menschen aufeinander: Sie herrscht, organisiert, bestimmt, er wehrt sich, will es gemütlicher. Doch Charlotte Kerr ist ehrgeizig und umtriebig und findet immer neue Arbeitsmöglickeiten für ihren Ehemann. Sein Ruhm und Nachruhm sind ihr wichtig, nicht zuletzt, weil sie miteinbezogen ist. Zahlreiche Preisverleihungen, unter anderem der renommierte Büchner-Preis- machen die Ehefrau stolzer als den Preisträger. Aufschlussreich für FD ist die Reise in die Sowjetunion, wo er Gorbatschow kennen lernt. Er hält ihn für einen wichtigen Hoffnungsträger auf dem politischen Weltparkett. Am 14. Dezember 1990 stirbt FD in seinem Haus in Neuchâtel an Herzversagen.
Verlag: Insel Taschenbuch/Suhrkamp. Aus dem Englischen von Katja Bendels
Istanbul 1921, oder wie die Besatzungsmächte die Stadt nennen: Konstantinopel. Es sind düstere Zeiten. Die einst so strahlende Stadt wirkt erloschen, die Menshen leiden unter der Besatzung, Misstrauen herrscht überall. Der Titel der deutschen Ausgabe ist daher irreführend. Denn die Stadt leuchtet höchstens durch die gelegten Brände, die vor allem die Häuser der Armenier zerstören.
Zerstört, verstört sind auch die Menschen. Den Besatzern begegnet man mit Missachtung. Sich ihnen auch nur freundlich zu nähern gilt als Verrat. Doch die junge Lehrerin Nur lässt sich nicht beeinflussen. Ihr Kurzzeitehemann ist gefallen, ihr Bruder verschollen. Mit Stickerein bringt sie recht mühevoll ihre Großmutter und Mutter durch. Auch den kleinen armenischen Jungen nimmt sie bei sich auf. Er war ihr letzter Schüler, alle anderen Kinder waren längst schon verschwunden. Als „der Junge“, wie er nur genannt wird, schwer krank wird, ruft Nur den Arzt, der im britischen Militärhospital arbeitet, zu HIlfe. Er nimmt den Jungen im Spital auf, obwohl es streng verboten ist. Nur besucht ihn täglich, muss ihre Abneigung gegen den Arzt und die Briten unterdrücken. Sie leidet doppelt, da das Spital einst das Heim ihrer Familie war.
Alles keine guten Voraussetzungen für die Liebe, die zwischen Nur und dem Arzt George langsam wächst. Denn es ist eine Liebe, die nicht sein kann, sein darf. Zu groß ist die Kluft zwischen einer Bewohnerin der Stadt und einem, der zu den Besetzern gehört. Obwohl beide fähig wären, die gesellschaftlichen Schranken zu überwinden, trennen sie sich. Er kehrt in seine Heimat zurück. Als Beweis ihrer Liebe bittet Nur ihn, den Jungen mitzunehmen. In ihrer Stadt wäre er wegen seiner armenischen Abstammung nicht mehr sicher. Denn der Genozid am armenischen Volk hat begonnen. Nurs Bruder wurde gezwungen, die ärgsten Gräueltaten an den Armeniern mitanzusehen und auch auszuführen. Das hat ihn verändert, zuletzt gebrochen. Er begeht Selbstmord.
Geschickt verpackt Lucy Foley schwerwiegende Folgen des Krieges in eine zarte Liebesgeschichte, die sich spannend, sehr langsam und behutsam entwickelt. So nimmt sie den Leser geschickt mit und konfrontiert ihn mit den historischen Tatsachen, wie den Genozid an den Armeniern, den Aufstieg der „Türkei“ aus den Trümmern des ehemals mächtigen osmanischen Reiches. Sie schildert mit nüchernem Blick, welche Folgen die Grausamkeit des Kriegsgeschehens auf die Seelen der Menschen hat. Am Beispiel des Bruders, der mit seiner Schuld, die er bei der Vertreibung der Armenier auf sich geleaden hat, nicht fertig wird. Als Gegenpol der Entmenschlichung führt sie die positive Figur des Arztes ein, um ein Gegengewicht zu all den Unmenschlichkeiten zu schaffen.
Der Aufbau des Romanes ist allerdings ein wenig ungewöhnlich, sprich nicht gerade leserfreundlich. Wahrscheinlich ist der Aufbau der herrschenden Schreibmode geschuldet, das Geschehen in kleine Kapitel zu zerhacken, in denen die Autorin zeitlich und im steten Perspektivewechsel zwischen den Personen hin- und herspringt. Dieser allseits beliebte Erzählstil wirkt ein wenig allzu bemüht und erschwert das Einsteigen in das Geschehen. Hat man aber erst einmal ein Drittel des Romanes überwunden, dann ist man vom Reiz der Geschichte gefangen.
Man kann nicht aufhören zu lesen. Alle Puzzles, die man sich aus Medienberichten vage zusammenreimen konnte, rückt der Autor in den notwendigen politischen Rahmen und fügt sie zu einem klaren Bild zusammen. Er durchleuchtet Spieler und Gegenspieler, geht den Ursachen der Aufstände und Gegenaufstände auf den Grund. Zeigt mangelnde Kompromissbereitschaft für die Militärdiktatur in Ägypten auf. Beleuchtet logisch und mit kühler Objektivität den Aufstieg der IS-Kämpfer.
Karim El-Gawhary macht deutlich, dass es in der Politik nie um Menschen, Bewohner des Landes, geht, sondern immer nur um die Frage der Herrschenden: Wie können sie ihre Macht sichern, beziehungsweise vergrößern. Und man erfasst sehr schnell: Bei diesem Spiel um die Macht werden schnell Verbündete zu Gegnern. Oder auch die aktuellen Machthaber zu Verlierern, wenn sie auf falsche Pferde gesetzt haben. Beispiel: Die Winkelzüge von Saudis und den Arabischen Emiraten legten den Jemen total lahm, ohne wirkliche Erfolge zu erzielen. Dieselben spalteten Libyien und hatten ihre Spielfinger in Ägypten, zogen den Boykott gegen das Emirat Katar hoch. Aber alle diese Strategien blieben erfolglos. Fazit: Verbrannte ERde ud Millionen Tote.
Es gelingt dem Autor, in der „nahöstlichen Gemengelage“ die Verflechtungen aufzuzeigen. Deutliche führt er die unrühmliche Rolle Trumps, aber auch die Eruopas auf: Indem diese beiden Mächte sich auf die Autokraten als Antiterrormächte stützen, wollen sie nicht sehen, dass es gerade diese Diktatoren sind, die ihre Bevölkerung unter die Armutsgrenze treiben und so den Terror züchten. Nüchtern stellt Karim El-Gawhary fest: Die EU spielt im Nahen Osten längst keine Rolle mehr, es sei denn eine unrühmliche! Harte Worte. Das Buch sollte man allen EU-Politikern als Pflichtlektüre auferlegen.
Das Buch ist ein Wachruf an Europa! Wie lange noch werden die Menschen in den autokratisch gelenkten Staaten die Unterdrückung dulden? Die Stabilität ist brüchig. Was zur Folge hat: Immer mehr Menschen werden nach Europa drängen!
Karim El-Gawhary führt mit präzisen Recherchen und einer klaren Sprache, die jeder versteht, verstehen muss, uns Europäern vor Augen, welch ein gefährliches Terrain der Nahe Osten ist und wie sehr die EU vor den Problemen die Augen schließt.
Erwin Schrott: Bassbariton. Claudio Constantini: Bandoneon. Santiago Cimadevilla: Bandoneon. Jonathan Bolivar: Gitarre. YuChen: Klavier
Ein klug zusammengestelltes Programm, mit dem Erwin Schrott als Sänger und als Entertainer glänzen konnte! Dass es der letzte Abend vor der neuerlichen Schließung aller kulturellen Aktivitäten war, erhöhte die Temperatur im Publikum und bei den Künstlern in gleicher Weise. Als ob es galt, den öden kommenden Wochen ein Schnippchen zu schlagen. Und wer könnte das besser als Mephisto! Ach, hätte er doch die Macht, die ihm Goethe zuschrieb! Dann würde er vielleicht all die unsinnigen Verbote, die die Kultur für Wochen in den Keller sperren, mit einem Handstreich und einem höhnischen Hohoho zunichte machen.
Erwin Schrott nahm für diesen Abend die Rolle des allmächtigen Mephisto ein: Mit der sonoren Bassbaritonstimme füllt er den Saal bis in die letzen Winkel. Wenn er in höhnisches Gelächter über die kurze Liebe Fausts zu Gretchen ausbricht (aus: Gounod, Faust,“ Vous qui faites l´endormie“) oder mit „Voici des roses“ (Berlioz:“ La damnation de Faust“) Gretchen und Faust mit trügerischer Sanftheit einlullt – er ist auch ganz ohne Kostüm, Maske und Kulisse Mephisto. Völlig enthemmt und toll geworden singt er die Arie „Voici donc les débris…Nonnes qui resposez“ (Meyerbeer:“ Robert le diable“), pfeift schrill und bedrohlich, als hätte sich der Höllenschlund aufgetan.
Dazwischen fährt er die Betriebstemperatur ein wenig hinunter und stellt vier junge Streicher vor, die als „Ensemble Quartissimo“ den Preis „Die goldene Note“ gewannen. Sie spielten sehr flott den Mephisto Walzer Nr.1 von Franz Liszt.Schwungvoll setzt Ernst Schrott mit Arrigo Boitos Lied „Sono lo spirito che nega“ aus „Mefistofele“fort. Das ist ein ganz anderer Mephisto, ein heiterer, witziger, der im Sambaschritt dahertänzelt. Von da gehts direttissima zu Astor Piazzolla mit „Tango del Diablo“ . Danach mit „Vuelvo al sur“ – ein Sehnsuchtslied nach der alten Heimat. Mit „Pasional“ von Soto und Caldara endete das Programm sehr dramatisch.
Trotz langem und begeistertem Applaus gab es nur eine Zugabe.
Die nächsten Great Voices -Termine sind – so die Regierung die Kultur frei gibt :
Am 15. Jänner 20121 stellt sich der neue Startenor Benjamin Bernhelm mit Arien von Donizetti bis Puccini vor.
Am 28. Februar 2021 wird Asmik Gregorian, die berühmte Stimme für Salome, singen.
Der Abend mit Jonas Kaufmann ist verschoben. Ein neuer Termin ist noch nicht bekannt.
Apropos „Kultur in den Keller gesperrt“! Ich empfehle allen, die sich mit der rigorosen Schließung aller Kultureinrichtungen nicht abfinden, bzw. sie nicht verstehehn können, das Empörungsfeuilleton von Renate Wagner:/https://onlinemerker.com/apropos-verdammt-noch-mal/
Regie: Nikolaus Habjan. Puppenbau: Nikolaus Habjan und Marianne Meindl. Bühne: Jakob Brossmann. Kostüme: Cedrik Mpaka
1967 schrieb der tschechische Autor Ladislav Fuchs (1923-1994) den Roman „Der Leichenverbrenner“. Darin lotet er die Mechanismen aus, die aus einem Familienvater einen glühenden Nazi und Mörder werden lassen. Franzobel arbeitete den Roman zu einem irritierenden Drama um. Der Intention des Werkes folgend schuf er eine Art Fabel, in der die Protagonisten stellvertretend für Menschen in einer gefährlichen Umbruchszeit stehen. Alle handelnden Personen sind Prototypen, sie agieren wie Marionetten nach einer Logik, die ihnen eingeschrieben ist. Wann und wie aus einem „fürsorglichen Familienvater“, wie sich Karel Kopfrkingl gerne selbst lobt, ein Anhänger Hitlers und Mörder wird, lotet Franzobel in einer Art Stationendrama aus.
Karel Kopfrkringl testet gerne die Macht über seine Kinder und Frau aus. Die Grausamkeiten tarnt er unter einem Geschwürbe von schönen Worten. Je mehr er verletzt, desto mehr betont er seine Fürsorge. Eine Gewaltrspirale unter dem Deckmantel der Liebe. Michael Maertens in glatter Scheitelfrisur und korrektem Anzug spielt diese Rolle des mordenden Menschenfreundes perfekt. Mit einer Kunstsprache, in der immer der Ton Grausamkeit mitschwingt, wird er zum perfekten Typus des karrieresüchtigen Mitläufers. Denn nach jedem Verrat an Freunden steigt er die Leiter im Krematorium hoch, bis er schließlich Direktor dieser Menschenverbrennungsanlage wird.( Die Symbolik ist ein wenig zu vordergründig, aber wirksam!) Dorothee Hartinger ist eine in stummer Ergebenheit nebenher stehende Ehefrau, die nur hin und wieder aufmuckst, wenn der Göttergatte den schüchternen Sohn (Sabine Haupt) in Grund und Boden kritisiert und lächerlich macht. Alexandra Henkel als Tochter schleckt Eis und malt sich die Lippen an, lässt die Attacken des Vaters an sich abprallen. Dem Schicksal, vom Vater erschlagen und in einen Sarg gebettet zu werden, entgeht sie dennoch nicht. Denn der treusorgende Familienvater findet seine Familie zunehmend karrierebehindernd. Deshalb bringt er auch gleich die Frau und den Sohn um. Wenn schon, denn schon. Als Belohnung für seine Taten winkt ihm der Posten eines Dalai Lama. Das ist kein Witz, sondern Groteske auf die Spitze getrieben.
links: Puppe Reinke, geführt von Habjan. Rechts: Das streitende Ehepaar. Alle Fotos:Matthias Horn
Ein Stoff, für den Puppenspieler Nikolaus Habjan wie geschaffen! Gemeinsam mit Manuela Linshalm (Puppenbauerin und Puppenspielerin) und Jakob Brossmann, verantwortlich für die Bühne, schuf er ein Theater der Groteske. Er ließ das ganze Geschehen in einer Bühne auf der Bühne ablaufen. Schuf Puppen von betörender Grauslichkeit, wie etwa das streitende Ehepaar: Sie ist eine Kassandra, die das Übel des Weltkrieges kommen sieht, er hält sie für dumm und krank und verdrischt sie nach Lust und Laune. Grausamkeiten, die man als Zuschauer nur erträgt, weil es Puppen sind. Eindrucksvoll auch die Puppenfigur des überzeugten Hitleranhängers Reinke, hinter der Nikolaus Habjan in Totenmaske steht.
Ein Abend, der Ablehnung und Bewunderug auslöst. Ablehnung, weil die Figuren oft recht klischeehaft gezeichnet sind. Bewunderung für die Leistung der Schauspieler und der Puppenspieler, die aus dem grotesk-tragischen Mischmasch ein eindrucksvolles Ganzes schufen.
Im obigen Titelfoto verführt Don Juan, getanzt von Saul Daniele Ardillo, Elvira, getanzt von Estelle Bovay.
Die italienische Ballettgruppe „Aterballetto“ zeigte „Don Juan“, von dem schwedischen Choreograph Johan Inger atemberaubend und packend in Szene gesetzt. Auf einer dunklen Bühne (Curt Allen Wilmer und estudiosDos) stehen dicht aneinander gereiht schwarz-graue Kontainer, die sich wahlweise in Betten, Bäume oder in Häusermauern verwandeln.Durch den Einsatz von Lichtinseln (Fabiana Piccioli) und Neukompositonen von Marc Alvarez wird das Geschehen pointiert unterstrichen und vorangetrieben.
Mit 16 Tänzern – 8 Frauen, 8 Männern – gestaltet Johan Inger das Leben des Frauenjägers von seiner Geburt bis zum Verschwinden ins Nichts. Dabei hält er sich im Großen und Ganzen an die bekannte Geschichte, wie wir sie aus der Mozartoper kennen, ließ sich aber auch von Bert Brecht und anderen Don Juantexten inspirieren. Einige Figuren wie die Mutter Don Juans oder das Straßenkind sind neu. Leporello – im Stück Leo – ist eine schillernde Figur, einmal Leporello( Philippe Kratz), der widerspenstige Diener, dann wieder das Alter Ego. Neu und interessant ist die Figur der Mutter (Ina Lesnakowski). Sie verfolgt von der Geburt an ihren Frauenliebling, greift immer wieder ein. Sein Leben endet jäh auf der Kante eines der Betten, auf denen er die Frauen verführte. Er wird von schwarzen Gestalten ins dunkle Nichts gekippt.
Mit immer neuen, spannenden Figuren aus dem zeitgenössischem Ballett und dem Modern Dance schafft Johan Inger psyhologische Porträts der Figuren und macht die Handlung verständlich. Die Leistungen der gesamten Truppe sind enorm, fast unglaublich jedoch die des Don Juan. Er ist eineinhalb Stunden ohne Unterbrechung auf der Bühne. Seine tänzerischen und akrobatischen Qualitäten nehmen einem fast den Atem. Die Liebesakte tanzt er mit ungenierter Offenheit: Kaum hat er eine Frau „bezwungen“, rast er zur nächten. Zu den stärksten Szenen gehört die Hochzeit Zerlinas. Während die geladenen Gäste in ein wildes Bacchanal ausbrechen, verführt Don Juan die Braut ganz ungeniert.
Hoochzeitstanz (Foto: Celeste Lombardi)Don Juan, Zerlina (Serena Vinzio) und Leo (Foto: Viola Berlanda)
Ein schon in die Jahre gekommener Esel von einem Mann, bekannt in Paris als Spötter und Eheflüchter, entschließt sich zu heiraten. Um ja sicher zu gehen, dass ihn seine Zukünftige nicht betrügen wird, züchtet er sich die ideale Ehefrau heran: Ein Mädchen aus dem Kloster, das nichts von der Welt gesehen hat. Dumm soll sie sein, dumm soll sie bleiben. Doch dieses Mädchen ist klüger als der alte Esel vermutet. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, die der alte Esel – Molière nennt ihn Arnolphe – setzt, verliebt sich das Püppchen – Agnès genannt – in den lebenslustigen Horace, der sie die Freuden des Lebens, der Liebe lehrt. Natürlich bekommt Agnès ihren Horace und Arnolphe muss klein beigeben.
Eine Klischee- Geschichte, oft durchexerziert in der Oper, vor allem aber Grundlage für viele Komödien, besonders der Commedia dell`Arte und der späteren Zeit.
In einer Komödie fragt man nicht, ob das Thema heute relevant ist. Hauptsache ist der Witz, der Einfall. Manche Regisseure setzen den Stoff in die Gegenwart (so gerade in der Staatsoper im „Don Pasquale“ zu erleben und zu genießen). Viele greifen auf die Figurenführung und Kostüme der Commedia dell`Arte zurück und bleiben in dieser Zeitschiene.
Ruth Brauer-Kvam setzt alles ein, was aus der Komödienkiste kommt: Die Übertreibung aus dem Slapstick, die Bewegungen aus der Commedia dell`Arte, Grundzüge aus dem Marionettentheater und Heutiges, wie zum Beispiel die Musik von Ingrid Oberkanins, die das Geschehen ironisch begleitet . Eine Mischung, die amüsant ist, aber die Gefahr des Zuviel birgt.
Alle Schauspieler sind mit einem überschäumenden Temperament ausgestattet. Voller körperlicher Einsatz wird verlangt, vor allem von Tim Breyvogel und Tobias Artner als die beiden urdummen Diener von Adolphe, gespielt von Tilma Rose. Letzteren in seinem Antrittsmonolog zu verstehen, war ziemlich mühevoll. Denn bis die Worte auf den Balkon, 3. Reihe, gelangten, waren die Endungen und manche Vokale schon irgenwo im Nirwana verschwunden. War der deutschgefärbte Akzent bewusst eingesetzt? Entzückend Laura Laufenberg als Agnès. Zuerst als Puppe mit Rollschuhen, dann im Laufe ihrer Emanzipation in kurzem Kinderkleidchen. Zuerst naiv, dann aber schlau naiv. Witzig auch Horace (Philip Leonhard Ketz) als Latin-Lover. Er ist niedlich, wie er so verliebt über die Bühne haspelt und stolpert. Einmal auch zu Pferd, was irgendwie komisch sein sollte, aber doch nicht allzu schlüssig war. Es blieb ein Gag um des Gags willen.
Die Idee, mitten im Geschehen die Figuren Uranie und Climène umhermarschieren und das Spiel kommentieren und kritisieren zu lasssen, wirkt allzu gewollt und aufgesetzt „postmodern“. Schon klar, sie stellen die Kritiker, die einst über Molière herfielen, und zugleich die möglichen Kritiker der gegenwärtigen Aufführung dar. Doch die theoretischen Auseinandersetzungen gehen in dem allgemeinen Trubel unter. Noch unnötiger ist das Liebesgerede der beiden.
Fazit: Eine quirlige Inszenierung, gespickt mit vielen Regieeinfällen, die manchmal zu viel des Guten sind. Körperlich gut trainierte Schauspieler, die mit vollem Einsatz spielen.
„Faust“, wie man ihn noch nie so klar, ganz ohne Regiekapriolen gesehen hat. Für mich die beste Faust-Inszenierung, die ich je erlebte.
Wenn der Intendant des Landestheaters von Maldeghem und Christian Floeren (Bühne und Kostüme) zusammenarbeiten, dann weiß man, dass es großartig wird. Ein Feuerwerk an Bildern und Schauspielleistungen ließ mich ruhig zurücklehnen und genießen! Ich war nicht gezwungen, mich zu fragen, was dieses oder jenes bedeuten könnte. Alle Szenen waren eingängig, ohne dabei einer Simplifizierung zum Opfer zu fallen.
Dass die Schauspieler durchwegs großartig waren, versteht sich von selbst. Allen voran der quirlig-witzige Gregor Schulz als Mephisto. Er wirbelt über die Bühne und lehrt Faust, was Leben heißt. Denn der (Christoph Wieschke) bekommt hier von der Regie ordentlich sein Fett ab: Ein erfolgloser, frustrierter Forscher, der mit seinem Leben nichts mehr anzufangen weiß und gerade dabei ist, sich umzubringen. Irgendwie tranig verfolgt er, was da Mephisto ihm vorspielt, selbst der Verjüngungstrank kann ihn nicht wirklich in einen Jungspund verwandeln. Ein Mädchen, fast noch ein Kind, muss es sein!. Ein junges, frisches Ding, ja, da wachen seine Hormone auf. Nikola Rudle als Gretchen gibt es ihm ziemlich barsch: Danke, ich brauch keine männliche Begleitung, ich finde allein nach Hause. Und schwingt ihren reizenden Popo, der in einer kurzen, abgerissenen Jeans steckt, von dannen. In keiner Szene wird sie zu einem Jammerwesen. Stark bis zum Schluss. Im Gefängnis ist sie nicht wahnsinnig, sondern klarsichtig und scheucht Faust mit den bekannten Worten: Heinrich, mir graut vor dir, aus dem Käfig.
Von Maldeghem inszeniert den Faust in sprachlicher Klarheit – die Verse kommen wie selbstverständlich, machen keine Mühe. In die faszinierenden Bühnenbilder voll optischer Überraschungen stellt er schlichte, aus dem Alltagsleben herausgeschnittene Figuren hinein. Nie kommt Pathos oder hohle Deklamation auf. Es wird eine Beziehungsgeschichte gezeigt, die tragisch ausgehen könnte. Aber Tragik war nie so recht Goethes Sache gewesen. Er zog in seinen Dramen fast immer den positiven Schluss vor: Gretchen wird nicht der Hölle preisgegeben, sondern von dem Herrn persönlich (gespielt von Larissa Enzi als weiblicher Gott) gerettet.
Viele Szenen werden in Erinnerung bleiben, etwa das Federballspiel zwischen Mephisto und Faust, in dem Faust von Mephisto verlangt, er möge ihm gefälligst den WEg in Gretchens Bett ermöglichen. Dem Mephisto verschlägt es die Sprache über die Machoforderungen seines Klienten. Vorsichtig gibt er zu Bedenken: Gretchen ist noch ein Kind! Mephisto wird zum moralischen Mahner!!. Aber für Faust bleibt alles ein Spiel, selbst als Gretchen ihn kurz darauf fragt, wie er es mit der Religion hält. Er gibt ausweichende Antwort, spielt lieber weiter Federball. Im Garten spielen Gretchen und er kindisch Fangen, kreischend und lachend. Die Liebe ist Spiel, dann ganz plötzlich bitterer Ernst – übergangslos der Schrei Gretchens: die Mutter ist tot, sie hat ihr zu viel von dem Schlafmittel gegeben.
Obwohl eine Corona bedingt verkürzte Fassung gespielt wurde, wurde das Werk nicht bracchial, sondern mit viel Gespür für die Grundlinien gekürzt.
Ein Abend, der es wert ist, von Wien nach Salzburg zu fahren! Man verlässt das Theater mit dem innigen Wunsch, so ein Maldeghem möge auch Wien geschenkt werden. Nicht vorzustellen, was man da in der Burg oder im Volkstheater erleben könnte!
Gerhard Richter, geboren 1932 in Dresden, gilt als einer der bedeutendsten Maler der Gegenwart. Seine Bilder erzielen Millionenpreise. Das Bank Austria Kunstforum zeigt eine umfangreiche Retrospektive der Landschaftsbilder. Der Künstler behauptet gerne von sich, dass er in jedem Stil malen könne: Real, surrelal, abstrakt.
In der Ausstellung werden Bilder auf Basis von Fotomotiven, atmosphärische Landschaftsbilder mit augenzwinkerdem Hinweis auf die Ära der Romantik, abstrakte Gebirgsbilder und überaus interessante Übermalungen gezeigt.
Alle Fotos: Silvia Matras
Eine Ausstellung, die man nicht versäumen sollte. Noch zu sehen bis 14. Februar 2021.
Nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann. Inszenierung und Fassung: Felix Hafner
Kein leichtes Unterfangen, aus dem vielschichtigen und hintergründigen Roman von Thomas Mann eine leichte, flauschig-luftige Komödie zu machen. Chapeau! in einer Stunde und 20 Minuten verstand es der Regisseur Felix Hafner, sein Publikum auf hohem Niveau zu unterhalten.
Ein einfaches Bühnenbild (Anna Sörensen) – ein Tisch, der zur schiefen Bahn, zur Weltbühne oder zum Tennisplatz wird, erlaubt, ohne Kulissenwechsel das ganze gesellschaftliche Spiel um Betrug und Betrogenwerden abzuspulen. Vor allem verdankt das Stück seinen ERfolg den durchwegs guten Schauspielern, die im raschen Rollenwechsel geübt, vom Kleinbetrüger zum König (Laura Laufenberg), vom Stabsarzt zum Hoteldirektor (Michael Scherff), vom Beamten zu Madame Houpflé (Nanette Waidmann) und von der Concierge zum Marquis de Venosta (Tilman Rose) mutieren. Als komödiantisches Supertalent erwies sich Tobias Artner in der Rolle des Felix Krull: Hübsch anzuschauen in einem Glitzerbody, sehr erotisch, mit dem nötigen Augenzwinkern, spielt er diese Rolle bravourös.
Zu Beginn erleben wir ihn, wie er – angelehnt an das letzte Abendmahl – seinen devoten und staunenden Anbetern sein Erfolgsrezept verrät: Beobachten, beobachten! Dann blitzschnell erfassen, wie er -gleichsam als vorauseilender Wunscherfüller – sein Gegenüber manipulieren kann. So gelingt es ihm, dem Wehresstabsarzt den Epileptiker vorzuspielen. Der ist ganz verzückt über die vermeintlich von ihm so genial gestellte Diagnose und erklärt ihn für untauglich. Das System funktioniert: Felix erspürt mit fast animalischer Intelligenz die Wünsche seines Partners, Partnerin, bevor diese noch überhaupt wissen, was sie wünschen werden. Ein tolles Rezept für jeden Machtpolitiker!
links:Michael Scherff und Tobias Artner bei einer Tennispartie. rechts: Bei der Stellungskommission.(Fotos: Landestheater Niederösterreich)
Wieder ist Neapel der Schauplatz, wieder geht es um Familiengeschicke, Wieder aus den Augen einer Halbwüchsigen. Man glaubt sich in dem Vierteiler „Meine geniale Freundin“, dann doch wieder nicht. Denn den Figuren fehlt die Glaubwürdigkeit, die existentielle Tiefe.
All zu deutlich spürt man, dass dieses neue Werk der Autorin ein Art Aufguss der Neapeltrilogie ist. Man liest es mit dem Aha -Effekt – das kennen wir schon. Giovanna, ein Mädchen aus der gutbürgerlichen Oberschicht (sie wohnt auch im noblen Oberteil von Neapel) seziert, zerlegt und zertrümmert das Bild, das ihre Familie nach außen aufgebaut hat. Dass sich Giovanna gleichsam als Nerd gebärdet, ist ärgerlich, denn es fehlt ihr alles Maß. Sie meint, sie, nur sie allein hat die moralische Kompetenz, die Lügen der Erwachsenen aufdecken zu müssen. Dieses manisch-aggressive Verhalten mag ja typisch für die Zeit der Pubertät sein. Aber gerade dadurch wird es mehr ein Buch über die allgemein bekannten Zickigkeiten, Widrigkeiten, die 13-15- Jährige so erleben. Anders als in der Neapeltrilogie erfahren wir kaum Neues über die Stadt, es werden Straßen und Plätze genannt, die sich aber nicht mit Leben füllen. Ähnlich wie in der Neapeltrilogie strebt Giovanna nach intellektuellem Futter – diesmal erfüllt eine Art Priesterfigur diese Funktion. Der stammt aus Neapel, lebt und lehrt in Mailand – auch hier die Parallele zur Trilogie: Mailand, das ersehnte Zentrum der Intelligenzia . Es bleibt aber bei der Schwärmerei Giovannas zu diesem eigenartigen Halbheiligen, sie liebt ihn, lässt sich aber von einem ziemlich groben Straßenjungen aus dem „Industrieviertel“ Neapels ganz ohne Gefühlsregung entjungfern. So unter dem Motto: Damit ist auch dieser Schritt zum Erwachsenwerden erledigt.
Zusammengefasst: Aus Neapel nichts Neues, nur andere Namen, aber die ohne Leben.