Peter Keglevic: Wolfsegg. Penguin Verlag

Ein wuchtiger Roman! Wie ein Bild von Egger-Lienz oder eine Tragödie von Aischylos. Beim Lesen steigen Erinnerungen an Marlen Haushofers, „Die Wand“, Stifters „Bergkristall“, Innerhofers „Schöne Tage“ und Thomas Bernhards „Die Auslöschung“ auf.

Keglevic scheut nicht vor Pathos zurück. Pathos, im Sinn von Leiderzählung, Leiderfahrung. Es schlägt zu und trifft den Leser in voller Wucht. Das bedarf eines stringenten Erzählstils. Den hat der Autor! Ganz ohne Schnörkel und eitle Stilpirouetten läuft das Geschehen ab und auf sein Ende zu. Ein Ende, das an griechische Tragödien erinnert. In ihrer grausamen Konsequenz und Unerbittlichkeit. Spannungsgeladen. Der Leser kann das Buch nicht aus der Hand legen! Kein billiger Pageturner. Denn die Figuren stammen aus der tiefsten Tiefe menschlicher Grausamkeiten.

Der Roman ist ein Wunder! Peter Keglevic zitiert mitten im Roman Erich Kästner:“Wunder erleben nur diejenigen, die an Wunder glauben.“

Die sechszehnjährige Agnes ist so ein Wunder. Man muss einfach glauben, dass dieses Mädchen in der Not Kräfte mobilisiert, die man nicht einmal einem ausgewachsenen „Kerl“ zutraut. Sie lebt mit ihren beiden kleinen Geschwistern, der krebskranken Mutter und einem Vater, der sie intensiv für die „Zeit danach“ vorbereitet, am Rande eines Dorfes. Irgendwo in einem Bergtal, könnte sein in der Nähe des steirischen Erzgebirges. Berge, Hochwald umgeben die Menschen. Mitten drin das Kinderheim „Maria hilf!“, wo Mädchen gequält und sexuell missbraucht werden. Dann ist die Zeit danach gekommen: Die Mutter ist tot, den Vater hat die Menge zu Tode gehetzt. Nun ist Agnes für ihre Geschwister verantwortlich. Mehr sei hier nicht verraten, denn der Roman lebt auch von der spannenden Handlung.

Eine grausame Tragödie von Kindesmissbrauch und Verhetzung. EIN GROSSER ROMAN!

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Tracy Chevalier: Violet. Atlantik Verlag

Aus dem amerikanischen Englisch von Anne Rademacher.

1932 in Southampton, einer Kleinstadt im Süden Englands. Violet führt ein tristes Leben an der Seite ihrer quenglerischen Mutter. Es herrschen strenge Moralgesetze, die besonders für alleinstehende Frauen wie Violet gelten. Da wird getratscht, be- und verurteilt, immer vor den Türen der anderen, nie vor der eigenen gekehrt. „Anstand“ heißt das Wort, das alle im Munde führen, mit dem die Gesellschaft Frauen wie Violet geißelt.

Als Violet die häusliche Enge und Engstirnigkeit an der Seite der keifenden Mutter nicht mehr aushält, zieht sie aus, findet in Winchester eine schlecht bezahlte Arbeit als Schreibkraft, wohnt in einem Billigzimmer und hat nicht immer genug Geld, um sich Essen zu kaufen. Doch sie gibt nicht auf, ringt Tag für Tag um ihre Selbständigkeit. Sie schließt sich einer Gruppe von Frauen an, die Sitzkissen für die berühmte Kathedrale von Winchester (die zweitälteste von Europa) sticken, verliebt sich in den Glöckner Arthur, der sie in das Geheimnis des Glockenläutens einweiht. Arthur ist verheiratet. Scheidung kommt nicht in Frage, da seine Frau schwer krank ist. Als Violet von ihm schwanger wird, zieht sie von Winchester weg und kehrt nach Southampton zurück, kämpft tapfer gegen all den Hass und die Vorurteile, die man damals einer unverheirateten, schwangeren Frau entgegenbrachte. Tracy Chevalier lässt auch das Thema der Liebe zwischen Frauen einfließen, in den 30er Jahren und lange noch danach ein strenges Tabuthema. Und am Horizont droht schon der Zweite WEltkrieg. Dennoch endet der Roman hoffnungsfroh: Violet liebt ihre kleine Tochter Iris über alles. Sie weiß, ein Leben mit Arthur wird es nicht geben….

Tracy Chevalier schrieb einen stillen Roman über eine Frau, die ihren WEg findet und sich trotz vieler Widrigkeiten behauptet. Allerdings muss die Leserin – es ist hauptsächlich ein Roman für Frauen – sehr viel Zeit und Geduld aufbringen, will sie sich durch die allzu detaillierten Schilderungen, wie man ein Sitzkissen bestickt, durcharbeiten. Die teils sehr lehrhaften Anweisungen, wie die Glocken richtig geläutet werden sollen, sind auch nicht gerade sehr spannend. Als Dokument über Kunstfertigkeiten, die zumindest in Mitteleuropa unbekannt sind, mag es gelten.

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Theater Scala: Casanova kocht. Ein galantes Dinner im Jahr 1791.

Buch und Regie: Bruno Max

Eine handfest-witzige, ausgeklügelt derbe, gut gewürzte Regie des Regiemeisters Bruno Max macht den Abend zum puren Vergnügen. Zum Entstehen des Abends schreibt er: „Wir haben schamlos geplündert: musikalisch von Mozart, Vivaldi, Caterina Valente, Angelo Branduardi und Nino Rota. Literarisch und szenisch: von Casanova „Mein Leben“, „Die Nächte von Paris“ von Restif de la Bretonne und Schnitzler „Casanovas Heimfahrt“ und verschiedenen Filme.“

Aus dem Parterre sind die Sessel weg geräumt. An mit Gourmetköstlichkeiten gedeckten Tischen nimmt das Publikum Platz, darf essen und trinken nach Lust und Laune -beides stellt sich sofort ein. Ein frecher Weiberchor begrüßt und begleitet das Publikum hinein in die Vita des Casanova. Im Schnellverfahren sehen wir den kleinen Jungen Giacomo, gerade noch aufmüpfiger Puppenzwerg und gleich darauf der charmante Jüngling, der in Venedig Adelige, Nonnen und Huren bezaubert und verführt. Die absolut vergnüglichen, akrobatischen (Bett)Szenen choreographierte Ivana Stojkovic, die so nebenbei in acht verschiedenen Rollen ihr schauspielerisches Talent beweist.

Bezaubernd auch die Kostüme (Sigrid Dreger), die an die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts angepasst sind. Bewunderndswert ist die Schnelligkeit, mit der die Schauspieler Rollen und Hülle wechseln.

Casanova selbst ist ein alter, müder Mann (Hermann J. Kogler), der mit einer gewissen Altersresignation und Wehmut auf sein einst so buntes Leben zurückblickt: Einmal begehter Verführer, dann elender Gefangener, dann Spieler und Lebensgenießer. ER nimmts, wies kommt. All das erzählt er dem Schriftsteller Restif de la Bretonne (Bernie Feit), einem zufälligen Reisegefährten. Marc Mayr und Eric Lingens teilen sich die vergnüglichen Sexszenen, in die der junge Casanova gestürzt wird.

Bruno Max entwarf ein interessantes, weil ambivalentes Bild Casanovas. Er zeigt den Jungen, dem alles gelingt, selbst die Flucht aus den Bleikammern Venedigs und den Alten, der vom Gnadenbrot des Grafen Waldstein lebt und in dessen Schloss seine Memoiren schreibt.

Aufgrund der allgemeinen Schließung der Theater konnte nur die Première im Theater Scala gespielt werden. Der Schaden durch Spielausfall ist enorm. Bruno Max hofft, dass nach Ende der Krise nachgespielt werden kann. Denn es wäre schade, diese tolle Inszenierung nur für einen Abend aufgestellt zu haben. Dann aber unbedingt anschauen!!!

Zum Schluss sei hier noch die Speisenfolge angeführt, die serviert wird:

Mediterrane Vorspeise, Königinnenpastete, Muschelnudeln, Käse und Trauen und als Abschluss Venusbrüstchen mit Nussnougat und weißer Schokolade!

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Peter Keglevic: Ich war Hitlers Trauzeuge. Penguin Verlag

Da habe ich doch wirklich nach Harry Freudenthal im Internet gesucht! Viele Seiten lang war ich der Meinung, diese Figur kann Peter Keglevic nicht erfunden haben! In ihrer Absurdität muss sie im Wahnsinn des zu Ende gehenden Krieges gelebt haben! Aber nein – von Peter Keglevic nur gut erfunden! Er baute rund um Harry Freudenthal die irreal-irrsinnige Wirklichkeit des zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieges auf. Und diese Wirklichkeit ist penibel gut recherchiert. Dem Leser sind die Kilometerangaben und genauen Straßen- , Dörfer- und Menschenbeschreibungen bald einmal zu viel und er beginnt vielleicht quer zu lesen. Wieder einmal gilt: Weniger wäre mehr. Hat man aber einmal den Dreh heraußen, wie man die allzu vielen Details überspringen kann, dann ist das Buch ein einziger Lesespaß mit skrurril-tragischen Elementen gewürzt.

Der Jude Harry Freudenthal ist auf der Flucht. Und ausgerechnet er wird dazu bestimmt, am Marathon zu Hitlers Geburtstag teilzunehmen. Tausend Kilometer bis nach Berlin. Es ist der letzte Versuch der Hitleranhänger, den Mythos „Deutschland als Siegermacht“ zu retten. Als begleitende Staffel fungieren straffe BDM-Mächen und vor allem die Filmemacherin Leni Riefenthal, die diesen Lauf für Hitler filmt. Wie im Lied der „zehn kleinen Negerlein“ fallen der Reihe nach die Läufer aus. Harry gelingt es, bis in den Bunker Hitlers vorzudringen. Er wird Hitlers Trauzeuge.Gleich nach der Zeremonie fällt Eva Braun, frisch getraute Frau Hitler, über Harry her und befiehlt ihm, sie zu entjungfern.

Frech, skurril, absurd, witzig – das alles ist der Roman. Trotz der unnötig langen Wegbeschreibungen des Laufes! Ein Schelmenroman bester Sorte, der an den „Simplicissimus“ erinnert.

http://www.penguin-verlag.de

Aus dem Englischen von Wibke Kuhn

Warschau zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Der kleine Pawel lebt mit Mutter Sofia, Großmutter und Tante wohlbehütet auf. Den Vater, der in den Widerstand gegangen ist, sieht er nur selten. Eines Tages bringt er einen schwer verwundeten englischen Kampfpiloten ins Haus. Da die Großmutter Ärztin ist, pflegt sie ihn. Damit beginnt das Unglück: Großmutter und Tante werden von den Deutschen abgeholt. Ihr weiteres Schicksal ist ungewiss. Pawel und seine Mutter leben von nun an in einer abgelegenen Hütte im Wald. Verpflegung bekommen sie von der Nachbarin, die autark lebt und die beiden mit notwendigen Lebensmitteln versorgt. Von ihr lernt der verträumte Pawel viel über die Natur und die Schönheit des Waldes.

Nach dem Krieg leben Pawel und Sofia außerhalb von London. Pawel ist ein begehrter Designer geworden und lebt mit seinem Lebensgefährten in einem großen Haus, umgeben von ruhiger Natur. Sofia muss lernen, die Lebensform ihres Sohnes zu akzeptieren. Das Umdenken gelingt ihr, sie nimmt an der Hochzeit der beiden teil und zieht sogar in deren Haus.

Ein versöhnlich – versöhnendes Buch. Großartig und schlicht erzählt Nell Leyshon von den Grundgefühlen des Menschen: Von Mitleiden und Hoffnung, von der Kraft der Natur. Von gängigen literarischen Moden, wie Zerlegung des ERzählfadens oder Überladung mit Metaphern ist die Autorin nicht infiziert. Ihre ERzählform ist der Tradition verpflichtet, man könnte es auch magischen Realismus nennen.

In traurigen Zeiten ein wirksam-wichtiges Buch!

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Wiener Staatsballett: Lukács/Lidberg/Duato

Es ist ein Abend, der sowohl Liebhaber des klassischen als auch die des zeitgenössichen Balletts zufrieden stellt. Mehr als nur zufrieden stellt. Beglückt!

Faycal Karoui leitete gekonnt das Orchester der Wiener Staatsoper – mit Ausnahme der Zuspielung von „White Darkness“

MOVEMENTS TO STRAVINSKY

Choreographie, Bühnenbild, Kostüme, Licht und Einstudierung: András Lukács. Musik: Auswahl von verschiedenen Kompositionen Stravinskys.

Was kann der Zuschauer Besseres tun, als sich von der fließenden Figurensprache dieses hoch künstlerischen Tanzes mittragen zu lasssen! Vor dem silbergrauen, dann wieder schwarzen Hintergrund bewegen sich die Tänzer, als wären sie aus der Renaissance heraus geschnitten. Schwarze Halskrausen und eine weiße Hüftkrause geben ihnen die historische Konnotation. Maria Yakovleva und Masayu Kimoto waren ein wundervolles Hauptpaar. Interessant auch der Tänzer Gaetano Signorelli, der mit Céline Janou Weder und Arne Vandervelde einen spannendenden pas de trois tanzte.

BETWEEN DOGS AND WOLFS

Choreographie: Pontus Lidberg, Musik: Dimitri Schostakowitsch

Hochspannend entwickelt sich dieses Stück mit dem geheimnisvollen Titel. Er soll auf die Zeit der Dämmerung hinweisen, in der man zwischen Hunden und Wölfen nicht unterscheiden kann. Also nicht zwischen „wild“, „aggressiv“ und harmlos. Zunächst glaubt man sich in ein Training für „Schwanensee“ versetzt: Einige Ballerinas im klassischen weißen Tütü tanzen vergnügt vor einer Waldkulisse. Im Bühnenhintergrund schleicht zwischen den Bäumen als Schattenriss ein Wolf. Noch wirkt er harmlos, eher belustigend, weil sein Körper mehr an ein Schwein als einen Wolf erinnert. Doch die Mädchen sind beunruhigt. Männer im grauen Anzug umtanzen sie. Sind sie Beschützer oder Bedroher? Eine Situation, wie sie oft und oft im Leben vorkommt. Doch dann hebt Lidberg die Szene ins Reich der Fabel: Rebecca Horner tanzt eine wilde Performance als Wolfsfrau mit Maske und Schwanz. Geschmeidig und bedrohlich! Dazwischen scheint sich die Welt in eine Scheinordnung zu fügen, neugierige Ballerinas gucken dem Treiben hinter den Bäumen zu. Pontus Lidberg fordert viel von der Truppe, aber auch vom Publikum, das zur Eigeninterpretation angehalten ist. Eine spannende Choreographie, die viele Deutungen zulässt.

WHITE DARKNESS

Choreographie und Kostüme: Nacho Duato. Musik: Karl Jenkins

Nacho Duato verarbeitet mit dieser Choreographie den Drogentod seiner Schwester. Vor einem dunkelbraunen Riesennetz tanzen Paare im Drogenrausch. In zuckenden Bewegungen rasen sie über die Bühne. Im Mittelpunkt das Mädchen (Schwester ?), das von ihrem Begleiter (Bruder?) gehalten, aufgefangen wird. Madison Young tanzt dieses Mädchen als Willenlose, Getriebene und Mitleiderregende. Ihr Begleiter (Jakob Feyferlik) sucht sie aufzugfangen, zugleich aber ist es er, der ihr auch das weiße Gift verabreicht. Eine großartige Performance! Mit starken Tänzern!

Manuel Legris machte dem Wiener Ballettpublikum ein großartiges Abschiedsgeschenk, das zugleich wehmütig stimmt, eben weil es so beeindruckend ist. Wie seine ganze Ära. Was wird kommen?

http://www.staatsoper.at

Claus Dieter Schneider: Mitten in der Nacht am Tag. Verlag Bibliothek der Provinz

Claus Dieter Schneider kennt und liebt seine Stadt Linz. In fein gesponnenen, literarischen Miniaturen setzt er den Bewohnern ein liebevolles Denkmal. Die Geschichten handeln vom Alltag, von einer Mutter, die ihrem Kind die Karte in den Zirkus nicht leisten kann. Von dem arbeitslosen Kopierer, der von einem riesigen Lottogewinn träumt und den Schein verschenkt. Von einem Mädchen, das mit zwei Freunden am Donauufer sitzt, einen Joint raucht und im Dusel die Brücke in die Luft fliegen sieht. Was passiert, wenn der Vater, der Großvater und der Sohn gemeinsam nach Wien aufbrechen, um sich einen schönen Tag zu machen? Sie sind froh, wenn sie wieder in Linz sind.

Alltagsgeschichten, mit einem Hauch von Geheimnis. Das Erwartete tritt nicht ein. Hoffnungen bleiben Hoffnungen. Die Sprache ist schlicht, aber genau im Hinschauen. Hier bekommt das Wort „Kleinkunst“ eine ganz andere, neue Wertigkeit.

http://www.bibliothekderprovinz.at

Norbert Gstrein: Als ich jung war. Hanser Verlag

„Als ich jung war, glaubte ich an fast alles, später an gar nichts mehr“, heißt es gleich auf den ersten Seiten. Und so erging es auch dem Leser – mir -: Als ich begann, glaubte ich an die Erzählung, an den Autor, der uns etwas zu sagen hat. Am Ende des Buches glaubte ich es nicht mehr. Man muss sich schon mit sehr viel Lesegeduld wappnen, um Norbert Gstreins Suche nach der Wahrheit bis zum Ende zu folgen, den Irrweg, Umweg, Rückweg, die Auflösung alles vorher Gesagten, die Wiederholung und den Widerruf des Gesagten, der unbefestigten Wahrheit, der endlos Schleife, in der sich die Erzählung dreht, zu folgen.

Die Fakten, die doch keine sind – sprich – der Plot, der nie zum Plot wird: Franz fotografiert Hochzeiten im Hotel seiner Eltern, irgendwo in den österreichischen Bergen. Bei einer dieser zahllosen Hochzeiten wird die Braut von ihren Exfreunden entführt, spät in der Nacht zurückgebracht und am frühen Morgen mit gebrochenem Genick am Fuß eines Abhanges aufgefunden. Dann gibt es da noch eine gewisse Sarah, die Franz während einer Hochzeitsfeier küsst. Ende des ersten Plots.

Franz in den USA. Er ist Skilehrer in den Rocky Mountains. Ein aus Tschechien emigrierter Professor entwickelt gesteigertes Interesse an Franz. Ob sexuell oder nur platonisch ist nicht klar. Als der Professor aus ungeklärten Gründen Selbstmord begeht, fällt ein leiser Verdacht auf Franz. Er flieht vor der Wahrheit, die sich vielleicht auftun könnte, zurück nach Österrreich. Das Hotel führt inzwischen sein Bruder. Dort beginnt wieder alles von Neuem…sinistre Verdächtigungen.

Eine ziemlich anstrengende Wahrheitssuche, die letzen Endes im Nirgendwo endet. Der Leser bleibt überfordert zurück.

http://www.hanser-literaturverlage.de

Franui & Wolfram Berger: Vortrag über nichts. Theater Akzent

Kann man über nichts reden? – Ja, das tun wir tagtäglich, wenn wir smal-talken. „Wie geht es dir? “ Wie erwartet kommt die Antwort: „Gut, danke.“ An so einen Alltagsspeech dachte der bedeutende Avantgardemusiker John Cage (1912-1992) natürlich nicht , als er seinen Text „Lecture on nothing“ schrieb. Worum es ihm ging, habe ich – ehrlich gesagt – bis zum Schluss nicht kapiert.

Die Musikbanda Franui aus Osttirol spielte heftig witzig, eigenwillig, wie es ihre Art eben ist und amüsierte das Publikum.

Wolfram Berger (Foto: IMAGESNCVW8SNS)

Wolfram Berger unternahm das Wagnis, den sinnentleerten Text zu lesen. Lässig sitzt er vor der Musikgruppe und meldet: „Ich habe keine Idee“. Und ich gestehe, ich auch nicht. Bis zum Schluss wusste ich nicht so recht, was ich von den aneinander gereihten Sätzen, die sich oft und oft wiederholten, halten sollte. Am besten fand ich noch die Aufforderung: „Wer schläfrig ist, der kann ruhig schlafen.“ Es muss wohl ein Witz hinter all dem stecken, denn schließlich hat kein Geringerer als ERnst Jandl den Text übersetzt. Und der hatte ja wirklich Sprachwitz! Irgendwie stand ich neben der Textspur und wunderte mich, warum so manche kicherten. Aber die Musik war klasse!!

http://www.theaterakzent.at

Karl Valentin muss man nicht vorstellen. Robert Meyer auch nicht – beide sprach- und spielverliebte Künstler. Jedes Wort wird auf Sinn und Unsinn untersucht, auf die Goldwaage des Humors gelegt. Viele Schauspieler haben sich auf die Sätze des bayrischen Kabarettisten gesetzt, oft wurden aus den herrlichen Unsinnszweideutigkeiten eher banale Eindeutigkeiten. Nicht so bei Robert Meyer. Durch Pausen, Dehnungen, Übertreibung und andere Stilmittel findet er genau den humoristischen Dreh- und Angelpunkt des Textes, auf den es ankommt. Auf einmal weiß man, wie blühender Unsinn zu Sinn wird.

Als gebürtiger Bayer sind für Robert Meyer die Färbung des bayrischen Dialekts und der knautschige Ton Karl Valentins kein Problem.

Die Auswahl war ein „Best of Valentin“. Selbstverleugnerisch ist Robert Meyer einmal der strohdumme, eitle Feuerwehrtrompeter, dann wieder der Theaterneuling oder der Besitzer eines Aquariums. Noch lange könnte die Aufzählung der Tiere sein, wenn sie zum Maskenball aufmarschieren. Man kann von diesem herrlichen Unsinnsreimen gar nicht genug bekommen!

WEil ein Vollblutschauspieler wie Robert Meyer ganz genau weiß, dass man das Publikum nicht mit einem Kalauer nach dem anderen überschütten darf, gibt es dazwischen zünftige Blasmusik von der volksoperneigenen Kapelle.

Am 29. April wird Robert Meyer nochmals als Karl Valentin zu erleben sein.

http://www.volksoper.at

Anton Tschechow: Der Kirschgarten. Theater in der Josefstadt

Deutsche Fassung von Elisabath Plessen nach einer Übersetzung von Ulrike Zemme

Regie: Amelie Niermeyer, Bühne: Stefanie Seitz, Kostüme: Annelies Vanlaere, Songs: Jan Fisher.

Es sollte wohl der amüsante Untergang einer heutigen Gesellschaft sein. Aber das Daueramusement langweilt auf die Dauer. Das Abnormale wird normal, weil es nur das gibt. Keine Kontraste, keine Identifikationsfiguren, will heißen, alle sind irgendwie gleich – spinnig. Es fehlt ein Gegenpol. Vielleicht nur Otto Schenk als alter Diener, der auf der Suche nach der alten Ordnung durch die Menschen schlurft, sich über nichts mehr wundert, auch nicht über den nackten Tänzer, der ihm vor der Nase herumwuselt. Es wird einfach zu viel getanzt, gekotzt – das ist ja bereits state of the art in allen Theatern – zu viel kalt geduscht, zu viel Unsinn gequasselt.

Ein Unsinn, den man bereits in der 6. Reihe Parkett nicht mehr versteht. Was tun, wenn die Personen ineinander verkeilt irgendwie kaum voneinander unterscheidbar sind? Wenn jede Figur irgendetwas vor sich hin singt, brabbelt und man es aufgibt, darin jetzt einen Sinn zu entdecken. Hin und wieder blitzt dann ein Grundgedanke auf. Etwa wenn der Bauer Lopachin ( hervorragend Raphael von Bargen)davon schwärmt, den Kirschgarten abzuholzen und statt dessen Sommerhäuser zu bauen und zu vermieten. Da hört man einen der vielen Investoren reden, die in die „unberührte Natur, in die wilde Bergschönheit, an die wunderbare Küste“ ihre Superluxus-Hotels oder Apartements stellen wollen. Gegen die wehren sich jetzt endlich einmal die ersten vifen Bewohner. Aber nicht die Bewohner von diesem Landgut. Sie sind alle keine Vifzacks, auch nicht die Gutsbesitzerin Ranjewskaja (Sona Mac Donald). Gegen Ende legt Lopachin noch einmal ein Solo aufs Parkett, dass die Dielen und die Ohren krachen! Dass er das Gut wahrhaftig ersteigert hat, kann er noch nicht recht glauben. Ein irrsinniger Freudentanz und ein Saxophonsolo sollen ihm helfen, diese Ungeheuerlichkeit zu verstehen. Eine tolle Einlage von Raphael von Bargen.

Irgendwie ist man froh, als ein Riesenvollmond und eine Riesenschrift „SOLD“ das nahe Ende verkündet. Es dauert noch eine gefühlte halbe Stunde, bis alle abziehen. Dann ist die Flachwurzlerrevue vorbei. Den alten Diener haben sie vergessen, zurückgelassen. Er legt sich auf den Boden, findet die lang gesuchte alte Ordnung in der Stille. Ihm wird mit besonderem Applaus gedankt.

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Wilhelm Leibl in der Albertina

Wilhelm Leibl (1844-1900) gehört zu den wichtigsten Vertretern des Realismus. „Male den Menschen so wie er ist, da ist die Seele ohnehin dabei“ ist sein Motto.

Mit hingebungsvoller Geduld malt er Menschen aus seiner Umgebung, Verwandte, Freunde. Besonders berührend ist sein Bild „Drei Frauen in der Kirche“, an dem er vier Jahre arbeitete. Leider ist es in dieser Ausstellung nicht zu sehen, aber es ziert das Cover des Katalogs.

Die Ausstellung gibt einen guten Überblick über Leibls Schaffen. Besonders interessant sind die Frauenporträts, wie zum Beispiel das der lesenden Frau. In innerer Gefasstheit konzentriert sie sich ganz auf das Buch – es ist wahrscheinlich die Bibel. Die Augen sind gesenkt, dennoch spürt man das Wachsein, die Andacht. In dieser Bleistiftarbeit ist alles enthalten, was Leibls Porträts so wertvoll macht: Schlichtheit der Darstellung. Es gibt kein ablenkendes Beiwerk. Der Blick ist nach innen gerichtet, auf das Wesentliche. Posen und Prunk, mit denen Makart und später Klimt seine Figuren ausstatteten, sind Leibl fremd, weil sie vom Eigentlichen ablenken.

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Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman. Diogenes.

Christoph Poschenrieder liebt es , die Leser in Verwirrung zu setzen. Sie sollen sich fragen: Ist das wahr oder gut erfunden? In dem „unsichtbaren Roman“, der schon im Titel Zweifel an dem Genre aufkommen lässt, spielt Poschenrieder wieder einmal gekonnt mit Fakes, die Wahrheit sein könnten, und mit Tatsachen, die wie Fakes wirken.

In erster Linie geht es um das leidige Geldproblem, das die meisten Künstler, und natürlich auch die Schriftsteller haben. Der erste Roman gelingt, man wird bekannt, vielleicht sogar berühmt, dann versiegt die Inspiration. Ob das auch Poschenrieder selbst betrifft, weiß ich nicht. Er ist eigentlich recht produktiv und veröffentlichtt einen Roman nach dem anderen.

Dem Roman stellt er einen Ausspruch des Schriftstellers Gustav Meyrink (1868-1932) voran: „Man kann vom Dichten leben erst, wenn man längst krepiert ist.“ Es geht also um Gustav Meyrink. Mit seinem Roman „Der Golem“, erschienen 1915, wurde er bekannt und berühmt. Nach dem Golem gelang Meyrink kein weiterer Verkaufsschlager. Er suchte verzweifelt nach neuen Themen. In dieser Krise beginnt Poschenrieders „unsichtbarer Roman“. 1918, knapp vor Ende des Krieges, tritt das Auswärtige Amt mit einem ungewöhnlichen Auftrag an ihn heran: Er möge bitte schön stante pede einen Roman schreiben, in dem die Freimaurer verantwortlich für den Ausbruch des Krieges gemacht werden. Nach einer kurzen Empörung über dieses für ihn unakzeptable Angebot nimmt er an. Zumal der Vorschuss sehr großzügig ist. Doch es gelingt ihm keine einzige Zeile. Schreibhemmung nennt man das…Dazwischen blendet Poschenrieder Gesprächsprotokolle zwischen Meyrink und einem Herrn Hahn aus dem Auswärtigen Amt ein. Auch Briefe mit damaligen Agitatoren aus der linken Ecke werden zitiert. Hier steigt vielleicht so mancher Leser aus, dem dieses in Kreis sich drehende Spiel mit Fakten und Fakes zu bunt wird. Mein Tipp: Mit dem Nachwort des Autors („Notiz zur Geschichte der Geschichte“) anfangen, dann erklärt sich manches schneller.

In bester postmoderner Manier geht Poschenrieder auf die Suche nach einem Roman, den es so nie gegeben hat. Unter dem Deckmantel einer heiteren „Mantel- und Degenkomödie“ deckt er die perfiden politischen Versuche auf, den Freimaurern und Juden die Schuld am Ausbruch des Krieges zuzuschieben.

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Richard Teschners Figurenspiegel: Karneval

Theatermuseum Wien im Palais Lobkowitz

Es war ein freudiges Wiedersehen mit all den zarten Figuren aus Teschners „Wunderkammer“. Das Thema „Karneval“ ist nur vordergründig zu verstehen. Eher könnte man die Performance als eine Mantel- und Degenkomödie im Rokokostil deuten.

In dem kleinen, fast intimen Salon im ersten Stock des Theatermuseums bleiben Hektik und Stress ausgesperrt. In den Vitrinen aus den Wiener Werkstätten sind einige Puppen ausgestellt. Erwartungsvoll warten die Zuseher, dass „es“ beginnt, dass Teschners Puppen ihren Zauber zur Wirkung bringen.

Richard Teschner (1879-1948) hatte das Puppenspiel im südostasiatischen Raum kennen gelernt. Bald begann er eigene Puppen zu bauen: zierliche Wesen wie Prinzessinnen, Kavaliere, Ritter, Frösche, Hunde, Fabelwesen aller Art. Um den konventionellen Guckkasten zu verändern, baute Richard Teschner einen Figurenspiegel: In der Mitte eines für Puppenspiele üblichen Holzkastens befindet sich ein etwa ein Meter großer konkav gewölbter Spiegel, von einem vergoldeten Rahmen eingefasst. Dahinter bewegen sich die Figuren. In dem gewölbten Glas sieht der Puppenspieler, der hinter einm dunklen Gazevorhang verborgen ist, die Puppen spiegelverkehrt und kann so ihre Bewegungen genau kontrollieren.

„Karneval“ ist eine Art Minikomödie aus dem Rokoko: Ein Kavalier begleitet seine Dame nach dem Ball nach Hause. Verfolger belauschen das Paar. Die Dame rettet sich in ihr Heim, wo sie ihr Hündchen und ein kleiner Mohr erwarten. Sie sinkt nach dieser Aufregung in Tiefschlaf und träumt ganz wundersame Dinge. Ein Schmetterling umflattert sie, Gespenstertierchen nähern sich und das Mobiliar beginnt um sie herum zu tanzen. Als sie erwacht, stehen die drei Verfolger in ihrem Zimmer. Einer reicht ihr, wie um Abbitte zu leisten, einen Blumenstrauß, den sie empört zurückweist. Auch ihr Kavalier wird zunächst abgewiesen. Doch schlussendlich umarmt sie ihn doch und verschwindet mit ihm in ihr Schlafgemach.

Begleitet wird diese hübsche Geschichte von einer einschläfernden Musik, ein wenig Gamelan, ein wenig Spieldose. Wenn von draußen die tiefen Glockentöne der nahen Augustinerkirche ertönen, dann vermischen sich Traumspiel und Realität.

Wie immer mein Rat: Kommen Sie mindestens eine halbe Stunde vor Beginn, um einen Platz in der 1. oder 2. Reihe zu ergattern. Denn bereits ab der 4. Reihe sind die Feinheiten der Figuren schwer zu erkennen.

Kontakt und Information: T 01/525 24 5303, info@theatermuseum.at

http://www.theatermuseum.at

Joseph Lorenz: Ich, Casanova. 2. Teil

Wieder war der Andrang groß. Im „Theater im Salon“ hatte nicht einmal mehr der kleinste Sessel Platz. Wenn Lorenz liest, dann kommen alle. Und alle passen halt nicht in den Raum, der gerade einmal fünfzig Plätze hat.

Also nun: Fortsetzung des spannenden Lebens von Casanova. Einmal mehr fragt man sich, wie sich Joseph Lorenz durch alle 18 (!) Bände der von Casanova eigenhändig verfassten Biografie durchgearbeitet haben konnte.

Nach einer kurzen Zusammenfassung des ersten Teiles führt uns Joseph Lorenz/ Giacomo Casanova in das bescheiden Haus des Philosophen Jean Jacques Rousseau und lernt dort auch dessen um Jahre ältere Lebensgefährtin, von Rousseau nur „Maman“ genannt, kennen. Mehr scheint Casanova von Voltaire beeindruckt zu sein. Treffen doch da zwei Geistesgrößen aufeinander, die mit Witz, Ironie und scharfem Verstand die Gesellschaft sezieren.

Von Frankreich treibt es Casanova nach Rom, wo ihn Papst Benedikt XIV. empfängt und ihm den freien und ungehinderten Zugang zu den Büchern der vatikanischen Bibliothek erlaubt, auch zu allen, die auf dem Index standen! Als ihm Graf Waldstein 1785 eine gut bezahlte Stellung als Bibliothekar im Schloss Dux anbietet, nimmt Casanova gerne an, ist er doch des ewigen Herumreisens schon müde. Dort hätte er ein bequemes Leben führen können, wäre da nicht aus Venedig ein geheimnisvoller Brief eingelangt, der ihm Rehabilitation versprach. Casanova bricht sofort auf. Auf der Reise holt er sich eine „Galanteriekrankheit“ und muss sich erst einmal auskurieren. Diese pikante und unrühmliche Episode fehlte bisher in Casanovas Memoiren. Erst vor einigen Jahren fand man die fehlenden Seiten, die Casanova nicht zur Veröffentlichung freigeben wollte.

Nur halb genesen reist er voller Ungeduld nach Venedig, in der Hoffnung, von dem Bann, der ihn so viele Jahre von seiner Heimatstadt fernhielt, befreit zu werden. In Venedig lässt ihn der Doge jedoch fünf Stunden warten, um ihm dann ausrichten zu lassen, dass er schleunigst die Stadt zu verlassen habe, will er nicht nochmals in den Bleikammern landen. Zurück auf Schloss Dux schreibt er weiter an seinen „Memoires de ma vie“, die mit dem Jahr 1774 enden und zu Casanovas Lebezeiten nicht veröffentlicht wurden. Der Autor starb 1798 auf Schloss Dux.

Über Umwegen gelangte das Manuskript in den Besitz der Familie Brockhaus. 2010 kaufte es die „Bibliothèque nationale de France“ um 7 Millionen Euro!

Joseph Lorenz führte an diesen beiden Abenden durch das Geschichtstableau des 18. Jahrhunderts. Es war eine Zeit des Auf- und Umbruchs: Gegen den strengen Absolutismus bereiteten geniale Denker wie Voltaire die Revolution vor, während der Großteil des Adels noch ein sorloses Luxusleben führte. Casanova war der beste Zeitzeuge für dieses Jahrhundert. Dank der Ausdruckskraft, mit der Joseph Lorenz aus den Memoiren las, folgte man ihm mit intensiver Aufmerksamkeit.

Infos zum Theater im Salon: http://www.theaterimsalon.at

Kammerspiele: Engel der Dämmerung.

Regie: Torsten Fischer, Bühnenbild und Kostüme: Herbert Schäfer und Vasilis Triantaphillopoulos. Liveband: Christian Frank, Herbert Berger, Andy Mayerl, Klaus Pérez-Salado

Mut zur entblößenden Selbstdarstellung bis zur Entstellung zeigt Sona McDonald in der Rolle als Marlene Dietrich. Und: Mit unerschöpflicher Kraft sowohl gesanglich als auch darstellerisch führt sie gemeinsam mit ihrem congenialen Kollegen Martin Niedermair das Publikum durch die Höhen und Tiefen im Leben von Marlene Dietrich.

Bevor sie zur „der“ Dietrich wurde, musste sie durch Berlin und Wien (!) tingeln. Es dauerte nich lange, da fiel sie Josef von Sternberg auf. Er formte sie und machte sie zum best bezahlten Star ihrer Zeit. Nicht nur der Broadway und Hollywood lagen ihr zu Füßen, auch die Soldaten in den Schützengräben, die ihr Leben im Kampf gegen Hitler riskierten. Drei Jahre tingelte sie unter härtesten Bedingungen von Lager zu Lager, um die „Jungs“ aufzuheitern. Das war ihr Beitrag im Kampf gegen Hitler. Sie hasste nicht ihr Vaterland, sondern die Nazis und Hitler. Dem exzessiven Leben folgte die große Einsamkeit: 13 Jahre lang verließ sie ihre Wohnung nicht mehr und starb allein.

In einer dämmergrauen Bühne, die einmal Schlachtfeld, Schlafzimmer, Bühne in der Bühne ist, durchlebt und durchtanzt Sona McDonald mit grandiosem Einsatz all ihrer Fähigkeiten dieses Leben eines Stars, der Männer, Ruhm, Niederlagen, Drogen, Alkohol in vollen Zügen konsumierte, nur um über ihre Scham hinwegzukommen, eine Deutsche zu sein. Nachdenklich steht sie am Bühnenrand und raisonniert: Ob irgendjemand den Konflikt in ihr verstehen kann: Froh zu sein über das Bombardement der Alliierten und zugleich die Bomben zu verfluchen, die ihre Mutter, die in Berlin lebte, töten könnten.

Durch alle Höhen und Tiefen, ihre Triumphe, ihr Verliebtsein, ihre bodenlose Enttäuschung, wenn sie wieder einer ihrer Liebhaber verlassen hatte, begleitete sie congenial Martin Niedermair. Er war Sternberg, Coward, wurde Yul Brynner oder irgendein anderer der befristeten Liebhaber. Er war Beschützer, Begleiter, Kritiker – wenn man so will, ihr zweites Ego.

Begeisterter Beifall dankte den beiden Künstlern und der Band.

http://www.josefstadt.org

Bernhard Schir (Amadeus) und Joseph Lorenz (Albertus)

Regie: Peter Wittenberg. Bühnenbild: Florian Parbs. Kostüme: Alexandra Pitz

Es ist zwar nicht das stärkste Stück Schnitzlers, aber doch eines, das eine Aufführung rechtfertigt. Schon allein deswegen, weil es um Ehe, Trennung, Scheidung, Freundschaft geht. Themen, die damals wie heute aktuell sind. Hätten aber nicht so prächtige Schauspieler auf der Bühne agiert, wäre das Zwischenspiel in Belanglosigkeiten abgesoffen. So aber wurde daraus ein Abend, an dem das Publikum wieder einmal „Schnitzlerton vom Feinsten“ genießen durfte.

Die Bühne ist in diffuses Halbdunkel getaucht. Sich drehende spiegelartige Panele reflektieren die Menschen, die in ihren Eitelkeiten und Überheblichkeiten nicht merken, dass sie am Leben vorbeispielen. Schnitzlers Worte „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug“ sind hier nicht relevant. Denn alle spielen sich was vor und halten das Spiel für das Leben. Keiner, auch nicht der ätzende Kommentator und Freund Albertus – wie immer von Joseph Lorenz in elegant-ironischer Manier gespielt – steigt aus der Rolle heraus ins Leben. Alles wird mit Worten, nutzlosen Diskussionen zerredet. Ein ziemlich aktuelles Thema: Heißt es doch heute: Lass es uns „ausdiskutieren“ – ja und dann? Ist alles beim Alten.

Bernhard Schir (Amadeus) und Maria Köstlinger als Cäcilie (Foto: Herwig Prammer)

Nur Cäcilie (Maria Köstlinger) bekommt eine Ahnung vom Leben, wie es sein könnte. Nach der von ihrem Mann Amadeus (großartig gespielt von Bernhard Schir) geforderten Trennung in Freundschaft, lässt sie sich von der Berliner Luft und der Freiheit, die diese verheißt, berauschen. Als ihr Mann sie wieder für sich allein zurückhaben will (“ sie soll mir allein gehören“) – da winkt sie ab. Zurück bleiben die ratlosen Männer: allen voran Amadeus, der einsehen muss, dass die Frau kein Objekt ist, das man weglegt und bei Bedarf wieder hervorholt. Auch sein Freund Albertus ist ratlos, weil ihm die Schablone für seine geplante Komödie abhanden gekommen ist. Für seine Frau Marie hat er nur eine Geste der Verachtung übrig – er scheucht sie aus dem Raum, wie eine lästige Fliege. Eine Frau wie Marie – rechtlos, von allen für dümmlich gehalten, an ihrer eigenen Talentlosigkeit leidend ist im Kaleidoskop Schnitzlerscher Frauenfiguren einmalig. Die meisten haben gewisse Stärken, wissen sich gegen die Männerwelt zur Wehr zu setzen. Marie hingegen ist ihrem arroganten Ehemann Albertus auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie bewundert ihn – und alle anderen – über alle Maßen. Diese schwierige Rolle meistert Martina Stilp mit unglaublicher Selbstaufopferung und umschifft die Gefahr der Peinlichkeit, die so eine Rolle leicht mit sich bringen könnte, bravourös.

Ein Abend, an dem alle Rollen stimmig besetzt sind. Auch Silvia Meisterle als überdrehte und kokett-verliebte Gräfin Moosheim und Roman Schmölzer als all zu ehrenwerter Fürst Sigismund. Das Publikum dankte mit für diesen „erziehungs- und politfreien“ Theaterabend mit viel Applaus.

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Susanne Wiesinger mit Jan Thies: Machtkampf im Ministerium. Edition QVV

Mit einem Vorwort von Konrad Paul Liessmann

Untertitel: „Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört“

Sooft es um die Frage der Bildung geht, meldet sich der Philosoph Konrad Paul Liessmann mahnend zu Wort: Die mangelhafte oder sogar fehlende Bildung zerstört die Zukunft der heranwachsenden Generation und gefährdet die Demokratie. Machtpolitik statt nüchterner, ruhiger, parteiunabhängiger Bildungspolitik befördert „Abschottung unterschiedlicher Gruppen…und Formierung von Parallelgesellschaften“.

Als Susanne Wiesinger im Vorjahr in ihrem Buch „Machtkampf im KLassenzimmer“ all die Probleme der mangelhaften Ausbildung und deren Ursachen publik machte, erregte sie großes mediales Aufsehen. Geändert hat sich nichts. Ein Jahr lang bereiste sie nun Österreichs Schulen, vor allem die „Brennpunktschulen“, und stellte fest: Wenn statt Realpolitik die Parteipolitik das Bildungssystem lenkt, dann wird es zu keinen Änderungen im System kommen. Sie warnt mit klaren, mutigen Worten vor einem „Bildungskollaps“ und belegt mit Zahlen, Daten und Fakten die erschütternde Tatsache: In vielen Klassen der Brennpunktschulen sitzen Schüler, die dem Unterricht aus mangelnden Sprachkenntnisssen nicht folgen können. Dazu kommen religiöse und soziale Konflikte, die die Lehrer überfordern.

Ihre Vorschläge: Bessere sozialpädagogische Ausbildung der Lehrer, mehr Sozialpädagogen in den Klassen, Eltern in die Pflicht nehmen, Schulleiter nicht mit immer neuen, sinnlosen Erlässen überfordern und vieles mehr!

Ein Buch, das alle angeht! Nicht nur Lehrer und Eltern!

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Joseph Lorenz: „Ich – Casanova“. Teil 1 im „Theater im Salon“

Wenn Joseph Lorenz angekündigt wird, dann kommen alle. Oder doch nicht alle. Denn das private, sehr atmosphärische „Theater im Salon“ hat die Intimität eines Salons, der nur eine begrenzte Anzahl von Gästen Raum bietet. Daher konnte nur ein kleiner Teil seiner Fanschar diesen Abend genießen.

Wie immer fesselte Joseph Lorenz seine „Lorenzgemeinde“. Diesmal mit feinem Humor. Casanovas Memooiren umfassen mehr als tausend Seiten. Geschickt manövrierte Lorenz uns durch dieses abenteuerliche Leben eines intelligenten, geistreichen Beobachters der europäischen Gesellschaft ( 1725 in Venedig – 1798 Dux in Tschechien). Als hochgebildeter Mann, Charmeur, Frauenversteher und Frauenverführer war er in allen Salons der adeligen Welt hoch willkommen. An allen wichtigen Fürsten- und Kaiserhöfen hat er sich umgetan. Meist erfolglos. Friedrich der Große stellte ihn nicht an. Auch nicht Katharina die Große. In Wien schockten ihn die Spitzel, die Maria Theresia auf vermeintlich unmoralische Mädchen und Frauen ansetzte. Nein, das war nicht die Welt, die Casanva gefallen konnte! Da fühlte er sich in Paris schon wohler. Dort sind ihm die Frauen gewogen, lassen sich gerne von seinen charmanten Konversationen zu lächelnder Akzeptanz eines Gespräches und mehr verführen.

Ein keines Trostpflaster für alle, die diesen Abend nicht erleben konnten. Fortsetzung folgt am Samstag, 22. Februar – wieder um 19.30h – im „Theater im Salon“.

Theater im Salon. Copyright: Theater im Salon

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Stefano Benni, Prendiluna. Wagenbach Verlag

Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter

Man weiß, Stefano Benno hat eine überbordende Phantasie. In dem Buch „Prendiluna“ übertrifftt er sich selbst an schrägen Einfällen. Prendiluna (die nach dem Mond greift) ist eine alte Lehrerin in Pension. Sie fährt mit einem Koffer voller Katzen durch die Stadt. Ihr Auftrag ist schlicht und einfach: Die Welt vor dem Untergang retten. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sie zehn Gerechte finden, die würdig und willig sind, eine dieser Katzen zu übernehmen. Bei dieser Aufgabe helfen ihr ehemalige Schüler, die aus der Psychiatrie fliehen. Gegner, die sich ihr und ihren Helfern in den WEg stellen, gibt es genug – alles, was Italien (und nicht nur Italien) so an Mieslingen, wie Mafiosi, Geheimbündler etc., anzubieten hat. Ob Prendiluna die Weltrettung gelingt? Das ist nicht so sicher. Sie entschwebt jedenfalls mit dem Kater Ariel gemeinsam hinauf ins Irgendwohin.

Bis zur Hälfte ist das Buch recht amüsant, geschrieben im pseudo-kindlichen Stil, der aber in seinen schwierigen Anspielungen an italienische Realitäten eher Erwachsenen gefallen wird. Ab der Hälfte beginnt der Autor den Leser ein wenig durch Wiederholungen ähnlicher Szenen, unzähliger Verwicklungen zu langweilen. Man beginnt quer zu lesen. Wahrscheinlich sind viele Anspielungen dem italienischen Leserpublikum viel eher verständlich. Schade, denn Witz und hintergründiger Humor bezaubern zu Beginn durchaus, nützen sich aber im Laufe der Handlung ab.

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Dürrenmatt: Das Versprechen. Requiem auf einen Kriminalroman.

Inszenierung und Bühnenfassung: Klaus Tröger. Bühne: Klaus Gaspari. Kostüm: Anna Pollack.

Drei kleine Mädchen wurden ermordet. Man hält den Landstreicher für den Mörder, obwohl der immer wieder seine Unschuld beteuert. Als er sich in der Zelle erhängt, ist der Fall für alle gelöst und abgeschlossen. Nicht für den Kriminalkommissar Mattai. Er gab der Mutter des toten Mädchens das Versprechen, dass er den Mörder finden wird. Monate und Jahre sucht er. Bis er eines Tages ein kleines Mädchen als Köder dort einsetzt, wo er vermutet, dass der Mörder vorbeikommen wird. Mattai ist knapp dran, den Täter zu schnappen. Doch der wird, bevor er wieder zur Tat schreiten kann, von einem Lastwagen zu Tode gefahren.

Ein karges Bühnenbild aus schwarzen, verstellbaren Panelen unterstreicht die düstere Stimmung, die im Dorf herrscht. Gerade fand man wieder die Leiche eines kleinen Mädchens. Mattai interessiert sich nur sehr peripher für den Fall. ER ist schon mehr in Jordanien, wo er einen neuen Job antritt. Doch dann wird er durch den Schmerz der Mutter, der er die Nachricht vom Tod ihrer Tochter bringen muss, und durch den Selbstmord des zu Unrecht verdächtigten Landstreichers gleichsam aus seiner professionellen Routine herausgeholt und aus der Starre aufgeweckt. Er hält es für seine Pflicht, den Mörder zu finden, auch wenn er dabei das Leben eines anderen kleinen Mädchens riskiert. Aus dem Profi wird ein persönlich Engagierter, ein Betrooffener. Diesen Wandel darzustellen gelingt Klaus Rohrmoser nur teilweise.. Er spielt ihn äußerlich, rast unruhig auf der Bühne umher. Die seelischen Brüche und Umbrüche müssten leiser, dafür um so intensiver gespielt werden. Überhaupt wird zu viel und zu hektisch umhergerannt, was besonders dem tragischen Schluss abträglich ist: Da hat ein Mensch geglaubt, für die Gerechtigkeit gekämpft zu haben, und muss nun erkennen, dass er das Gesetz verletzt hat, weil er das Mädchen als Köder einsetzen wollte und dabei fast ihr Leben riskiert hätte. Dürrenmatt stellt die Frage, wo die Grenze zwischen Recht und Unrecht verläuft. Sie bleibt in dieser Inszenierung ungestellt und daher unbeantwortet.

Der Regisseur Claus Tröger führt das Ensemble im Stile Brechts: Frei von Gefühlsanhaberei. Ereignisse werden ohne Bühnenblut und ohne diesen widerlichen Flirt mit der offen und ungeschminkt dargestellten Gewalt auf der Bühne dargestellt. Damit hebt sich die Inszenierung positiv von derzeitigen Bühnenmoden ab, wie man sie zum Beispiel an der Burg erlebt. Das Ensemble spielt insgesamt engagiert. Für alle, die weder den Film noch den Roman kennen, sicher ein spannender Abend.

Weitere Termine:

14.02. – 29.02. jeweils Di – Sa um 19.45h

Details unter: http://www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala

Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. C.Bertelsmann Verlag.

Aus dem Englischen: Heiner Kober

Man will das Buch gar nicht aus der Hand legen! Bevor ich auf den Inhalt eingehe, möchte ich meine Bewunderung für die Autorin ausdrücken. Sie hat sich nicht nur durch Humboldts tausende Briefe und Werke durchgearbeitet, sondern auch zahllose Werke von Zeitgenossen und Sekundärliteratur mit einbezogen. Allein der Anhang umfasst 133 Seiten! Es wurde die Biografie eines Genies, congenial geschrieben von Andrea Wulf!

Alexander von Humboldt (1769-1859) wollte immer schon die Welt mit eigenen Augen erfahren, erforschen. Doch seine Eltern hatten eine Beamtenlaufbahn im Dienste des Preußischen Königs vorgesehen. Zähneknirschend studierte Humboldt Bergbautechnik. Als Bergassessor erkannte er schon früh, wie wichtig die ERhaltung der Wälder ist. Holz war der wichtigste Rohstoff zu dieser Zeit. Humboldt wies vehement auf die Wichtigkeit des Waldes für das Klima hin und warnte als erster überhaupt vor den katastrophalen Folgen der ausbeuterischen Abholzung.

Mit 30 Jahren konnte Humboldt dank seines reichen Erbes sichden lang gehegten Lebenswunsch erfüllen und die Reise nach Südamerika antreten. Fünf Jahre lang erforschte er unter schwierigsten Bedingungen gemeinsam mit dem Botaniker Aimé Bonpland die Llanos, das Orinocogebiet, überquerte die Anden und bestieg den Chimborazo. Malaria, Mückenplagen, Kälte und Hitze – all das ertrug er, ohne auch nur einmal an Aufgabe zu denken. Er schleppte schwere Messgeräte durch unwegsames Gelände,sammelte Pflanzen, Gesteine, Tiere und führte genaueste Aufzeichnungen. Bevor er nach Europa zurückkehrte besuchte er Thomas Jefferson, den dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten. Jefferson hatte mehr Interesse für die Natur als für die Politik. Die Forschungsergebnisse Humboldts sog er deshalb wissbegierig in sich auf.

Zurück in Europa wurde Humboldt wie ein Weltstar gefeiert. Seine Vorträge, zu denen auch Frauen Zugang hatten, wurden gestürmt. Das Publikum stand bis auf die Straße Schlange. Er verstand zu faszinieren. Seine Ideen beeinflussten und beeindruckten unter anderem Goethe, mit dem er befreundet war. Simon Bolivar wurde durch Humboldts Einfluss zum Revolutionär, zum Befreier, der gegen den Sklavenhandel und die spanische Kolonialmacht kämpfte. Humboldt wurde nie müde auf die Bedrohungen der Natur durch den Menschen hinzuweisen. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse waren Grundlage für viele späteren Forscher.

Neben all den Empfängen und Vorträgen hatte Humboldt nur einen Wunsch: wieder zu reisen. Sein Wunschziel war Indien. Jedoch bekam er nicht die dazu nötige Erlaubnis vom britischen Empire. So folgte er 1829 der Einladung des russischen Zaren Nikolaj I. All die Strapazen dieser Reise machten dem 60ig-Jährigen nichts aus. Kälte, endlose Kutschenfahrten, lange Wanderungen – all das ertrug er. Sein Forschungseifer machte ihn immun gegen Krankheiten. Auf dieser Reise kam er bis an die Grenze Chinas.

Zurück in Berlin begann Humboldt im Alter von 65 Jahren an seinem mehrbändigen Werk „Kosmos“ zu arbeiten. Sein Ziel war es, die ganze materielle Welt in einem Werk darzustellen. Seine Zeichnungen und sein Stil waren so anschaulich und lebendig, dass die 4 Bände zu den meistverkauften und meistgelesenen Büchern zählten. Bis zu seinem Tod im Jahre 1859 blieb Humboldt geistig rege, schrieb tausende Briefe in alle Welt, schuf ein riesiges Netzwerk zwischen Wissenschaftlern und Künstlern. Wenn Humboldt im Mai 1859 stirbt, hat der Leser das Gefühl, einen Gefährten, der ihn durch viele Stunden und Tage begleitet hat, verloren zu haben.

http://www.bertelsmann.de

Maximilian Hauptmann und Stefan Kutzenberger. Das Literaturquiz. edition a

Im Untertitel schreiben die Autoren: 123 Antworten, die Sie kennen sollten, um über Literatur mitreden zu können.

Das ist ganz sicher eine ironisch gemeinte Übertreibung. Denn manche Fragen sind wirklich mehr als speziell. Wer kennt schon Georges Perec und seinen Roman „La Disparition“. Doch die meisten der 123 Fragen sind mit einer gewissen Allgemeinbildung oder auch Hausverstand zu lösen, denn man hat drei Antworten zur Wahl. Der Quizmaster kann auch Punkte für die richtigen Antworten geben. Etwa für besonders schwere drei, für mittelschwere zwei und für leichte einen. Am Ende wird ein Sieger ermittelt.

Besonders interessant sind natürlich die Auflösungen. Selbst solche, die sich als Kenner der Literatur bezeichnen, sind oft verblüfft, was sie dadurch alles für sie Neues erfahren. Apropos Kenner – die werden immer rarer, meinen die beiden Autoren. Das Interesse an Literatur sinkt mit zunehmender Netflix-Manie. Als die Autoren die Studenten fragten, warum sie Literaturwissenschaft studieren wollten, bekamen sie sehr oft als Motivation die Netflix-Serien genannt. Da schrillten bei den Autoren die Alarmglocken. Mit diesem Quizbuch wollen sie einen kleinen Beitrag zur Rettung der Literatur liefern.

In den immer zahlreicher werdenden Lesekreisen ist dieses Buch bereits sehr beliebt. Zur Auflockerung ein paar Quizfragen stellen, einen Gewinner ermitteln – und schon beginnen die Diskussionen. Nicht nur im Radio ist Literatur der Rede wert.

http://www.edition-a.at

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Margery Sharp: Die Abenteuer der Cluny Brown. Verlag Eisele

Aus dem Englischen von Wibke Kuhn

Charmant und intelligent-witzig beschreibt Margery Sharp (1905 in Salebury – 1991 in Aldeburgh/Suffolk) die englische Gesellschaft vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Cluny Brown ist 20 Jahre jung, alle meinen, sie sei als potentielle Braut schon überfällig. Schön ist sie nicht, meinen wieder alle. Heute würde man sagen „apart“. Sie lebt bei ihrem Onkel in London, der ein tüchtiger Klempner ist. Ab und zu springt sie für ihn ein, repariert auch schon mal einen verstopften Abfluss. Das gehöre sich nicht für ein Mädchen, meint der Onkel. Überhaupt sei ihm Cluny Brown zu aufmüpfig, zu umtriebig. Kurz entschlossen schickt er sie als Stubenmädchen auf den Herrensitz Friars Carmel. Der Autorin gefallen ganz offensichtlich schrullige Namen. Cluny ist die Bezeicnung für ein bekanntes Kloster und als Vorname ungebräuchlich. Als Kompensation für den nichtexistenten Vornamen gibt die Autorin der Protagonistin den gängigsten aller englischen Familiennamen: Brown. Friars Camel könnte man gut und gern als „Brüder Karmeliter(innen)“ übersetzen.

Also: Die handelnden Personen sind fast alle nicht so, wie sie sich nach außen hin geben: Allen voran Cluny. Alles, was ein Stubenmädel können muss, lernt sie in Windeseile. Aber hinter der Stubenmädelfassade steckt die quirlig-neugierige Cluny. Sie erstaunt nicht nur die Dienerschaft immer wieder durch ihre Andersartigkeit. Auch die Bewohner des Landsitzes sind über sie einigermaßen verwundert. Ein Dienstmädel, das den Apotherker des Ortes heiraten wird? Das ist ungewöhnlich. Aber sie heißen es dennoch gut. Als Cluny aber, statt den Apotheker zu heiraten, Hals über Kopf mit dem polnischen Schriftsteller Adam Bilinski, der monatelang Gast auf dem Herrensitz war, nach Amerika abhaut, ist die Verblüffung groß.Verblüffung schon, aber nicht Empörung!

Margery Sharps Klinge des Humors und der Charakerzeichnung ist ganz fein, subtil. Alle Personen sind in ein fixes gesellschaftliches Leben eingebettet, haben sich darin gut eingerchtet. Es scheint, dass auch Cluny ihren Platz als Stubenmädchen akzeptiert. Aber es kommt ganz anders. Denn einen Moment lang, und das ist der entscheidende in ihrem Leben, lässt sie es nicht zu, dass über ihren Kopf hinweg entschieden wird, und türmt mit Belinski.

Es ist nicht so sehr die Handlung, die aufs erste wie eine Rosamund Pilcher-Geschichte daherkommt, als vielmehr die kleinen, subtilen Gesten, Handlungen und Gedanken der Personen, die den Leser schmunzeln lassen. Wobei die Autorin über keine einzige Person den Stab bricht. Für alle und alles hat sie Verständnis. Für Lady Carmel, deren einziger Sinn im Leben die Gartenpflege zu sein scheint, die aber ihren Mann Henry und ihren Sohn Adam mit leiser Hand in die richtige Richtung führt. Für die schöne Betty, die sich vor Heiratsanträgen kaum erwehren kann. Die aber weitaus klüger und weitsichtiger ist als alle Männer, die sie dümmlich anbeten. Größte Sympathie hegt sie natürlich für Cluny. Für dieses Mädchen, das sich nicht unterkriegen und „einseifen“ lässt. Wenn man so will, tritt der Roman für eine unkämpferische, dafür umso wirksamere Emanzipation der Frauen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein.

http://www.eisele-verlag.de

Ballett: Nachmittag eines Fauns, Bolero, Carmina Burana. Volksoper Wien.

Nachmittag eines Fauns. Musik: Claude Debussy

Choreographie:Boris Nebyla

Es tanzten: Tainà Ferreira Luiz und Felipe Vieira

Ein Faun, der kein Faun ist, eine Nymphe, die keine Nymphe ist. Statt des Waldes ragten schwarze, hohe Latten empor. Boris Nebyla löste die Figuren von ihren antiken Fixierungen ab. Felipe Vieira im Nudekostüm war einfach ein Junge, eventuell ein junger Mann, der sein sexuelles Verlangen austanzt, sich nach einer Partnerin sehnt. Ohne Scham öffnet er sich, wird geil. Tainá Fereira Luiz ist keine scheue Nixe, höchstens etwas schüchtern. Doch bald passt sie sich den verlangenden Bewegungen an, die Vereinigung wird vollzogen. Hervorragend, wie die beiden diese heikle Partie tanzen! Voller Energie, voller Lust auf Deutlichkeit, ohne peinliche Pornographie.

Maurice Ravel: Bolero

Choreographie, Bühne und Licht: András Lukács

Es tanzte: Das Ensemble

Zehn Tänzerinnen und zehn Tänzer in langen, schwarzen Röcken tanzen (mit nacktem Oberkörper die Männer, mit Nudeoberteil die Frauen) im scheinbar ewig gleichen Schritt. Wie in einem Menuett mit streng festgelegten Figuren formen sie Kreise, die sich zu Spiralen auflösen, sich wieder schließen, um gleich darauf Linien zu bilden. Eine Choreographie, die vom Ensemble allergrößte Exaktheit verlangt, die allerdings nicht immer gelang. Aber der Gesamteindruck überwältigte!

Carl Orff: Carmina Burana

Choreographie: Vesna Orlic, Bühne und Kostüme: Alexandra Burgstaller

Diese freche und originelle Choreografie und Interpretation wird sicher in die Musik- und Ballettannalen eingehen. Unter dem Regime der alles beherrschenden Fortuna ( sehr gut: Martin Winter) entfaltet sich die Palette von Leiden und Freuden, die das menschliche Leben ausmachen: Die Liebe, die Eifersucht herrschen in der Jugend und bestimmen die Handlung. Das Trio Taina Luiz als Ehefrau, Felipe Vieira als Ehemann, der von der roten Schönheit (Kristina Ermolenok) gekonnt verführt wird, sind die Protagonisten des Mittelteils und des Finales und überzeugen mit ihrem großen Können. Eine berührend schlichte Brautszene tanzen Mila Schmidt (junges Mädchen) und Keisuke Nejime (junger Mann). Höhepunkt ist die Szene in der Taverne. Die Säufer und Vielfraße sind Mönche, die das Leben in allen Untiefen auskosten. Alles unter dem Kreuz, das über der reich gedeckten Tisch hängt. Herzzerreißend jammert der Schwan, getanzt von Samuel Colombet. Er wird brutal geschlachtet und verspeist. Fortuna beendet mit einem fulminanten Tanz das tolle Menschentreiben. Sie bestimmt über das Leben, wie es ihr gefällt.

Tosender Applaus, auch für den Chor und den Kinderchor der Volksoper, für das Orchester und den Dirigenten Guido Mancusi. Natürlich ganz besonders für die fulminanten Leistungen der Tänzer und Tänzerinnen. Warum liest man nie ihre Namen auf den Programmzetteln der Staatsoper? Wo ja mit dem Abgang von Vladimir Shishov vor allem Tänzer von seiner Bühnenpräsenz fehlen. „Junge Prinzen“ gibt es genug an der Staatsoper. Sobald aber eine Charakterfigur gebraucht wird, wird die Auswahl dünn.

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„Carmina Burana“ ist noch am 8. 14., 23. und 27. Februar zu sehen.

Maria Bill singt Kurt Weill. Theater Akzent

Mit Leonhard Skorupa/Saxophon, Klarinette, Gregor Aufmesser Bass, Andi Tausch Gitarre, Konstantin Kräutler Schlagzeug

Foto: Theater Akzent, Maria Bill

Einmal mehr bestätigt sich: Das Theater Akzent ersetzt das Volkstheater, das unter der Intendanz von Badora viele Anänger verlor. Mit Maria Bill, Felix Mitterer ist das Theater Akzent die neue Bühnenheimstätte für ein Publikum, das sozialkritische Aufführungen schätzt. Das Theater Akzent ersetzt aber auch das Burgtheater, das unter der Leitung von Kusej mit lautstarkem, ohrenbetäubendem (im wahrsten Sinn des Wortes) Erziehungstheater viele Zuschauer vertreibt. Sie alle finden im Theater Akzent eine neue Bleibe. Dass auch berühmte Rezitatoren wie Joseph Lorenz, Andrea Eckert gerne im Akzent auftreten, schätzt das Publikum ebenfalls sehr.

Nun zu Maria Bill! Wo immer sie auftrat und auftritt, hat sie ihr Publikum! Das Theater Akzent war komplett ausverkauft, selbt am Balkon gab es keine freien Plätze mehr. Für diesen Kurt Weill-Abend hatte sie zunächst eine Überraschung bereit: Sie trat als alte (sic), verbrauchte Frau auf, die sich ihr Geld mühselig im „Dienst an Männern“ verdient. Und sah dementsprechend aus. Diesen Mut zur Hässlichkeit hat kaum eine andere Künstlerin: Graue, verfilzte Haare, ein Kurzmantel aus dem Container, darunter ein armseliges Kleidchen, das schon bessere Tage sah. Klobige Bergschuhe und dicke Socken vervollständigten das Bild einer Frau, die geradewegs aus dem Umfeld der Dreigroschenoper kam. Dazu passsend ihre Gesten: Wie ein hilflos der Welt ausgeliefertes Mädchen zupfte sie an ihrem Kleid, fuhr verlegen die verfilzten Haare – man musste sie einfach gern haben! ERst recht, wenn sie zu singen begann. Im ersten Teil sang sie die bekanntesten Songs, die Kurt Weill zu Brechttexten komponierte. Sie war das Mädel, das den Zuhälter liebt (Zuhälterballade), sie war die Seeräuber Jenny. Sie sang mit brüchig-rauer Stimme von einer Insel namens „Youkali“, wo sich alle Wünsche vereinen und in ERfüllung gehen könnten – nur leider eine Illusion.

Nach der Pause – die größe Überraschung: Maria Bill als elegante Lady im Stil einer Bardame. Schwarzes Outfit, raffiniert geschminkt. Kurt Weill floh vor den Nazis zunächst nach Paris, wo er das Sehnsuchtslied, gerichtet an >Lotte Lenya, schrieb: „Je ne t’aime pas“, von Bill mit großer Traurigkeit vorgetragen. Berührend auch „Nannas Lied“, das von einem französischen Mädchen erzählt, das sich in einen deutschen Soldaten verliebt. Von Paris flieht WEill in die USA, wo er als Komponist gut verdient, dennoch aber klingt der Song „I‘ am a stranger herer myself“ (Ich bin hier selbst ein Fremder) voller Sehnsucht nach dem alten Europa.

Was Maria Bill so überzeugend wirken lässt: Sie singt bedingungslos, gibt sich ganz der Rolle, der Musik hin und schielt nicht nach Äußerlichkeiten. Sie ist einfach – glaubwürdig!

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Jubiläumskonzert, Musikverein 28. Jänner 2020: „Feuerreiter“. Gesänge und Geschichten von Feuer, Mord und Liebe.

Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Dirigent: Johannes Prinz Am Klavier zu vier Händen :Eduard und Johannes Kutrowatz. Sprecher: Joseph Lorenz

  1. Teil: „Liebes- und Beziehungsgeschichten“

Rotes Licht überstrahlt die Orgelempore, die Bühne liegt in geheimnisvoller Dunkelheit. Plötzlich überhell, fast weiß angestrahlt: Der Sprecher Joseph Lorenz. Er „befeuert“ mit Glut das Publikum, lässt den „Feuerreiter“ von Eduard Mörike durch den Saal rasen. Die Flammen zucken über die Köpfe der Sänger und des Publikums hinweg. Was für ein ungewöhnlicher Beginn! Man glaubte sich im Theater oder in der Oper, aber wahrlich nicht im ehrwürdigen goldenen Musikvereinssaal. Und glutvoll ging es weiter. Die Stimmen des Singvereines sangen verführerisch über die Gefahren und Fallstricke in der Liebe (u. a.Johannes Brahms und Robert Schuhmann). Dazwischen warf das Fräulein Kunigunde den Handschuh in die Arena, mitten unter die blutrünstigen Bestien, und forderte den Jüngling arrogant auf, ihn ihr wiederzubringen. Er tat es und statt auf den Liebesdank zu warten, wirft er ihr den Handschuh ins Gesicht. Aber wie! Wenn Joseph Lorenz die bekannte Ballade Schillers liest, dann lebt das Publikum mit, schmunzelt über die dumme Pute Kunigunde und vergönnt ihr die Zurückweisung vor versammeltem Hof.

Joseph Lorenz lässt Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ lebendig werden, macht aus dem Tyrannen einen ziemlich dumm-herrischen Tropf. Aus Damon einen Leidenschaftlichen, der gegen Angst und Naturgewalten kämpft, um rechtzeitig zurückzukehren und den Freund vor dem Tod zu retten. Wir wissen alle, wie es ausgeht: Von dieser Liebe und Treue zwischen den Freunden gerührt, bittet der Tyrann um die Freundschaft derer, die er gerade noch am Galgen hat wollen hängen sehen. Im Gegensatz zu Schiller, der den Tyrannen voller Reue und zerknirscht sein lässt, schaut Lorenz tiefer in diese schwarze Politikerseele: Die Reue ist Schein, einmal Tyrann- immer Tyrann, auch wenn er sich „gerührt“ gibt. Denn was lehrt die Gegenwart: Die Worte eines Mächtigen gelten nur so lange es ihm passt.

Nach der Pause wurde in theatralisch wirksamer Inszenierung „Tödliches“ in guter Mischung aus Dramatik und Nonsense vorgebracht. Joseph Lorenz entzündete in fast totaler Dunkelheit eine Kerze und gab der „Flamme“ von Christian Morgenstern seine leise-gefährliche Stimme: gieirig züngelt sie über alles, was in ihre Nähe kommt und tötet Mensch, Vorhang, Zimmer, Haus, Häuser, Wälder, ringsum alles Leben. Dann, dann ist alles tot, verbrannt…Man erschaudert, Bilder von den riesigen Bränden in Australien steigen auf. Die Stimme des Sprechers reißt alles nieder. Pathos pur, aber ein Feuerpathos, das so sein muss. Gleich darauf: Stilles Pathos, Leid, Rachegedanken, die niedergerungen werden: Conrad Ferdinand Meyers Ballade „Die Füße im Feuer“. Dazwischen heiter, geschliffen vorgebrachter Nonsens in Christian Morgensterns „Werwolf“. Und am Ende Goethes „Erlkönig“ – Lorenz ist ängstlicher Knabe, todbringender Verführer mit homoerotischer Anmutung, ein Vater, der sein Kind nicht schützen kann. In Joseph Lorenz hat die Tragik, die hintergründige Heiterkeit eine adäquaten Interpreten gefunden, der sich vor großen Gesten und bewusst gesetztem Pathos nicht scheut.

Joseph Lorenz (Foto:Conactor-Schauspielagentur)

Auch das musikalische Menü folgte dem Prinzip der Abwechslung zwischen drohender Gefährdung, Gewalt, Heiterkeit und Spott. Großarig Ligetis „Pápáine“ für gemischten Chor a cappella. Ein musikalischer Höhepunkt waren sicherlich Brahms „Ungarische Tänze“, von Johannes und Eduard Kutrowatz auf dem Klavier zu vier Händen mit Rasanz und bewundernswerter Übereinstimmung gespielt. Ebenso der Nonsenssong „km 21“ von Franz Tischhauser, bravourös gesungen von dem Tenor Wolfgang Adler.

Was den Abend so einmalig machte, war diese unprätentiöse und intelligente Mischung aus Musik und Vortrag. Eine Auswahl, die ohne jegliche „erzieherische Tendenz“ auskam, allein zur Erbauung – welch selten gewordenenes, schon gehörig in Misskredit gekommenes Wort-.

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Charlie English: Die Bücherschmuggler von Timbuktu. Hoffmann und Campe

Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes.

Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Heike Schlatterer

Charlie English, ehemaliger Chefredakteur des „Guradian“, erzählt, wie Timbuktus wertvollster Schatz, die heiligen Bücher und Manuskripte, unter Lebensgefahr der Bewohner vor der Zerstörungswut der Al-Kaida gerettet wurden. English sucht die Waage zwischen wissenschaftlichem und populärwissenschaftlichem Stil zu halten, was manchmal – das muss bei allem Lob für dieses Werk gesagt sein – zum Verlust der Spannung führt.

Geschickt verwebt er die sagenumwobene Geschichte der Stadt mit der Zeit von 2012 bis 2013, als zuerst die Rebellen und gleich darauf die Al-Kaida über die Stadt herfielen, plünderten und die Mausoleen der Heiligen in Schutt und Asche legten.

Timbuktu war immer schon für die Welt ein Mythos. Keiner wusste, wo es genau lag. Man erzählte sich Geschichten von dem ungeheuren Reichtum der Stadt, von goldstrotzenden Palästen. Das schürte die Neugier und Gier diverser Staaten, wie England, Frankreich und später auch Deutschland. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft wurden Abenteuertypen im Wettlauf losgeschickt, die diese reiche Stadt finden sollten, einzig allein zu dem Zweck, die Stadt auszubeuten. Viele starben in der Wüste. Einige Informationen drangen dennoch bis Europa durch: Von Gold keine Spur. Man meldete lediglich eine staubige Stadt mit vielen heiligen Bauten. Erst der deutsche Forscher Heinrich Barth (1821-1865) beschäftigte sich ausführlich mit dem eigentlichen Schatz Timbuktus, den heiligen Schriften. Er machte klar, dass Afrika sehr wohl eine schriftliche Kultur kannte und man daher die europäische Sicht auf Afrika als schriftlosen Kontinent total ändern müsse. All diese Berichte hatten zur Folge, dass immer mehr Staaten und Organisationen, unter anderem auch die UNESCO, auf den Wert dieser Manuskripte hinwiesen und sie gerade dadurch gefährdeten. Als die Al-Kaida in Timbuktu ihre Schreckensherrschaft 2012 bis 2013 ausübten, war die Angst der Bewohner um die Manuskripte so groß, dass sie begannen, diese in Kisten und Säcken in Nacht- und Nebelaktionen und unter größter Lebensgefahr in das nahe Bamako zu schmuggeln. Über die Zahl der geretteten Manuskripte seien bis heute keine sicheren Aussagen möglich, meint der Autor. Und lässt den Verdacht im Raume stehen, dass die Retter die Zahl ins Unermessliche steigerten, um Fördergelder diverser Organistionen in die Höhe zu lizitieren. Ein eher unrühmliches Ende, so finde ich, nicht für die Retter, sondern für den Autor. Denn gerade ihm, der mit vielen Verantwortlichen der Rettungsorganisation sprach und um die schwierige und chaotische Situation der „Schmuggler“ wusste, steht die Andeutung eines solchen Verdachtes nicht gut zu Gesicht.

Wiener Staatsoper: Onegin. Ballett.

Choreografie: John Cranko. Musik: Peter Iljitsch Tschaikowski, arrangiert von Kurt-Heinz Stolze

Wenn John Crankos (1927 – 1973) Choreografien gezeigt werden, dann kommen Ballett-Aficionados in geschlossener Formation. Er leitete von 1961 bis zu seinem allzu frühen Tod die „Stuttgarter Ballettkompanie“ des Württenbergischen Staatstheaters und machte sie in kürzester Zeit zu einem der weltbesten Ensembles. Ihm ist es zu verdanken, dass das erzählende Ballett, das in den 6oer Jahren des vorigen Jahrhunderts verpönt war, wieder geschätzt wurde und wird. Im Falle des Balletts „Onegin“ hielt er sich an das Versepos von Alexander Puschkin (1833). Deshalb erscheint in dieser Aufführung vor jedem Akt das Bild des Dichters auf dem transparenten Vorhang. Dazu ließ Cranko von Kurt-Heinz Stolze eine Partitur aus verschiedenen Kompositionen Tschaikowskis zusammentstellen, um die innere und äußere Handlung der Figuren durch die Musikauswahl noch klarer zu verdeutlichen. Dank dieses Regie- und Choreographiekonzeptes folgt der Zuseher einem „Drama ohne Worte“, durch tänzerische Gesten und Figuren erzählt. Da gibt es keine langweilige Füllszenen. Gruppentänze, wie etwa die Auftritte der Burschen und Mädchen während des Festes, sind Teil einer Geschichte, die die Handlung weiter treibt. Amüsant etwa der Tanz der Dorfjugend: Übermütig und frech werben die Burschen um die Mädchen, lüpfen ihre Röcke, die Mädchen kichern verschämt. Währenddessen geht an Tatjana diese kindliche Lebensfreude vorbei. Sie stellt sich, beeinflusst von den allzu romantischen Geschichten, die sie unaufhörlich verschlingt, eine Liebesbeziehung mit dem eitlen Onegin vor, die so nicht realisierbar ist.

Roman Lazik als Onegin und Ketevan Papava als Tatjana. Foto: Ashley Taylor

In der Traumvision tanzt sie mit Onegin die ERfüllung ihrer Liebe. Dieser Pas de deux wird von Lazik und Papava mit bezaubernder Zartheit und Hingabe getanzt. Papava ist das junge, verliebte Mädchen und einige Zeit später die innerlich gefestigte Frau, die ihren Ehemann, den Fürst Gremin (Vladimir Shishov) ehrlich liebt. Dass Shishov nur mehr als Gasttänzer auftritt, schmerzt sehr. Es heißt, er schied mit Ende August 2019 aus Altersgründen aus. Wir werden ihn sehr vermissen! Seine Performance als Prinz im „Schwanensee“ oder sein wild-temperamentvoller Tanz als Kommissar in „Giselle rouge“ werden noch lange in Erinnerung bleiben.

Höhepunkt des Abend war sicherlich der Pas de deux zwischen Onegin und Tatjana am Schluss. Er ist um einige Jahre älter und reifer geworden, fühlt schmerzlich die Einsamkeit. Da sieht er Tatjana wieder. Nun begreift er, welchen Fehler er damals machte, als er ihre Liebe so grob zurückwies. Er will sie -typisch Mann – wieder für sich gewinnen. Tatjana weist ihn zurück, aber mit zunehmender Heftigkeit der Werbung verfällt sie dem Rausch, der Leidenschaft. Doch abrupt bricht sie ab, bevor es zur Vereinigung hätte kommen können. Sie weist ihn mit herrischer Geste aus ihrem Gemach. Weinend bricht sie am Schreibtisch zusammen. Eine enorme, intensive Leistung der beiden, die sich tief in die Erotik und verlockende Versuchung hineintanzen und wie aus einem Rausch erwachend ernüchtert die Szene verlassen.

Viel Applaus und standing ovation für das ganze Ensemble und besonders für Lazik und Papava, und natürlich auch für Shishov! Ebenso für die entzückende Madison Young als Olga und Jakob Feyferlik als Lenski. Verdienten Applaus bekam auch der Dirigent Ermanno Florio, der das Wiener Staatsopernorchester behutsam durch diese wunderbare Musik leitete.

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Felix Mitterer: Mein Ungeheuer. Theater Akzent

Eine Produktion von STEUDLTENN Tirol Zillertal

Regie: Hakon Hirzenberger

Das Ehedrama aus dem Bauernmilieu schrieb Felix Mitterer in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Doch seine Aktualität ist brennender denn je. Es geht um die Frage: Wie gehen Menschen miteinander um, wenn Arbeitslosigkeit und tiefste Armut, dazu Bildungslosigkeit und daher Chancenlosikeit den Alltag bestimmen. Er, Hans Zach (Martin Leutgeb), säuft seine tiefgründige Lebenstraurigkeit, seine unerfüllte Sehnsucht nach Nähe einfach in Grund und Boden. Zach ist allerdings schon 15 Jahre tot, doch er drangsaliert noch immer seine Ehefrau Rosa (Susanne Altschul) als Geist.

Schauplatz ist irgendein Dorf in Tirol in der Nähe von Schwaz. Wie gesagt, Zach ist tot, aber „zach“ sekkiert und drangsaliert er seine Frau Rosa. Die hat ihn 15 Jahre lang angeschwiegen. Weil er ihr nicht glauben will, dass Felix sein leiblicher Sohn ist. Für ihr Schweigen rächt er sich nun als „Quälgeist“ mit Dauerpräsenz.

Felix Mitterer verquickt dramaturgisch geschickt die verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen. Ohne Bruch switscht er zwischen einst, dem lebenden Zach, und dem Geist hin und her. Im „Schlagabtausch“ zwischen der schweigsamen Rosa und dem brüllenden Hans geht es hoch her: In dem kargen Bühnenbild (Gerhard Kainzner) – ein Sofa, ein Holzsarg – wütet, schreit, schimpft, springt Martin Leutgeb mit beeindruckender Rasanz und Bühnenpräsenz herum. Währenddessen sitzt Rosa auf dem Sofa und schweigt. Wie zum Schutz gegen ihren besoffenen Ehemann hält sie eine Puppe im Arm. Was Martin Leutgeb hier an Wortwucht und Körpereinsatz einbringt, das gelingt Susanne Altschul ebenso intensiv durch Schweigen. Keine leichte Rolle, die sie bravourös meistert. Felix Mitterer hat ihr zum Ausgleich mehrere sehr berührende Szenen zugeschrieben, z.B Wenn sie von der innigen Zärtlichkeit zwischen ihr und dem taubstummen Almhirten erzählt. Oder mit welch starkem Stolz sie an ihrem armseligen Haus hängt, das sie mit eigenen Händen gebaut und selbst finanziert hat. Susanne Altschul meistert diese Rolle mit schlichter Innigkeit, ohne je auch nur in die Nähe des Kitsches, der Rührseligkeit abzurutschen.

Es scheint, zwischen den beiden herrscht nur Hass – bis in alle Ewigkeit. Doch als Hans seiner Frau erstmals erzählt, wie er als neunjähriger Bub seine tote Mutter in der Nacht aus dem Grab geholt und vom Friedhof weggetragen hat, weil er nicht glauben wollte, dass sie tot war, da bricht zwischen beiden die Mauer des Hasses. Rosa bettet den weinenden Ehemann in ihren Schoß und tröstet ihn. Um keine Rührung aufkommen zu lassen, schließt Felix Mitterer mit einem leichten Augenzwinkern und Schmunzeln: der Geist Zach verschwindet endgültig in die Ewigkeit. Rosa ruft ihm tröstend nach: „Ich komm bald nach.“ Er- leicht verschmitzt und ein wenig ruppig: „Lass dir Zeit. Du versamst dort nix.“

Matthias Jakisic unterlegt die Szenen, die von der ungestillten Sehnsucht nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und Träumen von einem besseren Leben erzählen, mit zarter Musik, die hin und wieder an alte Kinderlieder erinnert.

Dank des großartigen Textes von Felix Mitterer, der einfühlsamen Regie und Musik und vor allem dank der beiden intensiven Schauspieler wurde es ein Abend, der es wert ist, in die Chonik des Theaters „Akzent“ einzugehen-

Lang anhaltender Applaus für die Schauspieler. Auch für den Regisseur und den Autor, die persönlich auf die Bühne kamen. Im Publikum waren auch einige Schauspielerkollegen zu sehen – unter anderem Stefano Bernardin und Peter Simonischek.

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Marie Brunntaler, Wolf. Eisele Verlag

Der Name Marie Brunntaler ist ein Garant für Spannung, Entspanung. Sie schreibt über Menschen im Schwarzwald, die nicht gerade mit Reichtümern gesegnet sind und sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen müssen, z. B. wie etwa in dem Roman: „Das einfache Leben“.

Nun also „Der Wolf“. Ein Dorf im Schwarzwald, weit weg von Zivilisation. 1820. Die Menschen werden von Aberglauben und von dem hinterlistigen Abt im Kloster beherrscht. Er sagt, was im Dorf geglaubt werden muss, was im Dorf als Unrechtzu gelten hat. Dass er als ganz infamer Päderast sich auf die Buben im Internat stürzt, ist nur ein Thema dieses packenden Romanes. Brunntaler fragt aber auch, was die allgemeine Meinung, „was die Leut sagen“, aus einer Dorfgemeinschaft macht. Gabriel ist ein Bub, der durch seine Schönheit und Klugheit alle bezaubert. Aber beide Eigenschaften bringen ihn in des Teufels Küche. Der Lehrer, der sein Amt im Dorf neu angetreten hat, hat wie ein Teufel die Fäden des Geschehens in der Hand und will Gabriel zum Werkzeug seiner Rache machen. Er ist der Wolf im Schafspelz eines Lehrers.

Während Brunntaler alle Figuren des Romans, besonders die beiden Frauen am Steinhauerhof sehr gut charakterisiert und glaubhaft im Geschehen verankert, gelingt ihr die Figur des Lehrers nicht so richtig. Sein Hass ist noch verständlich, doch seine teuflischen Wirkungsklräfte auf Gabriel sind unglaubwürdig. Dennoch: Ein äußerst lesenswerter Roman,

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Nicolas Mathieu: Wie später ihre Kinder. Hanser Literatur-Verlag

Aus dem Französischem von Lena Müller und André Hansen

Der zur Zeit der Preisverleihung noch relativ unbekannte Autor erhielt für diesen Roman den Prix Goncourt 2019. Die Kritiker feierten ihn als Schriftsteller, der den lesenden Bürgern der Oberschicht das Leben der Unterschicht in Frankreich nahe bringt. Deshalb und weil Kritiker immer nur den Inhalt besprechen, selten bis gar nicht die Ausführung, die Herangehensweise an das Thema, herrscht ganz allgemein Begeisterung über diesen Roman.

Nicolas Mathieu erzählt in vier Abschnitten (beginnend 1992) das Leben zweier Jugendlichen aus Frankreich. Anthonys Vater hat wie fast alle Väter des fiktiven Ortes Heillange nahe bei der Grenze zu Luxemburg in der Schwerindustrie gearbeitet. Als die Anlagen geschlossen wurden, versanken er und all die anderen Väter – und später ihre Kinder – in stumpfsinniges Dahinleben, betäubten sich mit Alkohol, die Kinder schon früh mit Drogen. Hacine, dessen Familie aus Marokko stammt, dealt und findet sich toll bestätigt, wenn er mit seinem Motorrad mit mehr als hundertfünfzig Sachen durch die Gegend braust. Dennoch – den beiden und allen anderen Jugendlichen ist stinkfad. Die Schule ist ein no-go. Das Wort Arbeit treibt ihnen die Kotze hoch, vor allem, weil sie an ihren Vätern miterlebt haben, wie sie die Menschen einst ausgelaugt und dann halb kaputt entlassen hat.

Aus Kindern werden Jugendliche und nichts ändert sich, außer dass heimlicher Sex zum einzig erstrebenswerten Vergnügen wird. Doch auch der rettet sie nicht vor Depression, Aggression, Verzweiflung, wie einst ihre Väter. Im vierten und letzten Teil (!998), übertitelt: „will survive“ weiß der Leser bereits, dass ihn nichts Neues erwartet. Und da liegt die Crux dieses Romans. Denn alle vier Abschnitte laufen gleich ab, immer in ähnlicher „Konversation“: „Scheiße..Was machen wir? -Keine Ahnung“. Nach diesem Dialog folgt dann eine genaue Beschriebung diverser, immer gleich ablaufender Aktivitäten, die da sind: Herumstehen, Bier, Wodka oder sonst irgendwas trinken, sich Drogen einwerfen, manchmal irgenwas stehlen, auf Moped oder Motorrad durch die Gegend brausen. Klar, in dieser vergessenen Ecke Frankreichs (oder irgendeines anderen Landes) haben Väter und später die Kinder keine Persprektive. Aber den Lesern immer nur ein Thema in zahlreichen Varianten einhämmern – das nenne ich: Seitenschinderei und Leserquälerei. Denn das Thema nützt sich ab, das Interesse weiter zu lesen, schwindet. Wie so oft, gilt auch hier: Etwas weinger wäre mehr.

Schade, denn der Autor hat durchaus ein Ohr für alles, was „die Kinder später“ – also heutige Jugendliche – angeht. Er weiß, wie sehr die Wirtschaft und das politische System ausbeuterisch sind. Er weiß um die Probleme der so genannten „bildungsfernen“ (was für ein arrogantes Wort!) Schichten. Und er hütet sich vor Moralpredigten.

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Tolstoi: Die Kzeuzersonate. Gelesen von Joseph Lorenz.Theater Akzent

Atemlos saßen wir alle und hörten und erlebten intensiv, wie ein Mensch zum Mörder wird. Am Ende des Abend wussten wir: Wir hatten gerade an einem Theaterereignis teilhaben dürfen, wie es nur ganz selten eintritt!

In einer theatralisch perfekt angelegten Klimax ließ Joseph Lorenz die Erzählung ablaufen: Im Zugateil wird Belangloses geredet, bis eine Dame von Liebe säuselt und ein anderer, bisher stummer Mitreisender. sich spöttisch über dieses oberflächliche Gerede äußert. In der Einsamkeit der nächtlichen Zugfahrt erzählt dieser dann dem jüngeren Mitreisenden, der als einziger von der Gesellschaft die Reise mit ihm fortsetzt, seine Geschichte. Wie und warum er zum Mörder seiner Frau wurde. Langsam lässt Joseph Lorenz die Spannung ansteigen. Lässt vor uns einen jungen Schnösel entstehen, der sich die Frauen nach seinen sexuellen Gelüsten aussucht und nicht weiter nachdenkt, was in ihnen vorgeht. „Laster nach Maß“, nennt er es. Zynisch, arrogant, in totaler Selbstüberschützung lässt er diesen Frauenverächter in die Ehe gehen. Schon bald langweilt sich das Paar, findet keinen Gesprächsstoff mehr. Aus gegenseitiger Verachtung wird Hass. Den transportiert Joseph Lorenz in das Auditorium. Fast bekommt man die Gänsehaut, wenn er diese abgrundtiefe Abneigung spielt, mit allem: Gesten, Mimik, mit der Modulation seiner Stimme. Dass er an einer Stimmbandentzündung leidet und sich deswegen ansagen ließ, hat er wohl vergessen, so intensiv ist er in der Rolle drinnen. Wir erleben die Qualen und den Hass, den er seiner Frau bei den alltäglichen Kleinigkeiten (Tee trinken, die Haare aus der Stirn streichen..) entgegenbringt. (Wie die Frau diese Ehe erlebt, lässt Tolstoi unerwähnt) Am Höhepunkt seines irrsinnigen Hasses glaubt er, auf einen Geiger, den er bewusst als möglichen Gegenspieler in seine Haus einlädt, eifersüchtig sein zu müssen. Qualen erlebt er, wenn seine Frau und der vermeintliche Liebhaber die Kreuzersonate spielen. Die Musik holt Gefühle aus ihm hervor, die er nicht wahrhaben will. In wahnvollem Hass und in unerträglicher Wut ersticht er seine Frau und glaubt sich im Moment der Tat im vollen Recht. Im Auditorium ist es totenstill geworden, als wäre man tatsächlich Zeuge eines Mordes geworden. Erschöpft bricht der Mörder zusammen – und man bangt um ihn, den Erzähler, den Mann da vorne auf der Bühne. Ob er aus diesen Gefühlsausbrüchen in die Realität zurückfindet? Sich als Schauspieler, als Joseph Lorenz wieder findet, aus der Rolle heraussteigt? Bange Momente vergehen, dann wird der Erzähler ruhig, zieht eine Decke über den Kopf und schläft ein. Dankbar dafür, dass ihm sein Gegenüber die ganze Nacht zugehört hat. Dankbar für die zarte Geste, mit der der Mitreisende ihm über die Schulter streicht und sich verabschiedet.

Tolstois Novelle „Die Kreuzersonate“ ist eine subtile und irritierende Seelenanylyse, eine gnadenlose Abrechnung eines Mannes mit sich selbst, eines Mannes, der das Gefühl der Liebe nicht kennt, aus gesellschaftlicher Konvention heraus, weil man halt mit 30 heiratet, ein Frau ehelicht, die „seinen Ansprüchen gerecht wird“. Frauen sind für ihn und den Großteil der Männer Objekte, nur dazu da, die sexuelle Lust zu stillen. „Liebe“ ist ein leerer Begriff, von Romantikern geschaffen. Der Gedanke der Emanzipation ist in den Köpfen dieser Generation noch nicht geboren. So schildert Tolstoi die russische Gesellschaft um 1890. Letztendlich aber ist die Novelle eine Abrechnung mit der Selbstherrlichkeit des Mannes, der sich das Recht herausnimmt, über die Frau als Objekt zu verfügen.Dass Tolstoi den ERzähler schlussendlich vor seiner eigenen Tat erschaudern lässt, zeigt aber nur, dass er mit der Moral dieser Zeit ins Gericht geht. Über die Frau verliert er kein Wort. Sie bleibt, was sie zu Beginn der Erzählung war: Ein schönes Objekt, das es besser zu meiden gilt, will Mann nicht in den Abgrund unkontrollierter Gefühle gezogen werden.

Als Joseph Lorenz die Erzählung beendet und das Buch zuschlägt, kehren alle im Zuschauerraum langsam aus dem Albtraum eines Mordes in die nüchterne Wirklichkeit des Theaterraumes zürück. Langer Applaus dankt ihm für diesen intensiven Abend.

Am 28. Mai 2020 wird Joseph Lorenz „Amok“ von Stefan Zweig im Akzent lesen.

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Caravaggio&Bernini. Kunsthistorisches Museum

Bild: Caravaggio: Johannes der Täufer

Eine höchst sinnliche, erotische, ja sogar theatralische Ausstellung!

War die Kunst bis ca. 1600 von einer kühlen, distanzierten Darstellung des Heiligen und ihrer Akteure, der Heiligen und Märtyrer, geprägt, so setzen Caravaggio und der um zwei Jahrzehnte jüngere Bernini auf Emotionen. Dramatische Darstellungen der Leidenden, Leidenschaften, wie sie vorher noch nie gezeigt wurden, charakterisieren das Werk dieser beiden genialen Künstler.

Caravaggios Leben war eine einzige emotionelle Hochschaubahn. In seinem kurzen Leben (1571-1610) bestimmte sein jähzorniger, rebellischer Charakter seinen Werdegang: In Rom war er bald der angesagte Maler. Als er in einem Streit seinen Widersacher tötete, musste er nach Malta fliehen, wo er ebenfalls in Raufhändel verwickelt wurde. Er starb mit 39 Jahren. Seine Vor-Liebe für schöne junge Männer spiegelt sich deutlich in seinen Werken wieder. Zum Beispiel in der Darstellung des Johannes des Täufers. Den haben sich viele wohl anders vorgestellt: Caravaggio malt ihn als verführerischen Jüngling, der seine Nacktheit und Lebens-Lust ganz offen zur Schau stellt. Zärtlich und provokant liebkost er den Widder.Sein Blick ist auf den Betrachter gerichtet und fordert ihn auf, die erotische Freude mit ihm zu teilen.

Bernini: Medusa. Foto:Andrea Jemolo. Sovrintnedenza Capitolina

Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) war ein weltgewandter Künstler, der seine Kontakte zur Kirche und den Fürsten geschickt auszunutzen wusste. Seine Theatralik ist subtiler als die Caravaggios. Was am Beispiel der Medusa deutlich wird: Ihr Leiden oder besser ihr Wissen um das nahende Ende (Perseus wird sie enthaupten) ist nur an dem leicht geöffneten Mund und den schmerzvoll zusammengezogenen Augenbrauen zu erahnen. Bernini war der Bildhauer der Dezenz, des Feingefühls.

Zwei nützliche Hinweise für Besucher der Ausstellung: Gleich beim Eingang zur Ausstellung, nach der Karten- und Timeslotkontrolle, findet man kleine Heftchen in Deutsch und Englisch zur freien Entnahme. Sie enthalten die gedruckte Version der Audioguides. Da der Druck klein ist und die Räume abgedunkelt sind, empfiehlt sich dennoch ein Audioguide. Allein schon wegen der sensiblen, um nicht zu sagen erotischen Stimme von Martin Löw Cadona, der die Texte zu den männlichen Darstellungen liest. Zu Hause kann man dann in Ruhe nochmals die Interpretationstexte nachlesen.

Wer die Ausstellung ohne die übliche Besucherflut genießen will, dem seien die Tage Do, Fr, Sa, So empfohlen, und zwar die Zeit nach 18h. Denn da verlassen die meisten Besucher die Ausstellung. Die Caravaggio-Bernini – Ausstellung bleibt jedoch an diesen Tagen bis 21h geöffnet. Die Ausstellung ist noch bis 19. Jänner 2020 zu sehen.

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Edward Albee: Wer hat Angst vor Virginia Wolf? Burgtheater

Aus dem Englischen von Pinkas Braun, Regie Martin Kusej, Bühne und Kostüme Jessica Rockstroh. Eine Übernahme aus dem Residenztheater München.

Am Ende dieser Bühnenschlacht ist so mancher Zuschauer wahrscheinlich froh, als Single durchs Leben zu gehen..

Martha (Bibiana Beglau) und George (Norman Hacker) ertränken ihren Lebens- und Eheüberdruss in Whisky. Suchen den anderen mit Verbalgemeinheiten zu verletzen. Als das alles nicht genug an Reiz ist, lädt Martha das Ehepaar Nick (Johannes Zirner) und Honey (Elma Stefania Agustsdottir sprang für Nora Buzalka ein und machte ihre Sache ausgesprochen gut) ein. Das Spiel kann beginnen (1. Akt groß überschrieben: Fun and Games). Nun gilt es jeder gegen jeden – nur die hilflos liebenswürdige Honey tut da nicht mit, wird aber dennoch hineingezogen. Es geht darum, den anderen zu demütigen, zu vernichten. Um ihn zur Weißglut zu reizen, fickt Martha ganz ungeniert vor Georges Augen mit Nick. Bibiana Beglau geht ja der Ruf voraus, dass sie ohne Wenn und Aber an die Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten geht. So auch in diesen Sexszenen. Aus Rache demontiert George das Lügengebäude, das sich beide aufgebaut haben: Er schreit ihr ins Gesicht, dass es keinen Sohn gibt, dass sie beide ihn nur erfunden haben. Diese Art von Lebenslüge nimmt man den beiden nicht ab, dazu wirken sie zu intelligent. Da gab es bessere Autoren, die dieses Thema zentral behandelten, z.B. Tennessee Williams.

Inzwischen sind auch Nick und Honey am Ende ihrer körperlichen und geistigen Kräfte und verlassen die Szene. Übrig bleibt ein Ehepaar, das sich die Masken vom Gesicht gerissen hat, dahinter ist nichts außer Leere, die mit Whisky gefüllt wird. Als Edward Albee in den späten 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts dieses Stück schrieb, waren Alkohol und Drogen das große Porblem. Heute sind es eher die Medikamentensucht und ganz andere Drogen -härtere als damals und weit lebensgefährlichere. Zu diesem Thema schrieben T.C. Boyle den Roman „Das Licht“ und Salman Rushdie „Quijotte“.

Alles spielt sich vor einer grellweißen Wand ab. Im Laufe des Abends verstärkt sich immer mehr der Eindruck, einer hochexplosiven psychiatrischen Sitzung in einer Klinik beizuwohnen. Wie sie in den 70er Jahren praktiziert wurden: Man schrie sich an, heulte, biss, kratzte, schlug zu. Trieb das Spiel wie einen exorzistischen Akt. Danach sollte – so dachte man – eine Art Läuterung, Katharsis eintreten. Die blieb allerdings an diesem Abend auf der Bühne und im Publikum aus. Man war froh, als die Hassaktionen zu Ende waren. Da die Akteure immer auf höchster Reizstufe agieren mussten, trat besonders im 2. Akt (Walpurgisnacht betitelt) eine gewisse Ermüdung ein. Andauernde Klimax ist weder im Leben noch auf der Bühne bekömmlich..

Der Applaus war freundlich, aber endenwollend. http://www.burgtheater.at

Stanislaw Moniuszko: Halka. Theater an der Wien

Was für ein Glücksfall! Eine Oper, in der die Musik, die Stimmen, die Inszenierung – einfach alles stimmt! Zu Recht jubelte das Publikum! Ein Abend, wie man ihn schon lange nicht mehr in Wien erlebte! Die Frage stellt sich: Warum bringt die Staatsoper so eine Inszenierung nicht auf die Wege?

Eine Koproduktion mit dem Warschauer Teatr Wielki.

Wenn sich ein Welttenor wie Piotr Beczala für dieses WErk einsetzt und noch dazu mitwirkt, dann greift das Theater an der Wien zu.

Mariusz Trelinski versetzt die Handlung in die Düsternis des Kommunismus der 1970 er Jahre. Statt der arroganten polnischen Adeligen lässt er Neureiche auftreten, wie sie überall in der WElt zu erleben sind. Man bereitet die Hochzeit zwischen Zofia (Natalia Kawalek), die Tochter des reichen Stolnik (Alexey Tikhomirov) mit Janusz (Tomasz Koniecny) vor. Doch Janusz hat ein Problem: Er hat dem Zimmermädchen Halka (Corinne Winters) eine Liebe vorgegaukelt und sie erwartet ein Kind. Das kann nicht gut ausgehen. Halka hört nicht auf den sie treu liebenden Jontek (Piotr Beczala in Bestform) und begeht Selbstmord.

Eine Dreigroschentragödie?! Vielleicht, aber sie geht ans Herz und an die Nieren. Moniuszko schrieb wunderbare Arien für die großen Rollen und herrliche Chorszenen, die vom Schönberg Chor mit Bravour eingelöst wurden.- Unter dem Dirigenten Lukasz Borowicz ließ das ORF Radio Symphonieorchester die Musik aufblühen, aber nie überborden.

Noch bis 31. Dezember 2019.

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Kathy Page: All unsere Jahre. Wagenbach Verlag

Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender.

Harrys Mutter kann sich glücklich schätzen: Ihr Mann schlägt sie nicht, ist freundlich. Aber ihr fehlt das Salz des Lebens – die Zärtlichkeit, die Überraschungen.

Harry wächst zu einem sensiblen Jungen heran. Sein Lehrer lässt ihn Gedichte auswendig lernen, macht ihn für die Schönheiten der Sprache empfänglich. Dann lernt Hyyry Evelyn kennen und ist sofort von ihr fasziniert. Sie werden ein Paar, heiraten mitten im (Zweiten) Weltkrieg. Er schreibt ihr von der Front seitenlange Sehnsuchtsbriefe, will sie nicht mit Kriegsgreueln belasten. Als er aus dem Krieg unversehrt zurückkommt, hat er nur eines im Sinn: Evelyn glücklich zu machen. Nie spricht er vom Krieg. Sondern von dem, was sie haben werden. Seinen beiden Töchtern ist er ebenso ein liebevoller Vater wie seiner Frau ein nimmermüder, Liebe spendender Ehemann. Aber Evelyn, die Nüchterne, will Äußeres: Ansehen, ein Haus, Garten – eben alles, was zum Mittelstand dazu gehört. Um all das zu realisieren, arbeitet er Stunden um Stunden, viele Überstunden in einem düsteren Büro. Lieber wäre er draußen in der Natur. Den Garten zu pflegen muss als Ersatz für seine Sehnsüchte genügen. Obwohl Evelyn im Laufe der Jahre immer herrischer und egoistischer wird, liebt er sie, sucht alle ihre Wünsche zu erfüllen. Als er an Demenz erkrankt, schiebt sie ihn ins Altersheim ab. Als sie unerwartet stirbt, flüchtet er ins Vergessen und träumt sich zurück in eine Zeit mit ihr, als sie miteinander glücklich waren.

Die Inhaltsangabe liest sich wie ein Dreigroschenroman. Aber Kathy Page gelingt es, das Alltägliche mit Poesie einzuhüllen und zu einem wundervollen Roman über die Liebe zu formen. Jenseits aller Klischees.

Zwar gibt es so einen Mann/Ehemann wie Harry einer ist, in der Realität kaum. Den müsste man einrahmen! Aber nehmen wir ihn als Figur ernst: Weil Harry bedingungslos liebt, kann er all die Bedrängnisse des Alltags ausblenden, sie zu Wunscherfüllungen umformen. Doch trotz der bedingungslosen Liebe steigt dennoch in ihm die Frage auf: Was waren all die Jahre? Wozu diese endlosen Tage im Büro vergeudet? Für Ziele, die nicht wirklich die seinen waren. Und im Leser steigt die Frage auf: Kann bedingungslose Liebe den anderen glücklich machen? – Die Antwort: eher nur den Liebenden, nicht den, der sich geliebt fühlt. Allzu schnell wird Evelyn vom Alltag und den täglichen Begehrlichkeiten, die es zu erfüllen gilt, überschwemmt. Obwohl sich beide in der Zeit ihrer jungen Liebe schworen, den Alltag nie bestimmend werden zu lassen.

Kathy Page ist eine lebenserfahrene Frau, weiß Charaktere wunderbar zu zeichnen, gerät nie in die Nähe von Klischees oder Kitsch. Am besten, man genießt diesen Roman als das was er ist: Ein Bekenntnis zur Liebe.

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Aus dem Englischen von Catherine Hornung und Dieter Fuchs

Es ist schon ein denkwürdiger Zufall, dass ich ausgerechnet am 12. Dezember 2019, am Tag, an dem die Briten wählen und sich alles über den Brexit entscheidet, das Buch zu Ende gelesen habe.

Es ist eine heitere, bittere, leicht ironische Geschichte über die diversen Gründe, wie es zum Ruf nach dem Austritt aus der EU kam. Jonathan Coe wählt seine Figuren aus der Mittelschicht: Journalisten, Schriftsteller, Universitätsprofessoren – alle gut situiert und etwa 40 und älter – und deren erwachsenen Kinder. Der Titel „Middle England“ steht für die Midlands, eine Region der Gegensätze: Einserseits Städte mit Ex-Industriewüsten wie etwa Grimbsby, ehemals größter Fischereihafen der Welt, heute eine vor sich hin rottende Stadt. Neben den Industrieruinen liebliche Landschaften mit Agrarland. Das Image der Midlands ist angeschlagen – hier wohnen die meisten Brexitbewohner. Die vielen aus der EU eingereisten und längst eingebürgerten Bewohner wurden seit der Krise 2008-2010 beschuldigt, an den wirtschftlichen Problemen schuld zu sein. Argument: Es sind zu viele, sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Daher her mit dem Brexit. Die Ironie dabei ist: Die Midlands werden am meisten unter dem Brexit leiden.

Die erste Hälfte des Romans füllen Zustandsbeschreibungen von typisch englischen Orten, wie Clubs, Häuser, Landschaften, in denen der Autor seine Figuren ansiedelt. Beschreibungen sind ja en vogue in der Literatur der Gegenwart. Englandfans mögen die oft über eine Seite und mehr gehenden Beschreibungen entzücken. Wer sich nicht dazu zählt, wird sich sehr rasch langweilen.

Ab der Hälfte kommt die Geschichte in Fahrt, die Protagonisten Farbe. Motive für den Austritt aus der EU werden mit Personen verknüpft, denen ein eher unkritisches Verhalten zugeschrieben wird. Geschickt schildert Jonathan Coe den feinen Riss, der unmerklich durch die Gesellschaft geht, sie in Brexitbefürworter und -gegner spaltet.Motivationen, für den Brexit zu stimmen, werden angedeutet: Angst, dass Ausländer Jobs wegnehmen, Aversion im allgemeinen gegen die EU – man will sich nichts vorschreiben lassen…alles überaus bekannte Vorbehalte. Am Ende lässt der Autor den Schriftsteller und dessen Schwester nach Südfrankreich auswandern. Sie eröffnen dort eine „Schreibwerkstatt“. Ob das ohne Kentnisse der Landessprache funktionieren wird, ist mehr als fraglich. Ein sympathisch unpathetischer, leicht ironischer Schluss.

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Johann Nestroy: Einen Jux will er sich machen. Theater in der Josefstadt.

Endlich! Endlich! Ein Nestroy, der klug und doch nicht übergscheit inszeniert ist. Will sagen, dass der Regisseur Stephan Müller, dem das Theater in der Josefstadt zuletzt die spannende Inszenierung vom „Besuch der alten Dame“ verdankt, auch diesmal mit seiner unverkennbaren Handschrift das Stück geprägt hat:

Gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Sophie Lux und den Kostümen von Birgit Hutter schuf er ein für Nestroy untypisches Ambiente: Zunächst rennen die Figuren gegen ihre eigene Wand, nur hin und wieder tut sich ein Fensterchen auf. Bis sie dann in die „weite WElt“ der Stadt kommen, wo sich das Abenteuer auftut und die Welt plötzlich offen und die Kostüme der Damen hell und bunt werden. Vor allem aber erarbeitet Stephan Müller gemeinsam mit der Choreographin Daniela Mühlbauer ein Bewegungskonzept, das den Witz und die Ironie, die den Nestroyschen Figuren innewohnt, betont: Die Frauen bewegen sich wie Puppen, gelenkt von starren Benimmregeln. Die Männer locker, allzu sicher ihrer selbst, sich an Beweglichkeit überbietend, wenn es darum geht, Geld zu scheffeln, andere übers Ohr zu hauen.

Was das Ensemble vor allem kann: sprechen! Das ist am Theater von heute nicht mehr selbstverständlich. Schon gar nicht, Nestroy sprechen! Denn die philosophischen Sprudelein eines Weinberl muss man erst einmal sprachlich bewältigen. Und Johannes Krisch – neu an der Josefstadt – ist nicht nur ein wortgewandter, sondern auch ein „körpergewandter“ Nestroy-Weinberl. Wie er jedes Wort mit Gesten, Sprüngen oder Körperdrehungen zu untersteichen weiß, das muss ihm einemal erst einer nachmachen! Dass die der aktuellen Politik angepassten Couplets, die ihm von Thomas Artz verordnet werden, nicht gerade geistsprühend sind, dafür kann er nichts!

Sein Gegenspieler ist Zangler, ein Krämer, wie er im Nestroy-Büchl steht: Mit Robert Joseph Bartl eine Idealbesetzung: Groß, schwer, mit zusätzlichen Fettpölstern ausgestattet, überragt er alle. Die Rolle des dummen Onkels, der von seinem Mündel an der Nase herumgeführt wird, ist ihm auf den Leib geschrieben. Als optisches Gegengewicht zu dem dürren Weinberl – perfekt.

Damen dürfen auch mitspielen – und wie! Das Duo Madame Knorr (köstlich Martina Stilp) und ihre Freundin Frau von Fischer (ebenso hinterlistig und frivol wie Madame Knorr: Alexandra Krismer) sind unschlagbar in ihren grellbunten Kleidern. Bei Erregung und Bedarf kann der Reifrock hochgezogen werden und den Blick auf näckische Rüschenunterwäsche freigeben. Selbst die Nebenrollen sind brillant besetzt, etwa Elfriede Schüsseleder als Frau Gertrud oder dieselbe als Fräulein von Blumenblatt.

Fazit: Ein Theaterabend, den man genießen kann. Ein Labsal nach einigen eher qualvoll erlebten Inszenierungen, die der neue Burgdirektor uns beschert.

Ein Tipp: Über die Aktualität des Stückes liest man Erhellendes im Programm! Hier ist Klartext geschrieben.

http://www.josefstadt.org