Daniel Kehlmann, Lichtspiel. Rowohlt

Warum ausgerechnet ein Roman über G.W.Pabst? Er war ein Gigant der Stummfilmzeit, einer der ganz Großen, an den sich aber heute kaum jemand mehr erinnert – außer Kenner der Stummfilmzeit. Aber wenn Daniel Kehlmann diese Figur ins Zentrum eines 450 Seiten starken Romans stellt, dann hat er gute Gründe. Die zu entdecken ist für den Leser nicht immer einfach.

Die ersten 80 bis 100 Seiten wirken wie ein schnell hingeschriebenes Filmskript: Personen wechseln im raschen Schnitt, kaum erkennbar. Pabst in Hollywood: niemand kümmert sich mehr um den einst Großen Pabst, er ist frustriert und will nur eines: Filme machen, und zwar gute, herausragende. Längst sind seine Erfolgsfilme wie „Die freudlose Gasse“ (mit Greta Garbo und Wener Krauß, 1929 in Deutschland) vergessen. Ein alarmierender Brief seiner Mutter ruft ihn und seine Frau Trude 1939 von Hollywood nach Österreich zurück. Ab diesem Abschnitt beginnt der Roman Fahrt aufzunehmen, man glaubt zu verstehen, was Kehlmann in dieser Figur eines naiven, zum Bleiben gezwungenen „Rückkehrers“ aufzeigen wollte: Österreich hat sich dem Hitlerdeutschland angeschlossen. Der Nazionalsozialismus blüht und gedeiht. Im eigenen Haus (Schloss in der Steiermark) wird die Familie Pabst bespitzelt. Doch er scheint von der politischen Lage unbeeindruckt zu sein – er will nur Filme drehen- Und er lässt sich in als Galionsfigur vor das Hitlersche Propagandasystem spannen. An diesem Punkt bleibt Kehlmann der Figur einiges schuldig: Aus demr Drang, künstlerische Filme zu machen, scheint Pabst blind für die das politische Geschehen um ihn herum zu sein. Die Frage, ob Kunstauftrag oder der Wille, sich künstlerisch zu verwirklichen, die Kompromisse rechtfertigen. die ein unter den Nazis arbeitender Künstler eingehen muss, bleibt unbeantwortet, besser gesagt: unbewertet. Vielleicht stellt Kehlmann die Frage an den Protagonisten überhaupt nicht – aus dem einfachen Grund, keinen moralisierenden Roman schreiben zu wollen. Er überlässt das Urteil darüber dem Leser. Am Ende des Romans ist die Antwort nicht eindeutig klar. So viel Blindheit glaubt man der Hauptfigur – und daher dem Autor – nicht. Dennoch ist der Roman lesenswert, spannend geschrieben, wenn auch durch häufige Wechsel der Erzählperspektiven manchmal ärgerlich modisch.

www.rowohlt.de

Wiener Staatsballett an der Volksoper: „the moon wears a white shirt“ Drei Choreographien

Titelfoto: „Ligeti essays“ Ensemble

Drittes Klavierkonzert von Alfred Schnittke, Choreographie Martin Schläpfer. Musikalische Leitung aller drei Werke: Christoph Altstaedt

©Ashley Taylor. Mila Schmitt und Gabriele Aime

Fast könnte man sagen: Eine typische Schläpferchoreographie. Es sind die vertrauten Bewegungen mit neuer Musik und neuem Kontext: Mila Schmitt tanzt, wenn man so will, eine Frau auf der Suche nach Beziehungen, Begegnungen. Sie ist eine sensible Sucherin, tanzt wie eine Feder durch den Raum, schwerelos. Begegnungen können harmonisch sein, aber auch unerträglich – so steigt sie auf den Rücken ihres Partners, vorsichtig, aber besitzergreifend und stülpt ihm dann einen schwarzen Schleier über. Völlige Vereinnahmung? Alles ist nach vielen Richtungen deutbar: Kampf der Geschlechter, Annäherung, Abstoßung. Wundervoll getanzt von Mila Schmitt und Gabriele Aime und dem Ensemble der Volksoper.

Musik György Ligeti: „ligeti essays“. Choreographie: Karole Armitage. Gesang: Stephanie Maitland, Annelie Sophie Müller, Birgid Steinberger

©Ashley Taylor: ligeti essays. Ballettensemble Volksoper

Temperatur und Temperamentänderung nach der Pause. Karole Armitage ist eine aufmüpfige Choreographin, sie nennt sich auch gerne „Punkballerina“. Ihr Credo: Tanz in allen möglichen Erscheinungsformen. Eleganz ist gestern, Muskel und durchtrainierter Körper sind gefragt. Die Musikauswahl passt zu dieser temeramentvollen Lady: Ligeti vertonte ungarische Lieder, die ziemlich nach Da-Da klingen – der Text ist in deutscher Übersetzung im Programmheft nachzulesen. Lieder mit Pfeifen, Trommen und Schilfgeigen. Eines der Lieder ist nicht übersetzbar, andere beginnen etwa so: Kuli Stock schlägt Kuli geht geht etc. Der Anfang eines dieser Lieder lieferte auch den Titel des Ballettabends: Es tanzt der Mond im weißen Hemd. Stephanie Maitland, Annelie Sophie Müller und Birgit Steinberger sangen die Lieder im ungarischen Original, was noch einmal mehr zum Humor und Witz dieser Choreographie beitrug. Es tanzten mit Verve und Körpereinsatz, Witz und Humor: Tessa Magda,Olivia Poropat, Una Zubovic,Riccardo Franchi, Aleksandar Orlic, Francesco Scandroglio, Felipe Vieira. Schlagzeug und Blasinstrumente diversester Ausformungen kamen voll zum Einsatz. Fazit: Ligeti und Armitage sind eine congeniale Kombination!

„dandelion wine“ – Musik: Concerto für Violine und Orchester von Pietro Locatelli, Choreograpie: Paul Taylor.

©Ashley Taylor: Ballettensemble Volksoper

Mit der Übersetzung des Titels „Löwenzahnwein“ ist das Thema dieser Choreographie schon klar: Es geht um Frühling – daher die Kostüme von Santo Loquasto in Pastellfarben, der Hintergrund im strahlenen Blau. Die Tänzer werden zu Kinder, die spielerisch den Frühling begrüßen: Reigentanz, angedeuteter Cancan, alles frei und unbeschwert. Dazu geigt Vesna Stankovic virtuos auf. Der Gegensatz zur seelenschweren Choreographie Schläpfers ist sicher beabsichtigt.

Das Publikum bedankte sich nach jedem Stück mit begeistertem Applaus bei dem Tanzensemble, dem Dirigenten Christoph Altstaedt, Gesangsolisten und den Solisten des Orchesters. Ein gelungener Abend!

www.wiener-staatsballett.at/volksoper

Charles Lewinsky, Rauch und Schall. Diogenes

Ein literarisches Kleinod! Ein Tortenstück, das man gierig auf einen Sitz verschlingen möchte. Aber man weiß zu genießen und teilt sich die Stücke/Seiten ein. Nach 30, maximal 40 Seiten schlägt man das Buch zu, um am nächsten Tag auch noch in den Genuss dieser intelligenten Lektüre zu kommen. Und wenn man es zu Ende gelesen hat, dann ist man ein wenig traurig. Ein kluger, witziger Begleiter hat sich gerade verabschiedet.

Charles Lewinsky ist ein brillanter Erzähler. Wie ein Sprach-Gaukler schlüpft er in die Sprache der Goethe- und Weimarerzeit hinein, ohne alterzutümeln. Er kennt sich aus mit all den Hochwohlgeborenen und den nur Wohlgeborenen, die mit leeren Worthülsen, Eifersüchtelein und dummen Spielen den Tag verbringen. Lewinsky persifliert Sprache und Atmosphäre des Weimarer Hofes auf perfid-witzige Art. Goethe, der sehr Verehrte, bleibt da nicht ungeschoren. Im Gegenteil, auf ihn richtet Lewinsky sein ironisches Sprachlorgnon.

Der gute, allseits verehrte Goethe hat eine heftige Schreibhemmung. Um die zu beheben, ist er in die Schweiz gereist, um sich von der imposanten Berglandschaft inspirieren zu lassen. Aber leider bekam er von der anstrengenden Reise in den unbequemen Kutschen statt Inspirationen Furunkeln und Hämorrhoiden. So kehrt er mißmutig nach Weimar zurück. Christiane Vulpius, zu dieser Zeit (es muss wohl um 1779 gewesen sein, genaue Daten gibt Lewinsky nicht an, um nicht den Anschein einer Biografie zu erwecken) noch offiziell seine Haushälterin, inoffiziell seine Geliebte, bereitet ihm einen liebevollen Empfang. Sohn August ist etwa sieben Jahre alt.

Heimgekehrt zieht sich Goethe Tage um Tage in sein Schreibzimmer zurück, doch die Blätter bleiben leer. Christiane versucht alles – wirklich alles -, um ihn aufzuheitern, aber ohne Wirkung. Als ihn dann noch der Auftrag ereilt, für Herzogin Amaliens Geburtstag eine Weihespiel zu schreiben, beginnt sein Dilemma. Mehr sei hier nicht verraten. – Lesen und Genießen empfehle ich allen, die mit Goethe, Christiane Vulpius und Weimar ein wenig vertraut sind. An wem diese Zeit der klassischen Literatur vorbeigegangen ist, der wird sich schwer tun, die Anspielungen und die dahinter versteckte Ironie vollinhaltlich zu genießen.

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Theater an der Wien im Museumsquartier: Schwanda, der Dudelsackpfeifer

Musik: Jaromir Weinberger, Libretto: Milos Kares, Deutsch von Max Brod. Musikalische Leitung: Peter Popelka. Inszenierung: Tobias Kratzer, Bühne und Kostüm: Rainer Sellmaier, Video: Jonas Dahl und Manuel Braun

Es ist schon ein Kreuz mit den verschiedenen Bearbeitungen des Librettos. Ursprünglich war Schwanda ein Dudelsackpfeifer aus den böhmischen Landen, der den Menschen mit seiner Musik Fröhlichkeit bescherte. Weinberger und Kares verknüpften diese Legende mit der Geschichte vom Räuber Babinsky und brachten die „Volksoper“ 1927 mit Erfolg zur Uraufführung. Das Werk sollte in Zeiten des aufkommenden Nationalismus auf die Werte der Tradition hinweisen. Max Brod übersetzte das Libretto nicht eins zu eins, sondern tilgte alle Anspielungen auf tschechische Tradition und machte aus Schwanda, dessen Frau Dorota und Babinsky eine Dreiecksbeziehung. Die jetzige Inszenierung leiht sich dazu noch Ideen aus Schnitzlers „Traumnovelle“, so dass das ganze Werk nun eine nicht immer gelungene Mischung aus vielen Motiven ist, die zu entschlüsseln das Publikum ohne Hilfe nicht imstande ist. Deshalb auch die lange und sehr ausführliche Einführung vor der Aufführung. Doch sollte Theater, Musik an sich nicht ohne Erklärungen funktionieren? Vielleicht hat man zu viel gewollt…

Es beginnt mit einer langen Ouvertüre, in der noch gar nichts passiert. Die Musik ist heftig und verspricht Dramatik, neue Horizonte. Doch dann öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick auf eine stincknormale Wohnung mit breitem Bett frei. Dort arbeiten sich gerade Schwandas Frau Dorota und der böse (Räuber?) Babinsky in heftigen Kopulationen aneinander ab. Dann tritt Schwanda ein—und: wirft den Rivalen nicht hinaus, sondern lädt ihn auf eine Pizza ein. Gut, dass alle drei ganz fantastische Sänger und Schauspieler sind, so übersteht man diese skurrile Szenerie leichter. Da ist allen voran Andrè Schuen – er meistert die schwierige Aufgabe, einen tumben Tor, eine Art Parzival, den nichts berührt, darzustellen. Sein weicher, klangvoller Bariton passt bestens in diese Rollenschattierung, die er das ganze Stück über nicht verlieren wird. (Es ist anzunehmen, dass viele unter den Zuschauern – unter anderem auch ich – seinetwegen gekommen sind.) Pavel Breslik macht als Verführer nicht nur eine elegante Figur, sondern betört auch durch seinen vollen Tenorklang. Den Verführer nimmt man ihm ab, den bösen Räuber gar nicht. Am schwierigsten ist die Rolle der Dorota. Sie soll dem Charme Bablinskys erliegen und zugleich Schwanda ihre Liebe gestehen. Mit ihrem hellen Sopran, der durchaus auch in der Höhe sicher ist, gelingt Vera-Lotte Boecker das mühlos. Obwohl sie die meiste Zeit in einem Art Baby Doll auf der Bühne herumläuft, kann sie in dieser Rolle überzeugen. Dann wirds komisch-tragisch und ganz und gar unlogisch. Nach einer langen Videofahrt durch Wien – vorbei an Liebedienerinnen und Pratersensationen – landet Schwanda bei einer gefühlsmäßig eingefrorenen Lady (Ester Palù) – sie soll wohl an die unbekannte Schöne aus Schnitzlers „Traumnovelle“ erinnern. Ein wenig zu vordergründig und fast ungeschickt verführt sie den armen Schwanda – der eigenltich gar nicht will. Dann wird es ganz wild: Dem armen Schanda droht der Tod mit dem Schwert. Henker ist einer der Mönche in roter Kutte und Maske (Traumnovelle). Dorota stürzt herein, fleht um Schwandas Leben, nützt nichts, aber Babitzky ist der Erlöser. Ein Erlöser in die Hölle, wo geilster Sex angesagt ist – das Video lässt keine Wünsche an Deutlichkeit offen – aber auch da zaubert Babinsky Schwanda heraus. Ende gut? Noch nicht ganz -vorher gesteht Babinsky Dorota im trauten Schlafzimmer seine Liebe. Doch sie entscheidet sich für Schwanda.

Fazit: Flotte Musik, alles drin: Walzer, Volksmusik, schrille Neutönende, gut gespielt von den Wiener Symphonikern und temperamentvoll dirigiert. Etwas chaotische Handlung, aber das ist man ja bei Opern gewöhnt. Tolle Sänger!

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Wiener Staatsoper: György Ligeti: Le Grand Macabre.

Text: Michael Meschke und György Ligeti nach Michel de Ghelderode

Musikalische Leitung Pablo Heras-Casado, Inszenierung und Bühne Jan Lauwers, Kostüme Lot Lemm, Choreographie Paul Blackman und Jan Lawers

Es passte alles zusammen: Direktor Bogdan Roscic hatte sich vertraglich verpflichtet, auch Klassiker des 20. Jahrhunderts zu spielen. Der 100. Geburtstag des Komponisten G. Ligeti war ein geeigneter Anlass, diese Pflicht zu erfüllen.. Mit „Le Grand Macabre“ hätte man keinen besseren Griff machen können. Ebenso wenig mit dem Winningteam Heras-Casado, Jan Lauwers, Lot Lemm und dem Choreographen Blackman gemeinsam mit Lawers. Allesamt erfahrene Theatermacher. Und so kam es, dass eine Oper des 20. Jahrhunderts ein Riesenerfolg wurde. Publikum und Kritiker waren begeistert – ein seltener Fall von Einmütigkeit.

Autohupen eröffnen den Abend und stimmen das Publikum auf Unerhörtes, noch nie Gehörtes und noch nie Gesehenes ein. Mit einem Bühenbild – Ausschnitte aus dem „Breughelland“ -, Tänzern in „Nacktkostümen“ hat man genug zu tun, alles zu erfassen – da wird gehüpft, gevögelt, geschlemmt, was das Zeug hält – alles aufgelöst in choreografische Kleinszenen, die nie auch nur die Spur von Ordinärem haben. Ein Kunststück sondergleichen. Wir sind in einem Schlaraffenland, wo alles erlaubt ist. Die Musik karikiert das Geschehen, nimmt dem Obszönen das Geile und formt es zu einer „Commedia dell`Arte“ um. Unterhaltsam wie die Musik sind die Einzelszenen: Da wird nicht angeklagt, nicht angespielt auf Aktuelles, sondern nur einfach das Leben in allen Facetten genossen – wie der Säufer Piet vom Fass ( sehr überzeugend Gerhard Siegel) verkündet. Wer nicht als Mann spurt – dem droht die Peitsche: Marina Prudenskaya ist eine urkomische Mescalina, fordert von ihrem Gespons Astradamus mehr sexuellen Einsatz – Wolfgang Bankl darf gehörig unter ihr leiden. Überhaupt ist Venus gefragt (toll in der Doppelrolle als Venus und Chef der Gepopo: Sarah Aristidou). Mitten in diesem heftigem Treiben taucht der allen unbekannte Nekrotzar auf – eine gesangliche und darstellerische Sonderleistung von Georg Nigl. Er stellt sich vor als der Tod! Durch den Sturz des Kometen sollen Erde und Menschen vernichtet werden – das hat schon bei Nestroy nicht geklappt, und heute noch weniger: Alle fürchten sich, jammern, aber – kein Tod, kein Komet, denn Nekrotzar hat sich zu Tode gesoffen – „consummatum.est“ – heißt es, als er verendet. Dass die Wiener den Tod durch Gesang und Wein vertreiben, das ist Standard. Was Ligeti daraus macht – ist einfach die Parodie auf die Parodie mal drei!! Eine ganz zwielichtige Rolle spielt der Pseudofürst Go-Go (eindrucksvoll der Countertenor Andrew Watts). Seine Herrschaft steht auf wackligen Papierbeinen, wie seine Krone auch.

Ein Wirrwarrbild, das sich immer wieder auflöst, neu bildet – das Publikum ist vollauf beschäftigt. Langeweile – keine Sekunde. Höchstens ein ganz kleines Bisschen nach dem Tod des Todes. Das wäre ein passender Schluss, doch es geht noch weiter. Denn man will ja zeigen, das man den Tod nicht fürchtet. Das allerdings hat das Publikum schon begiffen. Das altbekannte Wiener Motto leitet den Schluss ein: „Fürchtet den Tod nicht, irgendwann kommt er, doch nicht heut.“ und „Wir haben Durst, also leben wir“ singt Piet vom Fass. Wie zur Bestätigung, dass auch Sex und Erotik nicht vertrocknen, singen die beiden Verliebten Amanda und Amando (Maria Nazarowa und Isabel Signoret) von ihrem Liebesglück. Unter heftigem Geschmuse und einer furiosen musikalischen Feier des Lebens geht ein machtvoller Abend mit hintergründiger Musik und vielen ebensolchen Anspielungen zu Ende. Ein Extraapplaus galt dem Dirigenten Heras-Casado, der mit den Sängern mitatmete, die Musik nie über die Sänger triumphieren ließ.

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Theater Scala: Ödön von Horvath, Figaro lässt sich scheiden

Regie und Bühne: Rüdiger Hentzschel, Kostüm: Anna Pollack

Horvath schrieb das Stück 1936-37, zu einer Zeit , als es politisch in Deutschland und Österreich drunter und drüber ging und der Nationalsozialismus sich rasch ausbreitete. Der Autor bedient sich des altbekannten Personals von Beaumarchais (Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit) und Mozart (Le nozze di Figaro) und lässt Graf Almaviva, die Gräfin, Susanna und Figaro gemeinsam vor der Französischen (?) Revolution ins Ausland fliehen. Wie in einem Lehrstück von Bert Brecht werden die einzelnen Szenen einer Flucht und ihre Folgen im ersten Teil gezeigt: Die von Angst Getriebenen, die bestechlichen Grenzbeamten, das Ankommen und die Hilflosigkeit der Emigranten – dieser Begriff wird deutlich an- und ausgespielt -, die erste Orientierung im unbekanten Neuland. Jede Szene und die einzelnen Personen stellen eine für Flucht und Vertreibung allgemein gültige Aussage dar: Der Graf, der sich nicht mit dem Verlust seiner Stellung abfinden kann, die Gräfin, die aus Angst krank wird. Susanne, die aus Menschlichkeit hilft, Figaro, der sich mit seinem Mundwerk und seiner angeborenen Schlauheit durchschlägt, dabei aber sich von Susanne entfremdet. Sie alle wirken wie Versatzstücke, die mit minimalen Variationen typisch in jeder Geschichte über Flucht und Emigration vorkommen könnten.Um diese Szenen rasch aufeinander folgen zu lassen, entwarf Rüdiger Hentzschel eine kreisrunde Bühnenwand mit beweglichen Segmenten. So konnten Requisiten in Windeseile von den Schauspielern herein- und weggetragen werden. Der Effekt: Das Leben besteht aus Hetzjagd und Angst.

Im zweiten Teil werden die Schicksale individueller, der Gang der Handlung ruhiger und an einem Ort verhaftet: Alle – bis auf die inzwischen verstorbene Gräfin – treffen sich im Schloss des Grafen in ihrer alten Heimat wieder. Dort hat sich die Revolution breit gemacht: Aus dem Schloss wurde ein Kinderheim unter der Leitung des revolutionsgläubigen Pedrillo, ehemaliger Stallknecht des Grafen. Bald jedoch sind fast die alten Ordnungen wieder hergestellt: Figaro entmachtet den übereifrigen Revolutionär, der Graf bleibt Graf aber ohne Macht. Susanne verzeiht ihrem Figaro. Fazit: Die Revolution wurde humanisiert!

Warum dieses Stück selten bis gar nicht aufgeführt wurde, liegt wahrscheinlich an seiner etwas lehrhaften Trockenheit und dem unglaubwürdigen Schluss. Um so mehr gilt es zu bewundern, was der Regisseur Rüdiger Hentzschel und das spielfreudige und engagierte Ensemble daraus machten: Eine Komödie über menschliche Schwächen, Ängste und Machtspiele. Vor allem wurde jeglicher Anschein von „Demokratieerziehung“ vermieden, was die Zuschauer mit dankbarem Applaus quittierten. Wertfreies Theater, flott gespielt. Theater um Theater willen. Wer die Moral der Geschichte unbedingt finden will, der wird fündig, wird aber nicht direkt mit der Nase darauf gestoßen.

Es spielen: Dirk Warme, Monica Anna Cammerlander, Simon Brader, Lisa-Carolin Nemetz, Hendrik Winkler, Katharina Stadtmann, Stanislaus Dick, Ildiko Babos, Bernhardt Jammernegg, Christoph Prückner, Helfried Roll.

Vom 14. -30.11., jeweils Dienstag bis Samstag um 19.45h. Ab 9. Dezember 2023: „Play Strindberg“ (Strindberg-Dürrenmatt)

www.theaterzumfuerchten.at

Yavud Ekinci: Das ferne Dorf meiner Kindheit. Kunstmann Verlag

Aus dem Türkischen von Gerhard Meier

Yavud Ekinci ist ein engagierter türkischer Schriftsteller, der für die Rechte der Kurden vehement eintritt, was natürlich im Erdoganregime nicht unbeobachtet blieb. Zur Zeit lebt er in Deutschland. Sein Roman „Das ferne Dorf meiner Kindheit“ hat einen biografischen Hintergrund. Die Handlung umspannt fast ein Jahrhundert.

Im ersten Teil schildert er aus der Sicht des Kindes Rüstem das Aufwachsen in einem kurdischen Dorf irgendwo in den anatolischen Bergen. Seine kindliche Welt scheint zunächst unbedroht: Murmelspiele, die ersten verliebten Blicke auf ein Mädchen. Doch bald trübt sich die heitere Kindheit ein – drohende Wolken ziehen auf: In der Schule wird bei Prügelstrafe verboten, Kurdisch zu reden. Sein älterer Bruder hat sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen und wird von den Soldaten gesucht. Das Haus, in dem Rüstem mit seinen Großeltern und dem Vater wohnt – seine Mutter ist schon lange tot – wird von den Soldaten durchwühlt. Als der geliebte Großvater stirbt und alle Häuser des Dorfes von den Soldaten in Brand gesetzt werden, geht seine Kindheit jäh zu Ende.

Im zweiten Teil ist Rüstem ein junger Mann. Er besucht die kranke Großmutter im Spital in der Stadt. Dabei erzählt sie ihm aus ihrer Vergangenheit: Sie ist Armenierin, die durch Zwangsheirat vor dem Genozid „gerettet“ wurde. Ihren ersten Ehemann, den sie sehr geliebt hatte und mit dem sie nur 6 Monate verheiratet war, fand sie als von den Soldaten übel zugerichteten Leichnam. Nun ist es ihr einziger Wunsch, neben ihm begraben zu werden. Rüstem lädt gemeinsam mit seinem Vater den Sarg mit der Leiche seiner Großmutter auf einen Traktor. Sie fahren los, um sie an dem von ihr gewünschten Ort zu begraben. Doch sie werden von Soldaten aufgehalten, der Sarg wird zertrümmert, die Leiche mit Schüssen durchbohrt. Die beiden verbringen eine grauenvolle Nacht in einer engen Gefängniszelle gemeinsam mit der schon stinkenden und von Maden angefressenen Leiche. Am nächsten Morgen werden sie zwar freigelassen, aber die Leiche darf nicht begraben werden. Der Vater Rüstems sperrt sich mit ihr in seinem Zimmer ein und erhängt sich.

Yavud Ekinzi meinte in einem Interview, Literatur müsse immer politisch sein, grausam und hart. Aber ehrlich: Zu viel der sehr detaillierten Schilderungen diverser Leichen tut dem Roman nicht gut – angeekelt liest man darüber hinweg und ist fast erleichtert, als man am Ende angekommen ist. Die Bereitschaft, über das Schicksal der Kurden und der Armenier mehr zu erfahren, nimmt mit zunehmender Seitenanzahl ab.

www.kunstmann.de

Grafenegg stellt Saisonprogramm 2024 vor

Die Sommersaison in Grafenegg findet 2024 vom 20. Juli bis 8. September statt. Die Neuigkeit: Die Reitschule wird erweitert und 2026 unter dem neuen Namen Rudolf Buchbinder Saal“ eröffnet. Die traurige Nachricht: Yutaka Sado wird heuer zum letzten Mal die Festival-Eröffnung (16. August) dirigieren. Am Programm: George Gershwin und Arnold Schönberg. Er verlässt mit 2024 die Tonkünstler. Ihm folgt Fabien Gabel, der am 23. August das Abendkonzert dirigieren wird. Composer in Residence wird Enno Poppe sein. Er wird am 28. August sein neues Werk „Strom“ dirigieren.

Für Gäste, die Übernachtungsmöglichkeiten suchen, werden neben den schon bestehenden Hotels neu B&B in den umliegenden Kellergassen angeboten.

Das ganze Programm im Detail: www.granegg.com

Niccolò Ammaniti: Ich habe keine Angst. Eisele Verlag

Aus dem Italienischen sehr feinfühlig übersetzt von Ulrich Hartmann

Ammaniti ist Fans der italienischen Literatur längst ein Begriff.“Io non ho paura“ ist eines seiner frühen Bücher, das er wahrscheinlich in den späten 90ern schrieb. 2001 erschien es bei Mondadori und nun also in deutscher Fassung („Ich habe keine Angst“) im Eisele-Verlag.

Ein vier Häuser-Seelendorf , irgendwo im Süden Italiens, es könnte in der Toscana oder Apulien liegen. Aber die von Weizen bedeckten goldgelben Hügel lassen eher Sizilien vermuten. Auch die übergroße Armut, von der Ammaniti immer wieder spricht.

Ammaniti erzählt in der Ichform aus der Sicht des 9-jährigen Michele. Später erfährt man, dass es die Sicht und Erinnerung des Erzählers ist, der sich hin und wieder einschaltet. Was sofort beim ersten Lesen auffällt: Ammaniti schreibt aus der Seele des Kindes. In einer authentischen Sprache erleben wir die Zweifel, Ängste und Gewissensbisse des Buben. Ganz ohne Verkindlichung. Im Gegenteil – die Welt in dem Dorf ist hart. Hart die Erziehungsmethoden – die Mutter versohlt Michele ganz ordentlich, effektiver als ein Mann. Zugleich aber liebt sie ihn und verteidigt ihn mit Tritten und Fausthieben gegen jegliche Angriffe. Den Vater liebt Michele vielleicht noch mehr, wohl weil er nicht allzu oft zu Hause ist. Kehrt er von seinen langen Fahrten mit dem Lastwagen zurück, wird er stürmisch begrüßt, besonders von Maria, der um fünf Jahre jüngeren Schwester.

Obwohl Michele sich oft über sie ärgert, weil sie ihm wie ein Hündchen überall nachfolgt, beschützt er sie dennoch. So beginnt der Roman: Michele sorgt sich um Maria, als sie ihm irgendein Wehwechen vorjammert. Obwohl er weiß, dass sie nur Theater macht, klinkt er sich aus dem Spiel mit seinen Freunden aus, verliert auch den ersten Platz im Radwettfahren. Als Barbara, ebenfalls eine nicht gewollte Mitgespielin, vom Anführer Totenkopf dazu verurteilt wird, ihre Hose runterzulassen und ihre Vagina zu zeigen, macht Michele sich erbötig, an Stelle Barbaras die ausgedachte Strafe auf sich zu nehmen: Er muss auf den Hügel hinauf und in das verfallene Haus hineinklettern, in dem er und keiner von den Freunden noch je waren. Dabei fällt er in ein Erdloch, wo er einen zum Skelett abgemagerten Buben findet. Erschrocken will er fliehen, doch dann merkt er, dass das Skelett lebt, und schon regt sich in ihm sein Mitgefühl. Er verspricht ihm zu helfen.

Warum ich darüber so ausführlich schreibe? Weil schon in den ersten Seiten der Charakter Micheles klar wird: Gerechtigkeitssinn und Mitgefühl für andere sind stark ausgeprägt. Das Ende des spannenden Romans ist spiegelbildich zum Anfang komponiert: Er wird unter hohem Risiko diesen Jungen vor dem Tod retten.

Wunderbar baut Ammaniti die Handlung in die Landschaft und das Wettergeschehen ein. „Alles war mit Korn bedeckt. Die niedrigen Hügel folgten aufeinander wie Wellen eines goldenen Ozeans. Bis zum Horizont nur Korn, Himmel, Grillen, Sonne und Hitze.“ (S 10) Das ist nicht die Sprache des Kindes, sondern die des Erzählers, der sich erinnert. Wie die beiden Sprachebenen fast unmerklich ineinander fließen, das ist große Sprachkunst. Die alles verbrennende Sonne raubt den Erwachsenen den Verstand, die Armut treibt sie in das Verbrechen – die Bewohner des Dorfes werden zu Entführern, um von den Eltern Lösegeld zu erpressen. Als die Sonne alle in die Häuser treibt, legt sich bleierne Stille über das Dorf. Doch ein Gewitter entlädt die Spannung – die Bewohner beschließen den im Loch gefangen gehaltenen Buben zu töten, weil die Aussicht auf Lösegeld gleich null ist.

Anfang der 70er bis in die 90er Jahre wurden in Italien Kinder reicher Eltern, namhafter Politiker gestohlen, um Geld zu erpressen. Diese Verbrechen gingen nicht immer zu Lasten der Brigate Rosse, sondern geschahen oft aus bitterster Armut heraus. Sardinien war damals trauriger Vorreiter in Sachen Entführung. Wohl aus diesen Erinnerungen heraus schrieb Ammaniti diesen Roman.

www.eisele-verlag.de

Theater in der Josefstadt: Frank Wedekind: Lulu

Elmar Goerden ist so etwas wie ein Hausregisseur im Theater in der Josefstadt. Man sah von ihm gute Inszenierungen, wie etwa „Kafka“, „Die Verdammten“ Radetzkymarsch“ oder auch „Die Ziege“. Doch manche gingen völlig daneben wie „Rosmersholm“, „Medea“ oder jüngst erst „Sommergäste“, wo er Joseph Lorenz zu einem stummen, spuckenden Geist degradierte.

Nun also inszenierte er „Lulu“. Im Untertitel steht: IN EINER BEARBEITUNG VON ELMAR GOERDEN. Eine Warnung für viele Theaterliebhaber! Oftmals ist der ursprüngliche Text nur ein Handout des Regisseurs, damit er seine oftmals cruden Ideen umsetzen kann. Was auch hier der Fall ist.

Um diese – die cruden Ideen -zu verstehen, ist es ratsam, eine Stunde vor Beginn in Ruhe das PROGRAMM durchzulesen. Dann ist man den wirren Einschüben nicht ganz so hilflos ausgeliefert. In einem Gespräch mit der Dramaturgin Jacqueline Benedikt äußert sich Goerden über seine Regiearbeit. Zusammegefasst meint er, das Stück könne heute so nicht mehr gespielt werden. Im Gespräch mit den Schauspielern sei ihm dies klar geworden. Und er fand, diese Gespräche seien erhellender als das Stück selbst. Deshalb habe er sie als „zweite Ebene“ in das Stück eingefügt. Den ursprünglichen Text Wedekinds verbannt er diskret in eine Ecke der Bühne, wo er unter Glassturz auf einer Säule wie ein Museumsstück aufgebahrt liegt! Hin und wieder weisen die Schauspieler auf Wedekinds Drama wie auf etwas ganz und gar Nebensächliches hin. Dem Publikum bleibt es überlassen zu entscheiden, was ist Wedekind, was Goerden. Keine leichte Aufgabe. Und im Endeffekt ziemlich langweilig und langwierig (fast 2 Stunden ohne Pause).

DIE BÜHNE (Ulf Stengl) besteht aus graublauene Schlangen, die an eine Arbeit aus einer digitalen Werkstatt erinnern. Wer mit dem Drama Wedekinds nicht vertraut ist, fängt damit nichts an. Die Schlangenlinien sollen wohl eine Anspielung an das Tier, die Schlange sein, als die der Autor im „Prolog zum Erdgeist“ Lulu auftreten lässt. Also Verführung und zugleich auch Verführte, wie ein von den Männern ihr zugedachter Name lautet: Eva.

Gleich zu Beginn tritt ein Schauspieler (Joseph Lorenz) an die Rampe und fordert den Regisseur auf, sich an den Text Wedekinds zu halten. Da könnte man noch an eine Satire auf das Regietheater denken. Aber weit gefehlt: Wedekind wird zum Museumstext degradiert, die Personen kommentieren, spielen – Goerden. Dank der guten Schauspielerriege, die der Nährboden der Josefstadt ist, gelingen einige Szenen recht gut, sind von eigenwilliger Komik.

JOHANNA MAHAFFY ist Lulu ohne großes Verführungspotential, eher eine Widerständlerin. Zerstörerin. Und das mit allen Mitteln – sie manipuliert alle, ist doch immer Opfer. Aber sie berührt nicht. Vielleicht will das weder sie noch der Regisseur.

JOSEPH LORENZ überzeugt als Dr. Schön – ein Eiskalter, der glaubt, die Fäden in der Hand zu haben. Aber er glaubt eben nur. Als Chevalier Casti-Piani gibt er dieser schillernden Figur Facetten.

MICHAEL KÖNIG ist vielseitig gefordert – als spießbürgerlicher Ehemann Dr. Goll, als schmieriger Schigolch und als angeberischer Rodrigo. Seine komödiantische Ader lockert das Stück angenehm auf.

MARTIN NIEDERMAIR muss sich mit den unangenehmsten Rollen herumschlagen: Als verliebter Maler Schwarz, großartig als Alwa Schön und belanglos als Dr. Hilti.

Großartig SUSA MEYER als Gräfin Geschwitz. Diese Rolle kann leicht peinlich werden. Sie entgeht dieser Gefahr und spielt die in Lulu verliebte Lesbierin trocken, ganz ohne Pathos.

Dank des großartigen Schauspielerensembles war der Abend erträglich. Freundlicher Applaus und unfreundliche Kommentare nach dem – von allen ersehnten – Ende.

www.josefstadt.org

Serena Dandini, Die Frau in Hitlers Badewanne

Aus dem Italienischen von Franziska Kristen. btb

Was für eine vertane Chance! Eine interessante Frau mit einem aufregenden Leben hätte eine tolle Biografie oder einen ebensolchen Roman verdient. Aber das Buch ist weder noch. Durch Zeitsprünge und langweilige Anhäufungen von Namen, von denen bis auf Man Ray, Picasso, Breton und Max Ernst die anderen ziemlich unbekannt sind, verliert das Buch an Spannung. Außerdem spricht mitten im Text die Autorin über ihre Gefühle, wenn sie die Fotos ihrer Protagonistin ansieht. Was völlig deplaziert wirkt und ebenfalls den Lesefluss stört. Wenn sie die Protagonistin immer mit dem Attribut „die schönste Frau der Welt“ oder Ähnlichem versieht, so wirkt das aufgesetzt und ein wenig einfältig. Warum gibt es kein einziges Foto von Lee Miller? Eine Biografie über eine Fotografin ohne Fotos!?

Lee Miller ist die Frau in Hitllers Badewanne. Auf dem Cover ist eine Frau zu sehen, die in einer Badewanne sitzt und sich dabei selbst fotografiert. Sie ist auf ihrer Fotorecherche durch die Gräuel des Nachkriegsdeutschland und der Konzentrationslager am Ende in der Wohnung Hitlers gelandet und fragt sich entsetzt und verstört, wie so ein Monster so bieder wohnen konnte. Wie um den Mythos Hitler zu zerstören, lässt sie sich in seiner Badewanne nackt fotografieren.

Der Roman/ die Biografie beginnt mit dieser Szene. Dann springt die Autorin in die Kindheit Lees zurück. Elizabeth „Lee“ Miller wurde 1907 in Poughkeepsie , USA geboren. Früh schon lernte sie für ihren Vater als Fotomodell zu posieren. Sehr jung wurde sie zu einem best bezahlten Fotomodell der Vogue. Sie genießt das Party- und flirrende Liebesleben, wechselt ihre Liebhaber, langweilt sich rasch, beschließt die Seite zu wechseln: Sie reist nach Paris und wird zunächst Assistentin, dann Partnerin und Liebhaberin von Man Rey. Von ihm lernt sie die Kunst der Fotografie. Wechselt Liebhaber ohne mit der Wimper zu zucken, heiratet einen reichen Ägypter, bei dem sie sich auch sehr bald langweilt. Wieder in Paris bewegt sie sich im Surrealistenkreis um Breton und fotografiert die Künstlerszene. Im 2. Weltkrieg ist sie eine der wenigen weiblichen Kriegsberichterstatterinnen. Man gewinnt mehr und mehr den Eindruck, dass Lee Miller ihr Leben verbrennt. Aus Langeweile. Die jedoch schlagartig nach den entsetzlichen Eindrücken in Dachau in tiefe Depressionen umschlägt. Ihre letzten Lebensjahre verbringt sie in England, heiratet Roland Penrose, bekommt einen Sohn. All dies lässt sie aber im Inneren kalt. „Der Schritt von der atemberaubenden, schönen Muse zur armen, alten Irre ist nicht allzugroß“ konstatiert die Autorin (S255) Lee Miller -Penrose stirbt 1977 an Krebs. Verhärmt und in tiefer Depression.

www.penguin.de/btb-Verlag

Daniel Gascón, Der Hipster von der traurigen Gestalt.

Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Verlag Antje Kunstmann

Enrique ist ein politischer Naivling. In Madrid zieht er gegen alle und alles, politisch links oder rechts los. Aber irgendwann hat er von all dem Gerede die Nase voll und zieht aufs Land, ins Dorf Canada in der Provinz Teruel. Er will, weil er brav das Buch von Molino, Das leere Spanien studiert hat, das Dorf wieder beleben. Der Hahn kräht, Kirchenglocken,Traktor und Motorpflug sind für ihn Musik der ländlichen Idylle. Seine Tante, die ihn wegen seiner für sie meist unverständlichen Rhetorik bewundert, melkt für das verwöhnte Stadtbubi, der natürlich kein Fleisch isst, täglich das Schaf. Denn Enrique trinkt nur Schafsmilch. Er fühlt sich rundum wohl und beschließt bald, den hinterwäldlerischen Bewohnern auf die Sprünge in die moderne Welt zu helfen. So gründet er unter anderem einen Workshop zur neuen Männlichkeit, zu dem allerdings alle Männer fernbleiben. Nur seine Tante und deren Freundin sind anwesend. Ein glatter Erfolg für Enrique! Ohne dass er es merkt, hebeln die Dorfbewohner ohne Bosheit , einfach, weil es sich so ergibt, all seine Bemühungen aus. Ja, mehr noch, er wird bald einer von Ihnen. Die Rettung des leeren Spaniens wird auf später verschoben. Als er dann noch zum Bürgermeister gewählt wird, ändert er zwar nichts im Dorf, seine hochfliegenden Pläne formuliert er weiterhin in der absurden Sprache der verdrehten Welt. Dennoch geht im Dorf was weiter, – ein Filmcrew meldet sich an. Bald geht es drunter und drüber und man weiß als Leser nicht mehr so recht, wer außer Enrique noch Don Quijote ist. Es scheint, dass der Don-Quijotismus per se erfolgreich ist.

Ein Schelmenroman, in dem alle Ideen unserer Gegenwart, wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, Feminismus und vieles mehr, mit viel Humor und geistreicher Ironie ad absurdum geführt werden.

www.kunstmann.de

Konzerthaus: Cleveland Orchestra, Simon Keenlyside, Franz Welser-Möst: Gustav Mahler, Lieder und 7. Symphonie

Sechs ausgewählte Lieder, Bearbeitung für Bariton und Orchester von Luciano Berio, interpretiert von Simon Keenlyside

Gustav Mahler wurde in dieser Woche hoch gefeiert: Die Tonkünstler spielten unter Yudaka Sado im Festspielhaus St. Pölten und im Musikverein die 6. Symphonie (s. den Beitrag dazu auf dieser Webseite).

Und nun also Gustav Mahler im Konzerthaus. Im ersten Teil faszinierte Simon Keenlyside als Liedinterpret. Die von Luciano Berio bearbeitete Fassung der 7 ausgewählten Lieder ist keine Neuinterpretation, sondern eine stärkere Betonung der expressionistischen Elemente . Für den Sänger keine leichte Aufgabe. Simon Keenlyside ist bekannt, dass er Lied oder Arie mit exzellenter Wortdeutichkeit und völlig akzentfrei singt, dabei spiegelt sich der Sinn des Liedes in seiner Körpersprache, Gestik und Mimik ebenso wider wie in seinem Gesang. Die 7 ausgewählten Lieder stammen aus der von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellten Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, von denen Mahler 24 vertonte. Sieben interpretierte Keenlyside an diesem Abend. Leicht und spielerisch brachte er die ersten beiden Lieder „Frühlingsmorgen“ und „Ablösung vom Sommer“ vor, die Tragik des Soldatenlebens in „Revelge“ lag dem Bariton besonders gut. Doch auch die feine, zarte Romantik im „Urlicht“, in dem bekannte Melodien, die für Mahler so markant sind, zitiert werden. Begeistern konnte er auch in den letzten beiden Liedern „Rheinlegendchen“ und „Hans und Grete“, die er mit dem für das Volkslied typischen Humor vorbrachte. Welser-Möst leitete das Cleveland Orchestra mit feiner Zurückhaltung. Für die ausgezeichnete Interpretation gab es ausführlichen Beifall.

Gustav Mahler, 7. Symphonie

Nach der Pause war es vorbei mit Zurückhaltung. Der volle Einsatz vom Orchester und Dirigenten war verlangt. Und Welser-Möst schonte weder sich noch das Orchester. Ähnlich wie in der 6. Symphonie komponierte Mahler die Untergangsstimmung dieser Zeit, nur legte er die Themen noch collagenhafter an. Die zu entwirren und zu einem klanglichen Ganzen zusammenzuführen, war die grandiose Misterleistung des Dirigenten und des Orchesters. Wie schon in der 6. verwendete Mahler auch in der 7. Herdenglocken, dazu noch Mandoline und Gitarre. Die Vielfalt der Themen zu strukturieren und in präziser Form zu spielen, die Steigerung und Spannung bis zum furiosen und nihilistischen Ende durchzuhalten, gelang Orchester und Dirigenten bis zum tosenden und tobenden Schluss.

Der Schlussapplaus brach orkanartig los und endete in standing ovations.

Anzumerken ist noch: Welser-Möst, der ja krankheitshalber alle Operntermine absagte, versprach alle Termine im Zyklus „Welser-Möst im Konzerthaus“ einzuhalten.

www.konzerthaus.at

Festspielhaus St. Pölten: Gustav Mahler, Symphonie Nr.6. Judaka Sado dirigiert die Tonkünstler.

Wenn Judaka Sado die Tonkünstler dirigiert, dann weiß man am Ende, Mahler noch nie so aufregend gehört zu haben.

Gustav Mahler gab der 6. Symphonie den Beinamen „Tragische“. Er komponierte sie im Sommer 1903/04, als die tragischen Ereignisse seines Lebens noch in der Ferne lagen. Es war wohl eine Art prophetische Ahnung, die allgemein herrschende Untergangsstimmung dürfte er gespürt haben. Als er 1906 die Uraufführung dirigierte, war das Publikum begeistert, die Kritiker weniger. Sie fassten ihr Urteil mit der Frage zusammen: Wozu der Lärm? (Zitat Ute van der Sanden, die vor Beginn die Einführung hielt)

Judaka Sado ist ein Dirigent, der aus dem „Lärm“ wundervolle Strukturen entstehen lässt. Gebannt hört man ihm zu, bewundert seinen körperlichen Totaleinsatz. Er ziseliert die Strukturen, lenkt die 112 Musiker mit Feingespür durch diese gewaltige Komposition. Anders als so manch selbstverliebter Dirigent, stellt er sich ganz in den Dienst des Komponisten, erarbeitet die musikalische Architektur dieses Monumentalwerkes klar heraus.

Im ersten Satz ertönt die von Mahler so gern eingesetzte Marschmusik, begleitet von einem schwungvollen Seitenthema und dem Klang der Herdenglocken, die für Mahler „Symbol für extremste Weltferne, Entrücktheit und Nähe zu Gott“ (Programmheft) sind. Sado führt die Musiker markig und draufgängerisch durch diesen 1. Satz bis zum pompösen Schluss. Spannung pur. Langeweile kommt keine Sekunde auf, schon gar nicht im nachfolgenden Scherzo. Hier arbeitet Sado die ironische Komponente deutlich heraus: betulich, „altväterisch“ – so Mahlers Angabe. Man darf schmunzeln. Überirdisch fein dirigiert er die Musiker durch das Andante. Man versinkt in der Romantik und möchte daraus nicht aufwachen. (Die Schwärmerei sei entschuldigt, aber so war es!). Im Finale glaubt man sich in die Filmmusik eines Thrillers versetzt: Das Unheil schleicht sich an, droht immer heftiger. Zwei Hammerschläge (ein riesiger Holzhammer wird auf eine Holzkiste gedonnert, genau nach Anweisung des Komponisten) verkünden das Unausweichliche, die Zerstörung triumphiert mit einem letzten Hammerschlag. Auch wenn aus der Ferne die Glocken erklingen – die Hoffnung hat keine Chance.

Als sich Yutako Sado vor dem begeisterten Publikum verbeugt, sieht man in seinem Gesicht die Spüren der Anspannung und Erschöpfung. Er schenkt sich und seinen Musikern nichts, verlangt das Äußerste. Das macht diesen Dirigenten zu einem der besten Mahlerinterpreten.

www.festspielhaus.at

Erika Schellenberger: Alles behalten für immer – Ruth Rilke. Verlag Ebersbach & Simon

Der Titel ist ein Zitat aus Rilkes neunter Elegie

Erika Schellenberg hat viel recherchiert, um Ruth Rilke, die Tochter des hochverehrten Dichters Rilke, zu Ehren kommen zu lassen. Sie hat es auch verdient. Denn bisher stand Ruth Rilke immer im übergroßen Schatten ihres Vaters. Wenige wussten überhaupt, dass Rilke eine Tochter hatte.

Rilke heiratete 1901 die Bildhauerin Clara Westhoff, die er im Jahre im Künstlerdorf Worpswede kennengelernt hatte. Ruth wurde im Dezember 1901 geboren. Aber schon bald verließ Rilke Ehefrau und Tochter, weil es ihn in der Welt herumtrieb. Der Kontakt zu seiner Familie blieb jedoch aufrecht. Immer wieder besuchte er Clara und Ruth, die nur wenige, aber ihr sehr kostbare Erinnerungen an ihren Vater hatte.

Das Archiv zu bewahren und zu ordnen wird Ruths Lebensaufgabe. Außerdem betreibt sie die Herausgabe der Rilkewerke in dem renommieren Inselverlag. Sie heiratet nach dem Tod ihres ersten Mannes Willy Fritzsche, der ihr bei der Renovierung des ehemaligen Atelierhauses ihrer Mutter hilft. Ruth wird sich bis zu ihrem Tod 1972 mit dem Nachlass ihres Vaters beschäftigen.

Dass die Autorin fleißig recherchiert hat, steht außer Zweifel. Leider erschweren Zeitsprünge den Lesefluss. Eine „klassische“ Biografie, die sich an den Lebensablauf hält, wäre erhellender gewesen!

www.ebersbach-simon.de

Volksoper Wien: Anatevka (Fiddler on the Roof)

Musik: Joseph Stein, Musik: Jerry Bock, Gesangstexte: Sheldon Hornick. Nach der Geschichte von Sholem Alejchem

Gute Musik und ein gescheites Buch sind alterslos. Dieses Musical ist seit der Uraufführung von 1964 in New York um kein Bisschen gealtert. Im Gegenteil – heute mehr denn je aktuell.

Unter der musikalischen Leitung von Freddie Tapner spielte das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper mit so viel Freude und Verve, dass man Mühe hatte, nicht vom Sessel aufzuspringen und mitzutanzen! Dazu ein Bühnenbild (Mathias Fischer-Dieskau), das das Publikum direkt in ein altes Dorf irgendwo in den Tiefen Russlands hineinversetzt: Häuser, die eher klapprigen Hütten gleichen, ein Straßendorf, das bis in den Horizont verläuft, wo sich ein wolkenverhangener Himmel öffnet. Manchmal scheint ein tröstliches Morgenrot das Dorf zu erhellen, manchmal ist dieses Rot ein Flammenzeichen der Gefahr. Die sensible Lichtregie von Frank Sobotta versetzt Menschen und Häuser in eine mystische, archaische Zeit, verstärkt wird dieser Eindruck durch das Geigenspiel des „Fiddler auf dem Dach“, Lukas Kusztrich. Wie ein Hüter des Dorfes spielt er auf den Dächern stehend, manchmal tröstlich, dann wieder Geheimnisvolles ankündigend.

Die Menschen in diesem Dorf Anatevka führen ein ärmliches, aber nicht unglückliches Leben. Die Tradition wird hoch gehalten, man feiert den Shabbat – diese Szene ist tief berührend -, fragt in schwierigen Situationen den Rabbi, der jedoch auch keine Lösung bereit hat. So wendet sich Tevje, der Milchmann, direkt an Gott mit seinen Fragen und Problemen. Dominique Horwitz ist ein Tevje, wie man sich ihn nicht besser vorstellen könnte: In seinem Gesicht, Stimme und Gestik zeichnet sich die Mühe des Lebens ab. Als drei seiner Töchter sich ihren Bräutigam ohne die Heiratsvermittlerin (großartig Martina Dorak) und ohne ihn um Erlaubnis zu fragen aussuchen und sich still und heimlich verloben, bricht für ihn im ersten Moment die Welt zusammen. Doch dann kommen seine Erwägungen – humorvoll: Einerseits, andrerseits – und letztlich versöhnt er sich mit diesen aufmüpfigen Töchtern und deren Verlobten. Jüdischer Humor glänzt immer wieder auf – zum Beispiel in der Traumszene: Tevje muss seiner Frau Golde – ganz ausgezeichnet von Regula Rosin gespielt und gesungen – klar machen, dass seine älteste Tochter Zeitel (stimmlich und darstellerisch gut: Anita Götz) nicht den reichen Fleischer (Marco di Sapia), sondern den armen Schneider Mottl (Oliver Liebl) heiraten wird.

Alle Darsteller, bis in die kleinsten Nebenrollen, sind stimmlich und darstellerisch gut besetzt. Nicht unerwähnt dürfen die Leistungen der Tänzer des Wiener Staatsballetts bleiben: Der Kasatschok und der Flaschentanz sind Glanzleistungen.

Dass das Musical heute mehr denn je aktuell ist, macht der Schluss deutlich: Ein Erlass des Zaren zwingt die Bewohner, binnen kurzer Zeit Haus und Heimat zu verlassen: „Heimat verlassen tut weh, sehr weh“ singt Tevje. „Ja, wir ziehen weg von hier, Gewalt vertreibt die einen, Gleichgültigkeit die anderen.“ Wer denkt da nicht an die jüngsten Ereignisse?

Und wieder einmal zeigt sich, dass eine kluge Regie, die ohne Schnick Schnack und modische Attitüden auskommt, erfolgreich ist. Das Publikum dankte dem Ensemble und dem Dirigenten mit viel Applaus und Bravorufen!

www.volksoper.at

Niccolò Ammaniti: Intimleben. Eiseleverlag

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

Zunächst einmal ein Kompliment an die Übersetzerin. Denn leicht zu übersetzen ist die „verfickte Intelligenzia- und Bourgoissprache“ nicht, die der Autor seinen Protagonisten zuschreibt. Da wird ordinärster „schicker“ Jargon angewendet, und an so manchen Stellen kommt auch die versierte Übersetzerin an ihre Grenzen. Denn Ammaniti beschreibt ausführlich das sexuelle Intimleben – es geht um zwei Pornofilme – und von dem ausgehend beleuchtet er das seelische Intimleben der Protagonistin. Klug und scharfsinnig, spannend geschrieben!

Maria Cristina gilt als die schönste Frau der Welt. Auf den Titel könnte sie gerne verzichten, wäre sie nicht Gattin und mediales Aushängeschild des italienschen Ministerpräsidenten. Als diese wird ihr Leben von ihrer medialen Wirkung bestimmt, und jeder Schritt und jedes Wort sorgfältig von einem Spindoctor geplant. Nun soll sie, was sie noch nie getan hat, ein Fernsehinterview geben – man hofft, dass dadurch die sinkenden UMfragewerte ihres Mannes steigen. Widerwillig nimmt sie an, und hat fortan nur mehr Angst davor. Unversehens begegnet sie einem Jugendfreund. Lebemann Nicola Sarti ist reich, besitzt mehrere Hotels. Sie hatten Jahre keinen Kontakt. Nun schickt er ihr Bilder aus dem Segelturn, den Nicola, Cristina und ihr Bruder gemeinsam in ihrer Jugend unternommen hatten. Dabei drehten Nicola und Cristina aus jugendlichem Übermut ein Pornovideo. Als er ihr dieses ebenfalls sendet, hat sie Angst, er könnte sie erpressen. Und es sieht auch alles danach aus. Mehr sei hier nicht verraten!

Ammaniti ist einer der erfolgreichsten Autoren Italiens. In diesem Roman entlarvt er das Leben der Reichen und Mächtigen, das von Intrigen und den Medien bestimmt ist. Wer sich diesem Imperialismus untwerwirft, verliert seine Seele, sein Intimleben. Durch die bewusst eingesetzte rohe Sprache charakterisiert er diese Gesellschaftsschicht sehr deutlich.

www.eisele-verlag.de

Susanne Wiborg, Der glückliche Horizont.

Untertitel: Was uns Landschaft bedeutet

Verlag Antje Kunstmann

In dem klugen Vorwort schreibt Susanne Wiborg: „Über Jahrhunderte blieb diese Verbindung (zwischen Mensch und Landschaft) eng und gut dokumentiert, erst mit dem Kulturbruch des Ersten Weltkrieges riss die Kontinuität ab. Plötzlich kamen Landschaft und Natur zugunsten des Urbanen aus der Mode.“ (S 8)

Erst der Tourismus, jetzt der Overtourismus, und die Gefährdung der Natur und Landschaft durch Umweltverschmutzung und Klimawandel rücken die Landschaft wieder in den Fokus der schreibenden Zunft. Man sieht die Gefährdung: die Landschaft dient als Verdienstvehikel – Berge werden mit Aufstiegshilfen zu Massenzielen, Wälder durch Bikes zu Rennstrecken etc..

Doch Susanne Wiborg ist zuversichtlich: Noch hat „die Landschaft ihre Seele nicht verloren“. In den literarischen Texten sucht sie nach Beweisen ihrer Zuversicht, zitiert Zuckmayers und vieler anderer Autoren Begeisterung für die Berge. Insgesamt ist das Buch ein umfassendes Zitatenwerk über alles, was Landschaft ausmacht: Berge, Fluss, Meer, Wiese, Wald, Heide.

Das Quellenverzeichnis am Ende ist ausführlich und hilfreich für alle, die nach brauchbaren Zitaten zum Thema Landschaft suchen.

www.kunstmann.de

Akademietheater: Serge nach dem Roman von Yasmina Reza

Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Bühnenfassung: Liliy Sykes und Andreas Karlaganis

Regie: Lily Sykes, Bühne: Marton Agh, Kostüme: Jelena Miletic

Wann wird es endlich wieder so, wie es unter Karin Bergmann war? Als noch Joachim Mayerhoff, Christiane von Poelnitz, Petra Morzé und viele andere spielten, die wir alle sehr vermissen. Als noch nicht jede Aufführung unter „Vernuschelung“ der Sprache litt, und noch nicht jede Aufführung unter ein moralisches Diktat gestellt wurde.

Die Folgen all dieser Absenzen erlebt man, wenn man zehn Minuten vor der Vorstellung den Zuschauerraum betritt – fast leer. Erst langsam füllt er sich mit Besuchern, die so schlau waren und ein Last Minute Ticket kauften – denn damit können sie sich die Sitzplätze ausssuchen. So füllten sich dann doch die vorderen Reihen.

Yasmina Reza hat mit „Kunst“ oder „Der Gott des Gemetzels“ hinlänglich bewiesen, dass sie eine tolle Dramatikerin ist, Gesellschaftskritik gekonnt in Satire festmachen kann. Dass sie „Serge“ als Roman schrieb, wird wohl seine Gründe haben. Jedenfalls: Die dramatisierte Fassung vergeigt das Hauptthema durch unnötige Gags. Und die schlampige Aussprache der Schauspieler, die entweder flüstern, schreien oder nuscheln, macht das Verstehen auch nicht einfacher. Worum es Reza in dem Roman ging, kann man im Programm nachlesen, in dem das Interview, das Iris Radisch für DIE ZEIT am 22. Jänner 2022 geführt hat, abgedruckt ist: Reza auf die Frage, ob es um das Verschwiegene in dieser Familie geht, das ans Tageslicht kommen sollte: „Kein bisschen. Solcherlei Themen, die Aufdeckung des Verborgenen, des Verdrängten, interessieren mich absolut nicht“. Und zur „Auschwitzkeule“, wie Martin Walser das aufoktruierte Gedenken nennt: “ Das ist eine Art und Weise, guten Geewissens die Geschichte zu glätten…Gedänkstätten werden errichtet, all das dient der Beruhigung… Ich halte es für eine gefährliche Illusion zu meinen, das Gedenken würde bessere Menschen hervorbringen.“

Was sieht man an diesem Abend? – Eine jüdische Familie trifft sich beim Begräbnis der Mutter. Drei Geschwister (Jean-Michael Maertens, Serge Roland Koch, Nana Alexandra Henkel) streiten, ob man quasi im Gedenken an das jüdische Erbe Auschwitz besuchen soll. Der Besuch wird zum Disaster und endet im totalen Chaos und Streit.

Am Ende der Aufführung wurde ich von einer Besucherin gefragt, ob ich verstanden hätte, worum es in dem Stück ging. Meine Antwort: Nein.

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Wiener Staatsoper: Ballett „Don Quixote“

Choreographie und Inszenierung: Rudolf Nurejew nach Marius Petipa.

Musikalische Leitung: Robert Reimer. Musik: Ludwig Minkus in der Bearbeitung von John Lanchbery

Foto: Liudmila Konovalova und Davide Dato als Kitri und Basil

Ein Abend der höchsten Perfektion. Man spürt und sieht immer noch Nurejews kritischen Blick und seine hohen Anforderungen an das gesamte Ensemble.

Was zu entdecken ist: Nurejew hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, den er gekonnt in Gesten und Figuren umzusetzen wusste und der vor allem sich in den Figuren Don Quixotes und Sancho Pansas manifestiert. Schon im Prolog in Don Quixotes Haus erfährt man: Dieser Don Quixote ist ein Träumer, der an der Realität vorbeilebt, aber dabei recht gut lebt. Er ruht in sich und seinen Träumen, auch wenn er von allen herumgestoßen und belächelt wird. Zsolt Török ist ein liebenswerter alter Don Quixote, der sich nach Jugend und Schönheit sehnt. Grandios die Traumszene, in der die Königin der Dryaden ihn iin ihr Reich einführt. Da schwebt Olga Esina, eingehüllt in weiße Schleier, wie ein überirdisches Wesen über die Bühne. Am Rande steht der Ritter und mit einer kleinen Geste drückt er seine Sehnsucht aus. Schon allein diese kaum fünf Minuten lange Szene ist es wert, das Ballett anzusehen. Die Dryaden und Kitri (Liudmila Konovalova) in der Figur der Dulcinea umtanzen ihn, ihm bleibt nur, seine Hände nach dem Unerreichbaren, seinem Ideal, auszustrecken. Er ist es, der das Ewiggleiche der perfekt getanzten Figuren und Sprünge lebendig werden lässt. Sein drolliger Begleiter ist Sancho Pansa, hervorragend getanzt von Francois- Eloi Lavignac.

Die Haupthandlung wird allerdings nicht von Don Quixote getragen, sondern von dem Liebespaar Kitri (Liudmila Konovalova)und Basil (Davide Dato). Vor allem Davide Dato muss das schwere, fast unerreichbare Erbe von Nurejew stemmen. Denn er wird an der Sprungkraft und Ausstrahlung dieses Tanzgenies gemessen. Er macht seine Sache gut, perfekt. Gemeinsam mit Liudmila Konovalova meistert er all die Sprünge und Figuren, für die Nurejew berühmt war, glänzt im Solo und im Pas de deux. Beide gehen an die Grenze der Leistungsfähigkeit, strahlend in ihrer Perfektion. Und das ist genau die Crux dieses Abends: Perfektion kann sich abnützen, wird als gegeben vorausgesetzt, Kommt da nicht das gewisse Quentchen an Faszination hinzu, wird es schnell langweilig. So sieht man leicht gelangweilt bei den einzelnen Gruppentänzen, Paartänzen und Soli zu – alles gut einstudiert, allein der Spannungsbogen hängt bald durch. Wäre da nicht die Musik von Minkus – perfekt von Robert Reimer dirigiert. Er betont den Humor und die Ironie, die in dieser Musik stecken- und zaubert so manches Lächeln im Publikum hervor.

Begeisterter und verdienter Applaus für das ganze Ensemble, Blumen für Konovalova und Dato!

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Volksoper Wien: Richard Strauss, Salome

Inszenierung: Luc Bondy, für die Salzburger Festspiele 1992. Neu inszeniert von seiner Witwe Marie-Louise Bischofberger-Bondy

Was für ein Abend! Endlich ein Opernabend, wie man ihn schon lange nicht mehr erlebte. Nach den vergeigten Inszenierungen der Salzburger Festspiele 2023 , wie die „Hochzeit des Figaro“ unter der fürchterlichen Hand von Kusej oder der „Falstaff“ unter der noch schrecklicheren Regie von Christoph Marthaler, durfte das opernaffine Publikum endlich wieder aufatmen und eine Operninszenierung genießen – ja „genießen“, bei der alles stimmte: Das Orchester, geführt von der kundigen Hand Omer Meir Wellbers, die Sänger und Sängerinnen auf höchstem Stimm- und Spielniveau.

Bondys Inszenierung ist feinsinnig, humorvoll ohne respektlos zu sein. Er schreibt durchaus seine eigene Interpretation dem Werk ein, verliert dabei nie den Blick auf das Wesentliche. Für ihn ist Salome das verwöhnte Girl einer reichen Familie, sie ist all des unsinnigen Geschwätzes und der unerträglichen Festgelage überdrüssig. So schleicht sie sich von der Tafel weg und hört den verstörenden Gesang eines Mannes aus der Tiefe eines Brunnens. Er singt von einem Gott, der da kommen wird. Der Gott interessiert sie wenig, der Mann, der da singt, umso mehr. Und so befiehlt sie, ihn aus seinem Brunnengefängnis frei zu lassen. Von dem Moment an erwacht in dem gelangweilten Mädchen die Sexualität, die Gier nach Körperlichkeit. Je mehr sich Jochanaan von ihr abwendet, desto mehr ist Salome fasziniert. Was? – ihr soll etwas verwehrt werden, was sie begehrt. – das gibt es nicht! Und so beginnt eine der spannendsten Szenen des Abends: Astrid Kessler singt und bezirzt den Mann mit allen Tricks eines jungen Mädchens, das gewöhnt ist zu bekommen, was sie begehrt – einen Kuss. Tommi Hakala stimmlich und körperlich ein eindrucksvolles Mannsbild, wendet sich angewidert ab – aber, und da merkt man die subtile Personenführung Bondys – doch nicht so ganz angewidert, wie er als Gottesmann sein sollte. Das Spiel zwischen den beiden wird dringlich, erotisch, musikalisch von Omer Weir Wellber mit Fingerspitzengefühl und punktgenau dirigiert -, bis es fast zur Annäherung kommt. Die Spannung ist spürbar zwischen den beiden, doch dann löst sich Jochanaan aus dem erotischen Bann und kehrt zurück ins sein Verlies.

Weil Bondy allen orientalischen Schnickschnack wegließ, kommt keine Langeweile auf – dafür sorgt die urkomische Figur des Herodes – von Wolfgang Ablinger Sperrhacke köstlich persifliert. Sein leichter S-Fehler macht ihn fast zu einer commedia dell´arte Figur. Er glaubt nicht wirklich an seine Macht, fürchtet sich recht naiv vor dem Propheten, den er da eingesperrt hat. Sein Motto: Sicher ist sicher, besser ihn am Leben zu lassen, man weiß je nie, wozu er gut ist. Ein wenig tölpelhaft befiehlt er Frau und Tochter, merkt nicht, dass er ins Leere rennt mit seinem befehlerischen Gehabe. Das ist große Schauspiel- und Regiekunst: Eine Figur aus dem gewohnten Rollenschema zu heben, ohne sie ins Gegenteil zu verkehren. (Martin Kusej sollte sich da einiges von dem Regiegenie Bondy abschauen, aber er war ja nicht anwesend. Wohl aber Hinterhäuser, auch ihm möge dieser Abend eine Lehre sein!). Das Spiel zwischen Salome und Herodes gipfelt zunächst einmal in dem berühmten Tanz. Auch hier regiert die humorvolle Hand Bondys: Astrid Kessler legt eine Persiflage zwischen Ärobic, Streetdance und Schleiergewachel hin – für Herodes gut genug, um sich daran aufzugeilen. Danach verhandeln die beiden um den ihr zugestandenen Preis, der da ist: Der Kopf des Jochanaan. Den will Herodes ihr nicht liefern – wie gesagt, den Propheten braucht er vielleicht noch in der Zukunft, und zwar lebendig. So setzen sich die beiden an einen Schreibtisch, gerade als wären sie in einem Salon von Zuckerkandel oder Mahler-Werfel. Er bietet ihr Schmusck, sie verlangt den Kopf, er steigert sein Anbot, sie will den Kopf. Das ist durchaus komisch, wie sich der Handel da abspielt. Klar, Salome gewinnt. Man bringt ihr den Kopf in blutige Tücher gehüllt. Und da zeigt sich wieder einmal mehr die Regiepranke Luc Bondys und die Genialität des Komponisten Richard Strauss: Langsam, ganz langsam dämmert Salome, dass sie nicht wusste und nie wissen wird, was Liebe ist: „Liebe schmeckt öde nach Gewalt“, erkennt sie. Die Gewalt manifestiert sich in ihr – das dumme Girl ist nicht mehr, zurück bleibt eine junge Frau mit liebeleeren Händen und Lippen. In diese starke, berührende Szene schreit Herodes, plötzlich angewidert und machtbewusst, was er bis dahin nie war: „Tötet dieses Monster“.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus den Sängern für die außergewöhnlichen Leistungen, allen voran Astrid Kessler für die lebendige und starke Interpretation der Salome, dem Dirigenten Omar Meir Wellber und dem Orchester der Volksoper Wien und dem Team rund um Marie-Louise Bischofberger-Bondy (Erich Wonder für die interessante, schlichte Bühne, Susanne Raschig für die dezent-zeitlosen Kostüme) und posthum natürlich Luc Bondy für eine Inszenierung ohne abgetroschene, allzu überdeutliche Anspielungen auf gesellschaftliche Um-Auf- oder Zusammenbrüche.

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Sommerausklang mit Joseph Lorenz- Friedrich Torberg: Schüler Gerber. Kultursommer Semmering

„Der Spätsommermorgen war lau..“ So begann Joseph Lorenz und entführte das Publikum in ein mortales Roadmovie durch das qualvolle Schülerleben von Kurt Gerber. Die Luft war nicht lau, eher schwül. Wie vor einem Gewitter. Aber der Himmel blieb klar.

Wer sich fragte, warum Joseph Lorenz ausgerechnet diesen Roman von Torberg für eine Lesung wählte, der bekam schon in den ersten Minuten die Antwort darauf: Das war keine „Lesung“ im üblichen Sinn. Jospeh Lorenz hatte den Text bearbeitet und daraus ein Kammerspiel gestaltet. Ein Ein-Mann-Stück, in dem er alle Rollen spielte. Hochdramatisch, unsympatisch in Ton und Geste Gott Kuper, der Lehrer, der sich auf das Früchtchen Kurt Gerber freut, weil er siegessicher weiß: „Dich kriege ich klein“. Er will ihn ruinieren, ihn tranchieren. Lorenz ist Gott Kupfer mit all den unsympathischen Zügen: Gott mit unbeschränkter Haftung, Zyniker von Teufels Gnaden. Mit höhnisch verzogenen Mundwinkeln bereitet Kupfer sein Opfer auf das Ende vor. Doch bevor er sein Opfer in den Krallen hat, inszeniert Lorenz kleine Einzelszenen als Kabinettstückerln. So etwa, wenn der Superschüler Benda mit stoischer Ruhe mitten im Matheunterricht begehrt, aufs Wasserklosett gehen zu dürfen und den verdutzten Kupfer aufklärt, dass man sterben kann, wenn man den Harn zu lange zurückdrängt. Komisch und skurril auch die Szene bei Professor Ruprecht, bei dem Kurt Gerber Nachhilfestunden nimmt. Da entdeckt er mit Staunen und Verzücken, dass Professoren auch nur Normalos sind. Sie essen ein Schinkenbrot – diese triviale Erkenntnis lässt Kurt Gerber kichern und das Publikum lachen.

Joseph Lorenz ist der Schüler Gerber, intelligent, sensibel, verliebt, leidet unter dem Leiden seines Vaters, ist verzweifelt bis zurm Irrsinn. Ein Irrsinn, der ihn überfällt, das Fenster öffnen lässt und ihn in die Tiefe lockt. Der Tod ist gnadenlos, der Erzähler erstarrt, das Publikum atemlos. Am Ende braucht Jospeh Lorenz eine gute Minute, um aus diesem Todesschock in die reale Welt zurückzukehren. Auch das Publikum ist wie erstarrt, bevor es dann in frenetischen Applaus ausbricht.

Und wir, die wir einmal mehr eine Probe der großartigen Schauspielleistung bekommen haben, verstehen nicht, warum man den Namen Joseph Lorenz vergeblich im Spielplan der Josefstadt sucht. Aber wir haben einen Trost: Wo Joseph Lorenz auftritt, da geschieht Theater, da ist Dramatik. Er braucht keine „Bühne“, er schafft sich sein eignes Theater, und da genügen ein Sessel und ein Tisch. Aus der „Lesung“ wird das „Ein-Mann- Theater“, ein Kammerspiel!

Hier noch einige Hinweise, wo Jospeh Lorenz zu erleben sein wird:

Musiktage Mondsee, 1. September: Edgar Allan Poe

Theater Akzent, 22. September : Schüler Gerber und 29. November : Werfel, Verdi

Bösendorfer Festival in den Kasematten, Wiener Neustadt: 5. Dezember: Thomas Bernhard, Der Untergeher

Weitere Informationen zum Kultursommer Semmering: www.kultursommer-semmering.at

Benedict Wells, Becks letzter Sommer. Diogenes

„Es sind Gespräche, die das Leben als lieblosen Unfug enttarnen“, schreibt Benedict Wells mitten im Roman. Aber eher sind es die Aktionen, die der Mensch/der Protagonist und die weiteren Figuren in diesem Roman setzen und das „Leben als lieblosen Unfug“ entlarven. Alles hängt von den Momenten ab, die unvorhersehbar sind. Aus solchen drechselt der Autor seinen Roman, der nicht sein erster, wie es allgemein heißt, sondern sein zweiter ist.

Benedict Wells spielt in diesem Roman das Mozart-Salieri Thema durch: Der genialisch Begabte gegen Mittelmaß. Eine Spannungsbogen, der bis zum Schluss den Plot trägt. Dazu kommt Wells großes Thema, das er in den späteren Romanen („Vom Ende der Einsamkeit“) mit großer Virtuosität durchspielt: die Liebe. oder hier eher: die Unfähigkeit zu lieben.

Beck ist um die 40, widerwillig Musik- und Deutschlehrer an einem Gymnasium. Er hat die Nase voll von seinem Job, aber er hat keine Alternative. Früher spielte er in einer Band, mittelmäßig, mit mäßigem Erfolg. Das Mittelmaß verfolgt ihn, lässt ihn mit dem Leben unzufrieden werden. Der Schüler Rauli Kantas aus Litauen hat musikalisches Genie im Übermaß. Beck träumt davon, ihn zu managen und groß herauszubringen. Doch auch dieser Traum platzt – Beck wird aus dem Vertrag ausgeschlossen.

Angereichert ist dieser „Antientwicklungsroman“ – denn Beck ist am Ende der, der er immer war: ein mittelmäßiger Musiker, nur mit dem Unterschied, dass er resignierend einsieht: den großen, genialischen Einfall wird er nie haben – angereichert also mit Texten aus der Rock- und Popmusik, besonders von Bob Dylan. Sein bester Freund Charlie, ein Schwarzer mit Macken und durchgeknallten Visionen, will unbedingt seine Mutter in Istanbul besuchen. Dass er unter der Karosserie Drogenpäckchen versteckt hält, die er in die Türkei schmuggeln soll, erfährt Beck erst während der Fahrt, an der auch Rauli teilnimmt. Weil Charlie das Geld für die Drogen im Alleingang kassieren will, wird ihm von den Drogengangstern ein Finger abgehackt. Nach Kurzaufenthalt in Istanbul geht die Reise zurück, Charlie stürzt mit dem Flugzeug ab, Rauli startet seine große Karriere, wird drogenabhängig und ziemlich unglücklich. Beck kündigt in der Schule, siedelt in ein kleines Dorf in Süditalien und findet dort ein wenig Frieden. Bis ihn Rauli, nun gefeierter Star, Weiber- und Gitarreheld, besucht. Beiden wird bewusst, dass das Leben nur „ein sinnloser Unfug“ ist. Rauli haut bei Nacht und Nebel mit Becks Lieblingskatze ab und hinterlässt als Geschenk seinen größten, unveröffentlichten Hit. Was Beck damit machen wird, bleibt offen.

Mag schon sein, dass Benedict Wells zu viele Motive auf einmal hineinpackte: Drogen, Musikkarriere, Freundschaft, Verlustängste und dazu noch zwischendrin eine Autorenfigur, die Beck nach seiner Vergangenheit ausfragt. Alles ein bisserl zu viel, dennoch aber ein spannender Roman.

www.diogenes.ch

Grafenegg, 25. August 2023: Mahler Chamber Orchestra, Daniil Trifonov, Daniel Harding.

Es war einer dieser Sommernächte, die Menschen mit heiterem Sinn erfüllt. Im Park von Grafenegg lagerten sie und picknickten oder lasen und lachten und redeten…Die Stimmung war erwartungsvoll. Über dem machtvollen Wolkenturm stieg die zarte Silhouette des Mondes auf. Grillen zirpten und hin und wieder hörte man einen Vogel im Schlaf zwitschern.

© Silvia Matras

„Nein, Sie müssen keine Angst vor der Musik eines Komponisten haben, der noch lebt“, meint Ursula Magnes in ihrer humorvollen Einleitung. Der noch lebende Komponist ist George Benjamin (geb. 1960), und schrieb mit „Concerto for Orchestra“ (2019-2020) ein „elegantes Divenkleid für Orchester“ – so wieder Ursula Magnes. Nun, das Divenkleid wirkte ein wenig ramponiert, so als hätte die Trägerin eine Nacht lang wild durchgetanzt. Jedenfalls führte Daniel Harding das Mahler Chamber Orchestra mit sicherer Hand durch das Klanggewirr. Manchmal aggressiv, dann doch auch ein wenig romantisch, hin und wieder glaubte man Vögel zwitschern zu hören – insgesamt eine Musik, die aufweckt und durchaus gut hörbar war. Ursula Magnes hatte nicht zu viel versprcochen.

Danach folgte das mit Spannung erwartete „Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op.54 (1841-45) von Robert Schumann, am Klavier der Starpianist Daniil Trifonov. Ihm eilt der Ruf voraus, ein „Wahnsinniger “ am Klavier zu sein. An diesem Abend wirkte er gezähmt, in sich gekehrt. Innig, zärtlich klangen die flinken Triller im „Allegro affettuoso“ und ebenso feinsinnig erklang das „Andantino grazioso“. Selbst im „Allegro vivace“ ließ der Pianist immer spüren, dass Schumann in diesem Konzert die Liebe zu seiner Frau Clara in Noten gefaßt hatte. Daniel Harding lenkte mit kundiger Hand durch das ausgeklügelte Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester. Ein Abend, der ganz zu dieser Sommerstimmung passte. Obwohl es leicht zu regnen begann, spielte Trifonov als Zugabe Bach.

Nach der Pause ging das Konzert im Auditorium mit der Symphonie Nr.3 F-Dur op. 90 von Johannes Brahms weiter. Brahms schrieb dieses Werk mit 50 Jahren (1883), und man sagt, es sei die Essenz seiner Werke. Die Uraufführung im Wiener Musiverein war ein Triumph. Clara Schumann schrieb in einem Brief an Brahms: „Jeder Satz ist ein Juwel.“ Dirigent und Orchester in Höchstform entführten das Publikum in eine jubelnde Natur, ließen einen Waldzauberteppich erklingen, dass am Ende viele meinten, diese Symphonie noch sie so herzergreifend gehört zu haben. Langer Applaus und standing ovations belohnten Dirigent und Orchester für die großartige Leistung.

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„Wir haben es nicht gut gemacht“ -Ingeborg Bachmann -Max Frisch. Salzburger Festspiele 2023

Mit: Lina Beckmann und Charly Hübner. Textfassung: Bettina Hering

Zwei Tische mit nötigem Abstand. Keine Videos, manchmal war die Stimme der Callas zu hören. Sonst : Nur die Briefe der beiden Schriftsteller, die miteinander nicht leben konnten, aber ohne einander auch nicht. Bettina Hering traf eine kluge Auswahl aus der Unzahl der Briefe von 1958 bis 1963. Was schon bald auffiel: Hering kam es nicht darauf an, die Liebe der beiden zu skandalisieren, auch nicht zu dem Mythos zu machen, wie sie bald in den Medien und auch in der Literaturberichterstattung wurde. Klug wählte sie Briefe aus, die beiden gerecht wurden – also nicht Max Frisch als „Mörder“ und Bachmann nicht als Exaltierte porträtierten. Das Publikum (im ausverkauften Landestheater) erlebte und fühlte mit, wie zwei Menschen um eine Liebe kämpften, die nicht gelingen konnte. Weil sie beide übersensibel auf Veränderungen im Gegenüber hellhörig waren, weil sie beide Schriftsteller waren und Schreiben eine einsame Angelegenheit ist. Der Kampf war auf beiden Seiten gleich mühevoll. Frisch war eher der Abwägende, der nach Gründen suchte, wie die Liebe doch Bestand haben könnte, sie – eher die Verzweifelte, die in der Liebe nicht heimisch werden konnte, weil sie um ihre Selbstbestimmung fürchtete. Sie war es auch, die die Heirat ablehnte. Sie war es, die von ihm die Briefe zurückverlangte, sie war es, die immer wieder selbstzerstörend fragte, verneinte, zögerte, verzweifelte. Sie war es auch, die 1963 die endgültige Trennung verlangte.

Er veröffentlichte 1964 den Roman „Mein Name sei Gantenbein“. Sie glaubte sich in der Figur Lila wiederzuerkennen und war tief verletzt. Aber das ist eine andere Geschichte, die an diesem Abend nicht aufgerollt wurde.

Das Publikum dankte mit langem, begeistertem Applaus für einen Abend, der so angenehm aus dem Rahmen der diesjährigen Festspiele fiel – durch seine Wahrhaftigkeit, Textbezogenheit, Schlichtheit – durch das Fehlen eitler Regieeinfälle. Es bräuchte mehr solche uneitlen Abende, um den Festspielen wieder Glanz zu verleihen.

Die Briefstellen wurden entnommen aus: Ingeborg Bachmann-Max Frisch „Wir haben es nicht gut gemacht“. Der Briefwechsel. Hg von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann. Piper Verlag/ Suhrkamp Verlag 2022

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Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück. Klett-Cotta

Stine ist gerade drei Jahre alt, als die Mauer fällt. Sie fühlt sich als Kind der DDR, ihre Familie allerdings schweigt über diese Zeit. So kramt die heranwachsende Stine in Fotoalben, Zetteln, Notizbüchern und in ihren eigenen ERinnerungen, um mehr über die Vergangenheit und die Verstrickungen ihrer Familie im System zu erfahren. Was die Autorin da an Protagonisten auffahren lässt, kennt man eigentlich schon hinlänglich aus diversen Familien-bzw Geschichtsromanen aus der DDR-Zeit: Der über alles geliebte Großvater – eine in diesem Literaturgenre sehr beliebte und oft verwendete Person -, der fest überzeugt ist vom System und dem DDR-Staat. Die strenge, finstere Großmutter , die auf den Fotos einst ein lustiges, fesches Mädl war, das herzlich lachen konnte. Wie ist sie zu der alten Vergrämten, Versteinerten geworden? Die Mutter haut die Kinder, sie haben Angst vor ihr. Das ist gut so,denn sie sollen vor allem eins lernen: gehorchen. Als Stine eigene Kinder hat, sind Schläge ganz und gar verboten! Dann sind da so seltsame Erinnerungen an Nazis, zuerst verdeckt, dann offen, an Kindereziehungslager, an Stasiakten – kurz, das ganze DDR-Programm. Das Lesen wird durch nicht deutlich gemachte Zeitensprünge, erschwert. Aber in Summe ist das Buch für alle, die von der DDRvergangenheit nicht genug lesen können, empfehlenswert.

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Sibylle Grimbert, der letzte seiner art. Eisele Verlag

Aus dem Französischen von Sabine Schwenk

Sibylle Grimbert lässt den Leser hautnah miterleben, wie es sich anspürt, wenn eine Species ausstirbt. Wenn wir in den Medien vom Artensterben lesen oder hören, sind wir kurz betroffen, aber gleich darauf wenden wir uns dem Alltag zu. Anders im Roman Grimberts: Wir wissen, „es“, dieses Tier ist „der Letzte seiner Art“ und es wird nach ihm keinen Riesenalk mehr geben. Indem die Autorin dieses Aussterben eines seltenen und einmaligen Tieres einen ebenso seltenen, viele würden sagen: seltsamen Menschen erleben lässt, beteiligt sie uns „direkt am Geschehen“. Keine Doku, aber auch keine „Betroffenheitsliteratur“. Sondern:

Es geht um den Riesenalk. – „Nie gehört“, sagen viele. Ja klar, denn er und seine Artgenossen sind Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben. Erschlagen von Menschen, die alles von dem Vogel verkauften, Federn, Schnabel, Fleisch. Der circa 85cm große Vogel hatte zwar Flügel, konnte aber nicht fliegen. Dafür gut schwimmen. Dennoch war er auch für Eisbären und Orca eine leichte Beute.

1835 landet der französische Zoologe Gus mit einer Fischfangflotte auf einer kleinen Insel vor Island und wird Zeuge, wie systematisch alle Riesenalks, die dort friedlich lebten, von den Matrosen erschlagen werden. Ein Riesenalk verfängt sich im Netz und Gus rettet ihn. Er beschließt ihn zu behalten, um ihn zu studieren und ihn, wenn er von seinen Wunden und dem Schock geheilt sein wird, nach Lille ins zoologische Museum zu schicken. Doch mit der Zeit wird der Vogel ihm vertraut, er gibt ihm den Namen Prosp. Immer wieder zeichnet er ihn, sein schönes Gefieder, seinen Riesenschnabel. Aus dem verschreckten Vogel wird bald ein Wesen, das zu Gus Vertrauen fasst. Die Jahre vergehen, Gus heiratet und wird Vater zweier Kinder. Prosp wird zum Familienmitglied. Doch immer nagt an Gus die Frage, ob es für Prosp nicht doch noch ein Leben unter Seinesgleichen geben könnte. Alles Suchen und Fragen ist vergeblich – Prosp ist und bleibt der Letzte seiner Art. Gus wird immer mehr zum Eigenbrötler, zieht von Frau und Familie weg in die einsamste Ecke Nordislands, baut eine Hütte und lebt nur mit und für Prosp. Wieder vergehen Jahre, Gus wird alt und krank. Eines Tages verlässt Prosp ihn, taucht ein in die Wellen des Meeres und kehrt nicht mehr zurück. Gus sendet ihm einen Abschiedgruß nach. Später besteigt er ein Schiff, das ihn zu seiner Familie zurückbringt.

Die Autorin betont, dass die Geschichte von der Freundschaft zwischen einem Menschen und einem Riesenalk erfunden ist, basierend auf vielen Fakten der Forschung. Faszinierend werden wir Zeugen, wie sich Mensch und Tier einander annähern, gegenseitig Gewohnheiten übernehmen, bis so etwas wie Freundschaft entsteht. Umso intensiver trifft uns dann der Abschied, das Wissen, er ist der Letzte seiner Art. Ohne das Tier zu vermenschlichen, beschreibt Sibylle Grimbert sein Wesen, seine Vorlieben, seine Gefühle, die Zutraulichkeit, die Verletzlichkeit. Am Ende ist nicht irgendein Vogel ausgestorben, sondern ein Tier namens Prosp mit all seinen Eigenschaften, die wir kennenlernen und lieben durften.

Für diesen Roman wurde Sibylle Grimbert mit dem Prix Goncourt des animaux ausgezeichnet.

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Schnitzler, Spiel im Morgengrauen. Spielort: Semmering. Erzähler und Spielleiter: Joseph Lorenz

Aus dem regenverhangenen Wien ging es hinauf auf den sonnigen Semmering, zum Panhans. Joseph Lorenz führte das Publikum durch die Erzählung von einem, der aus Spielsucht und Scham den Tod wählt, als wäre es ein Stück Theater: Spannung, Dramatik pur!

Otto Bogner, der aus Not in die Firmenkassa gegriffen hat und den Betrag – tausend Gulden – nicht rechtzeitig zurückzahlen kann, bittet seinen ehemaligen Kameraden, den Leutnant Willi Kassda, um Hilfe. Das Geld muss am nächsten Morgen in der Kassa sein. Schnitzler schildert nun mit tiefem Verständnis um menschliche Untiefen, wie jeder durch seine eigene Hölle geht: Bogner, weil er das Geld nicht rechtzeitig zurückzahlen kann. Willi, weil er am Spieltisch die Kontrolle verlor und aus Gier die schon gewonnenen 9.000 Gulden verspielt. Und letztlich erlebt der selbstbewusste Frauenheld eine weitere Hölle: die Erniedrigung durch eine Frau. Was bleibt als Lösung ist der Selbstmord, aus Angst vor der Schmach, aus dem Regiment ausgestoßen zu werden.

Es ist immer wieder ein Erlebnis, zu hören und zu spüren, wie Jospeh Lorenz die Charaktere herausarbeitet, die Dramatik der Szenen durch Tempo steigert, die Hoffnungslosigkeit des Leutnants nachvollziehbar macht, wenn dieser erkennen muss, dass es für ihn keinen anderen Ausweg als den selbstgewählten Tod gibt. Fein ziseliert Lorenz auch die Nebenfiguren: den Onkel, der helfen möchte, aber nicht kann, den Burschen des Leutnants, der hellsichtig durch eine barmherzige Lüge den Ruf des Toten schützt und dem Onkel eine bittere Erkenntnis spart. Und letztlich die einzige Frauenfigur in dem Spiel: Leopoldine Labus. Einst eine Rosenverkäuferin, die sich in den jungen Leutnant verliebt hat, mit ihm eine zärtliche Nacht verbringt. Doch er – immun für Feinheiten der Liebe – bezahlt sie für diese Nacht. Dafür rächt sie sich. Ohne Erbarmen! Ja, auch Frauen können das, und Schnitzler hat dafür viel Verständnis. Lorenz ebenso. Seine Leopoldine lässt er in allen Versionen der erotischen Nemesis auftreten. Es ist alles ein Spiel! Ein Spiel mit tödlichem Ausgang.

Weitere Vorstellungen im Panhans am Semmering – unter http://www.kultursommer-semmering.at

European Union Youth Orchestra zu Gast in Grafenegg am 29. Juli 2023

Es war ein Fest in den unterschiedlichsten Musikrichtungen. Im „Prélude“ 18h spielten junge Geigenvirtuosen sechs Miniaturen von Pauline Viardot (1821 -1910), einer der berühmtesten französichen Opernsängerinnen und Komponistinnen ihrer Zeit. Berührend die „Romance“, gespielt von Emilie Chigion, und die „Berceuse“, gespielt von Marta Dettlaff . Darauf folgte als Kontrastprogramm „Strange Ritual“ von Philippe Manoury, aktueller Composer in Residence. Es war ein Ausflug ins geordnete Chaos, spannend zu hören und anzuschauen. Besonders die Künstlerin an den 12 Gongs, die ein fein abgestimmtes Klangduett mit der führenden Violine spielte. Zur Erholung dann das wunderbar zarte Stück „Introduction et Allegro“ von Maurice Ravel. An der Harfe: Clara Gatti Comini, sehr einfühlsam.

Langsam senkte sich die Dämmerung über den Wolkenturm. Der Mond stieg auf – er blähte sich fast zum Vollmond auf. Und es begann einer dieser (wetterbedingt selten gewordenen) Abenden im Wolkenturm mit dem European Youth Orchestra, Julia Fischer und Sir Antonio Papano. Sie entführten uns in die Klangwelt Beethovens, ins Konzert für Violine und Orchester, D-Dur, Opus 61. Bewundernswert, wie stilsicher Julia Fischer ihren Part beherrschte, die Übergänge von festem, entschlossenem Tempo zu äußester Zarheit und Innigkeit. Papano „gehorchte“ ihr vollkommen, legte nur einen zarten, orchestralen Klangteppich unter ihr Spiel. Im „Larghetto“ ließ Papano viel Raum für Stille, die Geige klingt, als würde sie eine ferne Geliebte rufen. Dann ohne Pause das furiose Solo im Rondo. Lange Stille, dann brach begeisterter Applaus los. Als Zugabe spielt Julia Fischer „Caprice“ von Niccolò Paganini.

Julia Fischer,, Buchbinder gratuliert., das Orchester (Ausschnitt) ©Silvia Matras

Nach der Pause ertönte der markante Ruf „Ecce homo“ aus „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss. Doch irgendwie verloren sich die Exaktheit und Schärfe in einem etwas allzu ineinander verwobenen Klangteppich. Dafür gab es als Zugabe die Ouvertüre zu Verdis „Macht des Schhicksals“, und die riss die Zuhörer von den Sesseln! Vor Spielfreude sprühte das junge Ensemble, als es nach dem Ende noch ein Ende hinzufügte: Zu ausgelassener Klezmermusik tanzten sie, umarmten einander und versprühten überschäumende Freude. Unwillkürlich erinnerte man sich an die legendären Konzerte von „El Sistema“.

Langer Applaus als Dank für dieses besondere Fest!!

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Kultursommer am Semmering: Andrea Eckert präsentiert Georg Kreisler

Begleitet von den Wladigeroff Brothers und Otmar Klein, der mit Rat und viel Information den Abend mitgestaltete.

Endlich wieder Andrea Eckert, die viele vermissen! Und endlich wieder Georg Kreisler in einer stimmigen, künstlerisch hoch qualifizierten Darbietung. Wer Andrea Eckert kennt, der weiß, dass sie die höchsten Anforderunen an sich stellt und das Publikum die höchsten Erwartungen erfüllt sieht. Man denkt an ihre „Callas“ oder „Rosa“ – jüngst noch im Nestroyhoftheater/Hamakom zu sehen.

Im edlen Smoking, die Haare hoch gesteckt, verkörpert sie eine Diseuse aus dem vorigen Jahrhundert, aus der Zeit, als Juden Wien verlassen mussten, wenn sie es noch konnten. Ohne Larmoyanz erzählt Andrea Eckert von Kreisler, der mit 17 Jahren gemeinsam mit seiner Familie in die USA emigrierte. In Wien war der Tod zu Hause – „Der Tod, des muas a Weana sein..“ singt Kreisler/ Eckert – genau mit dem nötigen Mix aus Wiener Schmalz und Hinterfotzigkeit! Drüben war es nicht leicht – und Kreisler fragt: „Meinen Sie, es ist leicht? – Man muss nur wissen, man hat niemals ein Zuhause“. Diese bewußt gemachte Heimatlosigkeit lässt den jungen Kreisler einfacher die Schwierigkeiten „drüben“ und dann wieder „herüben“ überstehen. Er geht nach New York, aber keiner will seine traurigen Lieder hören. Also stellt er um auf Humor, abgrundtiefen Humor, der tief aus der jüdischen Seele kommt. Und er hat Erfolg. Natürlich dürfen jetzt nicht die bekannten Zungenbrecherlieder fehlen, …“Der Putz war da, der Kohn war da…“ und sie diskutieren. Da glänzt Andrea Eckert mit ihrer hinreißenden, humorvollen Darbietung.

Nach dem Krieg kehrt Georg Kreisler nach Österreich zurück – aber er ist nicht willkommen und er riecht denselben Mief wie vor dem Krieg. Berührend in den Liedern „Verlassen“ und „Mein kleines Mädele“. Doch weil der Abend nicht traurig enden soll, entlässt Andrea Eckert uns mit dem Hit „Mein Mann will mich verlassen – Gott sei Dank!“

Für den mitreißenden Abend gab es ganz, ganz herzlichen Applaus!

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Eine Schurkengeschichte. Aus dem argentinischen Spanisch von Erich Hackl

Ich nenne das Buch nicht „Roman“, wie esauf der Rückseite des Covers betitelt wird, sondern fiktive Biografie. „Fiktiv“ deswegen, weil der Erzähler oder die Figur, die die einzelnen Kapiteln zusammengestellt hat, ein vom Autor ersonnener Journalist ist, der sich verpflichtet fühlt, die Fakten über Fritz Mandl zusammenzutragen und aufzuschreiben. Dabei mischt sich Erdachtes mit Wahrem, was den Leser -also mich – des öfteren verwirrt hat.

In jedem Kapitel lässt der Autor eine Person reden, die mit Mandl zu tun hatte. Die Begegnungen gehen kreuz und quer von Europa über Frankreich bis Argentinien, die zeitliche Abfolge vernachlässigend.

Der Jude Fritz Mandl war im 2. Weltkrieg eine schillernde Persönlichkeit und zählte zu den Reichsten des Landes. In seiner Fabrik in Hirtenberg im Süden Wiens wurden Waffen und Muntion erzeugt, die Mandl an alle Länder und Potentaten, die daran interessiert waren, lieferte. Obwohl befreundet mit allen politischen Playern des Zweiten WEltkrieges, insbesonders mit Mussolini und Graf Starhemberg, wurde er von den Nazis enteignet, hatte aber seine Schäfchen schon längst im Ausland ins Trockene gebracht. Über Frankreich emigirierte er nach Buenos Aires, wo er mit Peron eng befreundet war. Den Argentiniern gaukelte er vor, eine eigene Waffenfabrik errichten zu wollen, was er aber nie realisierte.

In seinem Privatleben haben Frauen eine große Rolle gespielt. Zu allgemeiner Bekannheit hat es die Ehe mit Hedy Lamarr gebracht. Sie floh ja bei Nacht und Nebel aus den ehelichen Fesseln nach Amerika, wo sie schnell als Schauspielerin Karriere machte.

Fritz Mandl war eine schillernde Persönlicheit, wusste sein Vis à Vis von seinen kühnen Plänen zu überzeugen, auch wenn sie sich meist in Schall und Rauch auflösten. Aber Mandl wäre nicht der geworden, der er war – ein charmanter Schurke – wenn seine Partner/Gegner nicht alle mitgespielt hätten. Mitgespielt, weil sie sich von Mandl enormen Profit erhofften. Mandl spielte gekonnt und klug auf dem menschlichen Klavier der Gier, der Gier nach Macht und Geld.

Schade nur, dass sich Eduardo Pogoriles nicht zu einer klaren Struktur und einem geordneten Erzählablauf durchringen konnte. So aber kämpft sich der Leser durch Nebel und verwischte Konturen durch, ohne wirklich zu einm klaren Bild zu kommen.

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Jochen Gutsch und Maxim Leo: Frankie. Penguin Verlag

Ich weiß ein Remediumbuch, das mich nach der Lektüre von Edelbauers Flüssigem Land (s. den Beitrag auf meiner Webseite) wieder ins „Equilibrium“ bringt – auf gut Deutsch: Nach der Lektüre von Edelbauers „Flüssigem Land“ brauchte ich ein Buch, das mich die Anstrengung vergessen lässt – und das ist: „Frankie“, die Geschichte eines ziemlich ramponierten Dorfkaters, der am großen Misthaufen unter einer ausrangierten Badewanne sein Leben fristet. Das ändert sich, als er am „verlassenen Haus“ vorbeistreicht. Da werkt zu Frankies Üverraschung ein Mensch drin, „der mit einem Faden spielt, der von der Decke hängt“. Dem Leser wird gleich klar, der Mensch will sich erhängen. Aber es kommt ihm Frankie dazwischen, der „Menschisch besser als Katzisch“ spricht und überhaupt ein überaus Schlauer ist. Wie sich die Freundschaft zwischen dem Menschen, der sich Gold nennt. und Frankie entwickelt, ist einfach klug, witzig und auch ein wenig philosophisch beschrieben. Ein Buch zum Gernhaben!!!

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Als ich den Roman endlich zu Ende gelesen hatte, brauchte ich ein flüssiges Buch, das mich ins literarische „Equilibrium“ wieder zurückstimmt. Equilibrium ist eines der vielen gestelzten Ausdrücke, die die Autorin gerne verwendet. Überhaupt lässt sie den Leser gerne ratlos zurück, ratlos, weil er nicht so recht weiß, was das Buch soll. Anspielungen an literarische Vorbilder gibt es genug, und jeder wird sie leicht orten: Homer, Odyssee: Die Protagonistin Ruth Schwarz irrt in Österreich umher, vom Wecheselgebirge ins Kamptal und zurück. Sie kommt einfach nicht an, wie einst Odysseues. Und als sie endlich ankommt, ist alles nicht so , wie es sein soll. Da beginnen die nächsten Literaturschnitzelvorbilder durchzuschimmern: Eva Menassse, Dunkelblum und Elfriede Jelinek: Rechnitz. Es gibt ein Loch, wo einst im 2. Weltkrieg Zwangsarbeiter/Juden verhineingeworfen wurden. Das Dorf hat ein Schloss – Kafka lässt grüßen! Dort throhnt eine Gräfin, die alles in der Hand hat. Doch sie ist keine echte Gräfin, eigentlich sind alle nicht wirklich, nicht das, was sie vorgeben. Somit haben wir es also auch mit der in der jüngsten Literatur schon ein wenig abgenützten Frage nach der Identität zu tun. Dass alle Bewohner das Loch verschweigen, es nicht wahrnehmen wollen, nach dem Motto, was ich verschweige, das gibt es nicht, ist auch schon ewig den Österreichern nachgesagt worden. Warum eigentlich nur den Östereichern.? „Lustig, witzig, unterhaltsam“ soll das Buch sein – es hat ja auch Preise bekommen, die bekommt niemand von nix – , aber ich möchte gerne wissen, wer bei der Lektüre gelacht oder auch nur geschnmunzelt hat.

Bitte ein „Equilibrium-Buch“!!! Wer kann mir eines empfehlen? Ich glaube, ich habe schon eines gefunden. WElches das ist, verrate ich in meinem nächsten Beitrag.

Anthony McCarten: GOING ZERO. Diogenes Verlag

Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf Allié

McCarten gelang wieder einmal ein Thriller von brennender Aktualität. Er weckt uns Naivlinge aus den süßen Träumen der analogen Welt auf und zeigt uns, was heute digital und sonst noch irgendwie künstlich alles möglich ist. Mit dem Fazit, dass der Leser am Ende erkennen muss: Was sind wir doch alle zusammen für Naivlinge, wenn wir an den Datenschutz glauben. Wenn wir meinen, wir sind auf der sicheren Seite, können nicht ausspioniert werden. Von wegen! Auch wer keinen Computer anrührt, kein Smartphon verwendet, ist für diejenigen, die im Netz die Macht haben, ein zur Gänze durchleuchteter Mensch, Wer denkt: „Ach Gott, die armen Chinesen, die sind ja total kontrolliert“ und meint, er selber sei vor allen Nachstellugen staatlicher und sonstiger Mächte geschützt, der IRRT!!

Cy Baxter, ein in der Welt von Silicon Valley Vertrauter, reich geworden durch digitale Machenschaften, lanziert den Superdeal seines Lebens: Er möchte beweisen, dass seinem Überwachungssystem keiner entkommt, und sei er noch so gefinkelt. Zehn Personen haben sich für den Test gemeldet: Sie sollen für 30 Tage versuchen, unauffindbar zu sein. Gelingt es den Leuten von Cy Baxter, alle zehn innerhalb der Zeit zu orten und zu stellen, dann geht der Deal auf und er kann mit der CIA fusionieren und somit ein unumschränkte Überwachungsimperium errichten. Schnell sind die ersten neun gefasst, bleibt nur noch eine Person: Kaitlyn Day, eine Bibliothekarin. Sie sollte kein Problem darstellen, da sie ganz offensichtlich noch in der analogen Welt lebt. Doch sie lehrt Cy Baxter das Fürchten, entkommt intelligent und flink allen Versuchen, sie zu fassen. Gegen Ende bekommt der Thriller noch eine neue, überraschende Wendung.

Das Buch ist die ersten hundert Seiten ziemlich technisch und langweilt. Wen aber diese technischen Details nicht interessieren, kann leicht darüber hinweglesen und steigt dann voll und ganz so ab Seite 80 ein. Dann wird das Buch niemand mehr weglegen. Die Frage, die Mc Carten in dem Buch stellt, ist aktueller denn je: Wie weit darf die Überwachung des Bürgers unter dem Mäntelchen der Sicherheit gehen? Darf der Staat dem Bürger seine individuelle Freiheit nehmen, immer unter dem Vorwand, diesen vor möglichen Anschlägen zu schützen? Sind wir, Ottonormalverbraucher schon so an das „Sicherheitsdenken“ gewöhnt worden, dass uns unsere individuelle Freiheit nichts mehr wert ist? Solche und ähnliche Fragen stellt der Autor, die Antwort sollte sich der Leser geben.

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Festspielhaus St. Pölten: Rachid Ouramdane: Corps extrêmes

Choreographie: Rachid Ouramdane. Musik: Jean – Baptiste Julien, Video: Jean Camille Golmard, Licht: Stéphane Graillot, Bühne: Sylvain Giraudeau.

Was für ein freudvoller und spannender Abschluss der Saison! Alles spielte mit: Das Wetter benahm sich gut: Zuerst Sonne und Wonne, das Gewitter wartete, bis die Aufführung begann. Ab 16h hieß es: Gartenfest für alle auf dem Vorplatz des Theaters. Während der unernsten Einführung zum Stück wurde das Publikum zum Tanzen, Pseudoklettern aufgefordert. Und viele machten mit!

So bestgelaunt begab man sich in den Saal, nichtsahnend, welch fulminante Performance einem den Atem rauben wird.

Licht aus im Saal, es öffnet sich ein Gebirgspanorma mit schwindelnden Abgründen. Einer wagt es, über das von einer Bergspitze zur anderen gespannte und schwingende Band (die Fans nennen es „slackline“) zu balancieren. Du gehst mit ihm, schwingst, siehst unter dir die Abgünde – vielleicht tausend Meter tief oder mehr! Dazu erzählt der Artist – sein Name bleibt als einer der vielen in der Gruppe ein Geheimnis – welche Ängste einerseits und welches berauschende Gefühl der Freiheit ihm dieser Sport bereitet. Dazu hat Jean-Baptiste Julien eine dezente Musik komponiert, nicht effekthaschend, sondern passend zur Aktion, die Stille, Konzentration und Horchen auf die Natur verlangt.

Aus den Abgründen entsteht eine Kletterwand, wie man sie kennt. Männer und Frauen in legerer Alltagskleidung wirbeln über die Bühne, die Wände hinauf, die Wände hinunter, bilden Menschentürme, fliegen durch die Luft, werden im richtigen Moment aufgefangen. Alles ist auf die Hundertstelsekunde abgestimmt. Vertrauen, sich fallen lassen dürfen – ist die Botschaft. Eine Künstlerin erzählt, wie sie nach einem verheerenden Sturz, bei dem sie selbst unverletzt blieb, aber den unter ihr stehenden Fänger schwer verletzte, aufhören wollte. Angst schnürte sie ein, Angst jemanden oder sich selbst zu verletzen. Sie hat sie überwunden.

Der Abend schwingt zwischen Realität und Irrealität – als Zuseher verliert man den Boden, fliegt, träumt, schrickt auf, hält den Atem an. Man ist mitten drin, bangt, ob auch die nächste Kür gut gehen wird. Doch die Gruppe selbst scheint angstbefreit, tänzeln zwischen ihren Flügen durch die Luft, scheinen wie Kinder einander im Kreis zu verfolgen – abkühlen, neue Kraft schöpfen für den nächsten waghalsigen Flug in die Kletterwand oder auf die Schulter der Kollegen.

Das Publikum bedankt sich bei dieser tollen Truppe mit lang anhaltendem Applaus, Bravos und vielen spitzen Schreien. Ein toller Abschluss einer gelungenen Saison!!

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Mike Markart: Venezianische Spaziergänge. Edition Keiper

Mike Markart wohnt in Venedig, schreibt und spaziert durch Venedig, macht ungeschönte, interessante Schwarzweiß-Fotos, trinkt gerne eine Ombra oder auch einen guten Wein. Seine „Erzählungen“ sind Impressionen, die er am Weg mitnimmt – also kein „Reiseführer“. Wohl kann man den ein oder anderen Tipp finden, z.B. über die Gondelwerft „Tramontin“ , die am Ponte Sartorio liegt. Oder den „Campo Santa Marherita“, den von der Jugend bevölkerten Platz.

Allerdings: Die Angaben sind wahrscheinlich absichtlich vage gehalten, damit eben nicht allzu viele Touristen den Hinweisen nachgehen. Denn Markart ist ein Eigenbrötler, der sich nicht gerne unter die Menge mischt, wie alle, die noch in Venedig sesshaft sind. Das werden immer weniger. Hoffentlich bleibt der Autor und schreibt weiter über den Zauber der Stadt.

Die „Veneziaischen Spaziergänge“ lesen sich wie ein Skizzenbuch – man glaubt manche Orte zu erkennen, aber die Linien bleiben verschwommen, nur leicht hingehaucht. Sie versetzen den Leser in eine träumerische Stimmung, wie Venedig im Nebel, so sind die Erzählungen: Über allen liegt ein leichter Schleier des Unscharfen.

http://www.editionkeiper.at

Christine Fischer: Glüscksorte in Dresden. Droste Verlag

Untertitel: Fahr hin & werd glücklich

Genau 80 Tipps mit hübschen Fotos und einem sehr persönlichen Text. Man merkt, die Autorin kennt und liebt ihre Stadt. In der großen Auswahl findet jeder einige Tipps für sich. Mir persönlich gefielen folgende Tipps: 33, Der Kulturpalast. Von außen – Architektur aus der Vorzeit, also nicht sehr ansprechend. Aber innen – tolle Akustik, super Musikprogramm. 27 – Die Brühlsche Terrasse – die findet man zwar in jedem Reiseführer, aber dennoch: Das Café lockt mit herrlicher Aussicht, Kuchen und Kaffee vom Feinsten und vor allem mit einem äußerst freundlichen Personal! 67 – Die Parkeisenbahndurch den „Großen Garten“- ich stieg gleich bei der ersten Station aus, um im zauberhaften Café mit Blick auf den Park den Abend ausklingen zu lassen. Ganz besonders gefiel es mir in der Kunsthofpassage in der Neustadt (Tipp 72) – jung, verrückt und super !!! Ein großes Lob auch den diversen Fotografen!

http://www.droste-verlag.de

Elisabeth-Joe Harriet spielt (ist) Kaiserin Elisabeth von Österreich

Die gereifte Kaiserin kehrt zurück in die Kaiservilla und erzählt in ihrem Refugium, den Stallungen, aus ihrem Leben.

Die Kaiserhymne ertönt und das Publikum steht respektvoll auf. Denn: Auf tritt Elisabeth persönlich, , ganz in Schwarz, wie sie sich nach dem Tod ihres Sohnes kleidete. Sie begrüßt die Gäste: „In den Stallungen habe ich immer meine Gäste empfangen.“ Und weiter: „Ja, ich bin wieder auferstanden, im Elysium war es zu langweilig. Außerdem hat man in den Sisifilmen so viel Blödsinn über mich verzapft, da habe ich mich entschlossen, in einem geliehenen Körper zurückzukehren und einiges richtig zu stellen.“ Und dann gleich der erste Schuss vor den Bug der Monarchie: „Die Monarchie ist wie ein alter Eichenbaum, der kracht schon ordentlich!“ Für ihren Franz hat sie volles Mitleid: „Der arme Pechvogel Franz!“ Ja, hätte er nur mehr auf sie und den Sohn gehört, vielleicht wäre ihm, der Monarchie und dem Volk viel Leid erspart geblieben.

Elf lebensgroße Fotos ihrer Familie und Freun hängen, noch verdeckt mit lila Vorhängen – lila und Veilchen, das gehörte zu Elisabeth! – hinter ihr an der Wand. Im Laufe der Vorstellung wird sie ein Bild nach dem anderen enthüllen und dazu ein paar ziemlich unbekannte Familiengeheimnisse enthüllen: Etwa über ihren „Papi“, den Max, Herzog in Bayern. Dass er ein Lebensgenießer war, da ist hinlänglich bekannt. Wie sehr aber, das eröffnet Sissi ungeniert, ohne zu verleugnen, wie sehr sie trotz allem ihren Papi geliebt hat. Über die Ehe ihrer Eltern ist auch nichst Gutes zu berichten. Die Mimi, wie die 8 Kinder ihre Mutter nannten, war ziemlich unglücklich, ertrug den lockeren Lebenswandel mit äußerer Fassung. Musste bereit sein, wenn der Ehegemahl geruhte, sie zu besuchen. Daraus entsprossen dann die Kinder.

Verlobung mit 15 Jahren! Sissi im O-Ton: „Wenn ich geahnt hätte, was auf mich zukommt, hätte ich nicht geheiratet! Ich bin ja richtig verschachert worden!“ Sie rebelliert gegen das Hofzeremoniell, reist durch die Welt, setzt sich für Ungarn ein…all das ist bekannt. Aber wie Elisabeth -Joe Harriet- alles erzählt,, das ist lebendig und spannend. Sie zitiert aus „ihren “ Tagebüchern, liest aus Gedichten vor, zeigt Elisabeth als eine verletzliche, politisch informierte, sich aber im Hintergrund haltende Kaiserin. Eine Frau, die sich verlieben könnte, aber nicht durfte, eine Frau, die in ihrer Gesellschafterin Ida von Ferenczy eine, vielleicht die einzige Freundin, hatte. Letztendlich eine einsame Frau.

Zum profanen Teil: In der Pause wurde Veilchensekt und ein Vanillegebäck serviert. Am Abend traf man sich im Restaurant K&K im Zentrum von Bad Ischl, um über die Vorstellung zu plaudern. Wie immer, wenn Elisabeth-Joe Harriet einen Figur aus der Vergangenheit lebendig werden lässt, trägt sie diese in die Gegenwart hinein. Dazu gehört auch gemeinssames Genießen!

Infos zu allen Darbietungen von Elisabeth-Joe Harriet:

http://www.elisabeth-joe-harriet.com und http://www.v-a-n.at

Christoph Willibald Gluck, Orphée et Eurydice. Ballett-Oper von John Neumeier.

John Neumeier: Regie, Choreografie, Bühne, Kostüme und Licht. Kazuki Yamada: Musikalische Leitung.

Hamburg Ballett John Neumeier.Bachchor Salzburg unter der Leitung von Benjamin Hartmann

Maxim Mironov: Orphée, Andriana Chuchman: Eurydice, Lucía Martín – Cartón: L´Amour

Es war ein atemberaubender Abend! John Neumeier, der Grandseigneur des Balletts, übertraf sich selbst und schuf ein in der Ballettgeschichte völlig neues Genre: Die Ballett-Oper. Waren seit der Barockzeit Balletteinlagen das Beiwerk zur Oper, so dreht Neumeier die Wertung um: Die Ballettszenen beherrschten die Szene, die Arien waren die gesanglichen Glanzpunkte.

Wenn John Neumeier einen Ballettabend choreographiert, dann wird es immer ein Meisterwerk, weil er alles, alles, wirklich alles selbst kreiert: Bühnenbild, Licht, Kostüme und Tanz. Man spürt und sieht bis ins kleinste Detail seine geniale Handschrift. Nur so kann das so genannte „Gesamtkunstwerk“ entstehen.

Um dem Mythos von „Orpheus und Eurydike“ zu aktualisieren, wird aus Orpheus ein Ballettmeister. Man probt Szenen zu einem Ballett nach dem Gemälde des Malers Arnold Böcklin „Toteninsel“. Eurydike soll die Hauptrolle übernehmen, kommt aber meist zu spät zu den Proben. Orpheus rügt sie heftig, sie verlässt beleidigt den Saal, steigt in ihr Auto und verunfallt tödlich. Soweit die Transformation in die Gegenwart. Was folgt, ist die bekannte Geschichte: Orpheus steigt in die Unterwelt, um Eurydike zurückzuholen, überzeugt die Götter der Unterwelt durch seinen Gesang. Doch sie wird nur wieder lebendig, wenn er sich während des Ganges zur Oberwelt nicht nach ihr umdreht. Das Ende ist bekannt. Eurydike stirbt ein zweites Mal.

Staunend erlebt man, wie Neumeier keine Scheu hat, Totenreich und Elysium in Bild und Tanz darzustellen. Die düstere „Toteninsel“ öffnet sich zu großen Spiegeln, Dämonen tanzen einen animalischen Tanz um Orpheus, er aber schreitet angstlos weiter ins Elysium, wo im Hintergrund Eurydike erscheint. Er will sie so schnell wie möglich in die Oberwelt zurückführen. Immer an die Mahnung denkend, dreht er sich nicht um, sondern treibt Eurydike zur Eile. Sie, ein wenig raunzend, dann fast keifend, schließlich eifersüchtig quengelnd zweifelt an seiner Liebe. Als Orpheus, sie tröstend, sich umdreht, entschwindet sie ihm.

Im letzten Akt ist es die zauberhafte Figur L`Amour, die ihn tröstet und erinnert, dass die Kraft der Liebe Eurydike in Vision und Gedanken zurückkehren lässt und ihn für immer beseelen wird.

Maxim Mironov ist die Idealbesetzung. Seine Stimme umfasst mühelos die Höhen des Tenors und die Tiefen eines Baritons. Seine Arien , besonders die berühmte: „J´ai perdu mon Eurydice“ erhielten langen Applaus. Bezaubernd auch Luzía Martín Carton als L´Amour, zuerst seine Assistentin, dann seine „Psycha-gogin“, seine Seelenbegleiterin durch die Unterwelt, und letzlich seine Retterin aus den Untiefen der Verzweiflung. Die schwierige Rolle der Eurydike meisterte Andriana Chuchman bravourös. Schwierig deshalb, weil sie keine „hehre“ Eurydike darstellen sollte, sondern eher eine an der Liebe Orpheus` immer zweifelnde, leicht zickige Ehefrau. Unbedingtes Lob und viel Applaus galten auch dem hervorragenden Bachchor, der – aus dem Orchestergrabend singend – die Szenen in der Unterwelt und Elysium begleitete. Nicht zu vergessen natürlich, die hervorragenden tänzerischen Leistungen des Hamburger Balletts, allen voran das Paar Edvin Revazov und Anna Laudere, die als Schatten von Orpheus und Eurydike wunderbare Pas de deux tanzten.

Frenetischer Applaus und lange standing ovations für John Neumeier. Das Publikum ehrte ihn für sein Gesamtkunstwerk. Denn ihm gelang, was dem Theater der Gegenwart oftmals abhanden kommt: Ein Theater fernab von Polittheater, „moralischer Erziehungsanstalt“ etc. Frei von „Erziehung“ darf sich das Geschehen entwickeln. Das Publikum taucht ein in die Phantasie Neumeiers, der es von der Oberwelt in die Unterwelt und das Elysium führt, ganz ohne Scheu, das Unsagbare und Unzeigbare sicht- und spürbar zu machen. Der Alltag hört auf zu existieren, die Kunst übernimmt die Rolle, die sie seit jeher hatte: In eine andere Welt zu entführen und die Magie wirken zu lassen.

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Theater in der Josefstadt: Henrik Ibsen: Ein Volksfeind

Bearbeitung von Arthur Miller. Regie: David Bösch, Bühnenbild und Video: Patrick Bannwart, Kostüme und Video: Falko Herold

Ein spannendes Stück, auch nach 140 Jahren mehr denn je aktuell. Vielschichtig, keineswegs geht es geradlinig Moral gegen Unmoral, Held gegen Unhold. Das wäre zu seicht. Ibsen wusste, wie man mit „Heldenthemen“ umgeht – man stellt den Held vor unlösbare Situationen. Ganz nach Freidrich Schiller! So muss sich der Kurarzt Dr. Stockmann entscheiden: Lässt er sich auf Kompromisse ein oder bleibt er dabei, das verheerende Wassergutachten zu veröffentlichen? Da muss ihm bewusst sein, dass die Menge, die Stadtbürger und allen voran der Bürgermeister ihm den Konkurs der Stadt vorwerfen können. Denn wer möchte ein Bad besuchen, dessen Wasser nachgewiesener Maßen vergiftet ist? Wenn das Bad nicht eröffnet wird, dann droht allen Familien der Stadt großes Elend, so der Bürgermeister. Großartig, wie der Regisseur den Schluss ansetzt: Gott sei Dank lässt er nicht, wie Arthur Miller es wollte, einen Minister als deus ex machina auftreten, der Dr. Stockmann völlig rehabilitiert und ihm seinen Heldenschein bescheinigt. Bösch lässt auf dem letzten Video die Eröffnung stattfinden – der Bürgermeister spricht lobende Worte für seinen Bruder, Dr. Stockmann. Aus – Ende! Das Publikum darf nun rätseln…und das ist gut so.

Wieder einmak zeigt sich das Ensemble in Höchstform. Auch in der gefühlten fünfzigsten Vorstellung wird auf Vollgas gespielt. Allen voran Roman Schmelzer als Kurarzt Dr. Stockmann. Ihm glaubt man die unna“chgiebige Haltung. Er ist einer, der sich nicht kaufen lässt. Er bleibt dabei, dass man mit der Lüge nicht weit kommen werde. Spätestens, wenn sich die Krankheitsfälle häufen werden, würde der Schwindel auffliegen. Diesem temperamentvollen Arzt und Familienvater tritt ein ebenso temperamentvoller Bruder, der zugleich Bürgermeister der Stadt ist (intensiv: Günter Franzmeier!, entgegen . Die beiden schenken sich nichts an Zorn, Empörung auf Seiten des Arztes, Hinterlist, politisches Taktieren unter Einsatz alller Mitteln, besonders der Medien, auf der Gegenseite. Die Medien bekommen von der Regie ihr Fett ganz gehörig ab: Da ist der laxe und feige Verleger Aslaksen /André Pohl. Er dreht sein Zeitungsblatt nach dem günstigsten Wind, ist für den Bürgermeister Steigbügelhalter. Interessant ist auch Kathrin (Martina Ebm als Ehefrau des Arztes) – auch sie ist keine „geradllinige Figur“: Obwohl sie voll und ganz zu ihrem Mann steht, verlässt sie ihn mit dem Sohn und dem Kind, das sie erwartet. Ihr ist es wichtiger, die Kinder in Sicherheit zu bringen als unter dem „Heldendruck“, dem sich ihr Mann auslieffert zu leben. Spätestens ab diesem Moment gerät die Überzeugung des Arztes ins Schwanken: Familie oder Heldentum?

Großartig von allen gespielt. Kluge Regie und kluge Videozuspielungen. Gut, dass das Stück auch in der kommenden Saison am Spielplan bleibt!

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