Als Kind eines genialen Vaters aufzuwachsen, ist meist eher Last als Lust und Freude. Nur wenige haben es geschafft, über den Schatten des großen Vaters zu springen und eine eigene Karriere aufzubauen, wie etwa die vier Söhne Bachs.
August hatte das Pech, dass er als sensibles Kind nicht die Kraft hatte, sich dem Vater zu widersetzen. Er hätte sicher ohne die Einmischung seines Vaters ein ruhiges, vielleicht auch glückliches Leben geführt. Der Biograf Stephan Oswald zeichnet auf Grund vieler Quellen ein ganz neues Bild von August: Ein Kind, ein junger Mann mit eigenen Interessen und Lebenswünschen. Doch der Vater bestimmt jeden Schritt, der Sohn hat da nichts zu vermelden. Er muss Jus studieren, was er gehorsamst tut. Er wird ein tüchtiger Beamter. Er muss eine Ehe mit einer reichen Adeligen eingehen, die ihn und sie überhaupt nicht glücklich macht. Er trinkt, wird aber kein Alkoholiker, wie allgemein immer angenommen wird. Er stirbt in Rom nicht an der Alkoholsucht, sondern an einer Gehirnblutung.
Stephan Oswald zeigt minutiös und sehr überzeugend auf, wie eine kalte Vaterhand das Leben eines Kindes ruinieren kann. Der große Dichterfürst und einflussreiche Politiker in Weimar benützte seinen Sohn für seine Dienste und Zwecke. Mit dieser Biographie wird das Bild des Sohnes zurechtgerückt. Stephan Oswald gelingt eine längst fällige Korrektur und ein ganz anderer Blick, als man bisher gewohnt ist, auf August von Goethe.
Was der Titel klar macht: Der Einfluss von Christiane Vulpius bleibt unbesprochen. Sie war ihm, soweit bekannt, eine liebevolle und verständige Mutter und versuchte die Kälte des Vaters auszugleichen.
Eine Biografie, die nicht nur für Germanisten und Historiker lesenswert ist.
Puccini war zu Beginn seiner Komponistenkarriere ein begeisterter Anhänger Richard Wagners., wie man aus diesem kurzen Musikstück deutlich heraushören konnte. Weich, schwärmerisch hört es sich an, nichts noch von „Tosca“ oder „La Bohème“. Als Jugendwerk dafür um so interessanter, weil man sich wundert, wie schnell sich Puccini von Wagner verabschiedet und in seinen Opern eine ihm ganz eigene Tonsprache gefunden hat. Der junge italienische Dirigent Vincenzo Militarì hebt den schwärmerischen Tonus des Preludiums elegant hervor, lässt das Publikum so richtig „romantisch“ träumen. Um dann umso schärfer, in fast aggressivem Ton das nächste Stück zu dirigieren:
Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert für Violine und Orchester e-Moll op.64
Militarì muss sich wohl an die virtuose Rasanz seines Solisten, des Geigers Benny Tseng, anpassen. Tseng stammt aus Taiwan und achtet wie viele Solisten aus dem asiatischen Raum in erster Linie auf klares, virtuoses Spiel. Schnelligkeit ist kein Bonus, sondern Voraussetzung. Ebenso Virtuosität. Dass dabei in manchen Passagen der Schmelz, die Weichheit, wofür das Konzert ja bekannt ist, ein wenig zu kurz kommt, nimmt Tseng in Kauf. Gleich zu Beginn brilliert er mit dem Hauptthema und verleitet Orchester und Dirigent zu einem fast atemlosen Spiel. Im Andante des 2. Satzes lässt er sich dann doch auf die fließende Melodie der Kantilenen ein und kommt zu einer gewissen Ruhe, um im 3. Satz, im Allegro molto vivace, dann vollends mit seinen griffsicheren Fingern zu brillieren.
Carl Nielsen: Symphonie Nr.2 op.16 – „Die vier Temperamente“
Der in Dänemark 1865 geborene Carl Nielsen ist trotz seiner Erfolge zu Lebzeiten bei uns weniger bekannt. Um so spannender ist seine Komposition „Die vier Temperamente“ – inspiriert von der Typenlehre des Hippokrates. Militari und das Orchester waren sich einig: keine Übertreibungen, sondern klare Aussagen: Im ersten Satz „Allegro collerico“ hört man bestens das cholerische Temperament: leise brodelt die Melodie, um sich dann in Grimmigkeit zu steigern, ohne überlaut zu werden – das wäre zu sehr Klischee. In dem dem Phlegmatiker gewidmeten Satz weiß Nielsen gekonnt den Humor einzusetzen: Man hört förmlich die Frage des Phlegmatikers: Soll ich, soll ich nicht? Eher nicht. Die Töne ruckeln und zuckeln, zögern, ein Stück vor, zwei zurück. Das „Andante malincolico“ klingt ganz nach Mahler, obwohl, so heißt es in der Literatur, Nielsen sich nicht viel aus seinem berühmten Zeitgenossen machte. Militarì führt das Orchester mit feiner Behutsamkeit, lässt das Publikum in genüsslicher Traurigkeit schwelgen. Wenig überraschend sprudelt der Sanguiniker über vor Geschäftigkeit, Aber dann- ein zarter, fein komponierter Schluss, der alle vier Temperament tröstlich einschließt.
Aus dem Italienischen von Katharina Schmidt und Barbara Neeb
Edna, eine 89jährige Frau, verlässt ihr Heim und macht sich mit ihrem Papagei Emil auf, um in Ravensburg, das viele Kilometer weit im Norden liegt, ihren Freund Jakob aus der Kindheit zu suchen. Der Weg ist lang und beschwerlich, eigentlich unmöglich für Edna zu bewältigen. Sie ist viele Tage unterwegs, wird bestohlen, reist dennoch ohne Geld weiter, findet immer wieder freundliche Menschen, wie Hippies, Esoteriker, Motorradfahrer, die ihre weiterhelfen. Mit Emil in der Transportkiste wird sie da und dort fotografiert, wird berühmt. Als sie in Ravensburg ankommt, ist ihr Freund am Vortag verstorben. Aber ihr Lebenswille bleibt ungebrochen.
In abwechselnden Kapiteln erzählt die Autorin von der unwahrscheinlichen Wanderung Ednas und alternierend dazu von ihrer Kindheit als Schwabenkind. So nannte man all die vielen Kinder, deren Eltern aus Not sie zu reichen Bauern in den Norden zum Arbeiten und Geldverdienen schickten. Viele überlebten diesen „Sklavendienst“ nicht und starben. Jakob und Edna arbeiteten auf demselben Hof. Mit Emil im Tragkorb wollten sie gemeinsam von diesem Schreckensort, den Knechten und dem Großbauer fliehen. Edna gelingt es, doch sie lässt in ihrer Angst Jakob im Stich. Der wird gefangen genommen, kann aber alles überstehen und später eine Familie gründen. Edna und Jakob – eine Kinderfreundschaft in harten Zeiten – ein gutes Thema, aber leider zu langatmig und streckenweise unglaubwürdig. Immerhin – das Thema der „Schwabenkinder“, die Fronarbeit auf fremden Bauernhöfen leisten mussten, wird ziemlich eindringlich geschildert.
Nein, es ist kein Irrtum. Stefano Bernardin hat sich seinen Hamlet „zurechtgespielt“ – heißt: Er ist Hamle. Ja, schon, Shakespeare darf auch ein wenig über den Bühnenrand ins Publikum schauen, gerade einmal in einem Sonett oder in manchen „gscheiten“ Sätzen, verdreht und Kopf zerbrechend, wie sie eben sind bei Shakespeare. Die Sätze. Stefano Bernardin hat keine Hemmungen, keine Scheu vor dem „größten Dichter aller Zeiten“, er spielt einen frechen, jungen Hamlet, wie er ihn sieht. Auf die anderen Figuren, die er alle ebenfalls verkörpert, wirft er seinen ganz eigenen „Hamletblick“: So wird aus dem Brudermörder Claudius ein Säufer, der sich bei Bier und bayrischen Klängen im Herrscherstuhl räkelt. Aus der Ehefrau Gertrude wird eine mit dem Fächer wachelnde Tussi. Ja, das alles ist Bernardin, von einer Halbsekunde in die andere wechselt er Minenspiel, Haltung und Stimme. Dauwischen spielt er bravourös Schlagzeug, Gitarre, Trommel und wenn es sein muss, auch Flöte.
Gekonnt entblößt er die Charaktere von Rosenkranz und Güldenstern, macht sie zu kriecherischen Dummköpfen. Auch Polonius bekommt als Schleimer sein Fett weg.Kriechen, korrumpieren, verraten – das alles schimmert sehr bekannt bis in die aktuelle Gegenwart herauf. Ophelia taucht nicht auf, als hätte Hamlet vor dieser zarten Mädchenliebe zu viel Achtung. Sie ins Kloster zu schicken fällt ihm schwer. Und als er von ihrem Selbstmord erfährt, schluckt er ordentlich. Der Schluss ist wieder typisch Bernardin/Hamlet: Ein Stich von einem unsichtbaren Laertes – und weg ist Hamlet.
Viel Applaus im vollbesetzten Haus! Ein sympathisches Theater, das mit interessanten Aufführungen von sich reden macht.
Lesung: Oberon: Michael Maertens, Titania: Marie-Luise Stockinger, Puck: Daniel Keberle
Vorspiel: Leise, leise führt uns Mendelssohn Bartholdy in die Welt der Feen ein. Dann beginnt die Musik zu schwirren, es quirlt, hörbar schlägt Puck seine Kapriolen. Dabei wird sicher niemand einschlafen, auch nicht Titania, denn die hat nichts anderes vor, als Oberon zu drohen und sich über ihn zu ärgern- ein klassischer Ehestreit. Der bleibt gelassen – typisch Maertens: ihn kann nichts aus der Ruhe bringen. Pfiffig, witzig greift Puck, alias Keberle, in das Geschehen ein: er knurrt, juchzt, lacht, ist ein Wesen zwischen Tier und Kobold. Jedenfalls amüsiert er Oberon, vor allem aber das Publikum. Dann spielt das Klavierduo das von der Titania geforderte Schlaflied – und Marie Luise Stockinger fällt mit dem Kopf auf den Tisch. So kann Oberon ruhig seinen Zaubertraum über Titania senden, in dem sie sich bekanntlich in einen Esel verliebt. Die Traumhandlung wird nur verkürzt erzählt und durch die Musik vermittelt.
Nach der Pause wird Titania geweckt, Puck amüsiert sich köstlich (und das Publikum mit Puck mit) über diese „Liebesaffäre zwischen Titania und Esel. Oberon verkündet – ganz imperialer Zauberoberherr – das Ende des Traumes und die Versöhnung mit Titania. Mit dem berühmten Hochzeitsmarsch, der für das Paar Theseus und Hippolyta erklingt, endet der Sommernachtstraum.
Besser hätte man das Datum für diese Aufführung wählen können: Der Frühling brach mit voller Schönheit über Wien herein. Im Konzerthaus spielte man eine laue Sommernacht – gekonnt von dem Duo Silver-Garburg am Klavier in den Saal gezaubert. Die Musik spielte an diesem Abend eine tragende Handlungsrolle – viele Teile des Dramas hat Mendelssohn Bartholdy durchkomponiert, der Text „füllt“ die Lücken, die die Musik lässt, geschmeidig aus. Ein gelungener Abend, ironisch- heiter , wie es zum Frühlingsbeginn passt.
Inszenierung: Felix Metzner, Bühne und Videos: Marcus Ganser
Charlie Babbitt ist ein Getriebener, seine Firma ist von der Insolvenz bedroht. Da erfährt er, dass sein ungeliebter Vater gestorben ist, und er hofft auf ein fettes Erbe. Daraus wird nichts – alles erbt sein Bruder Raymond. Charlie wußte erstens nicht, daß er einen Bruder hat und schon gar nicht, dass der in einer Klinik für Autisten lebt. Er „entführt“ ihn und hofft durch Erpressung wenigstens die Hälfte des Erbes zu bekommen. Zu Beginn dieser Entführung geht ihm dieser Bruder schwer auf die Nerven, doch mit der Zeit lernt er ihn näher kennen, erkennt am Schluss, dass er ihn nicht mehr als Geldquelle, sieht, sondern als Bruder, zu dem er eine liebevolle Beziehung aufgebaut hat.
Marcus Ganser hat auf der kleinen Guckkastenbühne ein Maximum an Atmosphäre herausgeholt: Den Hintergrund bilden Videos, die sich zur jeweiligen Situation passend ändern: Einmal begleiten Zahlen, dann Computereingeweide oder Andeutungen einer amerikanische Stadtsilhouette das Bühnengeschehen.. Auf einer Drehbühne werden nur die nötigsten Requisiten, wie Sessel, Bank, Bett herein- und ebenso rasch hinausgedreht. Dadurch bleibt das Geschehen im Fluss, fast wie im Film.
Großartige Schauspieler lassen den Film vergessen!Philipp Stix als Charlie Babbitt dreht sich vor Verzweiflung und Aussichtslosigkeit um die eigene Axe, vergeigt sogar die Beziehung zu seiner Freundin Susan (feinfühlig SelinaStröbele). Ohne Übertreibung, ganz unmerklich ändert Charlie den Rhythmus seines Charakters, lernt seinen Bruder kennen und dabei auch sich selbst. Großartig ist Leopold Selinger als autistischer Bruder Raymond! Er hält die für Autisten so typischen Bewegungen, den starren Blick und die zögerlichen Schritte, die immer gleichen Handhaltungen das ganze Stück durch. Man ist irgendwie erleichtert, als er am Ende des Stückes als Leopold Selinger den tosenden Applaus mit feinem Lächeln entgegennimmt und man festsellt, was für ein „fescher Mann“ er eigentlich ist. Auch alle Nebenrollen sind perfekt besetzt: Sibylle Kos als Lucy, Bedienung und Barfrau, Ildiko Babos als Nutte, Rechtsanwältin und Psychiaterin, Hendrik Winkler als Polizist, Pfleger und Sachverständiger und Christoph Prückner als Dr. Bruner.
Die Mischung aus Komik, verhaltener,leicht melacholischer Tragik zieht durch das ganze Stück. Berührend sind die Szenen, in denen Charlie seinen Bruder tanzen lehrt und dieser dann scheu mit Susan tanzt, von Schritt zu Schritt mehr menschliche Nähe zulässt. Heiter-komisch Szenen, in denen Raymond all die Abstürze diverser Airlines aufzählt oder sich auch als waghalsiger Chauffeur des kostbaren alten Autos erweist. Es gab viel zu lachen und vieles, das tief berührt!
Tim Fischer, der bekannte Chansonnier und Schauspieler, widmet sich erneut der Legende „Zarah“. Wenn er im Titel ankündigt „Ich bin Zarah“, dann meint er es auch. Er wirft keinen Blick von außen auf die wegen ihrer Nazivergangenheit nicht unumstrittene Diva, sondern vertritt sie, ist sie. In diesem Sinne verteidigt er sie. Die Einstellung Zarah Leanders zu ihrer Teilnahme an Ufafilmen, ihren Auftritte bei Goebbels und vor Hitler war je eher naiv, entschuldigend. Daher lässt Tim Fischer sie sagen: „Ich war eine politische Idiotin!“, was soviel heißt, damit sei alles entschuldigt und erklärt. Für Zarah sicher, für die Nachwelt nicht immer.
Im eleganten Abendkleid mit stilsicherem Ausschnitt tritt Zarah zur Probe 1938 an. Von Hamburg aus soll die Tournee durch Deutschland gehen, sie wird ein Riesenerfolg und ihr Comeback ist gemacht! Diese Probe lässt Tim Fischer das Publikum miterleben, betört es mit bekannten Liedern wie „Kann denn Liebe Sünde sein“, „Ich steh im Regen..“ oder „Ich weiß, es wird noch ein Wunder geschehen“. Tim Fischer erreicht mit seiner tiefen Stimme, dem breiten Timbre und dem rollenden R fast den Zauber Zarahs. Aber nur fast. Was fehlt, ist die Weichheit, die damals die Zuhörer in das Lied hineinzog. Bei näherem Nachdenken über dieses „Manko“, kommt man darauf, dass es passt, weil Tim Fischer ein kluges Konzept verfolgt: Er singt von Liebe, die Text scheinen weich, aber dahinter lässt er eine neue Seite aufglimmen: Zarahs Humor, Ironie, Schlagfertigkeit und Witz – Waffen, mit denen sie sich selbt gegen alle Vorwürfe verteidigt. Etwa, dass sie einige Male bei Goebbels eingeladen war und ihn schlagfertig abwehren konnte. Dass sie eben eine gefeierte Diva war, weil sie von der Liebe sang, eine Liebe, die in Kriegszeiten schlechte Karten hatte. Sie sinniert über die brave deutsche Frau, die gerade erfährt, dass ihr Mann in „Tapferkeit vor dem Feind“ sein Leben für das Vaterland gelassen hat. Wie wird sie sich und ihre zahlreichen Kinder durchbringen? Wenn Tim Fischer singt: Ich stehe im Regen, dann ist es auch die Frau, die auf die Rückkehr ihres Mannes wartet, der vielleicht schon gefallen ist. Die Liebe bekommt bei Tim Fischer immer eine Konnotation mit der damaligen schweren Zeit, eine doppelte Message, die über den banal scheinenden Text hinaus auch heißt: Denkt an die Liebe, die so sehr in Zeiten wie diesen fehlt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum das Publikum ihn als Zarah Leander frenetisch feierte.
Das internationale Figurenfestival ist im Schuberttheater ein fixer Termin, dieses Jahr von 14.-19. März 2023. Zu sehen ist: „ Der Wald, von dem wir träumen, ein Stück von Christoph Bochdansky. Es führt in psyhodelische Welten. Eine Reporterin taucht für ein Interview mit einem Waldbewohner in die Traumwelt ein. (s. Titelfoto)
The Quacksalver von Sofie Krog Teater aus Dänemark. Es erinnert an die Dulcamarageschichte aus der Oper „Elisir d’amore“: Ein Quacksalver verkauft seinen Wundertrank. Geeignet für Kinder ab 10J.
Secret Garden von Tilda Eulenspiel, VR-Circus. Minicircus für jeweils einen Gast
Weitere interessante Eigenproduktionen des Theaters, die man gesehen haben muss:
Die Gesichter der Hedy Lamarr, F. Zawrel-erbbioogisch und sozioligisch minderwertig, Die Welt ist ein Würstelstand (s. auch den Beitrag auf dieser Webseite)
Sergej Rachmaninow: Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 d-Moll op 30. Klavier: Kyohei Sorita, Dirigent Yutaka Sado
1917 aus Russland in die USA emigriert, fühlte sich Rachmaninow nie wirklich in der neuen Heimat „beheimatet“. Sein Herz und seine Wurzeln blieben russisch. Und seine Musik ebenso. Die Amerikaner sahen in ihm mehr den Tastenvirtuosen als den Komponisten. 1910 wurde das Konzert erstmals in New York aufgeführt und es dirigierte kein Geringerer als Gustav Mahler.
Dieses Klavierkonzert verlangt vom Pianisten all sein Können: Technisch sehr schwierig und thematisch ein WEchselbad der Gefühle – eine muikalische Beschreibung des Komponisten, wie er sich in dem neuen Land fühlte. Kyohei Sorita ist ein technisch perfekter Pianist, sein Spiel ist makellos, seine Läufe beeindruckend. Sein Anschlag hart, exakt, was durch den Steinway noch verstärkt wurde. Und so beeindruckt Sorita mehr durch sein Virtuosentum als durch seine Interpretation. Zwar tönt die Musik eines Zerrissenen laut, heftig und schnell, aber es fehlt ein wenig der Gegenpart: die Zärtlichkeit, die tiefen Gefühle, die Rachmaninow durchaus in das Werk komponierte. Dirigent Yutaka Sado führte das Orchester behutsam und zurückhaltend, ließ die Streicher die Musik wie einen feinen Teppich unter das Klavier legen.
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur inklusive Blumine. Dirigent der Tonkünstler: Yutaka Sado
Nur kurze Zeit nach den wuchtigen Symphonien eines Bruckners und Brahms schrieb Gustav Mahler seine erste Symphonie, in der er alle strenge Logik eines Symphonikers über Bord wirft. 1884 begann er daran zu arbeiten, schrieb immer wieder Neues hinzu – wie die „Blumine“ (eine musikalische Ehrung der Göttin Flora), ließ manches weg. 1889 wurde das Werk in Budapest uraufgeführt. Der damals sehr gefürchtete Kritiker Edward Hanslik schrieb über diese Symphonie: „Das ist keine Musik!“
Gustav Mahler über diese Symphonie: „Sie muss sein wie die Welt, sie muss alles umfassen, auch die weniger schönen Dinge.“ Das gilt wohl für alle Werke Mahlers.
Yutaka Sado schenkte dem Publikum einen Abend, der tief im Gedächtnis bleiben wird. Selten – besser noch nie – hat man diese Symphonie so voller Zartheit, Wildheit, Romantik, Ironie und Versponnenheit gehört. Behutsam beginnen die Streicher, zart, als öffneten sich die Wolken und ein Sonnenstrahl beleuchtet die Erde. Man spürt, wie sehr Orchester und Drigent miteinander verwachsen sind. Sado dirigiert nicht, er schwingt sich in die Melodien ein und mimmt das Orchester mit auf die innere Reise Mahlers. Heiter ist die Luft ringsum, leise erklingt das Lied „Ging heut morgen übers Feld“, ein Thema kollidiert mit dem nächsten, um sich zu einem siegreichen Ende zu arrangieren. In der „Blumine“ lassen Dirigent und Orchester eine Blüte nach der anderen aufblühen. Frühling ist es! Unmittelbar darauf platzt die Energie eines Dorftanzes auf, dann ein Trauermarsch, der in die Träume über einen Lindenbaum hinüberfließt. Um im nächsten Satz das Unwetter über die Welt ziehen zu lassen, Hornisten und Trommler triumphieren, ohne alles zu übertönen. Mit feinem Fingerspitzengefühl lässt der Dirigent die Motive aufsteigen, gibt ihnen Zeit, ohne sie zu zerdehnen. Dem fulminanten Schluss, den die meisten Dirigenten derartig heftig überdrehen, dass nachher die Ohren schmerzen, gibt er den nötigen Wirkungsraum und Stärke, ohne das Tongebilde im puren Lärm und Getöse versinken zu lassen. Auch das für Mahler so typische triumphale Ende bleibt geformt und ausgefeilt.
Das Publikum dankte mit langem Applaus, standing ovation, das Orchester spendete seinem Dirigenten anerkennendem Beifall mit Geigenbogen und Füßen.
P.S.: Ein Kompliment an Dr. Alexander Moore, der ein interessante Einführung zu den beiden Werken hielt. Und einmal mehr sei das Programm lobend erwähnt. Die Informationen sind für Laien und Profis gleichermaßen interessant.
Wer ein Buch von Steinfest in die Hand nimmt, weiß, auf welch Bocksprünge an Ideen, Figurenbeschreibung, Wechsel im Stil und Zeiten -kurz auf ein Maximum an Erzählkapriolen – er sich einlässt.
In diesem Roman übertrifft er sich selbst, liefert dem Leser Reales. scheinbar echte Wirklichkeiten, mit schier Unmöglichkeiten. Schon allein eine Buchhandlung irgendwo auf einem Berg im oberösterreichischen Salzkammergut auf 1.700 Meter Höhe ist eine echte „Schnapsidee“, Die Besitzerin Katharina braucht auch, um in der Wintereinsamkeit überleben zu können, jeden Abend ihren Cognac. Sie ist keineswegs eine Trauersuse, im Gegenteil, packt an, wo es notwendig ist. So zum Beispiel, wenn sie auf ihren einsamen Winterskitouren einen fast erfrorenen Mann findet. Den schleppt sie gegen seinen Willen kurzerhand in ihre Buchhandlung, taut ihn auf und befiehlt ihm zu leben. Was der eigentlich gar nicht wollte, er wollte sterben. Weiß aber nicht, warum. Im Laufe der Erzählung wird ihm bewußt, wer er ist und daß er große Schuld auf sich geladen hat. Er fuhr sturzbetrunken auf der eisigen Straße, der Wagen überschlug sich und seine mitfahrende Tochter war tot. Er hat überlebt, sich irgendwie halb bewußtlos auf den Berg geschlichen, um zu sterben. Katharina nennt ihn Robert, befiehlt ihm zu kochen. Nebenbei entpuppt sich er sich als genialer Schneebildhauer. Er formt die Bergspitze, die sich irgendwie wie ein betrunkener Berg zu verändern scheint. Ein weiterer Pflegefall stellt sich ein und wird von Katharina gesund gepflegt: Die Bergdohle Sharp. Sie wird am Schluss die in einer Höhle Eingeschlossenen durch ihre Rufe und Hinweise retten. Wie im Märchen müssen es ja immer drei Personen sein – in diesem Fall gesellt sich noch die Schnee- und Lawinenforscherin Linda zu den beiden und bleibt. Platz ist genug in der Bücherbude. Im nahen Schutzhaus sind genug Vorräte. Das Leben wird gemütlich. Doch nicht so bei Steinfest! Das Bücherhaus rutscht bei einem Schneesturm in eine darunterliegende Höhle. Katharina und Linda sind eingesperrt. Sharp und Robert, nun heißt er Max, retten die beiden.
Als unnötige, eher als manieristisch-modische Kapriole entpuppt sich der Roman im Roman über einen Priester, der vor mehr als 100 Jahren mit einer Fotografin den Berg bestieg und unter Lebensgefahr das Gipfelkreuz angebracht hat.
Ein heitere Roman? Schon, aber nicht nur. Denn es geht um Schuld, wie man damit fertig werden kann. Sowohl Robert-Max als auch Katharina haben ein Menschenleben auf dem Gewissen.
Bald, schon bald ist Sommer, und das heißt: Besuche am Semmering, im Panhans bestellen. Das Programm ist vielfältig – von Musik und Lesungen über halbszenische Darstellungen. Und bekannte Stimmen werden bezaubern: Maria Bill, Joseph Lorenz, Groissböck, Brandauer und viele andere.
Choreographie und Regie: Akram Khan. Komposition und Sounddesign: Vincenzo Lamagna. Orchestrierung: Gavin Sutherland. Visual Design und Kostüme: Tim Yip. Licht: Mark Henderson
Akram Khans Neuinterpretation des Ballettklassikers führt in die Welt der Leih- und Wanderarbeiterinnen und Arbeiter einer aufgelassenen Textilfabrik. Wir erfahren aus dem Programm, dass Akram Khan hier auf seine Wurzeln in Bangladesh zurückgreift. Doch diese Information ist nicht zwingend notwendig, da Khan sein Werk durchaus auch global verstanden wissen will. Gekündigte, Ausgebeutete, Hoffnungslose der ganzen Welt sind gemeint. Ihnen gegenüber stehen die Reichen, Mächtigen, die Fabriksbesitzer und die Träger der Luxusroben, die in diesen Fabriken gefertigt wurden.
Es ist eine kalte, harte Welt. Eine wuchtige Mauer schließt die Frauen und Männer ein und zugleich aus. Sie tanzen ihr Leben, ihre Verzweiflung. Unter ihnen Giselle, eine starke, selbstbewusste Frau, die sich nicht der Armut und den Gegebenheiten unterwerfen will. Albrecht hat sich aus der Welt der Reichen verabschiedet und tanzt mit den Ausgestoßenen, verliebt sich in Giselle. Doch durch die Intrige Hilarions, der selbst ein Auge auf Giselle geworfen hat, wird Albrecht als Reicher enttarnt. Und fast devot lässt er sich von seiner Verlobten Bathilde in „seine“ Welt zurückführen. Giselle verfällt in einen Wahn, wird von den Arbeitern umringt, bis sie leblos zu Boden sinkt. Im zweiten Teil lebt Giselle als Halbwesen unter den Wilis. Das sind Frauen, die in ihrem Leben von einem Mann getötet wurden und nun auf ihre Weise Rache nehmen. Als Hilarion an das Grab Giselles tritt, töten sie ihn. Albrecht und Giselle dürfen noch einmal ihre Liebe leben, bevor Giselle endgültig in das Reich der Wilis verschwindet. Er bleibt allein als Ausgestoßener zurück.
Akram Khan verwandelt diese Geschichte in ein mächtiges Bild- und Klangerlebnis. Wuchtig senkt und hebt sich die Mauer, dumpfe Sirenen, ähnlich großer Frachtschiffe, künden von der Macht der Reichen. Die Tänze der Ausgestoßenen erinnern stark an den indischen Tanz Khattak: stampfend, drehend wie Derwische, die Hände zu nicht vorhandenen Göttern erhebend – so schaffen sich die Menschen ihren Freiraum. Machtvolle Bilder tun sich auf, wenn sich die Mauer hebt und die starren Figuren der „Reichen“ erscheinen. Velázquez „Las Meninas“ – die unbeweglichen Mädchen in ihren weitausladenden Roben – scheinen Patinnen für dieses Tableau gewesen zu sein.
Im zweiten Teil wird Khans Choreographie sehr klassisch: Die Wilisfrauen und Giselle tanzen fast alles auf Spitze – eine ungeheure Leistung! In ihren zarten, schlammgrünen Gewändern erinnern sie an Moos, das in feinen Strängen im Wind schaukelt. Doch sie sind keineswegs zart. Machtvoll schwingen sie ihre Stäbe, töten Hilarion und wollen zunächst auch Albrecht ins Reich der Toten schicken. Doch Giselle vergibt ihm, und beide dürfen noch einmal Momente der tiefen Liebe erleben. Dieser Pas de deux – unterlegt von zarter Musik der Streicher – ist eine Verbeugung Khans an das klassische Ballett!
Ein Abend, der das Publikum zu frenetischem Applaus hinriss. Zunächst für die Leistung des gesamten Balletts, im Speziellen natürlich für Fernanda Oliveira als Giselle, Altor Arrieta als Albrecht und Erik Woolhouse als Hilarion.
Untertitel: Von Rittern, Eseln und anderen traurigen Gestalten – nach dem Buch von Bernhard Studler
Ein Abend nicht nur für Kinder und Jugendliche. Auch Erwachsene fanden großes Vergnügen an dieser Aufführung. „Next Liberty“ ist eine exzellente Grazer Theatergruppe, die auf hohem Niveau auch schwierige Inhalte großartig für Menschen jeglichen Alters, vorwiegend für Jugendliche, umsetzt – zum Beispiel „Faust 1“ in der Inszenierung von Nikolaus Habjan. Und nun Don Quijote!
Es war ein Abend der Sonderklasse. Gesteckt voll mit Jugendlichen von 5 bis zu 16, 17 Jahren und ebenso vielen Erwachsenen. Ein Abend voller Wunder – wie es sich für den „Ritter der traurigen Gestalt“ gehört! Obwohl der Inhalt nicht ganz leicht für Kinder ist, horchten alle gebannt zu. Und alle, auch Erwachsene, hatten ihren Spaß. Denn Daniel Doujenis brachte eine witzige, geistreiche und hintergründige Inszenierung zustande! Die sieben Schauspieler des „Next Lieberty“ spielten alle Rollen und lieferten auch die Musik (Reinhold Kogler) und die witzig -ironische Geräuschkulisse dazu. Martin Brachvogel war als Don Quijote wie aus dem Roman entstiegen, Helmut Pucher als Sancho Pansa witzig, schlau, aber nicht durchtrieben. Lisa Rothhardt, Christoph Steiner, Simone Laski, Martin Niederbrunner und Ivonne Klamant spielten mehrere Rollen und lieferten die Musik und Begleitgeräusche. Fest steht: Ein exzellentes Ensemble, mit Witz und Spielfreude!!
Doch nun zum Stück: Es öffnet sich ein sandgelbes Halbrund, das von einer Rampe eingefasst wird (Ausstattung: Vibeke Andersen). Dahinter erscheinen wechselnde Bilder von der Mancha, der Gegend, wo dieser Roman/ Stück angesiedelt ist (Video Roland Renner).Von diesen Bildern geht eine große Faszination aus: Abendstimmungen, Nachthimmel, die zerzauste und mit Windrädern bespickte Natur erinnern daran, dass diese Region Spaniens zu den ärmsten des Landes gehört. Entvölkert, entleert und die wenigen Bewohner, die geblieben sind – ohne Hoffnung, arme Bauern, Hirten, ein Wirt ohne Gäste. Studers Buch beginnt in der Gegenwart und zeigt die Menschen, wie sie heute leben. Mitten unter ihnen der Träumer, der sich von der Gegenwart abgeschottet hat und nur mehr in der mittelalterlichen Welt der Ritterromane lebt. Eines Tages beschließt er Don Quijote, Ritter von der traurigen Gestalt, zu werden. Seinen Nachbarn, den Bauern Sancho Pansa, nimmt er als willigen Knappen mit. Nun beginnt die Reise in die „Abgümde der eigenen Seele“ – er bekämpft Unrecht und überwindet Angst. Ein Abenteuer nach dem anderen wird bestanden – pantomimisch und von ironisch-witzigen Musik- und Lautgeräuschen begleitet, wie etwa der Klang der Hufe, die Kämpfe…alles so heiter und doch tiefgründig gebracht, dass der Zuseher seinen Spaß hat, aber ohne dass die Figur des Don Quijote als Volltrottel bloßgestellt wird. Im Gegenteil, seine Träume, Visionen machen ihn sympathisch, stoßen auf Verständnis – letzten Endes wird er zur Werbegestalt. Das ist der große Dreh, den der Autor Bernhard Studlar dem Stück gibt. Anders als im Werk von Cervantes, erscheint zu Lebzeiten des Don Quijote ein Buch über seine wundersamen Abenteuer und er wird als Werbeträger bestens vermarktet. (Tatsächlich werden heute von verschiedenen Veranstaltern Reisen in die „Mancha des Don Quijote“ veranstaltet.) Selbst die Hörsäle sind voll, und der Neffe Don Quijotes bekommt einen Lehrauftrag. Über Zuhörermangel kann er sich wahrlich nicht beklagen. Während alle nun ringsum von Don Quijotes Taten und Visionen profitieren, legt der Held sich hin zum Schlafen und stirbt.
Leider war das die letzte Vorstellung! Aber hier sei einmal mehr vermerkt, dass die Aufführungen des „Next Liberty“ immer von hoher Qualität sind. Und es ist eine sehr dankenswerte Initiative des Theaters Akzent, solch hochwertige Inszenierungen für Jugendliche (und -wie man feststellen kann, durchaus auch für Erwachsene) von überall her aus Österreich und anderen Ländern einzuladen.
Eine ganz andere Sicht auf Don Quijote wird das Landestheater Niederösterreich ab dem 17. März 2023 bringen. Man darf gespannt sein! Zur Lage der Region La Mancha – siehe auch meine Buchbesprecung von Sergio di Molino; Leeres Spanien.
Musik: Johann Sebastian Bach in der Orchestrierung von Leopold Stokowsksi. Choreographie: Paul Taylor. Bühne und Kostüme: Santo Loquasto. Licht: Jennifer Tipton. Dirigent: Jean-Michael Lavoie.
Ein Auftakt, der wie Feuer in die Seele fährt! Aufregend, explosiv, faszinierend! Vor dem schwarzen Bühnenhintergrund bewegen sich die Tänzer wie Flammen, die auflodern oder in sich zusammenfallen zur Musik von Bach – in einer rhythmisch mitreißenden Bearbeitung von Leopold Stokowski und mit Verve von Jean- Michael Lavoie dirigiert. Schwarze Spitze bedeckt Beine und den halben Oberkörper. Im leicht rötlich gefärbten Licht werden Arme, Kopf und Oberkörper zu Feuerzungen, die ineinander verschmelzen und sich wieder lösen, sich vereinzeln. Es ist kein bedohliches Feuer, sondern eines, das die Menschen zusammenführt. In den ungewöhnlichen Hebefiguren meint man, den Triumph des Menschen über die Dumpfheit, das Ungeformte zu erkennen. Einen Triumph, den Fiona Mc Gee und Eno Peci in einem hinreißenden Pas de deux verkörpern, unterstützt von dem Kreis eines in der Musik und Tanz aufgehenden Ensembles.
Prometheus hat Zeus das Feuer gestohlen und es zu den Menschen gebracht, um sie aus der Trostlosigeit ins Licht zu leiten. Paul Taylor entwarf die Choreographie ein Jahr nach 9/11. Als er gefragt wurde, welche Antwort er auf diese Katastrophe hat, soll er geantwortet haben: Tanz, Tanz und wieder Tanz. „Ich mache Tänze, weil ich an die Kraft des zeitgenössischen Tanzes glaube….und weil es mich von der Bewältigung der realen Welt befreit“ (Zitiert aus dem Programmheft). So der Choreograph über sein Werk.
Musik: György Ligeti, Choreographie: Martin Schläpfer, Bühne und Kostüme: Keso Dekker
Ein Stück zum Ausrasten. Die Emotionen runterfahren. Zwei Frauen, vier Männer suchen nach Figuren, bilden Statuen, die sich auflösen. Frauen werden zu Ikonen erhoben. Man staunt über die Präzision der spiegelgleichen Bewegungen. Ligetis Musik ist zart, lässt Freiraum zum Träumen, dann wieder kippt die Atmosphäre zu einem spannenden Kampf. Immer zeigen die Frauen Stärke! Gut so!
ramifications
Musik: György Ligeti, Choreographie: Martin Schläpfer. Bühne und Kostüm: Thomas Ziegler
Sonia Dvorak tanzt ein atemberaubendes Solo – nur sie allein auf der Bühne, etwa 15 – 20 Minuten lang, fast alles auf der Spitze! Eine unglaubliche Leistung! Bisher sah man die Tänzerin hauptsächlich in komischen Rollen. In diesem Stück nun zeigt sie alle Facetten ihres Könnens! Mal kokettiert sie mit Spitzmündchen, reißt die Augen verwundert auf, dann wieder sucht sie nach einer idealen Form des Tanzes, verwirft, beginnt neu, verästelt die Bewegungen zu abstrakten Figuren, betont deutlich die Härte der Schritte, man hört, wie die Spitze ihrer Schuhe auf dem Boden klopft. Fasziniert sieht man einer Tänzerin zu, die je nach Laune einmal buchstäblich ihre Muskeln spielen lässt, dann wieder verträumt sich in der Musik verliert. Zusammenfassend: Großartig!
beaux
Musik für Cembalo von Bohuslav Martinù. Choreographie: Mark Morris. Bühne und Kostüm: Isaac Mizrahi
Vor einem Tableau aus hellen Frühlingsfarben tanzen 12 Männer. OHNE FRAUEN. Sie scheinen sich auf einem Platz im Dorf, im Park, in einem Winkel der Stadt, auf einer Wiese regelmäßig zu treffen, um im Tanz „Dampf abzulassen“. Ganz ähnlich den Jugendlichen, die sich zum Wettstreit im Breakdance irgendwo abseits von Zuschauern treffen. Ihnen geht es nicht um Demostration vor Besuchern, Touristen – sie genügen sich selbst als Zuschauer. Einer zeigt seine neuen Figuren vor, prahlt ein bisschen, die anderen sitzen davor, gucken aufmerksam zu. Mangels Frauen proben sie Hebefiguren von Mann zu Mann – erotisch und kämpferisch zugleich. Es wird Abend, sie tanzen, es wird Nacht und wieder ein Morgen. Sie tanzen. Weil sie das erfüllt, sie sich als Männer fühlen, obwohl einige noch Grünschnäbel sind. Une Pièce von heiterer Leichtigkeit.
Viel Applaus nach jedem Stück, am Schluss großer Extraapplaus für das Orchester und den Dirigenten.
Sergio del Molino arbeitete als Journalist für die spanische Zeitung „Heraldo di Aragon“. und war viele Jahre im „leeren Spanien“ unterwegs. Besonders im Ebrobecken, in der Meseta und in der Mancha sind die Dörfer leer, entvölkert. Die Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte -vor allem in den Umraum von Madrid – hatte zur Folge, dass 84 % der Bevölkerung heute in den Städten lebt und nur 15% im leeren Spanien. Wenn die Jungen keine Arbeit im ländlichen Raum fanden, wanderten sie in die Städte .- ein Phänomen, das nicht nur in Spanien virulent ist. Als Spanien 1986 der EU beitrat, die ländliche Bevölkerung aber keine Förderungen bekamen, kam es zu bürgerkriegsartigen Bewegungen und man begann sich in Politik und Wissenschaft mit dem Problem zu beschäftigen. Auch dieses Buch – so vermerkt der Autor in der Einleitung – hat an der Bewusstwerdung der Probleme einen großen Beitrag geleistet.
Unter dem Francoregime hatte man nur Verachtung für die ländliche Bevölkerung, konstatiert del Molino. Im „leeren Spanien“ wurden Atomkraftwerke geplant und umweltschädliche Uranminen errichtet. Im Umraum von Madrid entstanden Elendsviertel.
Ein ausführliches Kapitel widmet der Autor dem „Mythos der leeren Landschaft“, gefördert durch das plötzliche Interesse der Städter, die sich ähnlich wie einst Don Quijote auf die Suche nach einer Idylle aufmachten. Eine Suche, die sich nicht realisieren ließ. Noch heute belustigen sich die wenigen Bewohner der Mancha über die Reisenden, die „auf den Spuren Don Quijotes“ durch das leere Land ziehen. Das Verlorensein in einer scheinbar endlosen Weite fasziniert Romantiker, ändert aber nichts an der Lage der Bevölkerung.
Seit Erscheinen dieses Buches 2016 hat sich – so der Autor im Vorwort – doch einiges bewegt. Der Autor hat keine Problemlösungen parat, aber indem er aufzeigt, welche soziale und wirtschaftlichen Folgen die entleerten Landschaften haben, wird zumindest über Lösungsmöglichkeiten nachgedacht.
Dramatisierung: Paulus Hochgatterer. Inszenierung: Nikolaus Habjan. Bühne: Jakob Brossmann. Kostüme: Denise Heschl. Musik: Kyrre Kvam
Ein Trio Infernal, das diesen Theaterabend zu einem Ereignis machte: Elias Canetti, der einen kafkaesken, mysteriösen Roman über den Untergang der Kultur schrieb, Paulus Hochgatterer, der dieses schwer zu entschlüsselnde Werk genial zu einer adäquaten und stimmigen Bühnenfassung formte und dann Nikolaus Habjan, der mit seiner herrlich skurrilen Regie, dem gekonntem Einsatz von Puppen und seinem feinen Sinn für Humor und menschliche Abgründigkeit dem Abend die schräge Würze verlieh.
Stimmig unterstützt wurde das Trio durch eine dezent, aber wirksam eingesetzte Musik (Kyrre Kvam), die dem grotesken Geschehen einen unirdischen Touch einhauchte. Irdisch und bewusst blass sind die Kostüme, zeitlos, weil die Figuren auch heutige sind. Bis auf den Bauschrock von Therese und den aufgesetzten Hüften. Dieser Rock ist ein wesentlicher Teil der Figur.
Alle Schauspieler, Puppen und deren Spieler – allen voran die von mir so geschätzte Manuela Linshalm (siehe meinen Beitrag „Die Welt ist ein Würstelstand“) spielen genial an der Grenze von Realität und Groteske. Bettina Kerl als Professor Kien ist unwirklich, außerhalb jeder Realität. Er lebt in und mit seinen Büchern. Was in der Welt passiert, geht an ihm spurlos vorbei. Eine Anmahnung Canettis an die Intellektuellen, die den Eintritt Hitlers nicht rechtzeitg wahrgenommen haben? Seine Gegenspielerin ist Therese Krumbholz. Von Julia Kreusch zu einer schrillen Figur geformt, ihre Sprache und Bewegungen könnten von einer lebendigen Puppe sein. Ihre grotesken Aktionen sorgen für Lacher im Publikum. Apropos Sprache: Paulus Hochgatterer ordnete jeder Figur eine charaterisierende Ausdrucksweise zu. Da hört man den Urwiener im Herrn-Karl-Ton à la Helmuth Qualtinger, Polizei und Kommandant (Tim Breyvogel) scheinen aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ entstiegen zu sein. Festgezurrt in seiner verbalen und äußeren Hässlichkeit ist der Hausbesorger Pfaff – ein Puppen-Monstrum, bedrohlich und primitiv – gekonnt bespielt von Manuela Linshalm. Witzig und ebenso bedrohlich wirkt Laura Laufenberg als Fischerle. Wenn im zweiten Teil fast tierähnliche Monster die Bühne bevölkern, dann scheint der wahnsinnig gewordene Kien noch der Normalste zu sein. Wenn er am Ende sich und seine immaginäre Bibliothek anzündet, dann kündigt sich das Inferno des Naziregimes und des Zweiten Weltkrieges an. Es endet mit einer gruseligen Aktualität: Wo sind die Mahner gegen den Krieg? Verbrennen wir gerade unsere eigene Kultur?
Einziger Wermutstropfen: Es war die letzte Aufführung!
Regie: Sebastian Kraft, Bühne: Peter Baur, Video: Sophie Lux, Kostüme: Jelena Miletic, Licht: Michael Hofer
Frech, jung, witzig stemmt Sebastian Kraft diesen Megaroman, einst Mekka aller Bildungbürger, die genüßlich die Affären von Liebe und Tod, Krankheit als geistige Überkraft, verschlungen haben.
Es geht um vieles, aber alles nur spielerische Theorie. Man kokettiert mit der Krankheit, philosophiert über „Zeit“, „Vergänglichkeit“, „Liebe“ und vernimmt es gelassen, wenn die resolute Krankenschwester wieder einen neuen Todesfall verkündet. Kranksein ist Pflicht, da oben auf dem Berg in Davos. Krankheit adelt. Wer nicht krank ist, bemüht sich schnell um ein wenig Fieber. Das muss man haben. Die Fieberkurve ist der Gradmesser für den Eintritt in diese Welt oben, die arrogant auf dasTiefland unten blickt. Dass manches, wie 7 Minuten Fiebermessen in totaler Stille oben auf der Bühne und unten im Publikum, ein wenig langweilig und affektiert wirkt, sei auch gesagt.
A propos Publikum und Bühne: Selten, bis gar nicht habe ich so viel Harmonie, Gleichklang zwischen dem Geschehen auf der Bühne und dem im Zuschauerraum erlebt! Oben sprach man über Husten, Fieber, unten wurde gehustet als wäre das Burgtheater eine Außenstelle von Davos. Als auch noch auf der Bühne der Arzt Dr. Behrens über die Lunge referierte und der Theaterarzt diskrret nach draußen gebeten wurde, dachte ich kurz an eine ganz besonders raffinierte Inszenierung. Ist ja alles möglich im Theater von heute.
Nun aber zur Meisterleistung des Regisseurs und der Schauspieler: Bastian Kraft arbeitet gerne mit einem Vexierspiel zwischen der greifbaren Wirklicheit der Bühne und der irrealen Welt des Videos. Manche würden seufzen: „Nicht schon wieder!“ Aber Kraft kann es wirklich! Ich denke an die dramatisierte Fassung von Oscar Wildes Roman „Dorian Gray“, die seit Jahren ein Publikumserfolg ist. Wie er und Peter Baur den Zauberberg als Kristallteile auf die Bühne stellen, das hat Wucht und beeindruckt. In, auf und zwischen diesen kantigen Klippen lässt er vier Schauspieler alle Figuren des Romans spielen: Felix Kammerer, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer und Sylvie Rohrer sind abwechselnd Hans Castorp und zugleich – als Video eingeblendet – eine der anderen Figuren. Mit diesem ungewöhnlichen Vorgehen vermeidet Bastian Kraft fast immer Langeweile. Aber eben nur „fast“ immer. Denn es gibt Strecken, in denen der Zuseher leicht wegdriftet, weil einfach zu viele Gesichter und Themen auf ihn einwirken. Etwa während der Carnevalszene.
Packend ist der Schluss: Christentum, Humanismus, Kommunismus, Sozialismus – alle „Ismen“ haben versagt, konnten den Krieg nicht verhindern. Der Glaube der Gutmenschen fällt in sich zusammen. Gewalt ist stärker als alle Theorie. Hans Castorp wird in den Krieg ziehen. Starker Abgang!
Am Ende noch eine Schlussbemerkung, wenn man so will eine Bitte: Ich knüpfe da an einen Artikel des ehemaligen Operndirektor Ioan Holender im Kurier an: Er monierte die langen Aufführungszeiten ohne Pausen. Zwei Stunden und länger sind für schlanke Menschen ohne viel Sitzfleisch hart! Außerdem vermisse ich die Halbzeitdiskussionen in den Pausen! Hat man Angst, dass zu viele Zuschauer in der Pause gehen?
Julian Rachlin dirigiert das Orchester der Volksoper Wien
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Ein „Figaro“, wie man ihn sich nicht schöner wünschen kann. Wenn Marco Arturo Marelli inszeniert, dann weiß man, dass es nicht nur gut, sondern exzellent wird! Und so war es auch. Marelli, dafür bekannt, dass er für Regie, Bühne und Licht zeichnet, stellt ein Gesamtkunstwerk auf die Bühne. Dekor und Kostüme (Dagmar Niefind) bleiben in der Zeit vor der Französsichen Revolution. Marelli verzichtet bewusst auf die für das Publikum oft leidvolle Aktualisierung und wirkt deshalb umso „moderner“. Zauberhaft ist das Bühnenbild, wofür er sich von dem Gemälde Bayeux`“Sturz der Giganten“ und Daniel Grans „Aufnahme Dianas in den Olymp“ inspirieren ließ. Verstellbare Wände und große Fenster imaginieren viel Licht. Dass Marelli ein großer Lichtkünstler ist, ist ebenfalls bekannt und bestätigt sich in dieser Inszenierung einmal mehr. Von feinem Lichtzauber eingesponnen sind ganz besonders die Szenen im Salon der Gräfin, die ihren melancholischen Erinnerungen an die vergangene Liebe nach-sinnt:“Dove sono i bei momenti..“ Kamila Dutkowska ist als verletzte Gräfin gut besetzt. Sie liebt den Grafen noch immer, ist aber einem kleinen Gspusi mit Cherubino nicht abgeeigt. Ganz zart, fein gesponnen umhüllt das Licht Susanna, wenn sie im letzten Akt wie im Traum versunken die Arie „Vieni, non tardar o gioia bella“ singt. Lauren Urqhart ist die bezauberndste Suanna, die man sich vorstellen kann: Mit ihrer Stimme, die den Himmel öffnet, gepaart mit intensiver Spielfreude ist sie Zentrum und Star des Abends. Hoffentlich wird so noch lange der Volksoper erhalten bleiben!!
Marellis Stärke liegt auch, und das ganz besonders, in einer genauen Personenführung. Die große Zahl der Personen, Intrigen, Capriolen und Verwirrungen punktgenau und gestochen scharf zu inszenieren, ist eine große Kunst. Jede kleinste Bewegung hat Sinn, ist komisch und zugleich Charakteristikum. Den Grafen Almaviva (Orhan Yildiz) lässt er nicht als den großen Unsympathler erscheinen, sondern eher als harmlosen Lebemann der jedem Weib aus Gewohnheit nachstellt, insbesondere aber Susanna, die ihn mit ihrem Charme und Unerschrockenheit reizt. Am Ende hat er ja doch das Nachsehen und bekennt sich (mehr unfreiwillig als freiwillig) zu seiner Frau. Gott sei Dank lässt sich Marelli nicht auf die übliche, inzwischen auf vielen Bühnen schon allzu üblich gewordene Metoo-Anspielungen ein. Wie er sich überhaupt von jedem Regie- und Modetheater fern hält, wofür ihm das Publikum dankbar ist.
Evan Hughes ist als Figaro zwar der Hansdampf in allen Gassen, doch die Lösung des Problems findet nicht er, sondern Susanne. Stimmsicher fordert er den Grafen heraus: „Se vuol ballare..“, aber gegen Ende muss er erkennen, dass Susanna und nicht er das Heft in der Hand hat.
Bezaubernd ist Wallis Giunta als Cherubino. Mit ihrer Auftrittsarie „Voi che sapete cos`è amor“ hat sie Susanna und die Gräfin für sich gewonnen. Ebenso das Publikum. Mit sportlichem Hocheinsatz und großem Talent für Situationskomik sprintet sie unter Betten, Röcke, Sessel und Tische und sorgt ordentlich für Verwirrung am Hofe des Grafen.
Julian Rachlin, den wir bisher nur als Geiger kennenlernten, entpuppt sich als einfühlsamer Dirigent. Geschickt führt er auf Ton und Aktion hin punktgenau passend Orchester und Sänger zusammen. Selbst im größten Tumult verliert er nie die Führung. Man hört jede komische Gebärde, die leisen Untertöne oder die feine Ironie genau heraus. So wurde der Abend zu einem ganz besonderen ERlebnis!!
Regie: Peter Wittenberg, Bühnenbild: Florian Parbs.
Gleich einmal vorneweg: Ich bin eine bekennende Nicht-Bernhard-Anhängerin. Und: Ich habe die berühmte Urfassung dieses Stückes nie gesehen. Was für die aktuelle Aufführung gut ist, weil ich ohne verklärende Erinnerungen den Abend genießen konnte. Ja, zu meiner Überraschung habe ich – im Gegensatz zu den meisten Kritikern – das Stück ganz unvoreingenommen genießen können. Wenn ich mich bei den meisten Bernhardaufführungen – es waren arg viele! – schnell langweilte, so stellte ich fest: Diesmal nicht!
Ich rufe daher auch nicht nach Peymann, im Gegenteil, Wittenberg machte seine Sache gut. Auch das Bühnenbild passt und ist gefinkelt: Ein „bürgerlicher“Salon“ mit Stehpendeluhr, eleganten Stühlen und Anrichte. An den bordeauxroten Wänden hängen, wie ich nachlesen konnte, die Bilder von den berühmten Dreien: Ritter, Däne, Voss. Die – so verstehe ich Wittenbergs Einfall, einen Museumswärter in den Hintergrund zu setzen – bitteschön der Vergangenheit angehören. Denn jetzt spielen andere das
Stück! Und die machen ihre Sache gut, sehr gut sogar:
Sandra Cervik ist die betuliche, aber bedauernswerte ältere Schwester. Sie heißt zwar laut Programm Dene, wird aber genauso wie ihre Schwester Ritter (Maria Köstlinger), nie mit Namen genannt. Denn beide sind nur arme Figuren um EINEN MANN herum, der Ludwig genannt wird (Johannes Krisch).
Es tut weh mitzuerleben, wie sich diese beiden Frauen gegenseitig bekriegen, um die Gunst des unerträglichen Mannsbildes buhlen. Beide spekulieren auf erotische Wirkungsmöglichkeiten, die an Ludwig jedoch verlorene Liebesmüh sind. Küsse gehen ins Leere, denn er ist ein von Erotik freigefegter Mann. Der hat nur seine wirren Gedanken, zusammengesetzt aus der Philosophie eines Ludwig Wittgenstein und dem Irrsinn des Neffen Paul Wittgenstein, im Kopf. Sein ganzes Da -sein in dieser ihm verhassten Wohnung mit den verhassten Bildern der Eltern (Voss als Vater, Dene als Mutter) hat nur eine Richtung: Wie er die beiden Frauen mit seiner „Krankheit“ quälen kann. Sein Irrsinn hat Sinn: Er bleibt Herr über die Schwestern, zieht alles, was sie unternehmen ins Lächerliche, samt Tischtuch und Geschirr. Wenn er Möbel umstellt, Geschirr zerbricht, Bilder umhängt, Essen ausspuckt und gegen seine Vergangenheit und seine Schwestern tobt, dann bekommen diese Szenen den absurd-aberwitzigen Charakter eines Ionescostückes. Was durchaus gut beim Publikum ankam, wie der lange Applaus und die Bravorufe bewiesen.
Cäcilia lebt seit ihrer Geburt im „Ospedale della Pietà“, einem der Waisenhäuser Venedigs. Sie weiß nicht, wer ihre Mutter ist, die sie als Säugling vor dem Tor des Ospedale abgelegt hat. Als Cäcilia 16 Jahre alt wird, beginnt sie nach ihrer Mutter zu forschen. Eine Schwester zeigt ihr die Erkennungszeichen, die die Mutter hinterließ. Doch daraus lässt sich kein Schluss ziehen.
Im Kloster legt man größten Wert auf Musik. Alle Kinder werden musikalisch gefördert. Cäcilia ist besonders begabt. Ihr Geigenspiel erregt auch bei dem neuen Musikmeister und Komponisten (Antonio Vivaldi) Interesse. Er möchte sie zu seinem Star machen, was aber hieße, dass Cäcilie auf ein Leben außerhalb der Klostermauern verzichten müsste. Sie lehnt das Angebot ab, zieht sich Männerkleider an, besteigt ein Schiff Richtung Griechenland, wo sie hofft, ihre Mutter zu finden.
Tiziano Scarpa wählt ein gehobene, sehr feministische Sprache, in der er Cäcilia die Briefe verfassen lässt. Des öfteren allrdings beschwert das Pathos das Lesen. Interessant wäre für den Leser zu erfahren, ob die in dem Roman geschilderten Lebensumstände der Mädchen historisch belegt sind. Etwa, dass die Mädchen nur selten das Kloster verlassen dürfen. Wenn, dann nur unter strengster Bewachung und von oben bis unten verhüllt. Nur ein Augenschlitz ermöglicht ihnen eine schmale Sicht auf die Welt. Weitere strenge Lebensregeln werden geschildert. War das Leben tatsächlich so engmaschig nur auf Musik ausgerichtet? „Wir sind lebendig gleichsam in einem Sarg aus Musik begraben“ (73) schreibt Cäcilia an die unbekannte Mutter. Zu öffentlichen Messen spielen sie alle mit Maske – ihre Körperlichkeit soll verleugnet werden, um die Zuhörer – meist Männer – nicht vom Hören ablenken. Aufbegehren gilt nicht. Sie sollten lieber dankbar sein, leben zu dürfen. Früher wären die unehelichen Kinder gleich nach der Geburt ertränkt worden wie junge Katzen, erklärt eine Schwester dem geschockten Mädchen.
Der Roman lebt von den poetischen, manchmal stark überhöhten Bildern und fordert dem Leser einiges an Geduld ab. Über Venedig selbst erfährt man wenig.
Ein MUSS für Puppenspielliebhaber, oder eigentlich für alle, die witziges, pointiertes, schräges, launiges, Lachen machendes Theater lieben!!
Idee und Spiel: Manuela Linshalm, Buch: Manuela Linshalm, Stephan Lack, Regie: Christine Wipplinger, Musik: Heidelinde Gratzl, Puppen: Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Marianne Meinl, Lisa Zingerle. Bühne: Denise Heschl, Licht: Simon Meusburger.
Man muss sie einfach bewundern: Manula Linshalm bespielt solo (sollte das nicht genderkorrekt „sola“ heißen? – na ich habs nicht so mit dem Gendern) alle Puppen, oft zwei gleichzeitig. Sie schlüpft nicht nur mit den Händen in die Puppen, sondern auch mit ihrer Seele. Das merkt man, wenn man einmal von der Puppe wegguckt und sich auf ihre Mimik konzentriert. Sie ist nicht nur Stimme, sondern sie leidet, freut oder ärgert sich mimisch mit der Puppe mit.
Manuela Linshalm begann gemeinsam mit Nikolaus Habjan im Schuberttheater – ich erinnere mich an großartige Aufführungen, wie zum Beispiel „Was geschah mit Baby Jane?“, wo sie unter der Regie von Nikolaus Habjan schon damals alle Puppen bespielte. Viele gemeinsame Auftritte mit Nikolaus Habjan folgten. Nun steht sie also wieder als Hauptakteurin hinter den Puppen – grandios!
Resi und der traurige WitwerDie PhilosophenratteHeidelinde Gratzls wunderbare Musik
Die Geschichte der Resi Resch, die seit Jahrzehnten den Würstelstand führt, ist rührend, jedoch ohne das Geringste Fuzerl Kitsch. Tapfer und lebensoptimistisch steht sie Tag für Tag hinter der Budel, winkt ihren alten Kunden zu, fragt nach dem werten Befinden der Mutter, Tante, Oma, des Ehemanns. Sie kennt sie alle beim Namen, weiß über Blutdruck bis Masern Bescheid. . Doch keiner kauft ihre Würsteln. Der eine hat Diabetes, der andere ist Vegetarier geworden – da kann sich Resi über die Vegetarier und Veganer alterieren -. Der einzig treue Kunde ist ein depressiver Witwer. Er kommt täglich, um sich auszujammern. Köstlich sind die Dialoge zwischen den beiden – er trauert seit Jahren seiner Verstorbenen nach, und Resi gibt ihm Ezzes, wie er neue Frauen kennenlernen könnte. Sie steht mitten im Leben, das zwar nicht rosig ist, aber sie lässt sich nicht unterkriegen. Ärgert sie sich – und das passiert sehr oft – dann lässt sie perfekte wienerische Schimpfkanonaden los. Ihr besonderer Schützling ist ein Obdachloser. Er darf neben ihrer Hütte seinen Rausch ausschlafen.
In der Naht ist ihr Stand geschlossen. Da schlüpft aus dem Abfallkübel die glückliche Ratte. Glücklich, weil der Philosoph Schopenhauer ihr persönlichen Ratgeber ist. Genüsslich verspeist sie die Reste, die sie im Umkreis des Standes findet, begleitet von der zarten Melodie eines Xylophons. Heidelinde Gratzl hüllt das Spiel der Puppen durch ihre Musik in eine fast irreale- mystische Atmosphäre. Wenn sie den Betrunkenen mit leisen Akkordeontönen in den Schlaf begleitet oder die exaltierte amerikanische Touristin mit einem wilden Walzer berauscht, dann wird das Theater zur Traumsequenz, in der Vergänglichkeit und Gegenwart verschmelzen.
Jede einzelne Szene ist eine Köstlichkeit per se. Man lacht, trauert, schluchzt und leidet mit den Puppen und muss sich dafür kein Bißchen schämen!
Fast drei Stunden Ausstattungsorgie! Teils optischer Genuss, teils witzig, teils überflüssig. Julian Crouch, für Bühne und Kostüme verwantwortlich, schwelgt im bewusstem Kitsch, manchmal fein dosiert mit ironischer Wirkung, manchmal schwappt diese Orgie über den Topfrand und wird zu viel. Im ersten Teil genießt man all diese Gags – Theater im Theater, das Bühnenbild wie aus der Kitschmottenkiste mit humorigem Zwinkern; da hüpft Eurydike ( Hedwig Ritter stimmlich ziemlich tough) zwischen Tempelsäulen und sammelt Blumen für ihren Liebsten, einen Schäfer. Sie klagt über ihren langweiligen Ehemann Orpheus, Schäfer tauchen auf, Zeit der Schafschur ist – eines der entzückendsten Ballettszenen des Abends entrollt sich: Schafstanz , zuerst in der vollen Wolle, dann geschoren. Choreographie (Gail Skrela) und Kostüme überschlagen sich hier an Einfällen. Orpheus betritt die Bühne (Daniel Kluge – köstlich in der Selbstverleugnung) und gleicht so gar nicht dem aus der Antike tradierten Bild. Statt eines schönen Jünglings, dessen Gesang Steine zum Heulen bringt, spielt da ein selbstverliebter, unattraktaktiver Langeweiler. Eigentlich kann er gar nicht richtig Geige spielen, als Ehemann und Lehrer taugt er schon gar nicht.
Dann Sprung in die Götterwelt – der Schäfer entpuppt sich als Pluto, Gott der Unterwelt – Timothy Fallon gibt einen behäbigen Gott, stimmlich gut. Dass Eurydike nun in der Unterwelt gefangen gehalten wird, ist ihr gar nicht recht. Sie langweilt sich, niemand liebt sie. In den Szenen mit Styx als Wächter und Fliege (Sebastian Matt) haben die Regisseure viele Chancen auf echt gute Humorszenen vergeben. Denn leider fehlt hier das geistvolle Blödeln, es bleibt nur die reine Blödelei. Noch dazu ist Sebastian Max – wie auch Ruth Brauer-Kvam als öffentliche Meinung oder Marco di Sapia als Zeus – nur schwer verständlich. All die folgenden Szenen im Götterhimmel geraten zu langatmig, da fehlt der kluge Strich. Mühsam gehts mit der Vorstellung jeder einzelnen Gottheit voran – wer weiß schon was über die Büchse der Pandora, das Pantscherl zwischen Mars und Venus oder warum Merkur auf Rollschuhen daherkommt. Die Nomenklatur der Götter ist vielleicht gerade noch aus den klassischen Heldensagen bekannt – und das ist kein gesichertes Wissen. Die Langeweile wird dann von zwei herrlichen Tanzszenen aufgemischt, zuerst durch die Parade der Liebespolizei des Cupido. Da hört man die Kinder vor Lachen kreischen und jubeln. Und darauf der temperamentvoll und toll getanzte Cancan – das war Augenweide für die Erwachsenen. Wie überhaupt die Aufführung mehr durch optische Opulenz und tänzerische Einlagen als durch geistreichen Witz begeistert.
Ein toller Tag ist, wenn tolles Theater zu sehen ist: Wenn Text, Inszenierung, Kostüme und vor allem Schauspieler einen vollen Erfolg garantieren!
Der Regisseur Peter M. Preissler hat sein feines Händchen für Komödien schon mehrfach bewiesen – z. B. in dem Stück „Umsonst“ von Nestroy. Dass Peter Turrini ein hervorragender Dramatiker mit einem Gespür für Humor und überbordende Komik ist. braucht hier nicht noch extra betont zu werden. Mit seiner Bearbeitung des gleichamigen Stückes von Beaumarchais beweist er wieder einmal meisterhaft, was „Bearbeitung“ wirklich heißt: Ehrfurcht vor dem Autor, aber genügend Witz und Mut zu Änderungen, bzw. Aktualisierungen. Entgegen aller anderen Figarobearbeitungen hält es Turrini mit einem krasssen Schluss: Figaro bringt in höchster Verzweiflung, weil ihm schon keine weitere List gegen diesen machtgeilen Graf Almaviva einfällt, dieses Monster um. Danach künden die herabfallenden Marionetten die Revolution an. Unterstrichen wird diese „Komödie“, die eigentlich ein traurig-komische Angelegenheit ist, durch die absurd-witzigen Kostüme der Nebenfiguren, wie etwa der Marcelline (selbstverleugnerisch gut Sibylle Kos), des Intriganten Bacillus, von Randolph Destaller zwischen einfältig und bösartig bestens verkörpert oder des bis zur Verblödung die Befehle des Grafen nachplappernden Dieners Raimund Brandner. Besondeere Leckerbissen des komödiantischen Könnens liefern Florian Lebek als Don Guzman di Stibiza, Richter seines Amtes, und ihm zur Seite Bernie Feit als Schreiber Zettelkopf. Hinter ihrem Spiel lauert die grausame Aktualität – die Korruption quer durch alle Sparten.
Die Hauptfiguren spielen in passender Alltagskleidung, denn ihr Spiel um Macht, versuchter List und Abwehr der Übergriffe sollen möglchst nahe der Normalität angesiedelt sein. Wenn Graf Almaviva sich ungeniert an Susanna (sehr gradlinig, ehrlich: Lena Antonia Birke) vergreifen will, dann wird aus dem Scherz grausamer Ernst. Hermann J. Kogler gibt einen richtig fiesen Anmacher, der jedem Frauenzimmer an die Wäsche geht, nur nicht seiner eigenen Frau – was diese unverständlicher Weise sehr bedauert, Christine Saginth ist eine sehr heutige Gräfin, die auch gerne ein Pantscherl mit dem blutjungen Cherubin hätte. Alduin Gazquez gibt keinen engelsgleichen Cherubin, der ja bei Mozart in aller Unschuld die Frauen verführt, sondern einen ziemlich abgebrühten Jungschurken, immer auf seinen Vorteil bedacht. Zwischen all diesen Figuren versucht Figaro (flink, verzweifelt einen Ausweg suchend: Philipp Stix) seine Susanne vor dem Zugriff des Grafen zu retten. Dessen Macht und Intrigantentum treiben Figaro in die Verzweiflungstat – er erwürgt den Grafen. Was für ein Schluss: Revolutionen entstehen, wenn die Unterdrückten keinen Ausweg mehr sehen, alle Mitteln ausgeschöpft haben. Und krachend fallen die Puppen, die das ganze Spiel über vom Plafond herunterhingen, auf den toten Grafen. Was mit Susanne und Figaro weiter passiert, bleibt offen.
Langer Applaus, auch für Peter Turrini, der an diesem Abend unter den Zuschauern saß und begeistert applaudierte.
Info und Vorverkauf unter 01/ 544 20 70, Theater Scala. Wiedner Hauptstraße 108, 1050 Wien
Günther Groissböck: Gesang. Florian Krumpöck: Klavier. Kasematten Wiener Neustadt
Das Opernpublikum kennt Günther Groissböck als außergewöhnlichen Sänger und Rollengestalter, etwa als Wassermann in „Rusalka“ oder als Ochs im „Rosenkavalier“. Nun erobert sich Groissböck auch die Liedszene. Ohne seinen ganzen Stimmunfang zu demonstrieren – wie man das von manchen bekannten Opernstars kennt, die sich auch im Lied als Opernstar beweisen wollen – ziseliert er Wort für Wort, Ton für Ton den Schmerz dieses Menschen, der durch den Winter seiner Seele und der Natur geht und erfährt, was Einsamkeit heißt. Tempowechsel und Steigerung vom Piano zum vollen Bass, leise, zart, bis deutlich laut- weil zutiefst verletzt – so führt Groissböck sich und sein Publikum durch diese Reise. Trotz mehrmaliger Störung (Handy und ein dringend notwendiger Rettungseinsatz) bleibt er konzentriert, bleibt in der Seele des Wanderers, macht alle Tiefen durch, allen Schmerz, der sich in Tränen auflöst und doch nicht weniger wird.
Er beginnt nüchtern („Gute Nacht“): Nimmt Abschied von seinem Liebchen, wünscht ihr gute Nacht. Lässt die Hunde heulen. Es klingt wie ein Faktum: eben nach Abschied. Doch mit jedem Lied steigert Groissböck die Intensität bis zum ersten Höhepunkt – zur „Erstarrung“: Tränen gefrieren zu Eis, der Sänger jagt durch den Schmerz, immer nach „ihrem“ Bild suchen, den Schmerz verstärkend. Im „Lindenbaum“ führt er uns durch eine kurze Idylle, die bald in Dramatik umschlägt. Ab nun gibt es keine Wehmut, nur Dramatik. Traum und Wirklichkeit mischen sich , aber daraus erwachend erkennt er: Die Welt ist eben so beschaffen, in dieser Welt bleibt er immer einsam. Die Krähe wird ihm Lockvogel, lenkt seine Gedanken in den Tod. Vorher noch die bittere Erkenntnis: Menschen sollt ich scheuen, ich muss eine andere Straße gehen. Ein letztes Aufbäumen. Dann der Leiermann. Niemand beachtet seine Musik, doch er findet in ihr Ruhe.
Großartig, wie Günther Groisböck diese Reise gestaltete. Begleitet wurde er kongenial von Florian Krumböck. Wie dessen Finger über die Tasten schwebten, Schuberttöne in selten gehörter Zartheit hervorzauberten, dann wieder mit Macht, aber ohne vorlaute Wucht der Dramatik des Liedes folgten – das war Schubert in reinster, vollkommenster Form!
Untertitel: Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert
Für Bücherwürmer, Büchernarren, Bücherabhängige, Neugierige, Gierige – also für alle, die gerne lesen, ist dieses Buch ein MUSS!
Immer wieder frage ich mich, warum ich ein Buch von der ersten Seite an mag. Welche Tricks stecken dahinter? Wie stellt es der Schriftsteller an, den Leser bei den Seiten zu behalten? George Saunders lehrt Literatur und Schreiben an der Syrakuse University / New York. Dass er weiß, wie ein Autor seine Leser bei der Stange hält, merkt man sofort. Als „Einführung“ in die Geheimnisse, die einen guten Schriftsteller ausmachen, legt er als Kostprobe die Erzählung „Auf dem Wagen“ (1897) von Anton Tschechow vor. Dann stellte Saunders die richtigen Fragen, die in das Innere der Schreibgeheimnisse Tschechows führen. Das geschieht nicht lehrerhaft, sondern ganz nah am Leser und mit viel Humor. Sechs weitere Erzählungen folgen, die allesamt von den großen russischen Erzählern, wie Tschechow, Turgenjew, Tolstoj und Gogol stammen. Es empfiehlt sich, nicht alle Erzählungen und deren „Lösungen“ auf einmal zu lesen. Am besten man liest eine mehrmals, lässt die Fragen und Deutungen auf sich wirken, lässt sie „rasten und reifen“. Eine Weile später entscheidet man sich für die nächste. Eine gute Torte verschlingt man ja auch nicht auf einmal!
Carsten Henn widmet diesen Roman allen „Buchhändlern und Buchhändlerinnen. Selbst in der Krise versorgen sie uns mit einem ganz besonderen Lebensmittel“.
„Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ein Resonanzkörper wie die Seele eines Lesers“ – diesem Motto von Stendhal, dem Roman vorangestellt, kann der Leser vertrauen – es löst sich wie ein gegebenes Versprechen Seite für Seite ein.
Bücher über Bücher zu schreiben ist ein Trend. Elke Heidenreich, George Saunders oder Ruth Ozeki – um nur einige zu nennen, haben sich diesem Thema in verschiedenster Weise genähert. Für Carsten Henn ist ein Buch tatsächlich Leben und Lebensmittel. Es gibt dem Leser Ruhe, vor allem dem einsamen Leser. Einsamkeit ist Henns Hauptthema. Schon im „Die Geschichten des Bäckers“ geht es darum, Menschen zu zeigen, die ohne Liebe vereinsamen. Der Bäcker weiß darum und hilft mit seinen Geschichten.
Auch Carl, der Buchspazierer, weiß um die Einsamkeit der Menschen. Jeden Abend packt er Bücher liebevoll ein und marschiert mit ihnen zu seinen Kunden, reicht ihnen ein stückweit Trost, Hilfe. Carl könnte längst schon in Pension gehen. Aber er hängt an seinem Beruf als Buchhändler. Seit die Tochter des Ladenbesitzers das Geschäft übernommen hat, droht ihm die Entlassung. Aber unbeirrt davon marschiert er mit seinen Büchern von Kunde zu Kunde. Bis eines Tages sich ein zehnjähriges Mädchen ihn ungebeten begleitet. Sascha ist ein wenig altklug, gewitzt und versteht sehr schnell, dass auch Carl unter Einsamkeit leidet. Sie lehrt ihn, das Leben anzupacken.
Vielleicht tut so mancher Leser das Buch als „Jugendlektüre“ ab. Als gute zwar, aber lässt sich deshalb nicht so richtig auf den Inhalt ein. Mancher mag vielleicht „Kitschalarm“ orten. Aber solche Leser wollen die Botschaft der tiefen Menschlichkeit nicht wahrhaben. „Weißt du, die Menschen vergessen immer mehr zu lesen. Dabei sind Menschen zwischen den Deckeln, ihre Geschichten. In jedem Buch ist ein Herz, das zu pochen beginnt, wenn man es liest, weil das eigene Herz sich mit ihm verbindet“, erklärt Carl dem Mädchen (S46). Ja, es menschelt in den Büchern von Carsten Henn. Manchmal vielleicht sehr sogar. Und unsere Zeit ist dafür nicht immer gemacht, solche Bücher zu lesen, ihre Botschaft zu akzeptieren. Aber gerade deshalb sind Henns Bücher wichtig.
Ein Buch, das jeder Kulturinteressierte gelesen haben muss. Welch Erleichterung, dass endlich Autoren, die es wissen, weil sie die Misere am eigenen Leib erfahren mussten, offen über die Krankheit „Regietheater“ schreiben und hinter die Kulissen blicken. Was übrigens für die Oper gilt, gilt für jedes Theater. Wie ich schon andernorts schrieb, gibt es gutes Theater und Regietheater. Letzteres ist zunehmend unerträglich geworden
Ileana Cotrubas war seit den 1970er Jahren auf allen Opernbühnen der Welt zu Hause, sang Susanna, Manon, Violetta und viele andere Partien. Manfred Ramin war Dirigent und managte die Karriere seiner Frau. Beide sind also mit dem Opernbetrieb bestens vertraut. Und sie haben den Mut, über den Missbrauch zu schreiben. Regisseure – und sie nennen bekannte Namen wie Neuenfels, Kusej oder Calixto Bieito – missbrauchen das Werk, um durch skandalöse Inszenierungen zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen zu werden. Je skandalöser eine Inszenierung ist, desto mehr steigt der Ruhm des Regisseurs. Die Liste der „Parasitenregisseure“, wie die Autoren sie nennen, kann beliebig verlängert werden. Parasitenregisseure deswegen, weil “ es sich dabei um Gebilde handelt, die aus eigener Kraft nicht existieren können. Sie sind auf einen Träger angewiesen, den sie dann oft überwuchern.“ (S 42)
Die Autoren bleiben nicht an der Oberfläche, sie gehen in die Tiefe des Übels. Das beginnt beim Direktor – welche Regisseure bestellt er? Wann weiß der Sänger, die Sängerin (der Schauspieler, die Schauspielerin), welcher Regisseur inszenieren wird? – Meist viel zu spät, um aus der Produktion noch aussteigen zu können. Warum bestellen Politiker – und hier seien einmal mehr für Österreich Andrea Mayer und Veronika Kaup-Hasler genannt – immer wieder unfähige Direktoren? Interessiert sich die Politik überhaupt für Kultur? Eher sehen die Zuständigen sie als notwendiges Lockmittel für Touristen.
Hoffnung blinkt da und dort auf – erstens durch dieses ungemein wichtige Buch, das man jedem Kulturverantwortlichen auf den Schreibtisch legen und ihn zur Lektüre verpflichten müsste. Dann durch Künstler, wie Nikolaus Habjan oder den Dirigenten Philipp Jordan, die sich offen gegen das Regietheater stellen. Und durch den Kurierjournalisten Thomas Trenkler, der immer wieder in seinen Artikeln auf die fragwürdigen Bestellungen von leitenden Posten in der Kultur hinweist.
Es gibt gutes Theater und es gibt Regietheater! Diese Inszenierung von Ivo van Hove fällt unter die letztere Kategorie. Gleich zweimal wurde Maria Luise Fleißer von Männern, die sich als Regisseure und Besserwisser sahen, vergewaltigt. Das erste Mal durch Bert Brecht, der ihr Stück „Pioniere in Ingolstadt“ derartig krass änderte, dass die Autorin auf allen deutschen Theatern und in ihrer Heimatstadt Ingolstadt als persona non grata gemieden wurde. Das zweite Mal nun durch Ico van Hove, der aus den Stücken „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ ein unerträgliches zweieinhalbstündiges Machwerk machte und pausenlose Gewalt und Geschrei auf das Publikum niederließ. Da mussten junge, unbekannte Schauspieler und Schauspielerinnen Waterbording bis kurz vorm Ertrinken ertragen, Vergewaltigungen mit heruntergelassenen Hosen waren Normalität. Kämpfe mit ungeheurer Brutalität – man hoffte, dass sich keiner ernsthaft verletzte. Das alles pausenlos und schier endlos. Schade um die Zeit, schade um Marialuise Fleißer, schade um die jungen Darsteller!
P.S.: Gegen den Publikumsschwund in Theater und Oper gäbe es ein probates Mittel: Weg mir den allzu radikalen Regisseuren, die sich wie Götter fühlen. Eine Buchempfehlung zum Thema Regietheater:
Cotrubas/Ramin: Die manipulierte Oper, Verlag Der Apfel. Offene Kritk, mutig, längst notwendig!
Musik: P.I. Tschaikowski und Giacinto Scelsi. Choreographie: Martin Schläpfer und Marius Petipa. Bühne: Florian Etti. Kostüme: Catherine Voeffray. Dirigent: Patrick Lange
Ein Abend, der Ballettfans Freude macht. Vor allem denjenigen, die gerne auf Spurensuche gehen: Wo ist Petipa zu sehen, wo die Hand Schläpfers zu merken? Letzterer hat wie Künstler, die fremde Bilder übermalen, seine Choreographie über die Petipas gelegt oder – wie im dritten Akt – ein ganz neues Bild gemalt, um in der Sprache der bildenden Kunst zu bleiben.
Man darf ausgiebig in den Farben der Romantik schwelgen. Zwischen kräftigen roten Rosendekor und bunten Kostümen entwickelt sich das Märchen. Der Beginn (Prolog) ist zwar naiv, bis überflüssig: Im weißen Himmelbett beten die Königin und der König um Kindersegen, legen sich hin und-…Ja, es hat gefunkt! Neun Monate später hängt eine winzige Wiege im Rosenhimmel. Und es darf gefeiert werden. Olga Esina als Königin – von Martin Schläpfer zu Recht in ihrer Rolle aufgewertet – beherrscht wie immer die Szene, sobald sie tanzt. Darüber brauche ich nicht mehr zu schwärmen! Ihre Eleganz und Bühnenpräsenz stellt sie wie immer unter Beweis. Dem König (Masayu Kimotu) kommt eine marginale Rolle zu – hat Schläpfer feministische Attitüden? Es entwickeln sich die von Petipa entworfenen Tanzszenen, alle – Schläpfer will ja immer das ganze Ensemble glänzen lassen – dürfen mit großem Eifer glänzen. Auch die Jüngsten als Elfenkinder, die wie Spielpuppen hereingetragen werden. Knapp bevor es langweilig werden könnte – der erste Höhepunkt: Der fulminante Auftritt der bösen Fee Carabosse! Claudia Schoch ist dank der über Petipas Choreografie darübermalenden Pinselstriche Schläpfers eine temperamentvolle, bedrohliche Fee. In Begleitung ihrer beiden Adlati Calogero Failla und Igor Milos zerstört sie die Idylle und verhöhnt mit ihrer Macht die allzu satte Feiergesellschaft( Titelfoto). Ioanna Avram als zauberhafte Fee Lilas kann das Todesurteil in hundertjährigen Schlaf verwandeln. Hier setzt Schläpfer auch starke Akzente mit Symbolkraft, indem er die böse und die gute Fee zuletzt zu einer Einheit im Tanz verschmelzen lässt. Der dritte Akt mit der Musik (aus der Konserve) von Scelsi bezaubert das Publikum mit einer Waldkulisse und verträumt-idyllischen Tänzen des Blauen Vogels (Giorgio Fourès) und des Fauns (Daniel Vizcayo). Mit dieser Choreographie hat Martin Schläpfer Spannung, Atmosphäre und den ganzen Zauber eines Märchens in den Ablauf hineingebracht. Nach dem dritten Akt dürfen noch Hyo-Jung Kang als wachgeküsstes Dornröschen und Brendan Saye als Prinz ihr Können zeigen. Letzterer trumpft mit einer Sprungqualität auf, die an Nurejew erinnert. Leider wirkt der vierte Akt,ganz der Petipachoreographie einverschrieben, altmodisch, trotz der modernen Kostüme – oder gerade auch deswegen. Besonders unkleidsam ist das der Königin. Dass König und Königin nach der Hofübergabe sterben und auf dem Bühnenvordergrund liegen wie les giants in französichen Kathedralen, ist eine überflüssige und peinliche Idee.
Patrick Lange führt sehr behutsam, ganz auf Märchenpfoten, das Publikum durch die Märchenmusik!
Langer und begeisterter Beifall belohnte Ensemble, Musiker und Dirigenten.
Bilder, die einen sofort in ihren Bann ziehen. Da glühen Rot, Gelb, abgeschattetes Lila – die ganze Palette der puren Farben- und Lebensfreude auf. Fasziniert gehe ich von einem Bild zum anderen, eigene Erinnerungen an Äthiopien und andere von mir bereiste Länder steigen auf. Landschaften, die ich durchwandert, Menschen, denen ich begegnet bin. Die Bilder Ruth Baumgartes erhöhen die eigenen inneren Bilder in eine Absolutheit, Stimmigkeit. Sie malt keine „Kolonialbilder“, keine Tourismuserinnerungen, keine „typisch afrikanischen Bilder“, borgt sich nicht die Kunst der afrikanischen Bewohner, schielt nicht nach Angleichung, Verbrüderung.
Ruth Baumgarte, 1923 in Coburg geboren, bereiste Afrika von Norden bis in den Süden, war von den Menschen, der Landschaft fasziniert. Ihre Bildersprache erzählt von den ungeheuren Anstrengungen der Menschen, ihr Leben zu bewältigen, trotz Feuer und Dürre. Die Gesichter heischen nicht um Mitleid, sondern zeigen Selbstbewußtsein, Stolz.
Ruth Baumgarte betreibt keinen Verklärungskult. Sie sieht genua hin, weiß um die Nöte der Menschen, die sich hilflos einer gealtigen Landschaft ausgeliefert sehen.
Die Feuersbrunst jagt übers Land, Flucht. (Bild Mitte). Wie klein ein Mensch in der gewaltigen Landschaft ist, die im Farbenrausch aufzubrechen scheint, zeigt ein und dasselbe Bild, einmal außen rechts: Der Mensch ist winzig, von der lebensharten,, bedrohlichen und doch herrlichen Landschaft fast verschluckt. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man ihn – den Menschen- ruhig stehend, abwartend – Bild links außen.
Ruth Baumgarte kann auch ohne Farben berühren. Ihre Zeichnungen zeigen das Leid der Frau, ganz ohne prächtige Farbgestaltung. Hilflos sehen die Figuren (Kinder?) zu, wie die Mutter erschöpft daliegt. Blut um sie.
Ein Jahr vor ihrem Tode 2013 gründete sie die Kunststiftung Ruth Baumgarte, deren heuriger Preisträger Athi Patra Ruga mit einigen interessanten Werken in der Ausstellung vertreten ist
Regie: Barbara Frey. Bühne: Martin Zehetgruber. Kostüme: Esther Geremus
Die Untoten sind passiv, manchmal lasziv, wenig kreativ, dank der Regie von Barbra Frey. Zu Beginn ist es stockdunkel – Thomas Bernhard hätte seine Freude an dieser totalen Finsternis! Aus dem Off spricht eine Stimme über Fliegen, Maden, Ameisen, die einen Leichnam auffressen, erklärt über gefühlte zehn Minuten, wie der frische Leichnam aussieht und wie er nach zwei Jahren aussieht. Der Text wirkt wie aus einem Readiokolleg von Ö1, ist nicht aus Schnitzlers Feder. Was dann folgt ist ein Trauerspiel über 2 Stunden ohne Pause. Vor einem dunkelgrau- schwarzen Vorhang stehen schwere, dunkelbraune Lederfauteuils, sonst nichts. In einem sitzt Genia (Katharina Lorenz), stumm, verstummt. Steif gefroren vor Langeweile in ihrem trostlosen Eheleben. Aus den Vorhängen schälen sich die weiteren Totfiguren heraus, alle sehr bedrückt – doch auch neugierig nach Sensationen: Warum hat sich der junge, begabte Korsakov erschossen? Verschiedene Gerüchte scheinen die Untoten ein wenig aufzuwärmen. Was dann folgt ist ein ziemlich amputierter Schnitzler. In diesem Untotenspiel wirkt selbt Erna (Nina Siewert), die von Schnitzler als kokette, lebneslustige junge Frau, die ihre ersten koketten Krallen an Hofreiter schärft, bechrieben wird, wie aus einer griechischen Tagödie entlehnt. Und Hofreiter, der galante, elegante Verführer, ist zu einem behäbigen, ziemlich lustlosen Verführer verkümmert (Michael Maertens). Hin und wieder gelingt es Maertens, so was wie einen Hofreiter à la Schnitzler hervorzuholen, ein paar treffende Bonmots über das Leben im Allgemeinen und über die Liebe, die es gar nicht gibt, im Besonderen, anzubringen. Dann wird sogar gelacht. Dass Genia und der junge Otto Aigner (Felix Kammerer) ein Verhältnis haben sollen, wirkt deshalb unglaubwürdig, weil dieser Otto eher wie ein Kind und nicht wie einer, der den Marinedienst antreten wird,, wirkt. Der Rest der Untoten sind Schattenfiguren, die das weite Land der Unterwelt bevölkern.
Dieses Buch ist eines der wenigen, das einen festen Platz in meinem Regal bekommt. Und oft herausgenommen wird, wenn ich einzelne Seiten lesen will. Oder wenn ich es einem ganz lieben Freund, einer Freundin borgen will. Aber nur denen, die keine Berührungsängste vor Emotionen haben. Ich sage: Endlich ein Buch, das nicht kopflastig, keine detailverliebte Nabelschau ist, das keine Moralpredigten, keine Lebensanleitungen, keine philosophisch-intellektuellen Abhandlungen als Roman verkaufen will – es ist schlicht und einfach ein Buch, das ich von der ersten Seite an liebte. Ich war traurig, als ich es zu Ende gelesen hatte. Eben, weil es zu Ende war. Wenn die Figuren des Buches sich ein wenig zurückziehen und das banale Alltagsleben mich wieder in den Klauen hat. Aber ich sage mir: es gibt die Figuren ja weiter, sie existieren, ich brauche sie nur abzurufen.
Wer sind diese Figuren? Die Tänzerin Sofie: Ihre Karriere als gefeierte Primaballerina wurde durch eine Verletzung abrupt beendet. Sie lebt im luftleeren Raum ohne Plan, ohne Aufgaben. Eine Situation, die vielen schon passiert ist. Wie soll es weitergehen? Ihr Mann ist Choreograph am Theater, wo sie bisher getanzt hat. Er versteht Sofies Rat- und Ruhelosigkeit, Versucht ihr auf seine Weise zu helfen. Aber wie das so ist mit den gutgemeinten Ratschlägen – sie werden zu Schlägen. Da tritt wie ein deus ex machina die Figur des Bäckers Giacomo in ihr Blick- und Lebensfeld. Er behandelt Leben, Menschen und alles Lebendige mit Liebe, Sorgfalt. Besonders auch seinen Teig, Deshalb ist sein Brot das beste weit und breit. Und er bringt Sofie das Brotbacken und die Liebe zum Leben bei. Wie das gehen kann, ist der Inhalt dieses Buches. ZAUBERHAFT!
Musikalische Begleitung: Andrej Serkov auf dem Knopfakkordeon
Intensiv und schlicht – so lässt sich dieser Abend zusammenfassen. Erwin Steinhauer liest. Ruhig, gelassen fließt die klare Sprache Joseph Roths dahin. Er – Josph Roth und mit ihm Erwin Steinhauer – lässt sich Zeit, verbreitet dichte Bilder des fiktiven Städtchens Progrody, das nicht zufällig an Brody, die Geburtstadt Joseph Roths, anklingt: Bauern und Bäuerinnen kommen zum Wochenmarkt, es wird gefeilscht, danach geht man zum Korallenhändler Nissen Piczenik und kauft Korallen. Nicht irgendwelche, sondern sorgfältig ausgewählte und liebevoll gehegte. Die Korallen sind für Nissen Piczenik lebendige Wesen, mit Blut erfüllt. Sie kommen aus den Tiefen des Meeres, wo Leviathan sie bewacht. Steinhauers Stimme lässt ein Kopftheater mit dichten Bildern entstehen. Wir sehen die Bäuerinnen, die sich die Korallenketten umglegen, wir sehen das Städtchen, wie es vor mehr als 150 Jahren ausgesehen haben mag. Wir sehen Nissen Piczenik, lassen im Kopf sein Bild entstehen.
Dazwischen spielt Andrej Serkov auf seinem Knopfakkordeon. Seine Töne zaubern ebenfalls Bilder in unsere Seele. Einmal sind es die Korallen, die wie Perlen durch die Hände der Bäuerinnen rieseln, dann hört man die Töne des Dorfes, meint die schweren Schuhe auf dem unebenen Pflaster zu vernehmen.
Dann wird Piczenik vom Teufel versucht – Lakatos liefert Plastikkorallen. Die Bauern verlieren den Respekt vor dem Echten, kaufen den Plunder. Und Piczenik kauft ebenfalls, mischt die echten mit den unechten. Erliegt der teuflischen Welt des Billigmarktes. Verzweifelt über seinen Treuebruch, beginnt er zu trinken. Verkommt. Steigt in den Zug. Wieder begleitet ihn und uns die Musik Serkovs, der Zug wird schneller, rast dem Ziel, dem Hafen zu, wo der Korallenhändler ein Schiff besteigt, das ihn nach Kanada bringen soll. Doch er überlegt es sich anders, gibt seinem Wunsch, zu seinen geliebten Korallen hinabzusteigen, nach und stürzt sich in die Tiefe. Andrej Serkov lässt ganz leise die Wellen über Nissen Piczenik zusammenschlagen. Stille. Lange Zeit schweigt das Publikum, lässt das Kopftheater weiter wirken. Spät erst kommt Applaus auf und dankt für einen Abend, ganz frei von Regieeitelkeiten. Wort und Musik waren die Hauptakteure.
Olga Schnitzler: Elisabeth-Joe Harriet. Joseph Roth: Ralph Sami. Idee, Buch, Regie: Elisabeth-Joe Harriet
Heiter plaudernd marschiert das Paar in das (imaginierte) Café im Herrenhof ein: Olga Schnitzler im Midikostüm der Epoche, Joseph Roth im dunklen Anzug mit Fliege. Sie wundert sich über sein elegantes Auftreten, er darauf: „Wenn ich schon Urlaub aus der anderen Welt und wieder einen Körper habe, muss ich das ausnützen.“ Danach, ganz perfekte Gastgeberin. bietet ihm Olga Wasser an. Roth enttäuscht: „Nur Wasser? Sonst nix?“ Natürlich ist auch Wein da, er fragt nach dem Korkenzieher. Wird nicht mehr gebraucht – Drehverschluss. Staunen über die fremde neue Zeit. Solche Spielchen zwischen den Zeiten liebt Olga und spielt sie mit allen ihren Gesprächspartnern (Karl Kraus, Hofmannsthal, Berta Zuckerkandl). Nach diesem heiteren Geplänkel möchte sie mit seiner Geburtsstadt Brody beginnen, was er nicht so gerne hat. Brody wäre doch nur eine unbedeutende Provinzstadt gewesen. Da hält ihm Olga, die immer eifrig recherchierende, seinen eigenen Text über Brody unter die Nase: „Er lese ihn bitte vor“. Und während nun Joseph Roth liest, klappern draußen die Fiaker vorbei. Im Kopf der Zuhörer verschmilzt die Gegenwart zur aktuell sich abspielenden Vergangenheit, die Vergangenheit Joseph Roths: Die zerbrechliche Beziehung zu seiner Mutter, der nicht existierende Vater, der durch das Idealbild des Kaisers ersetzt wurde. sein Aufstieg zum gutverdienenden Journalisten und Romancier („Hiob“ war ein Riesenerfolg, tolle Verkaufszahlen). Roth: „Ja, ich habe mein Leben schön fabuliert!“ Doch früh schon die Erkenntnis, dieser Hitler ist eine große Bedrohung. Seine Liebe zu seiner jungen und schönen Frau Friederike, seine Selbstvorwürfe, sie in der Krankheit im Stich gelassen zu haben. Immer wieder Warnungen vor Hitler, dem Kriegstreiber,und schließlich 1933 seine Abreise ins Exil nach Paris. Dort endet die „Konversation“, Olga Schnitzler wollte keinen vom Alkohol zerstörten Schriftsteller dem Publikum zeigen, sondern das feinfühlige Sprachgenie, das so vieles mehr als alle anderen Zeitgenossen sah, verstand und in seinen Werken poetisch, dokumentarisch und journalistisch verarbeitete.
Ein Abend des musikalischen Wiedererkennens und Erinnerns. Harry Kupfers dem Realismus verschriebener Regie, die Personenführung gepaart mit dem praktischen und eher unromantischen Bühnenbild von Reinhart Zimmermann ergaben einen Abend des fast puren Operngenusses. Fast – weil Carlo Goldstein meinte, er müsse Kupfers Regie durch ein erdiges und oft sehr deftig-lautes Dirigat betonen. So ging die zauberhafte Kennenlernszene von Rodolfo und Mimi im Getöse des Orchesters unter. Anett Fritsch als Mimi und Giorgio Berrugi als Rodolfo hatten große Mühe, ihre Stimmen über den Orchestergraben hinwegzutragen. Beide passen in die Rollen stimmlich und schauspielerisch gut, wenn das Orchester ihnen die Möglichkeit lässt, ihr Können zu beweisen.
Harry Kupfers Regiekonzepte waren dem Realismus eines Bert Brecht verpflichtet: Gutes, solides Bühnenbild, keine Extravaganzen in der Interpretation, sondern immer dem Werk treu ergeben. Ein Parsifal im Gefängnis – wie man ihn letztens in der Staatsoper in Wien zu sehen bekam – wäre ihm nie in den Sinn bekommen. Seine Figuren sind, was der Komponist in sie hineinkomponierte: Menschen, und keine Metafiguren. Daher musste sich der Zuhörer nie mit sonderbaren Regieeinfällen plagen und darüber die Musik „überhören“. Deshalb sorgt die Wiederaufnahme der Bohème für ein fast „neues“, weil seit Jahren nicht mehr erlebbares – Opernerlebnis: Einfach dem Komponisten und dem Regisseur zuhören, was er uns erzählt: Das Leben von jungen Leuten, die auf die Borugoisie pfeifen, nichts ernst nehmen, bis dann das Leben sie ernst nimmt. So greift Kupfer im 2. Akt in die volle Lebenslust, lässt Kinder, Gaukler und Menschen tanzen, singen, um dann im 3. Akt die trübe Wirklichkeit um so stärker wirken zu lassen. Unromantisch und sehr realistisch beschließen Mimi und Rodolfo nicht im Winter sich zu trennen, sondern erst im Frühjahr, wenn die ersten Blüten den Schmerz mildern. Und ganz schnörkellos und schlicht stirbt Mimi. Fast unbemerkt. Kein Tränendrama, sondern harte Realtiät.
Gespielt und gesungen wird von dem Ensemble mit großem Einsatz, wenn der Dirigent ihnen die Chance gibt. Neben den beiden Protagonisten fallen Lauren Urquhart als Musetta und Andrei Bondarenko als Marcello stimmlich und schauspielerisch auf. Leider kam die berühmte „Mantelarie“ des Colline (Aaron Pendleton) zu unspektakulär über die Bühne. Die in ihr enthaltene Gesellschaftskritik blieb ungehört. Zusammenfassung: Ein wichtiger Abend, der so manche Regisseure an ihre eigentliche Aufgabe erinnern sollte: Nicht die Egomanie mit unverständlicher und skandalträchtiger Regie befriedigen, sondern dem Werk und der Musik sich unterordnen!
Schreiber-Wicke ist bekannt als Kinder- und Jugendbuchautorin. In ihrem ersten Buch für Erwachsene beweist sie trockenen Humor, Beobachtungsgabe und Sprachwitz, gepaart mit genauen Recherchen. Als Thema wählte sie die Judenverfolgung in Venedig ab September 1943. Ein unangenehmens Thema, das, so die Autorin im Buch, von vielen bis heute in die Kiste der Vergessens gesteckt wird. Die an der Wiener Oper als Star gefeierte Sängerin Lilly Salomon versteckt sich in Venedig, weil sie – und viele andere auch – meint, dass Mussolini Juden nicht verfolgt. Ein lebensbedrohlicher Irrtum! Im September 1943 werden alle Juden Italiens aufgegriffen und in Lager verschickt. So auch Lilly Salomon. Damit endet der erste Teil der Geschichte, die spannend und interessant geschrieben ist. Immer wieder verbindet die Autorin das Schicksal Salomons mit der Geschichte Toscas, die von Scarpia bedrängt wird. Auch Lilly läuft ihrem Scarpia in die Arme, dem machtbesessenen Conte Montanara. Wenn er sie nicht besitzen kann, will er sie zerstören….Sie wird von der italienischen Polizei abgeführt.
Dann springt Schreiber-Wicke 75 Jahre weiter, ein Toter wird aus der Lagune gefischt. Die polzeilichen Ermittlungen laufen an. Es gibt einen Commissario, eine elegante Assistentin, einen golfspielenden Chef, der sich nicht sehr um die Ermittlungen kümmert, und vieles mehr, das wohl ganz bewusst an Donna Leons Krimi erinnert. Die Parallelen sind gewollt, und es macht Spaß, die zahlreichen déjà -us zu entdecken. Weniger die umständlichen, mit allzu großer Detailverliebtheit geschmückten, wenn auch sprachlich witzigen Beschreibungen und Wiederholungen. Dem Labyrinth der Nachforschngen des Commissario und seinem Team folgt der Leser zwar mit Interesse, aber die Schlingen, Verirrungen, Abschweifungen ermüden ein wenig. Von Lilly Salomon ist kaum mehr die Rede, erst am Schluss gibt es eine Andeutung, dass sie vielleicht überlebt hätte. Ihr (erfundenes) Leben weiter zu erzählen wäre spannender gewesen als die umständlichen Ermittlungen des Commissario. Was man aber wirklich genießt, sind die ironisch-kritischen Blicke, die die Autorin auf Venedig, die Venezianer und die Touristenmassen wirft. Sie kennt diese Stadt wie ihre sprichwörtliche Westentasche!!
Der Titel ist Programm: Gautier Capucon und sechs junge Cellisten aus der „Classe d`Excellence de Violoncello“ der Fondation Louis Vuitton Paris offerierten ein buntes Programm, gut gemischt aus klassischen und eigens für diese Gruppe komponierten Werken. Spannend, aufregend. Zum Rahmen „Grenzenlose Musik“ passend kommen die Musiker und Musikerinnen aus verschiedenen Ländern: Frankreich, Österreich, Belgien, Deutschland. Alle haben bereits eine internationale Karriere vorzuweisen.
Ein Musikabend wie dieser löst Reflexionen aus: Man spricht überall von der Krise des Theaters, ja der Kultur im allgemeinen. Führt diverse Gründe, wie Pandemie, Krieg oder Umweltprobleme an, die die Menschen vom Besuch eines Kulturevents abhalten. Aber dass dieser Abend ausverkauft war – wie passt das? Die Erklärung ist einfach: Musik, wie sie an diesem Abend erklang, schafft Bildertheater im Kopf. Der Zuhörer muss sich nicht von dümmlichen Einfällen diverser egomanischer Regisseure quälen lassen – er ist sein eigener Regisseur. Und es waren intensive Bilder, die die Capucelli auslösten!
Mit Astor Piazzollas „La muerte del Angel“ wird das ungewöhnliche Programm eröffnet: Keine Tangostimmung, sondern eher verhaltene Trauer. Léo Delibes „Viens Malika“ ist Romantik pur. Spannend, aufregend dann „The Forest“ von Bryce Dessner, eine Komposition eigens für diese sieben Cellisten. Er wurde durch den Brand der Nôtre Dame dazu inspiriert, als die uralten Eichenbalken langsam verbrannten und zu Boden krachten. Hohe Spannung, das Feuer greift um sich, was für die Ewigkeit geschaffen wurde, stürzt in sich zusammen. Die von der Musik evozierten Bilder sind stark!
Das Programm liefert ein Wechselbad der Gefühle: Auf das Schwere folgt Leichtes: Bela Bartok bittet zum Tanz. Gleich darauf rührt das Stück „Lasst mich allein“ zu Tränen: Antonin Dvorák setzt seine Trauer um die von ihm geliebte Schwägerin Josefina Cermakova in zu Herzen gehende Musik um. Getreu dem Motto auf Schweres folgt Leichtes wiegen die sieben Celli das Publikum in zärtlichen Walzertönen von Tschaikowsky, darauf führt Edvard Grieg Peer Gynt in die Halle des Bergkönigs. Interessant, wie Guillaume Connesson seine Liebe zu Gärten in Musik transponiert: Im „Jardin angleis“ sehen wir lange Blickachsen, elegante Landschaften, der „Jardin japonais“ bleibt abstrakt, kühl, während man im „Jardin francais“ Gekicher, Gekose, Zärtlichkeiten, Tratsch und Intrige mithört. Die drei Stücke wurden ebenfalls für diese Gruppe der Cellisten komponiert. Caroline Sypniewski übernimmt die Melodienführung als Carmen von George Bizet. Und wie! Musik und Körper sind eins. Sie IST Carmen, ihr Cello ist Carmen. Grandios! Mit Maurice Ravels „Bolero“ und Bernsteins „Manbo“ aus der Westsidestory reißen die Capucelli das Publikum zu standing ovations hoch. Den begeisterten Applaus belohnen sie mit zwei Zugaben.
Theater Akzent, eine Koproduktion von STEUDLTENN &Waldviertler Hoftheater
Regie: Hakon Hirzenberger
Landauf, landab wird die „Biografie“ gespielt, in Salzburg, in Chemnitz und nun im Theater Akzent in Wien. Woher dieses plötzliche Interesse? Für ein Stück, in welchem die oft gestellte Frage: Was würde ich in meinem Leben anders machen, wenn ich nochmals beginnen könnte, Zentralthema ist. Die meisten stellen sich diese Frage, wenn überhaupt, nur theoretisch. Doch der Gedanke wird nie thematisiert, höchstens in einer Freundesrunde als Gesellschaftsspiel. Max Frisch hat sich diesen Gedanken zum Leitmotiv seiner Werke gemacht, wie in den Romanen „Mein Name sei Gantenbein“ und „Stiller“ und eben ganz deutlich im der Komödie „Biografie“. Ein anderer sein zu wollen, sein gelebtes Leben, seine Vergangenheit zu ändern, bestimmen zu können, wie neu begonnen werden kann und schließlich die Erkenntnis: Die großen Lebenszüge kann keiner ändern, Veränderung geschieht nur in Minimalstrukturen, in der Person selbst. Eigentlich banale Erkenntnisse, die Max Frisch in eine eher trockenen „Komödie“ im Stil der Brechtschen Verfremdung geschrieben hat. Was also ist an dem Thema heute so reizvoll? – Wahrscheinlich entsteht in Krisenzeiten in vielen der Wunsch, dieses aktuelle Leben voller Probleme in irgendeiner Form hinter sich zu lassen, ein anderer werden. Sich von Ängsten und Zwängen befreien und einfach so zu tun, als hieße man Gantenbein oder eben Hannes Kürmann, der sich ein „Leben ohne Antoinette“, seine Ehefrau, wünscht.
Dem Regisseur Hakon Hirzenberger gelingt es, durch intelligenten Einsatz von Slapstick-Versatzstücken aus dem eher theoriebeladenen Stück tatsächlich eine Komödie zu machen. Dank einer bestens eingespielten und hoch talentierten Schauspieltruppe: Manuel Witting gibt den mit seinem Leben unzufriedenen Professor Hannes Kürmann, geradlinig und lakonisch-verzweifelt. Alexander Braunshoer den nüchternen, strengen Spielleiter, der über den kindischen Versuch, ein anderes Leben zu wünschen, und Zynismus fragt: „Was machen Sie dann mit Ihrer Freiheit?“ Und gleich selbst die ernüchternde Antwort gibt: „Es ändert sich nicht viel“. Runa Schymanski ist die Ehefrau Antoinette, die Kürmann aus seinem Leben ausgelöscht wissen will. Sie erschießen ist keine Lösung, besser sich selbst erschießen?! Um diese drei Hauptpersonen wuseln an die 30! gefühlte andere Gestalten herum, dargestellt von den beiden Verwandlungskünstlern und Komikertalenten: Lisa Lena Tritscher und Thomas Frank. Sie sind Putzfrau, Gäste, Professorenkollegen – kurz alles, was aus diesem Stück eine „intelligente Komödie“ macht.
Man spricht von einer allgemeinen Theaterkrise – an diesem Abend war davon nichts zu spüren. Publikum und Schauspieler waren eine Einheit. Das geschah, weil der Regisseur kein Regietheater zur Befriedigung seiner Eitelkeit ablieferte, sondern solide Arbeit, gut durchdacht!!!
„Wenn sie nicht reitet, schreibt sie Romane“, schreibt der Verlag auf der Rückseite des Covers über Karen Duve. Zum Beispiel einen über Kaiserin Elisabeth. Nein, eher über „Sisi“, gemeint ist die Kaiserin ganz privat. Um allen von vornherein klar zu machen, worum es in diesem Buch geht, zieren die beiden Zirkuspferde der Kaisern, Flick und Flock, das Titelbild. Die beiden wurden von Elisabeth persönlich dressiert – sie sollten aufsteigen und das andere Pferd gleichsam umarmen lernen. Sind ja Zirkuspferde, dachte wohl Elisabeth, die müssen all diese (unnötigen) Dressuren über sich ergehen lassen. Wie wenig Sisi die Pferde liebte, zeigt Duve in den Passagen, wo sie ohne Rücksicht auf Verluste die Pferde bei Fuchsjagden oftmals fast zu Tode hetzt. Sie hätschelt zwar die Pferde, striegelt sie auch manchmal selbst, aber im Grunde ersetzen ihr die Tiere einen Therapeuten und Eheberater. Reiten ist für Elisabeth Obsession, Herausforderung, an die äußersten Grenzen zu gehen, den Kaiserhof und alle Probleme im rasenden Galopp hinter sich zu lassen. Reiten gibt ihr die absolute Freiheit, die Loslösung von allen Bindungen.
Duve beginnt ihre romanhafte Darstellung der viel bewunderten Kaiserin mit der Beschreibung einer dieser grausamen Hetzjagden auf Füchse, wie sie in England damals beliebt waren. Je gefährlicher, je rasanter und wilder so eine Jagd ist, desto wohler fühlt sich Sisi. England galt damals (circa 1870) als das Mekka für Fuchsjagdreiter. Leider sind die Passagen der Jagdschilderungen im ganzen Werk allzu hervorherrschend, bestimmend, da verliert eine Nichtreiterin – so wie ich – schnell das Interesse an den überpräzisen Beschreibungen, angefangen von Kleidung bis zur Jagd- und Gesellschaftsordnung. Denn es ist klar, da darf nicht Hinz und Kunz mitreiten. Man kann ja über diese ausführlichen Passagen hinweglesen, denn Karen Duve liefert daneben noch genügend interessanten Stoff: Da lesen wir keinen Funken von Verehrung für die Kaiserin. Duve lässt sie als kaltherzig und nur auf ihren Vorteil bedacht erscheinen, als eine Frau, die dank ihrer Position über das Leben anderer bestimmt. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, entreißt sie ihre Nichte Marie Louise ihren Eltern und Freundeskreis, um sie zu einem ihr hörigen Geschöpf zu erziehen. Über die Hofdamen Marie Festetics und Ida Ferenczy bestimmt sie, als wären sie ihr Eigentum. Mit welcher Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit sie ihrem Sohn Rudolf und ihrem Ehemann gegenüber agiert, lässt beim Leser manchmal Zweifel aufkommen, ob er es mit einer Biografie zu tun hat oder nicht doch eher einem Roman. Doch die Autorin beruft sich im Nachwort auf verlässliche Quellen. Sie scheint, wie so viele Menschen damals wie heute, zwischen Bewunderung – was die Reitkünste betrifft auf jeden Fall – und ironischer Ablehnung gegenüber der Kaiserin zu schwanken. Auf jeden Fall bereitet die Lektüre dem voyeuristischen Leser – und das sind wir im Grunde ja alle – großes Vergnügen.