Wiener Konzerthaus: Matthias Görne und Markus Hinterhäuser: Lieder von Robert Schumann

Beide Interpreten braucht man nicht vorzustellen: Matthias Görne, ein feinsinniger Sänger, der mit seiner Stimme jede Melodie bis in ihre tiefste Tiefe auslotet. Markus Hinterhäuser, der ihn schon seit Jahren einfühlsam auf dem Klavier begleitet.

Die Kongenialität beider Künstler durfte man an diesem Abend wieder erleben. Robert Schumanns Lieder, in der Romantik tief verwurzelt, werden durch Görnes Interpretation zur existentiellen Aussage. Er lässt die Magie des Liedes aufblühen, auch dort, wo der Text auf den ersten Blick sie nicht sofort vermuten lässt. Sein Bariton ist weich, zart, zurückhaltend, sein Bassbariton wuchtig bis in die tiefsten Tiefen der Existenz hineinhorchend.

Robert Schumann war ein Verehrer von Nikolaus Lenau, mochte die dunkle, zarte Melancholie seiner Texte. Matthias Görne brachte beides zum Aufblühen: die zarte Romantik und Naturverehrung – etwa im Lied „Die Sennin“ und die tiefe Verwzeiflung des Einsamen. Nichts ist in seiner Interpretation nebensächlich, jedes Wort bekommt die Tiefe, die Dichter und Komponist ihm zugedacht hatten. Seinen dramatisch-vollen Bass setzt Görne nur sparsam ein, dafür umso wirksamer, etwa am Ende des Liedes „Der schwere Abend“. Intensiv und innig singt er das „Requiem“, das Robert Schumann für den verehrten Dichter Lenau komponierte, Zart beginnt er, bis er mit Einsatz des ganzen Stimmvolumens den Übergang vom Leben in die“Himmelspracht“ singt. Da lässt Görne „Feiertöne“ erklingen, begleitet von einem zurückhaltenden Klavierspiel.

Hochdramatisch entführt Görne sein Publikum in dem Lied „Waldesgespräch“ in eine Atmosphäre, die inhaltlich und musikalisch an den „Erlenkönig“ erinnert. Zärtlich, wie ein Gebet, klingtdas berühmte Lied „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff. Die volle Wucht seines Basses setzt er für das Lied des Harfners ein „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ (Goethe, Wilhelm Meister). In eine hochdramatische und spannende Szene entführt Görne das PUblikum in der Ballade von Adelbert von Chamisso „Die Löwenbraut“. Eine Nähe zu Goethes berühmter Erzählung „Novelle“ ist unverkennbar. Zärtlich erzählt das Lied von der jungen Braut, die mit einem Löwen als Kindheitsgefährten aufwuchs. Nun muss sie Abschied nehmen, denn sie heriatet. Um das Mädchen nicht dem ungeliebten Bräutigam zu überlassen und aus Wut tötet der Löwe das Mädchen. Der Bräutigam erschießt daraufhin das Tier. Görne schuf mit seiner Interpretation ein lebendiges Drama, die Geschichte von sinnloser Zerstörung, in der die Gewalt des Menschen gegen die der Natur obsiegt.

Es war ein großartiger, einmaliger Abend. Das Publikum dankte den beiden Interpreten mit langem

Applaus.

http://www.konzerthaus.at

Leos Janàcek: Jenufa. Theater an der Wien

Regisseurin: Lotte de Beer, Dirigent: Marc Albrecht, Bühne: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek, Choreografie: Gail Skrela

Es war die letzte Aufführung, bevor das Theater wegen dringender Renovierungsarbeiten für 2 Jahre schließt. Und es war ein grandioser, würdiger Abschluss.

Lotte de Beer legte eine hochkünstlerische Visitenkarte vor. Man darf sich auf ihre Intendanz in der Volksoper freuen. Obwohl wir alle Robert Meyer nachweinen, der all die Jahre die Volksoper zu einem interessanten und vielseitigen Haus geformt hat.

„Jenufa“ ist keine leichte Oper. Das Thema ist heute nicht mehr aktuell: Jenufa ist schwanger, der Bräutigam lässt sie sitzen. Ihre Stiefmutter versteckt sie bei sich im Haus bis zur Geburt und bringt dann das Neugeborene um , weil sie Junufa in der bigotten Gesellschaft ein ruhiges Leben mit einem anderen Mann sichern will. Der Mord wird entdeckt, die Stiefmutter muss ins Gefängnis.

Was die Regisseurin aus diesem Stoff macht, ist spannend und bewegend. In dem schlichten und kahl – bedrohlichen Bühnenbild scheut sie sich nicht vor bewegten Massenszenen (Schönberg-Chor!). Die Rollen sind alle, wirklich alle großartig besetzt. Allen voran Svetlana Aksenova, die eine berührend schlichte Jenufa singt und spielt!!! Da steht keiner und keine auf der Bühne wie ein(e) Säulenheilige(r), alle sind in ihrer Rolle. Nina Stemme überzeugt in der schwierigen Rolle der Küsterin, die sich zu dem Mord durchringt. Marc Albrecht führt das Radio Symphonieorchester überlegen durch die nicht einfache Musik.

Festspielhaus St. Pölten: Gustav Mahler, Das Lied von der Erde.

Es hätte eine Weltpremière sein sollen, wenn Lemi Ponifasio mit seiner MAU Company aus Samoa und Neuseeland das Werk Mahlers gemeinsam mit den Niederösterreichischen Symphonikern interpretiert hätte. Aber Corona hat es unmöglich gemacht. Dennoch ließ es Lemi Ponifasio sich nicht nehmen und reiste als Botschafter seiner Gruppe an, um über die Vision seiner Choreographie zu erzählen. Zu Beginn gedachte er der Bevölkerung in der Ukraine und widmete ihnen den Abend als Friedenswunsch. Dann sprach er von der engen Verbindung der Samoaner mit der Natur. „Different cultures together“ wäre der Sinn dieses Abends gewesen. In minimierter Form ist das auch gelungen, denn der Tenor Pene Pati stammt aus Samoa.

Dirigent des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters: Hans Graf. Tenor: Pene Pati. Mezzosopran: Tanja Ariana Baumgartner.

1908 und 1909 zählten zu den schwersten Jahren im Leben Gustav Mahlers. Er hatte den Posten als Direktor der Wiener Staatsoper verloren, seine Tochter Maria war gestorben und er selbst litt an einem Herzfehler. In diesen trüben Tagen fand er Trost in den Gedichten „Die chinesische Flöte“, übersetzt von Hans Bethges. Er wählte sechs aus.

„Das Lied von der Erde“ wurde erst nach Mahlers Tod uraufgeführt. Man darf es als sein spirituelles Vermächtnis interpretieren. In diesem Liedzyklus vereinen sich Schwermut, Todessehnsucht mit erinnerter Leichtigkeit. Bilder aus China , wie der“Pavillon aus weißem und grünem Porzellan“ und „junge Mädchen und schöne Knaben“ ,die am Ufer sitzen, steigen auf und vereinen sich mit den Klängen der Musik. Doch das Leben ist nur ein Traum, das sich irreal im Wasser spiegelt. Der Abschied ist gewiss, es wartet der Freund, der ihn hinüber führt – das antike Bild des Fährmanns Charon wird imaginiert. Er wird den Müden in die Fernen führen. Pene Patis schöne Tenorstimme sang nicht immer erfolgreich gegen die Orchestergewalt an. Tanja Ariana Baumgartners dunkler Mezzosopran klang gut, aber es fehlte an Wortdeutlichkeit, Hans Graf ist ein erfahrener Dirigent, der weiß, dass diese Musik, besonders der letzte Teil „Abschied“ sich in die Länge ziehen kann. Wahrscheinlich deshalb drückte er manchmal zu sehr auf zackiges Tempo.

http://www.festspielhaus.at

Theater Akzent: Joseph Lorenz liest Stefan Zweig: Brennendes Geheimnis

Joesph Lorenz ist der ideale Interpret für Stefan Zweig.. An diesem Abend entführte er das Publikum in ein Nobelhotel am Semmering, Wir sehen den Baron eintreten und enttäuscht in der Gästeliste blättern: Kein geeignetes Flirtobjekt. Dann betreten eine nicht mehr ganz junge Frau und ihr 12jähriger Sohn die Lobby und sofort nimmt er die Dame als geeignete Beute ins Visier. Da sie sich kühl und unnahbar zeigt, sucht er den Kontakt zum Sohn. Edgar ist ein sensibles Kind, das von der Mutter noch nicht viel Liebe erfahren hat. Der ferne Vater droht im Hintergrund der Novelle als moralische Instanz, die von Mutter und Sohn gleichermaßen gefürchtet wird. Es war spannend, wie Zweig tief in die Seele dieses Kindes hineinleuchtet. Und Joseph Lorenz das Publikum mitnimmt in das Geschehen aus der Sicht des Knaben. Edgar weiß noch nichts von den Lügen und Verstellungen der Erwachsenen, fällt auf die freundliche Maske des Barons herein, der ihn als Köder benützt. „Bald hatte er (der Baron) das heiße, zuckende Herz (des Kindes) in der Hand“. Und bald schon war die Frau Wachs in seinen Händen und die Beute reif zum Abschuss, doch Edgar stört. Er wird ausgetrickst und bei Seite geschoben.Hass auf den Baron und auf seine Mutter lässt ihn zum Spion werden. Er greift den Baron tätlich an, als dieser seine Beute schon fest im Griff hat. Es kommt zum Kampf. Gebannt folgt das Publikum Joseph Lorenz, der es versteht, die Spannung aufzubauen und zu halten. Man sieht den Knaben im dunklen Hotelgang lauern, erlebt, wie er sich auf den Baron stürzt, ihn beißt und schlägt. Ein Skandal! Edgar fllieht aus dem Hotel und reist zu seiner Großmutter nach Baden. Doch dort warten schon der zornige Vater und seine verängstigte Mutter. Wird er dem Vater verraten, was da in dem Hotel am Semmering geschehen ist? Die flehenden Augen der Mutter und ihr Zeigefinger, den sie auf ihre Lippen legt, lassen ihn verstummen. Dann der großartige Schluss: Im Halbschlaf spürt er die Hand seiner Mutter, die zärtlich über seine Wange streicht. Er hat zwar das Geheimnis der Erwachsenen noch nicht enträtseln können, aber sehr wohl verstanden, dass deren Welt aus Lüge und Heuchelei besteht. In dieser Nacht verabschiedete sich Edgar von seiner Kindheit.

http://www.akzent.at

Theater Scala: The Effect. Eine pharmazeutische Liebesgeschichte von Lucy Prebble

Inszenierung: Bruno Max, Bühne Marcus Ganser, Kostüme:Sigrid Deger

„In Zeiten wie diesen…ist es umso wichtiger, ein Stück zu wählen, das zwar unsere Wirklichkeit nicht negiert, sich aber mit etwas Größerem beschäftigt und etwas Sonne ins Grau bringt“, schreibt der Intendant Bruno Max im Programmheft. Wie wahr! Die Sonne im Grau haben wir alle nötig, und das Theater könnte dazu verhelfen. Wenn im Burg- und Volkstheater kalte Lehr- und Moralstücke zu sehen sind, die ihr Publikum langweilen oder schockieren, dann ist ein Theater wie die „Scala“ um so wichtiger. Bruno Max lässt in jeder Inszenierung die Schauspieler tief in die Figuren einsteigen und schafft so spannende Inszenierungen.

Was kann es Größeres als die Liebe geben? Die wollen uns die Hirnforscher als elektrische Bahnen und chemische Vorgänge madig machen. Aber Zärtlichkeit und Zuwendung sind mehr als chemische Vorgänge. Darüber wird in „The Effect“ verhandelt.

Auf der Wand im Hintergrund der Bühne leuchtet groß das Versprechen eines Pharmakonzerns „You deserve to feel better“ auf. „Du hast es verdient, dich besser zu fühlen“ – natürlich mit den Pillen dieses Konzerns. Eine einmonatige Studie soll die Wirkung eines neuen Antidepressivums beweisen. Conny (Veronika Petrovic) und Tristan (Marc Illich) haben sich als Probanten zu Verfügung gestellt. Unter der strengen Aufsicht von Dr. Lorma James (Christine Saginth) nehmen die beiden eine von Tag zu Tag höhere Dosis ein. Doch das Experiment scheitert, weil sich die beiden ineinander verlieben. Ist dieser Zustand nun auf das Mittel zurückzuführen? Dr. James, die selbst schwer depressiv ist, Zweifel an dem Medikament hat und sich gegen die rücksichtslose Ausbeutung dieser beiden Versuchspersonen wehrt, muss gegen ihren inneren Widerstand weiterarbeiten. Ein Zwischenfall lässt das Experiment scheitern. Und die Frage nach der Liebe wird auf einer ganz anderen Ebene beantwortet..

Die Autorin schrieb dieses Stück 2012, also lange vor Corona. Aber es wirkt, als hätte sie es in der Pandemie geschrieben. Denn viele ungeklärte Fragen werden darin aufgeworfen: Was heißt „Langzeitstudie“? Welche Verantwortung trägt der Konzern für Nebenwirkungen? – Im Stück keine. Wie weit kann/darf die Gehirnforschung gehen? Gibt es ethische Grenzen? Die Gefahr, dass einmal Gedachtes nicht zurückgenommen werden kann, (Dürrenmatt, Die Physiker) besteht immer. Sie vergrößert sich mit dem Fortschritt der Wissenschaft, die überzeugt ist, dass der Mensch alles, was ausgeforscht werden kann, ausforschen wird. Die Digitalisierung ist nur ein harmloser Anfang….

Ein spannender Stoff, den die Autorin leider nicht griffig genug verarbeitet. Die Dialoge wirken manchmal recht hözern – vielleicht liegt das auch an der Übersetzung. Deshalb outrieren die beiden Hauptdarsteller enorm: Connie kratzt sich andauernd, zappelt und bringt keine geraden Sätze heraus, Tristan ist hyperaktiv. Die „Liebesszene“ wirkt ein wenig „patschert“, die Überprüfung des Tristan-Penis durch die Ärztin ist eher peinlich. Straffung und eine etwas ruhigere Schauspielführung täten dem Stück gut. Ein positiver Ruhepol ist die Figur der Ärztin, ihr nimmt man ihre Zweifel und Verzweiflung ab.

Noch bis zum 26. Februar 2022 zu sehen

http://www.theaterzumfuerchten.at

Serapionstheater im Odeon: Koom Posh

Ideen nach dem Drama „Die Stadt der Gerechtigkeit“ von Lev Lunz und E.B. Lyttons „Das kommende Geschlecht.

Inszenierung: Max Kaufmann, Mario Mattiazzo nach Anregungen von Erwin Piplits.

Aus dem Dunkel des Bühnenhintergrundes kriechen Wesen, langsam, quälend langsam erreichen sie die Mitte und entpuppen sich als eine Horde Wilder, die brüllend und im obstrusen Verrenkungen eine Stadt erobern, in der die Menschen zu gehorsamen Robotern geformt wurden. Es entsteht ein bitterer Kampf, brutale Szenen – man kann die Agilität und den Einsatz der Tanztruppe nur bewundern. Allerdings dauern diese Kampfszenen endlos lang und wiederholen sich mehrmals, was dem Stück eine gewisse Zähigkeit verleiht. Mitten in diesem wilden Treiben gibt es eine Sequenz, die an die Zeiten des Serapionstheater von früher erinnert: Einer der Robotermenschen mit vier Gesichtern und einer Lunte am Hinterteil, die langsam abbrennt, tanzt versonnen vor sich hin. In dieser Szene kann sich der Zuschauer ein wenig „ausruhen“ von dem all zu heftigen Kampfgetümmel. Am Ende ist die Stadt der Roboter kaputt, die Wilden ziehen weiter. Aus dem Off zitiert eine Stimme einen Text, in dem es heißt: „Das ist nicht der Morgen, auf den wir gewartet hatten.“ Wenn ein Interpretation erlaubt ist, dann etwa diese: Revolutionäre jeglicher Art sind nicht fähig, eine sinnvolle Gemeinschaft zu bilden. Sie zerstören auf ihrem Eroberungszug alles, was ihnen im Weg steht. Aber auch Menschen, die in einem Kadavergehorsam zu Robotern werden, bilden ebenfalls keine funktionierende Gemeinschaft. Eine ziemlich pessimistische Sicht der Welt, die da auf die Bühne gebracht wird.

Noch zu sehen bis 19. Februar 2022

http://www.odeon-theater.at

Burgtheater: Schiller: Maria Stuart

Aufführung am 13. Februar 2022, Foto: Matthias Horn

Inszenierung: Martin Kusej, Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Heide Kastler

Vorweg gleich einmal ist zu melden: Ab der 10. Reihe Parkett versteht man die Schauspieler nur bruchstückhaft. Daher rate ich allen, die sich das Stück ansehen wollen, vorher Schiller im Original zu lesen. Ich kenne das Stück gut, hatte dennoch Schwierigkeiten zu erraten, welche Szene gerade gespielt wird. Wozu hat man gute Schauspieler, Schauspielerinnen, wenn sie mit Ausahme von Minichmayr und Galke den Zuschauerraum akustisch nicht ausfüllen können? Auf der Perner Insel mag es diese Schwierigkeiten nicht gegeben haben, da der Raum viel kleiner ist. Warum hat man das Stück nicht in die Akademie verlegt?

Die Folge dieser sprachlich-akustischen Schwierigkeit ist LANGEWEILE! Und das immer gleiche, nichtssagende Bühnenbild ist auch nicht gerade aufregend. Die Inszenierung vergeigt einfach die emotionalen Höhepunkte, die Schiller in das Drama eingeschrieben hat. Kusej inszeniert, als ob er bei Brecht in die Lehre gegangen wäre: Gefühle gehören nicht ins Theater, der Zuschauer soll denken, nicht fühlen. So bleibt selbst die von Schiller hochdramatisch gestaltete Szene der Begegnung der beiden Königinnen auf der Strecke. Nichts von zurückgestautem Hochmut seitens Maria Stuart, die Elisabeth in die Schranken weist. Nichts von geschockter Gekränktheit der starr stehenden Elisabeth. Die Szene wirkt, als ob beide eine Gerichtsverhandlung spielen. Obwohl sich die Damen Mühe geben, ihrer Figur Charakter anzureden, soweit es der Intendant eben zulässt, wirken beide blass. Sie sind Spielball einer Männergesellschaft – das sollen wohl auch die 25 nackten Männer darstellen, die man/frau abwechselnd von vorne und von hinten bewundern darf. Ein Markenzeichen Kusejs ist es ja, mit einem Aufreger Schlagzeilen zu machen. Waren es bei Tosca die „Umschreibung“ der Oper nach seinem Gutdünken und der schneebedeckte Campingplatz als Bühne, so sind es diesmal die nackten Männer. Und prompt fällt das Feuilleton auf den Trick herein und schreibt begeistert von einer „bildgewaltigen Inszenierung“.

Soweit zu erkennen und zu beurteilen war: Bibiana Beglau gibt eine ziemlich machtlose Königin, die von ihren Höflingen bestimmt wird. Birgit Minichmayr bemüht sich, eine bejammernswerte Maria zu spielen. Dass sie noch immer Männer verführen könnte, glaubt man ihr nicht.Franz Pätzold gibt einen zahmen Mortimer, Rainer Galke einen kreuzbraven Gefangenenwärter, Ilay Tiran einen schleimig-schmierigen Graf Leicester. Dass gerade er am Ende Maria die Beichte abnimmt, ist ein typischer Kusejwitz. Und leider ist das ziemlich wirksame Ende des Stückes auch der Feder des Intendanten zum Opfer gefallen. Im Originial ruft Elisabeth in ihrer Verzweiflung nach Leicester, doch von dem heißt es: „Der Lord lässt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich.“ Und so steht Elisabeth im roten (!) Kleid allein auf weiter Flur, auch die Nackten haben sie verlassen. Das Schlussbild ist das Beste an der Inszenierung.

http://www.burgtheater.at

Volksoper Wien: Begegnungen. Ballett

Titelfoto: Rebecca Horner und Lourenco Ferreira in „lux umbra“

Musikalische Leitung des Orchesters der Volksoper Wien: Gerrit Prießnitz

24 préludes

Musik: Fre´deric Chopin in der Orchesterfassung von Jean Francaix

Choreographie: Alexej Ratmansky

Langssam kristallisiert sich der Weg des Ballettchefs Martin Schläpfer heraus: Er setzt auf Bestätigung, ja auch in gewisser Weise auf Rettung des klassischen Balletts. Die meisten Ballettabende werden im Dreierkombination inszeniert und legen den Schwerpunkt auf die Klassik, inspiriert und erweitert durch neues, ungewöhnliches Repertoire.

Alexej Ratmanskys Chorographien stehen für Eleganz und schwebende Leichtigkeit. Es sind vor allem die Tänzerinnen, die das neue Bewegungsvokabular einbringen. Sie „entfalten sich“ im wahrsten Sinn des Wortes „in den Raum“ durch Überbetonung der Arme. Gerne unterbricht Ratmansky die strenge Klassik durch eine kurze Slepstickgeste. Für notwendige Hochdramatik – denn nur Eleganz wirkt schnell einschläfernd – sorgen Rebecca Horner und Marcos Menha. Für flotte Leichtigkeit Aleksandra Liashenko und Denys Cherevychko.

lux umbra, Uraufführung/ Auftragskomposition von Christof Dienz

Die wohl interessanteste Choreographie des Abends zeigte Andrey Kaydanovsky. Mit den spektakulären Kostümen von Karoline Hogl und der ungewohnten, aber spannenden Musik von Dienz brachte er eine getanzte Fassung des Höhlengleichnisses von Platon auf die Bühne.

Rebeca HOrner und Lourenco Ferreira ( Foto: Asheley Taylor)

Zum Höhepunkt des Abends gehört die Szene mit Rebecca Horner und Lourenco Ferreira. Der fächerartige Rock des Tänzers umschlingt die weibliche Figur, die durch die Bandagen wie in Gliedmaßen zerteilt wirkt.Dramatik pur!

in sonne verwandelt/uraufführung

Martin Schläpfer hat sich mit dem Klavierkonzert Nr. 4 von Ludwig van Beethoven selbst ein Geschenk bereitet. Denn – so betonte er während der „Ballettwekstatt“ – für ihn zähle es zu den inspirierendsten Musikwerken überhaupt. Seine Begeisterung manisfestierte er in dem Titel „in sonne verwandelt“. Allerdings konnte ich die Verbindung vom Titel zu Bühnenbild (Markus Spyros Berterman) und Kostümen (Helene Vergnes) nicht herstellen.

Fiona McGee und Francois-Eloi Lavignac.Foto: Ashley Taylor

Sinnlich langsam und elegant tanzt das Ensemble in gekonnter Perfektion, nur hin und wieder durch kurze dramatische Szenen unterbrochen. Alles sehr bedeutungsvoll, vielleicht, aber letztendes doch ein wenig ermüdend. Fein und erhellend (Titel!?) das Klavierspiel von Johannes Piirto und das Dirigat von Gerrit Prießnitz.

http://www.wiener-staatsballett.at/volksoper.at

Marie Brunntaler, Piz Palü. Eisele Verlag

Der Piz Palü ist ein nicht ganz ungefährlicher Berg in den Schweizer Alpen, nahe bei Pontresina. Auf über 1000m steht das „Grand Hotel Arnold“. In den späten 1950er Jahren ein Treffpunkt der Reichen und vieler Stars, wie etwa O.W. Fischer, hier oben bitte nur „Otto“. Eigentlich sind die besten Tage des Luxushotels schon vorbei. Nur durch eine Geldheirat mit dem reichen Kälin konnte ERika Arnold den Ruin abwenden. Aber die Ehe ist kaputt, es gibt Probleme. Als ihre beiden Kinder spurlos verschwunden sind und der Ehemann im Turmzimmer ermordet aufgefunden wird, geht die Mördersuche los. Der Kriminalkommissar Tschudi steht vor einem Rätsel. Erst durch einen Hinweis von O.W. wird einiges klar.

Ein spannender, flott und leichtfüßig geschriebener Roman über die angeheizte Lage in den 50er und 60er Jahren nach dem Ende des 2. Weltkrieges: Die einen reich und gelangweilt, die anderen scheinreich und verzweifelt, wieder andere in unerträglichen Abhängigkeitsverhältnissen lebend, nach außen aber gelassen und fröhlich. Masken tragen alle, keiner ist der, der er scheint. Mit Eleganz und Noblesse fährt die Autorin durch diese ziemlich verlotterte Gesellschaft mit spitzer Feder durch. Wäre da nicht der pathetisch- unglaubwürdige Schluss könnte man den Roman als gelungenen Spiegel der Nachkriegsgesellschaft einordnen.

http://www.eisele-verlag.de

Barbara Frandino, Das hast du verdient. Folio Verlag

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl

Barbara Frandino schildert eine Frau, deren Leben aus den Bahnen kippt, weil ihr Ehemann eine Geliebte hat, die von ihm ein Kind erwaretet. Die Ehe war bis dahin von beidseitiger Liebe erfüllt. Das erfährt man nur aus einigen Bemerkungen. Denn der Roman beginnt mit dem Zeitpunkt der Rache: Claudia, so heißt die Protagonistin, aus deren Sicht der Roman erzählt wird, sieht seelenruhig zu, wie ihr Ehemann von der Leiter kippt und am Boden liegen bleibt. Erst nach einer halben Stunde ruft sie die Rettung, sehr spät, wie der Arzt feststellt. Den zum halben Krüppel reduzierten Ehemann holt sie nach Hause und beginnt ein schreckliches Rachegespinst. Ein Ping-Pong, das vom Ehemann aber nicht mitgespielt wird. Der möchte, dass alles so bleibt, wie es einmal war. Sie wartet, lauert, inszeniert eine Racheszene nach der anderen. War man am Anfang noch auf ihrer Seite, so verliert man mit Fortgang der Handlung die Geduld mit Claudia. Zu viele Wiederholungen, ähnliche Aktionen zermürben die Protagonistin und den Leser. Nicht aber den Ehemann, der das alles ziemlich gleichmütig und schweigend erträgt. Aus dieser Hasshölle findet Claudia nicht heraus. Sie erstarrt in Wortlosigkeit, trotz vieler Besuche bei einer Psychotherapeutin.

In einer kalten, punktgenauen Sprache führt Barbara Frandino eine Frau vor, die sich durch ihren Hass selbst zerstört.

Hart, aber glasklar zeigt Frandino auf, wohin die Reise geht.

www.folioverlag.com

Joseph Lorenz las „Amok“ von Stefan Zweig. Theater Akzent

Was passiert mit einem Menschen, der jahrelang in der Einsamkeit des indonesischen Dschungels sitzt und kaum Kontakt zu Menschen hat? – Er säuft, wird depressiv, verliert leicht die Kontrolle über sich selbst und läuft bei der erstbesten Gelegenheit Amok. Von dem erzählt wird, ist Arzt, wer ihn Amok rennen lässt, ist eine Britin von kalter Schönheit und unnahbarer Eleganz.Es ist die Geschichte, wie aus Gier Hass und aus Hass Liebe wird. Alles im Zeitraffer eines Amokläufers.

Stefan Zweig lässt die Novelle Anfang des 20. Jahrhunderts spielen. Und Joseph Lorenz transferiert das Geschehen in den Moment des Zuhörens: Wir werden in diese Schwüle der Gefühle, in die rasende Ratlosigkeit des Arztes hineingezogen, wir spüren den wochenlangen Regen, die Hitze. Wir rennen mit dem Arzt, der dieser unnahbaren Schönheit eine (damals illegale) Abtreibumg verweigert und deshalb schuldig wird, wir rennen Amok durch die Kleinstadt, spüren die befemdeten Blicke, die ihm folgen, bangen, ob er die mutig-kalte Frau nach dem tödlichen Eingriff einer Pfuscherin noch wird retten können. Wir leiden sein Leid, seinen Schmerz, seine Trauer, als sie stirbt. Wir bewundern seine Zielsstrebigkeit, als er alles riskiert, um sie vor dem Ehemann zu schützen, der dem ausgestellten Totenschein misstraut. Wir erleben ihn, als er den Sarg und sich in die Tiefe des Meeres stürzt und so das Geheimnis dieser Frau vor Entdeckung schützt. Der Amoklauf endet da, im Moment des Todes.

Joseph Lorenz hat eine neue Art von Kunstgattungt geschaffen – die dramatische Lesung. Er braucht keine Kulissen, keinen Regisseur – im Gegenteil: Allein dem Text und dem Publikum verpflichtet, ist er unübertrefflich. Gleich zu Beginn versetzt er uns in die Schwüle eines von Sternen strahlenden Nachthimmels, Wir spüren den Duft, der von einer fernen Insel herüberweht. Die Sätze sind von starker Sinnlichkeit. Lorenz formt präzise Charaktere, ist einer, dann ein anderer. Ist die Frau in ihrem Hochmut, ist der hilflos ausgelieferte Mann, der Amok läuft, ist der Arzt, der vergißt, dass seine Pflicht helfen heißt, ist derselbe, der weinend über der Toten zusammenbricht. Ist erschöpft am Ende seines Leseamoks durch die Seele eines Zerbrochenen.

http://www.akzent.at

Am 19. Februar 2022 wird Joseph Lorenz Stefan Zweigs Novelle „Brennendes Geheimnis“ im Theater Akzent lesen. Achtung: Im Studio, nicht im Hauptsaal.

Great Voices im Wiener Konzerthaus: JUAN DIEGO FLOREZ

  1. Februar 2022

Was für ein Fest! Ein Fest für Florez! Ein Fest für das Publikum!

Florez in Hochform! Er präsentierte ein klug zusammengestelltes Programm, das nichts mit den üblichen Arienliederabenden gemein hatte. Beginnend mit Gluck über Rossini, dann im großen Zeitsprung zu Richard Strauß, Bizet , Offenbach und Donizetti präsentierte er sich als Sänger, der in vielen Rollen und Stimmanforderungen zu Hause ist. Anders als üblich bei solchen Konzerten schuf er jeweils ein Miniformat der jeweiligen Oper. Die Philharmonie Brünn unter Claudio Vandelli leitete jeden Part mit einer Ouvertüre ein. Florez sang dann die Hauptarien daraus.

Florez war in Hochform, konnte seiner Stimme mühelos alles abverlangen: Als Orphée (Gluck, Orphée et Euridice) brillierte er mit sanften Tönen, weichen Höhen und einer schönen Tiefe. Mit „La Pietra del Paragone „von Gioachino Rossini bewies er seine Sicherheit auch in dieser schwer zu singenden Partie. Vor der Pause setzte er das Publikum mit der Arie des Idreno aus „Semiramide“ ( Rossini) in Verzückung.

Nach der Pause wechselte er mit der „Zueignung“ und an „Cäcilie“ von Richard Strauß die Temperatur der Stimmung. Bei diesen stillen Liebesliedern war ein neuer Florez zu spüren: einer mit Zurückhaltung und Zärtlichkeit. Um dann – sehr gekonnt und wohl überlegt – das Publikum mit der Arie des Don José („La fleur que tu m’avais jetée“ aus Bizets „Carmen“) zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Heiterkeit und Ironie verströmte er mit „La Belle Hélène“ von Jacqes Offenbach. Zum Abschluss des offiziellen Teiles sang er ein eher unbekanntes Juwel: Die Arie des“ Don Sebastien, roi de Portugal“ von Gaetano Donizetti.

Die Fans wußten genau, dass es nach dem offiziellen Teil noch lange weitergeht. So war es auch: Florez mit Gitarre und ohne Mascherl sang als obligatorische Zugaben zwei peruanische Volkslieder! Dann noch; „La donne è mobile“ und am Ende die Herausforderung für jeden Tenor: „Ah! mes amis, quel jour de fête“ aus der „Regimentstochter“. Locker, als bedürfte diese Arie keiner Anstrengung, sang er die hohen C hinauf wie nix! Und das am Ende eines langen Konzertabends!

Langer Applaus und standing ovations!

http://www.greatvoices.at

http://www.konzerthaus.at

Karl Kraus – ganz persönlich. Olga Schnitzlers Talkshow mit Zeitgenossen.

Elisabeth-Joe Harriet als Olga Schnitzler. Kurt Hexmann als Karl Kraus

Ort des Gespräches: Natürlich im Steigenbergerhotel, Café Herrenhof

„Ja mein Gott, Sie ( gemeint ist das Publikum) leben in Zeiten!“ Mit diesen Worten begrüßt Olga Schnitzler die Zuhörer. Und schon ist die Schiebetür geöffnet, um vom Heute (mit all den Coronaquerelen) in die Vergangenheit zu schauen. In eine Zeit, in der man zwar auch Masken gegen die Grippeviren trug. Aber alles nix gegen heute, meint Olga, die Frau zwischen und in den beiden Zeiten. Elegant und selbstsicher, wie wir uns Olga Schnitzler vorstellen, begrüßt sie Karl Kraus in ihrer Talkshow. Der schießt gleich einmal sein erstes Kanönchen gegen sie ab: Talkschow, auch so ein Wort, das er partout nicht mag. Sie bleibt davon umberührt, schießt kräftig zurück und zitiert Hans Weigels Urteil über Karl Kraus: „Keiner hat Wien und Österreich…. derart verhöhnt…. und keiner hat Österreich tiefer geliebt.“ Diese Aussage ist natürlich Wasser auf den ein wenig (oder sogar sehr) selbstverliebten Karl Kraus. Nun beginnt ein köstliches Pingpong der geistreichen Fragen und ironisch-geistreichen Antworten. Zunächst freundliches Geplauder über die Kindheit im böhmischen Gitschin, dann in Wien. Als tüchtiger Geschäftsmann will der Vater den jugen Karl in seine Firma zwingen. Ging nicht, absolut nicht. Schon damals zeigte sich Kraus als der intelligente Streiter, als der er später in der „Fackel“ bekannt wurde.

Als die „Fackel“ erstmals am 1. April 1899 erschien, sprach ganz Wien von dem kleinen roten Format, in dem fortan gegen alles und jeden zu Felde gezogen wurde. Als Olga Schnitzler Karl Kraus wegen seines allgemein bekannten Bekenntnisses zu Dollfuß auf die Zehen tritt, wird er richtig wütend: Dollfuß sei die einzige Möglichkeit gewesen, sich gegen Hitler zur Wehr zu setzen. Amüsant geht dieser Schlagabtausch weiter, Kraus immer pointiert ironisch mit einer Prise Arroganz, Olga weiblich – schlau angriffig. Und immer wieder holt diese Olga Schnitzler, die bestens vorbereitet ist, Fotos und Erinnerungen hervor, die selbst Karl Kraus schon vergessen zu haben scheint. Eines war Olga klar: will sie in diesem Gespräch bestehen, so muss sie in ihrem Köcher ein Wissen über ihr Gegenüber haben, das mehr als nur die Oberfläche streift. „Ich möchte in die Tiefe Ihrer Persönlichkeit steigen“, verkündet sie zu Beginn. Und Karl Kraus darauf: „Hoffentlich erkenn‘ ich mich nachher selbst noch wieder!“

Es machte Freude, den beiden exzellenten Schauspielern in die Zeit der Jahrhundertwende zu folgen. So manch Zuhörer wünschte sich wahrscheinlich auch heute einen Karl Kraus herbei, der völlig unabhängig gegen Korruption, Partei- und Freunderlwirtschaft vorginge. Der den „Debutromanschreibern, Kolumnisten und Feulletonisten in ihr Stammbuch schreibt, wie Sprache vom Denken abhängt.

Weitere Aufführungstermine: Karl Kraus – ganz persönlich: 27. Februar und 24. April 2022. Jeweils um 15.00Uhr im Café Herrenhof, Steigenbergerhotel, Herrengasse 10, 1010 Wien. http://www.steigenberger.com/hotel-wien/herrenhof

Tickets zu €55.- inkl. Kaffee/Tee, Herrenhoftorte und ein Gläschen Likör.

unter:http://www.pretix.eu/EIH/KIH oder +43676/899 68 050 und sylviareisinger@aon.at

Festspielhaus St.Pölten: José Montalvo: Gloria

Titelfoto © Patrick Berger

José Montalvo präsentierte genau zur richtigen Zeit die richtige Choreographie – der Pandemie zum Trotz fordert er seine Equipe und das Publikum zur Freude am Tanz auf. „Gloria“ – der Titel ist nicht als Ruhm und Ehre, sondern als Jubel, als Lebensfreude zu verstehen. Jede einzelne Tänzerin und jeder einzelne Tänzer verkörpert im Tanz dieses Motto. Obwohl drei Mitglieder des Ensembles coronabedingt nicht dabei sein konnten, ließ Montalvo dennoch die Show über die Bühne gehen. Richtig so, Corona zum Trotz! Denn Angst und Unsicherheit sollen unser Leben so wenig wie möglich beeinträchtigen. Mit „Gloria“ , der Freude am Leben, ausgedrückt durch Tanz, will Montalvo eine kräftige Gegenansage zu Missmut und Depression machen. Und das ist ihm voll gelungen.

Statt 16 Tänzern wirbeln nun 13 Männer und Frauen über die Bühne. Nach dem Rhythmus von „stop and go“ ergreift einer nach dem anderen das Mikro, erzählt von sich und dem unbändigen Wunsch zu tanzen, allen Hindernissen zum Trotz. Keine und keiner von ihnen hatte für eine Tanzausbildung die besten Voraussetzungen. Aber sie kämpften gegen die Voruteile, die Eltern, Lehrer, die Allgemeinheit so hatten: zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn, zu wenig Busen, zu viel Busen. Einer wurde trotz seiner Sehbehinderung ein toller Tänzer. Am Ende jeder Performance ertönt ein wichtiges Lebensmotto: „Ich bin stolz“ (darauf, dass ich heute als Tänzer, Tänzerin hier tanzen kann).

Montalvo bricht mit allen Konventionen – er lässt einen Flamencotänzer Ballett tanzen, zum klassischen Operngesang (Cecilia Bartoli) legt eine schwarze Tänzerin eine afrikanische Sohle aufs Parkett, ein männlicher Tänzer tanzt typisch weibliche Figuren. Nix ist fix in diesem Ensemble. Es gibt keinen E- und U-Tanz. Hip-Hop, Street Dance, Flamenco, Ballett – sie alle sind gleichwertig und können von jedem einzelnen Mitglied spontan getanzt werden.

©Patrick Berger

José Montalvo war einer der ersten Choreographen, der Videos einsetzte. Auf der rechten Bühnenseite werden die Gruppen groß im Video gezeigt, während sie auf der anderen Seit der Bühne tanzen und singen. Diesen Verdoppelungseffekt eigneten sich später viele Regisseure des Opernsektors an. Bei Montaldo sind Videos nie modischer Effekt, sondern wichtiger Teil seiner Aussage. Im weiteren Verlauf des Abends werden sie immer bildgewaltiger, wenn er seine Sorge um die Natur und das Verschwindenn vieler Tierarten artikuliert. Elefanten, Giraffen, Löwen, Bären stehen wie in einer Arche Noah auf Papierschiffen zusammengedrängt und sehen dem Treiben der Menschen regungslos zu. Dass sie auf einem Papierschiff nicht Rettung finden werden, können sie nicht wissen. Darunter tanzen die Menschen, halten Nabelschau – wortwörtlich: Einer nach dem anderen zeigt in Großaufnahme seine Nabel. Oder es tanzen die Frauen mit nacktem Oberkörper, ihre Brüste schwingen lustig im Takt des Tanzes. Es ist dennoch kein Tanz auf dem Vulkan, sondern ein Tanz gegen den Untergang. Am Ende springt der Freudenfunke auch auf das Publikum über, das das Lied über die Nabelschau begeistert mitsingt.

Frenetischer Applaus, standing ovations.

http://www.festspielhaus .at

Theater in der Josefstadt: Jelinek: Rechnitz (Der Würgengel)

Regie: Anna Bergmann. Bühnenbild: Katharina Faltner. Kostüme: Lane Schäfer. Musik: Moritz Nahold

Es ist anzunehmen, dass ein Großteil des Publikums über den „Fall Rechnitz“ grosso modo informiert ist. Wenn nicht, dann versteht es sicher nur Bahnhof. Denn der Text erklärt nicht und erzählt nicht. Das Bühnenbild ist spektakulär verwirrend. Was klärend wirkt, sind die Texte im Programmheft. Auch wenn man die Sachlage einigermaßen im Kopf hat, beleuchten die Beiträge die Fakten sehr genau und betonen, wie wenig historisch von diesem Massaker gesichert ist. Bis heute wurden die Knochen der Erschossenen nicht gefunden.

Man weiß, dass im März 1945 auf dem Schloss in Rechnitz die Gräfin zu einem Fest geladen hat und ihren Gästen (hochrangigen Nazis) zum Gaudium erlaubte, an die 180 jüdische Zwangsarbeiter , die aus Ungarn nach Rechnitz getrieben wurden, zu erschießen. Wer schaufelte die Gräber, wo sind die Leichen begraben? Bis heute hat man sie nicht gefunden. Die Bewohner von Rechnitz schwiegen und schweigen noch.

Dichte Nebelschwaden ziehen von der Bühne ins Publikum – wer dagegen allergisch ist, der wird bis zum Schluss mit Hustenreiz zu kämpfen haben. Auf einem sich drehenden Band tanzen, grölen, saufen und schreien die Gäste, in der Mitte die Gräfin (Sona MacDonald). Einige fuchteln mit den Gewehren, schießen um sich. Es wird überhaupt während des Stückes viel geschosssen, manche erschießen sich selbst, man weiß nicht, wer und warum. Was gebrüllt wird, ist kaum verstehbar – das ist das größte Dilemma dieses Abends! Dazwischen singt MacDonald Verschnitte aus der Oper „Der Freischütz“. Über das Horrorgeschehen dieser Nacht im März 1945 lässt Jelinek Boten berichten. Dennoch bleibt noch genug Horror zu erleben, etwa wenn einer der Zwangsarbeiter sich sein eigenes Grab schaufelt, von einem der Umstehenden hineingestoßen und mit einem Schaufelhieb getötet wird.

Es bekommen die heutigen Medien ihr Fett ab, die irgendwie hysterisch und voyeuristisch berichten. Es bekommen die „Nachgeborenen“ ihr Fett ab, die sich mit ihrer späten Geburt aus der Verantwortung schleichen. Es bekommen die eifrigen „Guten“ ihr Fett ab, die einer Denkmalkultur frönen. Es bekommt schließlich Österreich mit seiner wirren Vergangenheit und und nicht minder wirren Gegenwart sein Fett ab. Als versöhnende Geste zwischen Vergangenheit und Gegenwart singt am Ende Sona MacDonald – nun nicht mehr als Gräfin, sondern als eine Trauernde – ein Kaddisch, das jüdische Versöhnungsgebet, und begräbt Knochen.

Es stellt sich die Frage, ob die trashigen Ästhetik dieser Aufführung dem unfassbaren Geschehen in Rechnitz (und an vielen anderen Orten in Österreich) gerecht wird. Eva Menasse hat das Geschehen im Roman „Dunkelbum“ zu fassen versucht. Wie der Titel schon verrät, lässt der Roman alles im Dunkeln und der Leser bleibt ebenso ratlos zurück wie nach Jelineks Theaterstück. Also welche künstlerische Form wählen?

http://www.josefstadt.org

Wiener Staatsballett: „liebeslieder“

Zweimal Romantik: am Anfang „other dances“ und am Ende „liebeslieder walzer“. Dazwischen die spannende Choreographie von Childs: „concerto“. Die klassische Romantik überwog leider und machte den Abend langatmig.

other dances

Musik: Walzer und Mazurka von F. Chopin, Choreographie: Jerome Robbins.

Anstelle von Hyo-Jung Kang und Davide Dato tanzten Kiyoka Hashimoto und Masayu Kimoto(Titelfoto). Sie machten ihre Sache gut, die Choreographie wirkte eher wie aneinander gereihte Aufwärmübungen. Man sah Eleganz, hohe Sprünge in blauen Kostümen. Am Klavier: Igor Zapravdin

concerto

Musik: Henryk Mikolaj Gorecki, Choreographie: Lucinda Childs

Obwohl die Choreographie auch schon einige Jahrzehnte alt ist, wirkt sie jung, dynamisch, aufweckend. Vier Tänzerinnen und 3 Tänze in schwarzen Kostümen rockten, rasten, tanzten Chaos perfekt, bildeten in scheinbarer Unordnung eine geheimnisvolle Ordnung. Unter den Supertänzern fiel Daniel Vizcay durch seine starke Bühnenpräsenz besonders auf.

liebeslieder walzer

Musik: Liebeslieder Walzer und Neue Liebeslieder von Johannes Brahms. Choreographie: George Balanchine

Vier Gesangstimmen (Sopran, Alt, Tenor, Bass), Klavier zu vier Händen.

Bühne: Ein Ball-Salon im Rokoko Stil , Kostüme im ersten Teil genau zum Interieur passend, Walzer-Ballkleider, Damen in dazupassenden Schuhen mit kleinem Absatz. Im zweiten Teil: Ballettoutfit.

Viel wird gewalzt, gedreht, ein Paar nach dem anderen präsentiert sich, verschwindet, kommt wieder. Alles viel zu lang und eintönig. Starke Ähnlichkeit mit den Balletteinlagen im Neujahrskonzert: Hauptsache „schön“ und „klassisch“. Wäre da nicht das elegante Paar Lazik-Schoch dabei gewesen, man hätte mit der Langeweile gekämpft. ERleichtert stimmt man den letzten Worten der Sänger zu: „Nun, ihr Musen, genug!“

Höflicher Applaus.

www.wiener-staatsballett.at www.wiener-staatsoper.at

Grig(or Shashikyan): Jesus‘ Katze. Geschichten von den Straßen Jerewans

Aus dem Armenischen von Anahit Avagyan und Wiebke Zollmann.

Kolchis Verlag

In Jerewan mir blieb die Luft weg. Nicht so sehr wegen der Abgase, sondern eher vor Staunen. Nach der tagelangen Fahrt durch Natur pur sah ich meiner Ankunft mit gewissem Bangen entgegen. Ich fürchtete, in eine Stadt mit nur grauen Plattenbauten in russischer Einheitsästhetik zu kommen. Die gibt es natürlich. Doch Jerewan überraschte total und gab  zur Begrüßung den Blick auf den Ararat frei. Dieser Berg hat etwas von Ewigkeit an sich. Hier soll Noah mit seiner Arche gelandet sein, rund um ihn entstand das armenische Reich. Dass der Berg heute den Türken gehört, schmerzt die Armenier sehr und lässt ihn umso mehr zum Mythos werden. Sehnsuchtsvoll schauen sie tagtäglich  über den Streifen Niemandsland zu ihm hinüber. Er scheint ja an manchen Tagen zum Greifen nah. Und doch unerreichbar.

Siebzig Jahre russischer Herrschaft haben natürlich die Kultur und Lebensform geprägt. Kluge und mutige Pädagogen wussten um die Gefahr der Normierung. Um Kinder von ästhetischen Stereotypen russischer Prägung zu befreien und ihnen das Bewusstsein eigener Identität zu vermitteln, gründeten mutige Pädagogen Mitte der Siebzigerjahre das Kinderkunstmuseum. Was so harmlos klingt, war eine gewagte Sache. Denn die Russen verboten künstlerische Eigeninitiativen. In privaten Ateliers konnten Kinder zwischen 5 und 12 Jahren frei arbeiten, zeichnen, malen, sticken oder Theater spielen. Viele, die heute angesehene Künstler in Armenien und im Ausland sind, haben  hier ihre künstlerische Laufbahn begonnen und  die Welt mit ihren eigenen Augen sehen gelernt. Deshalb ist dieses kleine Museum ein wichtiges Zeugnis der Selbstbehauptung.

Kunst im öffentlichen Raum spielt in Jerewan eine große Rolle. Es scheint, als ob die Stadt darin ihre Identität findet.  Überall stehen Denkmäler oder Skulpturen, wie etwa die große Dicke von Fernando Botero. Nicht zu vergessen die Genozid-Gedenkstätte, die wie eine schlichte, begehbare Struktur gebaut ist. Oder die  „Kaskade“, ein beliebter abendlicher Treffpunkt der Jerewaner. Über fünf Ebenen steigt man hoch genießt die Aussicht und die Kunstwerke, die ein reicher Armenier gestiftet hat.

Jerewan und im Dunst der Berg Ararat zu ahnen

©Silvia Matras

Ob der junge armenische Autor Grig (die ersten vier Buchstaben seines Vornamens), der mit dem Erzählband „Jesus‘ Katze“ viel Anerkennung erntete, auch in der geheimen Kunstschule seinen künstlerischen Weg nahm, weiß ich nicht. Fest steht, dass die Armenier ihr ganz eigenes Kunstverständnis und Kreativität trotz russischem Einfluss entwickelt haben. Dieser Erzählband ist dafür das beste Beispiel. Die Geschichten handeln von Menschen „am Rande der Gesellschaft“, wie es allgemein euphemistisch heißt. In Wahrheit sind es Menschen, die am Rande ihres Lebens stehen, aber ihren Stolz bewahren. So in der ersten Geschichte „Der kleine Mann“, die wohl zu den berührendsten des Bandes zählt. Sie handelt von einem Maler, der immer die gleichen Wolkenbilder malt, sie aber unterschiedlich benennt. Still, ohne für sich zu werben, stellt er sie in dem Park im Zentrum aus. Menschen gehen vorbei, keiner kauft. Bis er am Schluss alle vor der Kunstkaskade verschenkt, die Aktion in einem eigenartigen Tanz unter den Schneeflocken begleitet. Vielleicht hatte er den Verstand verloren.

Die einzelnen Geschichten steigern sich in der Skurrilität immer mehr, es kommt der Punkt, an dem man aussteigt, weil man den Kapriolen des Autors nicht mehr folgen kann. Trotzdem – dieses Buch ist wie ein Seelenspiegel der Armenier, spiegelt ihren Stolz, ihre Phantasie, ihre Überlebensstärke wider. Deshalb ist es wervoll.

http://www.kolchisverlag.ch

Theater in der Josefstadt: Oscar Wilde: Der ideale Mann

Deutsche Fassung von Elfriede Jelinek nach einer Übersetzung von Karin Rausch

Titelfoto: Michael Dangl und Martina Stilp

Ja, genau so macht eine Überarbeitung Sinn: Elfriede Jelinek setzt mit sehr viel Respekt und Bewunderung für Oscar Wilde teils aktualisierende, teils den Humor schärfende Akzente, ohne das Werk zu zertrümmern. Da gibt es einen Seitenhieb auf den in Österreich so gern geübten Kanzlerwechsel, auf die Korruption, die fast zum guten Ton gehört. Alles deutlich, aber ohne ärgerliche Holzhammertechnik. Ton und Personenführung Oscar Wildes bleiben bestehen.

Auch dank der großartigen Regie von Alexandra Liedtke.. Im Theater in der Josefstadt längst keine Unbekannte. Liedtke steht für einfallsreiche und einfühlsame Regie. Was sie auch in diesem Stück bewies. Ihre Figurenführung ist witzig, der commedia dell‘ arte immer dann nachempfunden, wenn sie die bürgerlich/adelige Gesellschaft ganz allgemein aufs Korn nimmt, etwa bei den Begrüßungszeremonien währnd der Soirée. Da verrenken sich Gliedmaßen bis ins Lächerliche hinein. Wo es aber „ums Eingemachte“ geht, um die Charakterisierung im Detail, da setzt sie auf sparsame, aber witzige Bewegungsakzente, um das Gedankemlabyrinth zu unterstreichen.

Dass ihr dazu ein hervorragend eingespieltes Ensemble zur Verfügung steht, macht das Spiel erst so leicht und flockig. Michael Dangl als Sir Robert Chiltern ist wie immer superpräsent, wenn es gilt, eine eitle, selbstverliebte Figur auf die Bühne zu bringen, die im Lauf des Abends ganz schön demontiert wird. So kennt und liebt ihn das Publikum. Herrlich intrigant und zugleich kokett-verführerisch, endlich auch wieder in einer Hauptrolle: Martin Stilp als Mrs. Cheveley. Sie mischt die verkorkste und selbstverliebte Gesellschaft ordentlich auf. Den selbstsicheren „idealen Mann“ räumt sie die Fassade ab. Diese Szene zwischen Sir Robert und ihr gehört zu den köstlichsten des Abends: Wie sie sich langsam an ihr „Opfer“ heranmacht, katzenartig, die Maus – Sir Robert – in ihre Fänge nimmt und ihn noch ein klein wenig seine Freiheit spüren lässt, um dann zuzubeißen

Dann der junge. oder besser der sich jung gebärdende Lord Goring, schnöselig-sympathisch gespielt von Matthias Franz Stein. Dass er sich pudelnackt präsentieren muss, versteht man nicht wirklich. Aber gut, da steht er also, dünn, keine Spur von „typisch Mann“. Der Butler (Paul Matic) – köstlich steif und unerschütterlich – hilft ihm in die Unterhose – vielleicht eine Anspielung auf die Himosexualität Lord Gorings. Abgsehen von seiner Nacktheit hat dieser Lord Goring viel humorvollen Snobismus zu bieten. Oscar Wilde mag sich in diese Figur hineingeschrieben haben. Sein weibliches Gegenstück:Katharina Klar als Mabel Chiltern. Sie scheint auf die Rolle der aufmüpfigen Widerständlerin festgesetzt zu sein. Das liegt ihr. Die schwierigste Rolle hat wohl Silvia Meisterle als Lady Chiltern. Sie vergöttert ihren Ehemann, stellt ihn auf ein Podest, er vereinigt alle Ideale, die ein Mann – ihrer Ansicht – haben muss: Schön, edelmütig, wahrhaftig. Schwer rüberzubringen. Silvia Meisterle müht sich auch ein wenig in dieser Adolerantinnenrolle. Die alles verzeihende Liebe am Ende des Stückes bleibt Ironie, und das ist gut so.

Für diesen gelungenen Abend gab es langen Applaus und viele Bravorufe.

www.josefstadt.org

Theater Scala: Canetti, Die Hochzeit

Inszenierung und Bühne: Bruno Max, Kostüm: Sigrid Dreger, Maske: Gerda Fischer

Der Vorhang hebt sich, und drei Schachtelräume, die man nicht Zimmer nennen kann, so klein sind sie, fallen dem Zuseher fast vor die Füße. Im Untergeschoß eines Wiener ( kann aber auch anderswo in der Welt sein) Zinshauses vegetieren die sterbende Hausmeisterin (Eszter Hollosi), ihr bigotter Ehemann (Christoph Brückner), der wie aufgezogen, ohne auf die Sterbende zu achten, aus der Bibel vorliest. Daneben Pepi Kokosch, deren blödsinnige Tochter (Katharina Schmirl). In dieser Anfangsszene liegt schon ein Großteil des Dilemmas, das Canetti in dem Drama aufzeigt: Keiner horcht auf den anderen, Mit-Leiden gibt es nicht. Nur die doofe Tochter hat Gesten des Verständnisses für die Mutter. Ein großartiger Auftakt: gruselig, vielschichtig. Ebenso die „Großmutterszene“: Oma, die Hausbesitzerin, (herrlich Bernie Feit) sitzt selbstzufrieden in ihrem Lehnstuhl und strickt, das gedenkt sie auch noch viele Jahre zu tun, der Enkelin (witzig Michelle Haydn) zum Trotz, Die wartet ungeduldig auf den Tod der Oma, weil sie hofft, das Haus zu erben. Diese beiden Eröffnungsszenen packen den Zuschauer sofort, ziehen ihn in das Leben der Menschen hinein, die zu Puppen eingefroren sind, die plappern, wie der Papagei der Oma, die einander nicht verstehen. Verschärft wird dieser Eindruck durch die puppenhafte Maske, die diese Halbtoten tragen. Ein großartiger Auftakt, dank des bedrohlich engen Bühnenbildes, der bedrohlich hohlen Puppenmasken und nicht zuletzt des gruseligen „Nichtspiels“ der Schauspieler, die entmenscht zu sein scheinen.

Den Übergang zur „Beletage“ bilden die Bewohner des dritten Untergeschoßes: Lisa, die eine „Bessere sein will“ (Lisa Marie Bachlechner) und ihrem blöden Bräutigam (Simon Brader) die Tür weist. Auch die beiden plappern, ohne auf den anderen zu hören. Also: Lisa geht, puppig geschminkt, hinauf in die Beletage, zu „di bessan Leit“. (Hat sich für diese Konstellation Canetti von Nestroy inspirieren lassen?)

In der Beletage wird Hochzeit gefeiert: Christa, die Tochter des Oberbaurates (Titel!) Segenreich (nomen non est omen, das Haus, das er gebaut hat, stürzt alle Bewohner in den Tod), heiratet den dumpf-dummen Michel. Kompliment an Klemens Fröschl, der die Rolle der dicken Dumpfbacke mit Selbstverleugnung spielt. Liebe ist nicht. Für niemanden, nur zu sich selbst. Und Liebe heißt nur so, weil man eben Gier und Gewalt so nennt. Unter allen Beteiligten wird gevögelt, betrogen, gelogen. Im Inferno der Eitelkeiten und Dummheit fallen die gesellschaftlichen Schranken. Es wird geschrien, gerannt, gegrapscht, was das Zeug hält, es regiert vom Anfang an der Hölle Lärm, der nicht mehr gesteigert werden kann, weil er auf Dauerhöhe ist. Und von da an beginnt das Stück (oder die Regie?) zu schwächeln. Denn es fehlt eine Steigerung. Der Höhepunkt, als das Haus alle begräbt, ist keiner. Ganz einfach, weil schon eine ganze Weile nur getobt wird. Und die Zuschauer all das als Mordsspaß auffassen. Man lacht herzlich, als würden gerade Charlie Chaplin oder Oliver Hardy über die Bühne stolpern. Das Grauen bleibt aus. Auch als die Menschen sich gegenseitig in die Hölle schicken. Aus der Warnung, die Canetti und wohl auch der Regisseur meinten, wird Farce.

http://www.theaterzumfuerchten.at

Wiener Staatsoper: Ballett „Onegin“

Titelfoto: Schlussszene Poláková als Tajana und Peci als Onegin

11. Jänner 2022. 57. Aufführung anlässlich des Bühnenabschieds von Nina Poláková.

Choreographie: John Cranko nach dem Roman von Puschkin: Eugen Onegin

Musik: Piotr I. Tschaikowski eingerichtet und instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze

Das von John Cranko 1967 uraufgeführte Handlungsballett „Onegin“ gehört zu den wenigen, dessen Choreographie nie von anderen Choreographen neu bearbeitet wurde. So perfekt, so makellos, so klar in der Handlungsführung hat Cranko die Handlung in Tanz umgesetzt. Keine unnötigen Füllszenen, jede Geste, jeder Schritt, jeder pas de deux ist richtig, stimmig. Darf nicht anders sein.

Der Abend gehörte ganz und gar Nina Poláková als Tatjana. Im Publikum spürte man schon vorher eine gewisse Aufregung. Viele Besucher hatten Blumensträuße mitgebracht. Tatjanas erstes Solo, kaum verklungen, wurde schon mit lautem Bravo quittiert. Nach dem rauschhaften Schluss, dem Abschieds-pas de deux zwischen Onegin und Tatjana, brach zu Recht ein nicht endender Jubel und Beifall aus. Es regnete Blumensträuße. Die Ballerina hatte Tränen in den Augen. So feiert ein Wiener Staatsopernpublikum den Abschied seines Lieblings!

Doch nun zur Aufführung: Man freut sich richtig, die liebgewonnenen Kostüme und Bühnenbilder von Elisabeth Dalton zu sehen. Die ausgesprochen fröhlichen Tanzszenen im Dorf und so manche Figurenkombinationen erinnern an Jean – Antoine Watteaus Bilder, etwa an „Fête Galante“. Wir träumen uns in eine russische Gesellschaft auf dem Lande ein. Leichtfüßig, unbeschwert ist die Liebe zwischen zwischen Olga und Lenski, ganz zauberhaft getanzt von Sonja Dvorak und Davide Dato.

Im Vordergrund: Lenski/Dato und Olga/Dvorak © Ashley Taylor

Die Rolle Onegins ist keine leichte. Er ist der Inbegriff des Eitlen, Selbstverliebten. Reich und gebildet zwar, aber im Herzen kalt. Diesen Charakter kann man leicht überzeichnen, dann wirkt er lächerlich. Obwohl – einen Hauch von Lächerlichkeit soll er ja haben, aber eben nicht zu viel. Diese Gratwanderung gelingt Eno Peci recht gut. Tatjana zu brüskieren und mit Olga schamlos zu flirten, dazu braucht es ja nicht viel. Frauen fielen und fallen auch heute noch auf solche Gockel herein. Die Tatjana Polákovás ist zu Beginn vielleicht um eine Spur zu steif, zu „unsichtbar“. Das wohl deshalb, um dann in der Spiegelszene, in der sie sich einen liebenden Lenski erträumt, um so biegsamer, schmiegsamer zu sein. In die Tiefe einer ruhigen, ausgeglichenen Liebe tanzt sie mit dem Fürsten (Andrey Teterin), um gleich danach förmlich in einem furiosen Pas de deux in der Abschiedsszene zu explodieren. Das ist große Tanzkunst. Beide steigern sich in einen letzen Rausch der Leidenschaft hinein, bis dann die Realität einbricht und Tatjana Onegin zurückweist.

Peci und Poláková in der Schlussszene © Ashley Taylor

Ein Ballettabend, den man nicht oft genug sehen kann. Er wird nie langweilig. Mit so einer großartigen Besetzung (die gesamte Ensembleleistung sei hier einmal mehr hervorgehoben) und unter dem sicheren Dirigat von Robert Reimer gehört diese Choreographie zu den bleibenden.

http://www.wiener-staatsballett.at

http://www.wiener-staatsoper.at

Nastassja Martin: An das Wilde glauben. Matthes-Seitz Verlag

Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer

Die Autorin ist Anthropologin und Schriftstellerin. Ihre Forschungen konzentrieren sich auf indigene Völker, die den westlichen Kulturen Widerstand leisten.

Eine ihrer Reisen führte sie nach Kamtschatka zu dem Volk der Ewenen, wo sie deren Lebensformen und Mythen erforscht. Auf einer Bergtour in menschenleerer Wildnis wird sie von einem Bär angegriffen: “ …das geschwollene , zerrissene Gesicht gleicht sich nicht mehr,…ich bin diese undeutliche Form, deren Züge in den offenen Breschen des mit Blut und Sekreten verschmierten Gesichts verschwunden sind.“ Wie durch ein Wunder wird sie von einer alten Frau aus dem Volk der Ewenen gerettet, die ihre Wunden versorgt. Im russischen Spital für Kriegsverwundete wird sie operiert, zwei weitere Operationen erfolgen in Frankreich. Die Wunden heilen, das neue Gesicht gehört ihr noch nicht. Sie kehrt zurück an den Ort, wo sie dem Bär begegnete. Es geht ihr um Verstehen. Der Bär wird zum Symbol für die Frage, wie wir Menschen mit der wilden, von Menschen unberührten Natur umgehen. Sie stellt sich der Erkenntnis, dass in ihr der Bär nicht nur optische Spuren hinterlassen hat, sondern einen Teil ihrer Seele erfasst hat. In Morphinträumen erkennt sie hellsichtig, dass sich in ihrem hybriden Körper westliches, technologisches Wissen und das Wilde, der Bär vereinen.

Schon als Kind, so Nastassja Martin, war sie von allem Wilden, den Wäldern, den Bergen, den Akrobaten und den Geschichtenerzählern fasziniert. Gegen Schule, Stadt und Beton wehrte sie sich und studierte Anthropologie, wobei sie vordringlich vom Animismus der Urvölker wie eben der Ewenen fasziniert ist.

Mit ihrer präzisen Sprache leuchtet Nastassja Martin seelische Innenräume aus, wo Autoren sonst kaum vordringen. Mit erstaunlicher Klarsichtigkeit führt sie zwei Welten zusammen, die der Wildnis, in der Bären Menschen angreifen, und die des Vertrauten, sagen wir der Normalwelt. Sie erreicht dabei die Grenzen des Denkens und sucht Antworten auf die Fragen: Was ist Natur, was ist unsere westliche Welt? Immer wieder erfassen sie Erinnerungen an den Kampf mit dem Bären, Gedanken, die sie selbst nur schwer ausformulieren kann, da sie sich der weltlichen „Formel“ widersetzen. Aber letztendlich kehrt die Autorin aus dieser „Bäreneinsamkeit“ immer wieder in die „moderne, zivilisierte Welt“ zurück. Sie braucht beide Seiten der Existenz.

„An das Wilde glauben“ ist eine Autobiographie. Martin geht aber weit darüber hinaus, verlässt den erzählerischen Raum und verliert sich in ihrer vom Animismus beeinflussten, beherrschten Gedankenwelt, der zu folgen der Leser Geduld und Aufmerksamkeit entgegen bringen muss, soll. Ja, soll. Denn es zahlt sich aus, sich in Martins Universum auszuliefern.

http://www.matthes-seitz-berlin.de

Ich möchte auf ein Buch hinweisen, das sich ähnlich sprachgewaltig auch mit der Frage, wie wir mit den letzten Refugien der Wildnis umgehen, beschäftigt:

Siehe meine Buchbesprechung !

Polly Clark: Tiger. Eisele Verlag

Aus dem Englischen von Ursula C. Sturm

„Der Wald argumentiert nicht. Der Wald lügt nicht. Der Wald fordert von dir nichts weiter als Respekt. Und der Herrscher über den Wald, der Zar, ist der TIGER.“

Dieses, dem Roman vorangestellte Zitat, umfasst das Thema: Respekt vor der wilden, ungezähmten Natur!

Die Autorin nennt ihr Buch einen Roman. Aber eher sollte es heißen: Vier Erzählungen um das geheimnisvolle Wesen „Tiger“.

Es beginnt mit einem Prolog. Wie viele Männer in der russischen Taiga träumt auch Dimitri davon, einen Tiger zu erlegen und durch den Verkauf des Tieres immens reich zu werden. Doch es kommt anders: Der König des Waldes stürzte sich lautlos auf ihn, schlug seine Zähne in das Fleisch des Menschen, dem keine Zeit mehr blieb, Angst zu empfinden. „Dimitri blieb nur noch eines: in das Antlitz des Göttlichen bis in alle Ewigkeit zu schauen, und in seinem Blut und in jeder Zelle seines Körpers die wahre Ordnung der Natur zu spüren.“

In dieser bildgewaltigen, atemlos machenden Sprache peitscht Polly Clark den Leser durch das Schicksal verschiederner Protagonisten, die alle in irgendeiner Weise der Faszination „Tiger“ erliegen

.

Teil eins: Frieda

Frieda ist mit Leib und Seele Tierforscherin. Eines Tages wird in einem englischen Zoo eine Tigerin erwartet, die dem deprimierten Zootiger Lust auf Sex machen und für Nachkommen sorgen soll. Als Betreuerin wird Frieda eingesetzt. Sie hat noch keine Erfahrung mit der Spezies Tiger, beobachtet die durch Verwundungen und Transport gereizte Tigerin fast rund um die Uhr. Wagt sich ungeschützt in den Käfig, weil sie glaubt, das Vertrauen des Tieres gewonnen zu haben, und wird von der Tigerin angefallen. Schwer verwundet kann Fieda noch einen Betäubungsschuss setzen, bevor sie ohnmächtig wird. Frieda hat sich, genau so wie der Fallensteller Dimitri, in einen Kampf mit der ungezähmten Natur eingelassen und verloren. Zwei Warnungen, die die Erzählerin dem weiteren Verlauf ihres „Romans“ voranstellt.

Teil zwei: Tomas

Schauplatzwechsel: Im äußersten Osten Russlands leiten Vater Iwan und Sohn Tomas ein etwas herabgekommenes Reservat, das den wenigen noch lebenden Tigern in der Taiga Schutz und Freiraum sichern soll. Sie kämpfen gegen die Macht der Geldhaie, die auch die letzten Winkel der unberührten Natur vermarkten wollen.Eines Tages bricht Tomas in den von Menschen noch nie betretenen Wald auf, um mit Kamerafallen Bilder von der „Gräfin“, wie sie die dort lebende Tigerin nennen, zu bekommen. Was er aus den Spuren lesen kann, ist ein wilder Lebenskampf zwischen der Tigerin und einem Bär. Und dann entdeckt er auch Spuren einer Frau.. Er entdeckt ein Drama: Vor einer Hütte liegt die Tigerin, unter ihr begraben die Frau. Beide tot. Daneben ein Mädchen. Sina wird sie heißen und er wird sie und das Tigerjunge der Gräfin ins Reservat mitnehmen

.

Teil drei: Edit

Edit stammt von den Udehe, den letzten Ureinwohnern der Taiga. Sie lebt mit dem Russen Waleri in einem Dorf in der Taiga. Als dieser eines Tages eine Tigerin im Käfig gefangen ins Dorf bringt, verlässt ihn Edit. Tiger sind für die Udehe heilige Wesen. Sie nimmt ihre dreijährige Tochter Sina mit und lebt mit ihr in der Tiefe des dichten Waldes, lehrt sie alles, was zum Überleben wichtig ist. Beide überstehen in dieser wilden, unberührten Natur Eiseskälte, Hunger und Hitze. Bis eines Tages die Gräfin sich der Hütte nähert. Edit elingt es, sie tödlich zu treffen, wird aber von der todwunden Tigerin zu Tode gebissen. Hier schließt sich der Kreis der Personen: Tomas wird Sina finden und mitnehmen.

Teil vier: Tiger

Polly Clark scheut sich nicht, die Geschichte der Gräfin zu erzählen und dabei gleichsam hinter die Augen und Ohren, in das Gehirn des Tieres mit der menschlichen Sprache zu dringen. Das gelingt ihr überzeugend gut. Dank ihrer Recherchen für dieses Buch hielt sich Polly Clark monatelang in der russischen Taiga auf den Spuren der Tiger auf. Ohne das Verhalten der Gräfin zu humanisieren, begleitet sie das Tier auf ihren Streifzügen, beschreibt die Geburt der beiden Tigerjungen, die verzweifelte Suche nach Nahrung. Berührend der Tod des einen Jungtieres, ihr wütender Angriff auf die Hütte.

Übergangslos führt die Autorin wieder in das Dorf, wo Sina nach dem Tod ihrer Mutter aufwächst. Und wieder übergangslos landet plötzlich Frieda in diesem Dorf. Mit im Gepäck zwei Tigerjungen aus dem Zoo, die nun zur Auswilderung vorbereitet werden. In dieser allzu gewollten Zusammenführung ihrer Figuren liegt vielleicht das einzige Stolpersteinchen. Aber letzendes genießt der Leser die präszisen und doch hochpoetischen Beschreibungen. Die kleinsten Details bekommen fast mythische Bedeutung. Ein „Roman“, wenn man denn so will. Aber die Bezeichnung tut nichts zur Sache. Wichtig ist Sprachgewalt, mit der die Autorin das Wesen der Tiger erfasst, die letzten unberührten Winkel der Natur schildert. Bilder, die in die Seele eingehen und dort bleiben

http://www.eisele-verlag.de

Ein ähnlich sprachgewaltiges Buch mit ähnlichem Thema sei hier erwähnt:

Nastassja Martin, An das Wilde glauben. Die Anthropologin Nastassja Martin wird in der Taiga von einem Bären in den Kopf gebissen und schwer verletzt. Es ist die Geschichte ihrer Genesung und zugleich eine intensive Begegnung mit ihrem Selbst und der Wildnis. (siehe auch meine Buchbesprechung)

Volksoper Wien: „The Lady in the Dark“

Musik: Kurt Weill, Buch: Moss Hart, Gesangstexte: Ira Gershwin

Was für ein Kontrastprogramm zu dem tristen, deprimierend-düsteren „Don Carlo“ in der Staatsoper. Finster schwarze Bühne, Rampensänger ohne Ausstrahlung, die wie singende Statuen wirken. Das war am 25. Dezember. Dann am 26. Dezember in der Volksoper: Heiterkeit,, Farbigkeit, intelligenter Humor, flotte Musik!!!

Dirigent James Holmes heizt dem Orchester und dem Chor ordentlich ein. Unter den zündennden Melodien von Kurt Weill lässt er die Darsteller und mit ihnen das Publikum mit Leib (Darsteller) und Seele (Darsteller und Publikum) tanzen. Man möchte aufspringen, mittanzen. Zumindest oft und oft mit Szenenapplaus die Tänzer und Sänger anfeuern, die sich bis zum Äußsersten steigern.

Unter der einfallsreichen Regie von Matthias Davids entwickelt sich das Drama um Liza Elliott (Julia Koci). Sie ist als Chefin und Herausgeberin einer großen Modezeitschrift ein gefürchtetes Biest, in ihrer Seele aber gärt es, sie will nicht mehr kämpfen, biestig und launisch sein. Sie ist zwar nicht gar so eisig wie Meryl Streep als Chefin („Der Teufel trägt Prada“), aber viel fehlt nicht. Doch in ihr geht eine Veränderung vor, die sie nicht einordnen kann. Burnout würde man heute sagen. Als gelernte Amerikanerin geht man zum Psychiater – ganz professionell gespielt von Robert Meyer. (Wir werden ihn vermissen!!!!) Geschickt entwickelt sich nun ein Stück Leben zwischen Traumsequenzen und Realität. Dank des phantasievollen und witzigen Bühnenbildes von Hans Kudlich, der einfallsreichen Kostüme von Susanne Hubrich kommt man aus dem Staunen und Lachen nicht heraus. Keine Minute Langeweile, weil der Szenenwechsel rasch und meist auch sehr witzig vor sich geht. Nicht zu vergessen sind die tänzerischen und akrobatischen Leistungen des ganzen Ensembles und des Staatsballetts, die unter der Leitung des Choreographen Florian Hurler ein tänzerisches Feuerwerk abliefern.

Julia Koci gibt die nervöse Chefin ebenso überzeugend wie die unsichere Frau, die erst durch die Psychoanalyse und die Traumdeutung zu ihrem wahren Ich vordringt. Ein wenig Ironie darf auch dabei sein, wenn die Traumata aus den Erinnerungen gar stark gewichtet werden. Ironie oder Überzeugung? Das weiß man nicht so genau. Jakob Semotan ist als der leicht tuntige Russell Paxton eine Lachnummer, aber als Zirkusdirektor schießt er mit seinem Lied über russische Komponisten den Vogel ab. Da capo und 1x noch am Schluss als Draufgabe!!! Eine wahre Meisterleistung, dieser Zungenbrecher!

Ben Gonnor gibt eine echte Westernheldparodie! Witzig, nie peinlich!Martina Dworak sprang für die als K1 in die Quarantäne geschickte Johanna Arrouas als eitle, leicht dumme Alison Dubois ein und machte ihre Sache großartig.Axel Herrig gab einen seriösen Kendall Nesbitt. Jede einzelne Figur war bis in die Fingerspitzen überzeugend.

Es war ein Abend, der Corona und die Maske völlig vergessen ließ. Danke für drei Stunden bester, intelligenter Unterhaltung mit einigem Tiefgang,

Man fragt sich nach so einer exzellenten Aufführung wieder einmal: Warum haben Sie, verehrte Frau Kulturstadträtin, den Vertrag von Robert Meyer nicht verlängert?

http://www.volksoper.at

Oberes Belvedere: IM BLICK: Radem Saleh, Osman Hamdi Bey, Hakob Hovnatanyan

Etwas im Schatten der großen Ausstellungen sind die Bilder dreier großariger Künstler zu sehen, die aus dem Archiv in den „Blick“ der Besucher gerückt wurden: Aus Indonesien: Radem Saleh, von dem das Titelbild „Kämpfende Tiger über der Leiche eines Javaners“ stammt.Dazu ein aktuell – passender Buchtipp:

Polly Clark, Tiger, Eisele Verlag 2021. Die Autorin hat sich intensiv mit dem Aussterben des sibirischen Tigers beschäftigt und den Winter 2017 zu Studienzwecken in der russischen Taiga verbracht. Ihr „Roman“ ist ein interessantes Dokument über die Beziehung Tiger-Mensch.

Aus der Türkei: Osman Hamdi Bey mit dem berührend- schlichten Bild: „Über den Koran meditierend“

Osman Hamdi Bey: Über den Koran meditierend (© Silvia Matras)

Interessant auch der Maler aus Georgien/Armenien Hakob Hovnatanyan. Er bevorzugte Menschen in in bedeutungsvoller Haltung zu malen:

Der Schah von Persien 1860 (© Silvia Matras)

An der gegenüber liegenden Wand hängt als ironisches Zitat das Bild des jungen Kaiser Franz Josef. In Stolz und Haltung ähneln einander die Gestalten sehr.

Alle drei Künstler waren sowohl im Europa als auch im jeweiligen Heimatland künstlerisch zu Hause, aber in keinem der beiden wirklich verwurzelt. Bis heute sind ihre Namen noch fast unbekannt. Um so wichtiger ist diese Ausstellung, die einmal mehr zeigt, was in den Archiven der Museen an Schätzen verborgen liegt und wie wichtig es ist, diese zu heben.

http://www.belvedere.at

Nach Johann Wolfgang Goethe von Nicolas Stemann und Philipp Hochmair

Darf er denn das? Den“ Werther“ des ehrwürdigen Dichterfürsten Goethe verulken? Er, und zwar nur er, Philipp Hochmair darf das!!! Denn hinter der quirlig.komischen Übertriebenheit und Exaltiertheit steckt ein tieferer Sinn – nämlich der, wie tieftraurig, selbstverliebt und einsam dieser Kerl mit dem weltberühmten Namen Werther war und ist. Nein, ich sage jetzt nicht, Werther sind wir alle – ganz und gar nicht. Weil Philipp Hochmair nie und nimmer mit dem moralischen Zeigefinger wedelt. Er spielt einfach, es scheint, es fällt ihm alles in der Sekunde ein, da er spielt. Nix scheint vorbereitet und ist es doch. Und zwar präzise.

Nun mal vom Anfang an: Es beginnt, wie halt eine Lesung beginnt: Da steht ein Tischerl, dahinter ein Sessel am Bühnenrand,. dahinterhängt ein Riesenplakat mit der Ankündigung: Werther, Philipp Hochmair. Schon da schmunzelt man, denn Hochmair und eine normale Lesung – das geht nicht lange gut. Er tritt auf – in Tarnhose, gelbes Leuchtshirt, Cowboystiefletten und Cowboyhut. Also nix Wertherkostüm. Setzt sich, trinkt einen Schluck – ganz wie alle Künstler bei Lesungen. Aber das dauert nur Momente und schon legt Hochmair Verwirrungspfade – richtet einen Fotoapparat auf der Bühne ein, fotografiert den Blumenstrauß, das Foto wird riesengroß an die Wand geworfen. Dann liest er ein paar Zeilen, Bildungsbewusste erkennen einzelne Szenen, wie die: Frühling, Natur, Begegnung mit Charlotte, Tanz, Brotszene. Und so fort. Aber all dieses Szenen blitzen nur wie kurze Zitate auf, dazwischen fällt dem „Vortragenden“ wieder auf, wie langweilig der Werther in seiner Selbstüberschützung ist – und er überspringt seitenweise Kapitel, von denen er nur die Briefdaten nennt. Und Charlotte? Ja, die spielt auch mit: als Gipskopf kann sie fotografiert werden, groß auf die Leinwand projeziert und dort oder auf dem weißen Vorhang angebetet werden als Gipsgöttin. Immer schneller und schneller schraubt Hochmair die Spirale des Personenwechsels hinauf, immer mehr Zeitspuren legt er, einmal ist er mitten im WErther, dann in einer nicht fix auszumachenden Gegenwart, spricht mit dem Publikum, bewirft es mit Salatblättern (eine gekonnte Persiflage auf Kochsendungen im Fernsehen!) . spielt mit dem Publikum, verabschiedet sich, weil „Albert angekommen ist“, winkt und verschwindet. Das wiederholt er mindestens fünfmal. Und er drückt sich nicht um den Selbstmord – den kostet er in seiner larmoyanten Werthermanier aus, dann aber: das Schreckensfoto -riesig groß sein Gesicht, als er merkt, dass er wirklich geschossen hat. Das verzerrte Gesicht bleibt lange ohne Ton stehen, wird weggerissen, verglüht als ein Punkt im Dunkel der Bühne.

Begeisterter Beifall!!! Bravorufe. Eben: Hochmair darf alles!!!

www.lanhttp://www.landestheater.netdestheater.net

Gesuino Némus, Die Theologie des Wildschweines

Aus dem Italienischen von Sylvia Spatz

EIN SARDINIEN-KRIMI steht auf dem Cover. Sardinien ja, Krimi -eher nein. Denn die „Lösung“ gibt es nicht wirklich, sie ist so absurd wie das ganze Buch. Daher hier meine Warnung: Nur Leser mit Sardinienerfahrung werden ihre Freude an dem Buch haben und Figuren aus ihrem eigenen Sardinienspektrum bestätigt finden. Alle anderen werden das Buch als überdrehtes Hirnjogging abtun.

Sardinien in den späten 60er-, Anfang 70er Jahren. Damals und auch noch bis in die 90er waren Kidnapping, Mord und Erpressung an der Tagesordnung, Fremde -sprich Menschen aus dem „continente“, wie die Sarden Italien nannten, stießen in Gesprächen schnell auf eine Schweigemauer. Dass Aga Khan die Costa Smeralda mit Promihotels besetzte – verschandelte – ist an den meisten Sarden so was von nicht bemerkenswert vorbei gegangen, Es sei denn, sie gehörten zu den armen Würsteln, die damals um fast kein Geld ihren Grund an Aga Khan und Nachfolger verkauft hatten.

Der Rest der Sarden war eher damit beschäftigt, sich gegen die Gesetze vom „continente“ zu wehren, wie etwa als ein Atomkraftwerk in den Bergen von Orgosolo angedacht war. Aber darum geht es nicht in diesem Buch. Sondern ganz grundsätzlich um die typischen Charaktere des eigenwilligen Volkes der Sarden. Ein Toter wird, nur oberflächlich vergraben, im Wald ganz nahe bei dem Bergdorf Televras gefunden. Der Carabiniere De Stefani ist mit der Lösung des Falles betraut, aber als Piemonteser total überfordert. Denn keiner würde ihm, dem „Fremden“, auch nur ein Sterbenswörtchen verraten. Schon gar nicht der Pfarrer Don Cossu. Er weiß alles über seine Schäfchen, hält aber dicht. Mord, Erpressung, Betrug, Vergiftung – er weiß Bescheid, schweigt aber. Der Carabiniere Piras ist ein gebürtiger Sarde, weiß auch viel, würde auch nichts verraten. „Er erwartete für sein Stillschweigen keine Gegenleistung. Er begriff einfach, wie das nur Sarden begreifen können, was es hieß, arm zu sein: schweigend und würdevoll.“ (p.68). Das ist einer der Kernsätze des Buches. Was nicht heißt, dass der Autor, selbst gebürtiger Sarde, Mord und Erpressung gut heißt, nur weil das Verbrechen von armen Sarden begangen wird. Im Grunde geht es um Verständnis für Menschen, die ums Überleben kämopfen. Sie haben nicht viel, eine Herde Schafte, Ziegen und die Natur. Wenn sie Menschen gekidnappt und Lösegeld erpresst haben, so ist das theoretisch ein Verbrechen, aber für den Pfarrer und den einheimischen Polizisten ein verstehbares Verbrechen. Ich möchte das hier durch ein eigenes Erleben verstehbar machen:

In den frühen 90er Jahren war Kidnapping auf Sardinien noch en vogue. Besonders die Bewohner von Orgosolo waren da eifrig tätig. Als ich eine Reportage über diesen Ort in den Bergen, zu dem es damals nicht einmal eine Hinweistafel auf den Straßen gab, vorbereitete, warnte man mich: Fahr nicht hin, schon gar nicht allein. Ich fuhr, stellte mein Auto vor einer Bar ab und übergab die Schlüssel dem Besitzer, um sicher zu gehen, dass ich es wiederbekomme.Im Ort sprach man viel über die letzte Entführung einer Bankierstochter und darüber, dass die Behörde Leute aus Orgosolo verdächtigte. Es war gerade ein großes Fest imgange, irgendein Ortsheiliger wurde gefeiert. Ich hörte den Pfarrer predigen. Er sprach über Armut und eine neue Art der Gerechigkeit. Nach der Predigt fragte ich ihn, ob er die Entführer verurteile. Klare Antwort: Nein! Und wenn er sie auch kenne, werde er sie niemals verraten. Denn er habe Verständnis für die Lage der Menschen hier – Armut und das Wissen, der Willkür des Staates – il continente – ausgeliefert zu sein, sind der Boden, wo Gewalt gedeiht. Er verurteile keinen einzigen seiner Schäfchen, beteuerte er nochmals. Es dauerte ein halbes Jahr, dann fand man die Entführte: Sie lebte gemütlich im Haus der Großmutter des Entführers. Das Haus stand direkt neben der Unterkunft der Carabinieri.

Zusammenfassung: Man schmunzelt beim Lesen über die einzelnen Figuren, die skurril, absurd und dennoch sehr menschlich geschildert werden. Allerdings muss ich gestehen, dass ich die Bedeutung der „Theologie des Wildschweines“ überhaupt nicht verstand. Ist ja kein Wunder, ich bin keine Sardin!

http://www.eisele-verlag.de

Erika Pluhar: Hedwig heißt man doch nicht mehr. Residenz Verlag

„Hedwig saß am Fenster und sah in den Hinterhof hinaus. Der war lichtlos und grau, wie damals, als ihre Großmutter hier saß und hinausschaute.“

So beginnt der bedrückende Roman über Großmutter Hedwig und ihre gleichnamige Enkelin. Nach dem Tod der Eltern wird die 12jährige Hedwig von ihrer Großmutter erzogen. Vielleicht nicht mit offen gezeigter Liebe, aber sicher mit Sorge und einer Liebe, die unter der Kruste wirkt. Strenge Regeln gibt es, oberstes Prinzip für das Kind: brav sein und in der Schule Erfolg haben. Dem folgt Hedwig ohne Murren, sie besteht die Matura mit Auszeichnung, studiert an der Universität Wien Publizistik. Die Großmutter ist stolz auf ihre Enkelin. Die aber haut bei Nacht und Nebel ohne Abschied und ohne Gruß ab und rührt sich 25 lange Jahre nicht bei ihrer Großmutter. Das ist die Ausgangslage, die der Leser erst einmal verdauen muss. Eine Ungerührtheit und Eiseskälte. Keine Nachfrage von der Enkelin, ob die Großmutter noch lebt, gesund ist. Nur durch Zufall erfährt sie, dass die Großmutter vor zwei Jahren gestorben ist und ihr die Wiener Wohnung in der Josefstadt vermacht hat.

Nun sitzt also die Enkelin nach mehr als 25 Jahren auf dem Sessel der Großmutter und schaut auf den grauen Hinterhof. Der Leser ist neugierig, wie diese 51 jährige Hedwig ihren grausamen Abgang sieht, ob sie nachforscht, wie es der alten Frau ergangne ist. – nix da. Sie reflektiert ihr ach so trauriges Leben in Berlin, Hamburg und Lisabon, erzählt ihrer Großmutter sozusagen als Wiedergutmachung das Auf- und Ab ihrer Befindlichkeiten in den letzten 25 Jahren. Während sie diese Rückschau auf die Vergangenheit schreibt, meldet sich hartnäckig und sehr verständnisvoll ein Mann bei ihr an. Er lädt sie zum Essen ein oder kocht für sie, aber nur wenn es Hedwig genehm ist. Spielt ihr Musik vor, aber nur solche, die Hedwig mag. Kurz – ein Mann wie aus einem Bilderbuch, oder wie die Wiener auch sagen: wie aus dem Backofen gebacken.

Irgendwie lässt einem der Roman unbefriedigt zurück. Denn diese Lebensbeichte Hedwigs nützt der toten Großmutter aber schon gar nichts. Die Enkelin schreibt alles nieder als eine Art Selbsttherapie, ohne dass auch nur ein Hauch von Frage, wie wohl die alte Frau mit diesem Abgang fertig geworden wäre. in ihr aufkeimt.

Wie sie diesen “ Wundermann“ behandelt – man könnte sagen abkanzelt – und der trotz allem immer wieder kommt, auch das wirkt irgendwie lebensunecht. Wollte uns Pluhar die Kälte einer Generation vor Augen führen, der Empathie und Mitdenken fehlen? .

http://www.residenzverlag.com

Kammerspiele der Josefstadt: Ionesco, Der König stirbt

König: Bernhard Schir. Lore Stefanek: 1. Gemahlin des Königs. Maria Köstlinger: 2. Gemahlin des Königs, Julchen: Johanna Mahaffy., Johannes Krisch und Marcus Bluhm in kleinen Rollen.

® Philine Hofmann

Regie: Claus Peymann.

Bühnenbild und Licht: Achim Freyer

Kostüme: Margit Koppendorfer

Er will nicht sterben, denn er ist König und denkt, er bestimmt über seinen Tod, wie und wann er will. Aber der König ist Mensch, daher sterblich., und der Tod gehorcht nicht dem Gebot des Menschen. Also sucht der König , ähnlich wie König Admet (Euripides: Alkestis) einen Stellvertreter, der für ihn stirbt. Dass sich niemand meldet, ist klar. Anders als im „Jedermann“ wollen ihn beide Gemahlinnen bis zum Tod, aber eben nur bis zur Schwelle des Todes begleiten.Eifersüchtig streiten sie um diese „Ehre“. Nach Eindreiviertelstunden stirbt er langsam und mühevoll. Da haben schon längst einige Zuseher den Raum verlassen. Denn es zieht sich, bis der König stirbt. Den Wiederholungen der Sätze und Handlungen geht der Witz ab.

Anders als in den Dramen „Die Stühle“ ( 2019 im Akademietheater von Claus Peymann und Leander Haußmann inszeniert und von Maria Happel und Michael Maertens großartig gespielt!) oder in „Die kahle Sängerin“ (beide Stücke werden seit Jahren in Paris en suite im Théâtre de la Huchette mit Erfolg gespielt), wo Ionesco mit absurden, auf die Spitze getriebenen Witz gesellschaftliche Malaisen aufs Korn nimmt, nimmt er sich in „Der König stirbt“ eines tragischen Themas an, das er nur sehr mühevoll, leider mit allzu wenig Witz aufpäppelt. Und es stellt sich die Frage, ob in Zeiten der Coronakrise, wo alle Medien das Thema „Sterben“ auswälzen, es klug ist, ein Stück wie dieses auf die Bühne zu bringen.

Die Schauspieler geben ihr Bestes. Allen voran Bernhard Schir als raunzender König, der gar nicht einsehen will, dass er sterben muss, schon gar nicht „mit Würde“, wie es seine strenge, nonnenhafte 1. Frau (Lore Stefanek) von ihm fordert. Maria Köstlinger muss als 2. Frau die noch immer Jungverliebte spielen. Johannes Krisch in diversen Rollen, vor allem als kaltblütiger Arzt, und Marcus Bluhm als treuer Wächter in Ritterrüstung haben auch nicht viel zu melden.

Freundlicher Applaus von dem Teil des Publikums, das bis zum Schluss ausharrte.

http://www.josefstadt.org

Staatsoper: im siebten himmel

Aufführung: 19. November 2021

marsch,walzer. polka

Musik: Vater und Sohn Johann Strauß, Josef Strauß, Choreographie: Martin Schläfer- Bühne und Kostüme: Susanne Bisovsky

Sinn und Stilrichtung des Titels „im siebten himmel“ treffen vor allem oder eher „nur“ auf den ersten Teil des Abends zu: Wenn Martin Schläpfer ohne Angst vor Süße mit einer leichten, spritzigen Choreographie das Publikum verzaubert. Tatkräftig geholfen hat ihm dabei Susanne Bisovsky: Vor einem melancholischen Bild der Donauauen tanzen ihre heiter- witzigen Kostüme, mal in weiten Rosenröcken oder in körpernahen schwarzen Spitzen

Mit viel Humor lässt Martin Schläpfer seine Figuren tanzen, hopsen, sich zu Figurenknäuel fügen und irgendwie sich wieder auflösen. Manchmal sieht man mehr Zirkusakrobatik als Ballett. Mit dem starken Akzent auf Beine und Arme erzielt Schläpfer Kombinationen, Figuren, die mit einem kleinen Wink des Fußes den Witz einladen, mitzutanzen. Beeindruckend das Solo von Katevan Papava. Präzision und Innerlichhkeit des Tanzes sind ihr Markenzeichen.

In den „Sphärenklängen“ verstärkt Schläpfer die Komik, besonders durch das Clownpaar, hervorragend unbeholfen, genial- hilflos getanzt von Fiona McGee und Cologero Falla s. Bild unten:

Fiona McFee, Calogero Failla ® Ashley Taylor

fly paper bird – uraufführung

Musik: Aus der 5. Symphonie von Gustav Mahler

Choreographie:Marco Goecke

Gedicht: Mein Vogel von Ingeborg Bachmann

® Ashton Taylor

Man sieht Tänzer, die mit den Armen, Oberkörper und Kopf zucken, kreisen, rucken, zittern. Als ginge gerade die Welt unter und diese Figuren seien die letzten Überlebenden. Das zu der eindringlichen Musik Mahlers. Dazwischen hört man nur leise, fast kaum verstehbar, Wortteile aus dem Bachmanngedicht. Am Ende liegen die Tänzer bis zur Taille von den Flügeln des Vogels begraben. Ist es dieNatur, die sterbend über die Menschen sich senkt? Rätselhaft. Man bewundert die Leistung der Tänzer! Aber so mancher fragt sich – auch die Schreiberin der Zeilen – warum diese „Anti-Choreographie“? Vielleicht als Kontrast zum ersten und letzten Teil dieser Trilogie.

symphony in c

Musik: Symphonie C-Dur von Georges Bizet

Choreographie: George Balanchine ® The school of American Ballett

Klassisch: Vor azurblauem Hintergrund Tänzerinnen im weißen Tütü und Tänzer im eleganten schwarzen Samt. Spitze, Spitze im besten Sinn, Balanchine feiert die Hochklassik des Balletts.

Liudmila Konovalova und Alexey Popoy ® Ashley Taylor

Eine Spitzenleistung des gesamten Ensembles. Genuss pur für die Zuseher!

Viel Applaus, besonders auch für Patrick Lange, der das Orchester und die Tänzer behutsam durch den Abend führte.

Die Schreiberin ist neugierig auf das erste Handlungsballett von Martin Schläpfer.

http://www.wiener-staatsballett.at

http://www.wiener-staatsoper.at

Volksoper Wien: Der Rosenkavalier.

Aufführung: 17. November 2021

Musik: Richard Strauss, Text: Hugo von Hofmannsthal. Eine Koproduktion mit dem Theater Bonn.

Gleich vorweg: Diese Rosenkavalierproduktion gehört zu den besten der letzten Jahre! Großartige Sänger, allen voran Jacquelyn Wagner als Marschallin und Emma Sventelius als Octavian,.großartige Bühnenbilder (Johannes Leiacker) und eine Regie, weitab von der allgemein gängigen Mode – will heißen: keine überkandidelten Regieeinfälle- sondern alles passt zu Musik und Text. (Regie und Licht: Josef Ernst Köpplinger). Kostüme, die zur Entstehungszeit, knapp vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, passen: Dagmar Morell. Und ein Dirigent, der die romantisch-melancholischen Klänge gekonnt mit den scharfen Akzenten der Moderne, den „Widerhaken“, wie er sie nennt, rüberbringt: Hans Graf.

Jacquelyn Wagner als Marschallin ® Barbara Palffy/Volksoper Wien

In einem Salon mit Rosentapeten und blinden Spiegeln kost ein stürmischer Oktavian die Marschallin und merkt nicht die leichte Zurückhaltung der Geliebten. Schon diese Eingangsszene ist eine der vielen Kostbarkeiten dieser Inszenierung. Emma Sventelius – sie wurde als einzige aus der Bonner Inszenierung übernommen- gibt glaubhaft in Gestalt, Spiel und Gesang einen jungen Mann, der seine erotischen Wünsche ausleben möchte. Die Bettszene wirkt deshalb in keiner Minute peinlich oder abgeschmackt, wie das oft der Fall ist, wenn Octavian eine recht weiblich bis füllige Sängerin ist. Wie nun Jacquelyn Wagner die Marschallin gibt, ist ganz große Schausspiel- und Gesangeskunst. Zurückhaltend, romantisch und frei von Larmoyanz. Und so auch ihre Selbstbetrachtung vor einem blinden Spiegel, der die Spuren der Zeit gnädig mildert. Die weltberühmte Arie „Die Zeit ist ein sonderbar `Ding“ zählt zu den schönsten Momenten der ganzen Oper. Weise vorausschauend sendet sie Octavian als Brautwerber, wissend, dass er auf die reizende junge Sophie ( ganz bezaubernd: Beate Ritter) treffen und dass zwischen den beiden der erotische Funken überspringen wird. Bewusst lenkt die Marschallin Octavian von sich weg. Ob der Abschied leichter wird, wenn er von ihr bestimmt wird? – Allerdings lädt sie Octavian und Sophie, die am Ende ein Paar sind, in ihre Kutsche ein. Ganz wird sie den Geliebten wohl nicht aus den Augen verlieren….Bis es allerdings zu dem versöhnlichen Ende kommt, haben Hofmannsthal und Strauss noch eine Riesenburleske und Intrige rund um den Ochs von Lerchenau (Franz Hawlata) eingebaut. Diese Szenen füllen der Regisseur und Dirigent mit vielen Überraschungsmomenten. Wein- Walzerseligkeit, Bosheiten, Lug und Trug der „vornehmen“ Gesellschaft tun sich auf, dazwischen der zögerliche Octavian und die verzweifelte Sophie. Das ist der Stoff, aus dem eine gute Komödie geschaffen ist. Wenn dazu noch die messerscharfe und streichelweiche Musik kommt, dann ist das Vergnügen pur. Den Reim auf diese „Sozialsatire“ kann sich jeder Zuschauer selber machen, muss aber nicht. Denn Gott sei Dank hat der Regisseur eine mögliche gesellschaftsrelevante Kritik ganz ohne erhobenen Zeigefinger inszeniert.

http://www.volksoper.at

Theater Akzent: Stefano Bernardin als Hamlet

Für Text, Dramaturgie, Bühne und Regie gemeinsam verantwortlich: Stefano Bernardin und Hubsi Kramar

Keine Angst, so düster wie Stefano auf dem Foto dreinschaut, wird der Abend nicht. „Wenn zwei so Verrückte wie wir eine Idee haben, dann wird es ziemlich schräg!“, sagt Stefano Bernardin in einem Gespräch mit der Schreiberin dieser Zeilen. Und weiter: „Seit Sommer sitze ich und lerne alle Rollen.“

Und es wurde ein ganz besonderer Abend: Bernardin schlüpfte in die Rolle des Hamlet, des fiesen Claudius, der den Bruder umbringen lässt, er ist der kriecherische Polonius – er ist einfach: alle , alle. Von einer Sekunde auf die andere wechselt er Körperhaltung, Stimme und Mimik. Es gelingt ihm von dem jungen Hamlet übergangslos in die Rolle des miesen Onkels Claudius zu schlüpfen. Dazu genügen ihm eine Papierkrone und der rote Prunksessel.

Wo bleiben die Frauen? – die werden dezent angedeutet. Mutter Gertrude wachelt nervös mit den Händen, Ophelia bleibt unsichtbar, wird nur schroff ins Kloster geschickt. Ein ganz besonderes Gustostückerl ist die Auseinandersetzung mit den fiesen Heuchlern Rosenkranz und Güldenstern: Wie Bernardin alle drei auf die Bühne bringt, das muss man gesehen haben!!! Ein Hüpfer, ein Dreher mit dem Kopf, eine neue Mundstellung – und schon wird aus Hamlet Güldenstern oder Rosenkranz. Es darf gelacht werden!!! Und es wird gelacht. Auch über eindeutig -zweideutige Hinweise auf die momentane politische Situation in unserem Land. Da spürt man deutlich die Handschrift des „alten“ Polithaudegens Hubsi Kramar!

Aber die Tragödie bleibt nicht aus: Bernardin spielt Hamlet als den Unentschlossenen, der am Ende durch sein Zögern die Rache in Schuld umwandelt, eine Schuld, die er durch Selbstmord tilgt.

Großartig sein berühmter Monolog: Schlicht, ohne Pathos.

Großartig sein Spiel am Schlagzeug, wo er seine innere Wut abragiert.

Großarig sein Gesang und Spiel auf der Gitarre, in dem er seine Sehnsucht nach Liebe ausdrückt.

Und das Publikum applaudierte mit Begeisterung. Es gab standing ovation!

http://www.akzent.at

Tone Fink: ARCHE.TONE

Texte: Max Lang

Ganz ungewöhnliche Tierzeichnungen. Zwischen Schmunzeln und Gruseln blättert man Blatt für Blatt um. Gerade in der Abgeschlossenheit des Corona-Lockdowns, die Tone Fink „Krönchenzeit“ nennt, packten ihn „stark bedrohte Tierfotografien am Schlafittchen“. Entstanden ist eine Serie von Tierzeichnungen, die den Betrachter an- und auslachen, wie die Katze auf dem Cover.

Ach, ich liebe sie alle. Gerade habe ich mich für die Katze als mein „Lieblingsbild“ entschieden, doch dann gefällt mir das Zieserl genau so, das innig und lebensfroh an einer Löwenzahnblüte riecht. Die Natur gehört mir, ruft es mir zu. Ja, hoffentlich noch lange…Haben Sie schon einmal einen Sifaka gesehen? Sicher nicht, er ist menschenscheu, klug und er kann nachts singen. Ich hätte ihm gerne zugehört. Weil das nicht möglich ist, vertiefe ich mich in die liebevoll-klugen Texte von Max Lang.

Wer ratlos ist, was er seiner Liebsten, seinem Liebsten zu Weihnachten oder zum Geburtstag schenken soll – dieses Buch wird ein Volltraffer sein!

Ein feines, hinterlistiges Wohlfühlgeschenk: Es macht den Schenkenden glücklich, weil es den Beschenkten beglückt.

http://www.bibliothekderprovinz.at

Landestheater Niederösterreich: Thomas Mann: Der Zauberberg

Inszenierung: Sara Ostertag, Bühne Nanna Neudeck, Kostüme Clio Van Aerde, Dramaturgie: Julia Engelmayer und Maria Muhar

Aus einer riesigen Röhre kriecht Hans Castorp (Tilman Rose) aus der „Unterwelt“ an die Oberwelt des Sanatoriums in Davos, hoch in den Bergen. Ein Riesending, das einer Krake oder den menschlichen Rippenbogen gleicht, füllt die Bühne. Zuallererst muss sich der Besucher mühevoll orientieren, wer wen darstellt. Denn mit Ausnahme von Hans Castorp, der eindeutig ein Mann ist, sind die anderen Personen nicht so leicht in ihrem Geschlecht identifizierbar. Also: Settembini wird von einer Frau gespielt (Bettina Karl) – übrigens ist ihre Aussprache am klarsten. (Oben auf dem Balkon konnte man viele Textstellen nur bruchstückhaft verstehen). Die schöne Clawdia Chauchat wird von Tim Breyvogel dargestellt. Eher als Frauenfigur abtörnend. Den Vetter Joachim spielt Marthe Lola Deutschmann. Dieses Vexierspiel mit der Genderproblematik darf ja in keiner Inszenierung mehr fehlen und wirkt schon ein wenig abgenützt.Alles nach dem Motto: Nichts darf so sein, wie es scheint.

Zu einer melancholischen Hintergrundmusik (Clara Luzia und Catharina Priemer-Hunpel) spielt man nun Sanatorium, besser sollte man sagen: Irrenanstalt. Denn was Sara Ostertag aus dem feinsinnigen Roman über den Untergang einer verkorksten Gesellschaft gemacht hat, schrammt gefährlich am Klamauk entlang. Da schlurft eine Art Yeti im schmutzigrauen Zottelfell über die Bühne, hüpft dem auf der Röhre Schlafenden auf die Brust, da kleckert der Arzt mit Farbe herum, spritzt die Röntgenbilder auf die Brust der Patienten, , taumeln die Figuren durch Nebelschwaden – die bis hinauf auf den Balkon trotz Maske zu riechen sind. Da wühlt ein leicht verwirrter Hans Castorp am Schluss in einem Plastikherz, später im Schnee. Was fehlt noch aus dem gängigen Repertoire des Regietheaters – ja, richtig, eine Anspielung auf die Homosexualität des Autors. Als Zuschauer ist man nur damit beschäftigt, all diese Pseudosymbolik zu hinterfragen. Der eigentliche Sinn des Romans wird durch krampfige Regieeinfälle vernebelt – im wahrsten Sinn.

http://www.landestheater.net

Kammerspiele der Josefstadt: Brecht/Weill: Die Dreigroschenoper

Im Programm ist zu lesen: Unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann – ein Hinweis, dass der Großteil der Arbeit für dieses Werk von Elisabeth Hauptmann geleistet wurde. Was Bert Brecht nicht so gerne zugab. Danke für diesen HInweis!

Die Bettler und Gauner sind in Frack und Zylinder gekleidet, nur manchmal blitzt ein Tatoo auf, so man es auf der dunklen Bühne überhaupt wahrnimmt. (Bühnenbild und Kostüme: Herbert Schäfer) Es herrschen Dauerdunkelheit und Nebel (London!), ein Nebel, der ziemlich unangenehm riecht, auch durch die Masken (leider) des Publikums dringt.

Die Aufführung (1. November 2022) war von keinem guten Stern begleitet: Herbert Föttinger( Peachum) und Marcello de Nardo (Kimball) konnten krankheitshalber nicht auftreten. Oliver Huether übernahm mit Buch in der Hand die Rolle des Peachum und machte seine Sache recht gut. Wer die Rolle des Hochwürden übernahm, war (mir) nicht klar.

Das Geschehen spielte sich auf zwei schrägen Stegen ab, zwischen denen die Figuren nicht immer ganz sprungsicher hin und hertanzen mussten. Die Musiker waren im Hintergrund platziert, dirigiert von Christian Frank, der vorne am Klavier saß. In dem verbleibenden Raum tanzten, wälzten und drehten sich Figuren in lasziv-erotischer Haltung – man sah viel gespreizte Damenbeine in die Luft ragen. Überhaupt setzte der Regisseur Torsten Fischer stark auf choreographische Effekte – die Figuren bewegten sich wie unter Wasser. Was in dem dichten Nebel recht beeindrucken konnte und über die langen Leerstellen zwischen den Gesangsnummern hinweghalf.

Gesanglich und schauspielerisch überragte Maria Bill als Celia Peachum alle. Sie traf den Weillschen Sound hundertprozentig und schuf ganz ohne Mühe eine Lotte-Lenya-Aura. Swintha Gersthofer war gesanglich eine überzeugende Polly, Susa Meyer eine lässige Spelunken-Jenny. Claudius von Stolzmann gab einen bürgerlichen Macky Messer, dessen Hinterhältigkeit und Gefährlichkeit zu wenig herauskamen. Dass er am Ende mit dem Kopf nach unten „gehängt“ werden sollte, erregte wohl bei den meisten Zusehern eher Mitleid mit dem armen Schauspieler als Bewunderung.

Dem Publikum gefiel es und sie honorierten besonders die Leistung der Einspringer.

http://www.josefstadt.org

Albertina: Amedeo Modigliani.

Revolution des Primitivismus

Foto: Modigliani, Liegende Frau auf weißem Kissen

Anlässlich des 100. Todestages des Künstlers zeigt die Albertina eine interessante Schau seiner Werke und setzt sie in den Kontext mit anderen Malern wie Picasso, Derain oder Brancusi.

3066448 Head, 1911-12 (limestone) by Modigliani, Amedeo (1884-1920); Minneapolis Institute of Arts, MN, USA; Gift of Mr. and Mrs. John Cowles; Italian, out of copyright.

Während in Wien sich der Jugenstil ausbreitet, konzentrieren sich Künstler wie Modigliani oder Picasso auf die Kunst Westafrikas oder der griechischen Antike. Der „Primitivismus“ bricht mit allen akademischen Bildformen.

In seiner ersten Phase konzentriert sich Modigliani (1884-1920) auf die Skulptur und nimmt als Vorbild die griechische Antike und die Kunst Westafrikas. Er ist von den strengen, asketishen Formen: langgestreckter Hals und Kopf, spitzes Kinn, kleiner Mund, mandelförmige Augen.

Später wendet er sich der Malerei zu. Es entstehen weibliche Akte, die für Skandal und Aufregung sorgen. Immer mehr wendet er sich den Porträts zu, bleibt aber seinem strengen, fast entpersonalisierten Stil treu.

Foto rechts: Jeanne Hubuterne 1918 (® Albertina)

Die Ausstellung ist noch bis 9. Jänner 2022 zu sehen.

http://www.albertina.at

Marco Bolzano, Wenn ich wiederkomme. Diogenes Verlag

Aus dem Italienischen von Peter Klöss

Marco Bolzano, einer der erfolgreichsten Schriftsteller Italiens, greift immer gesellschaftspolitisch relevante Themen auf. Und die setzt er dann in spannende Romane um. Diesmal geht es um die Frauen, die ihre Familie im Osten Europas verlassen und in Italien mit Altenpflege Geld verdienen, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen.

Marco Bolzano schreibt den Roman aus drei Sichtweisen: Zunächst erzählt der kleine Manuel, wie es war, als seine Mutter ohne ein Wort, bei Nacht und Nebel, das Haus in einem rumänischen Dorf verließ. Ein Schock für Manuel, die ältere Schwester Angelica und den Ehemann Filip. „Wir haben im ganzen Haus nach Moma gesucht. Irgendwann haben wir sogar die Möbel von den Wänden gerückt, als hätten wir einen Ring verlegt.“ Auf den ersten Verlust folgt bald der zweite: der Vater macht sich ohne Adressenangabe aus dem Staub. Manuel, der zuerst mir Feuereifer in der Schule Bestnoten schreibt, verliert die Lust am Lernen, gleitet ab. Nur sein Großvater und Angelica halten ihn noch. Bald beginnt er die Telefonate seiner Mutter, ihre Geschenke zu hassen. Er borgt sich das Moped seines Freundes aus und fährt damit in einen versuchten Selbstmord.

Im zweiten Teil erzählt Daniela, die Mutter, wie es ihr in Mailand geht. Sie pflegt einen grantigen Alten. Dann einen Dementen. Windelwechseln, füttern, kochen, einkaufen ist ihr anstrengender Alltag. Nie angemeldet, keine Chance auf Fixanstellung. Das Heimweh und die Sorge um ihre Kinder bedrückt sie sehr. Als sie vom „Unfall“ ihres Sohnes erfährt, kehrt sie nach Rumänien zurück und bleibt am Bett ihres Sohnes, der im Koma liegt, so lange, bis er aufwacht. Liebevoll umsorgt sie ihn danach. Doch Manuel bleibt verschlossen.

Im dritten Teil erzählt die Tochter Angelica. Sie hat beschlossen, „so zu tun, als wär nichts“. Sich ablenken, fertig studieren und allein zurechtkommen ist ihre Devise. Das schafft Distanz. Vor allem zur Mutter. Nach dem Spitalsaufenthalt hilft sie ihr, Manuel aufzupäppeln. Doch irgendwann hat sie genug von der Helferrolle. Sie verlobt sich, heiratet und zieht nach Berlin. Ob die Familie je wieder eins wird, bleibt offen.

In einer schlichten und klaren Sprache gelingt es Bolzano, das Schicksal dieser Familie lebhaft vor Augen zu führen. Er versteht es, die drei verschiedenen Schicksale und ihre Verknüpfung, besser ihr Auseinandertriften, ohne Schuldzuweisungen zu beschreiben. Im Nachwort schreibt er: „So ist ein dreistimmiger Familienroman entstanden, in dem jedes Mitglied seine eigenen Entscheidungen trifft, aber auch mit denen der anderen klarkommen muss. „

Die Frauen, die weggehen, verdienen zwar gutes Geld, aber verlieren ihre Identität und riskieren den Zusammenhalt ihrer Familien. Ein berührendes Dokument unserer Gesellschaft, die die Pflege der Kranken und Alten den Frauen aus dem Osten überlässt.

http://www.diogenes.ch

Zora del Buono, Die Marschallin. C.H.Beck Verlag

Zora del Buono beschreibt das Leben ihrer Großmutter, einer geborenen Ostan.. Diese verlebt ihre Kindheit mit vier Brüdern in Bovec im Isonzotal , weiß schon als Kind viel über den 1. Weltkrieg und die Schlacht am Isonzo. 1920 lebt sie in Berlin, ab 1932 in Bari mit ihrem Mann, dem berühmten Radiologen Prof. Pietro del Buono. Beide sind überzeugte Kommunisten, sie eine fanatische, er eher besonnener. Geld ist in Hülle und Fülle da, was sie aber nicht hindert an einen Kommunismus zu glauben, in dem alle im gleichen Wohlstand leben. Sie haben drei Söhne, Zora ist eher eine distanzierte Mutter. Kinder sind in ihrem politischen Leben und Agieren nicht einbezogen.

Die Autorin schildert mit einer nur mühsam zu lesenden Detailtreue die kleinsten Umstände, wie Zora ihr Haus in Bari plant und baut, bis hin zum Tafelsilber und der Kleidung , auch der der Dienstmädchen. Diese Detailtreue erregt den Verdacht, dass es der Autorin eher darum ging zu beweisen, wie genau sie recherchiert hat. Viel erfahren wir nicht über die Figuren selbst, auch Zora, die wegen ihrer Strenge und Herrschsucht „Marschallin“ genannt wird, bleibt eine nur oberflächlich wahrgenmmene Figur. Durch diese ausufernde Detailschilderungen werden die politische Ereignisse nur als Fakten angeführt, Ursachen und Hintergründe bleiben dunkel. Die wechselhaften Ereignisse , wie aufkommender Kommunismus, Kampf gegen Faschismus, Hitler, Mussolini, Nationalismus, Partisannenkrieg, Tito und Stalin stürzen über die Familie del Buono genau so rasant herein wie über den Leser, der bald beginnt, die Details zu überfliegen, um an die Kerne der Ereignisse zu kommen.

Im zweiten Teil überspringt die Autorin die Jahre zwischen 1948 und 1980. Viele Familienmitglieder sind tot, nur Zora lebt in Nova Gorica in einem Pflegeheim. Sie blickt zurück auf das Leben ihrer Familie. Da erst wird Zora zu einem Menschen aus Fleisch und Blut und Seele. Sie sirbt kurz vor ihrem Ehemann, der als Alzheimerpatient in einem Schweizer Sanatorium lebt und sich an niemanden aus seiner Familie mehr erinnert.

Ein interessantes Werk, das um so interessanter hätte werden können, wenn die Autorin sich mehr auf die Figurenzeichnung, die politischen Entwicklungen konzentriert und die vielen uninteressanten Details gekürzt hätte.

http://www.chbeck.de

Wiener Staatsballett: „a suite of dances“

Beitragsbild: „glass pieces“, Herrenensemble

„glass pieces“

Musik: Philip Glass, Choreographie: Jerome Robbins, Musikalische Leitung: Benjamin Pope

Bühnenhintergrund: Eine kleinkarierte Heftseite, passend zur minimalistischen, sich wiederholenden Musik. Davor das hektische Treiben einer Großstadt, ein Rennen, Gehen, ein Drehen: die große Kunst des ungeordneten Geordneten. Danach wechselt der Hintergrund auf zartes Azurblau. Es wird ruhiger im städtischen Treiben, Solopaare tanzen geometrisch angesetzte Hebefiguren, dann der mythisch anmutende Tanz von Claudine Schoch und Alexey Popov – es entstehen magische Momente, die an altägyptische Figuren erinnern. Die Welt hält den Atem an, zieht nur als Schatten im Hintergrund vorbei. Im dritten Teil zitiert Robbins wieder die Welt der Hektik: Vor demselben karierten Hefthintergrund wie im ersten Teil tanzen Mitlglieder des Ensembles nach dem hämmernden Rhythmus einer Maschine. Wie Roboter stampfen sie mit abgewinkelten Armen über die Bühne. Doch am Ende brechen Mädchen die starre Atmosphäre und lösen sie im leichten Tanz auf.

Jerome Robbins, begeistert von der repetitiven Musik Philip Glass‘, hat sich in dieser Choreographie auf das Leben im urbanen Raum konzentriert, dh. Wiederholung, Dynamik, Stress und der banale Alltag. Nur hin und wieder gibt es eine Insel der Ruhe. Großartige Leistung des Ensembles!

Duo Concertant

Musik: Igor Strawinski, Choreographie: George Balanchine

Das Klavier spielt Shino Takizawa, die Violine Fedor Rudin. Sonja Dvorak und Lorenzo Ferreira stehen als regungslose Zuhörer im Hintergrund und lauschen. Langsam setzen sie sich in Bewegung, ertasten die Möglichkeiten der Bewgung, um nach kurzer Zeit in einen fröhlichen Tanz zu fallen, ausgelassen wie auf einem Dorffest. Hüpfend wie Kinder, die einander das erstemal begegnen. Dann entschwindet das Mädchen. Auf der Suche nach ihr tastet der Junge im dunklen Raum, bis ein Lichtstrahl ihren Arm, später auch den Kopf beleuchtet. Er kniet in Anbetung vor ihr nieder. Ein wunderbares Bild der Innigkeit!

a suite of dances

Davide Dato (Foto: Ashley Taylor)

Musik: Johann Sebastian Bach. Choreographie: Jerome Robbins

Ein Dialog zwischen einem Violoncello (Ditta Rohmann) und einem Tänzer (Davide Dato)

Als Robbins diese Choreographie für den berühmten Tänzer Michail Baryschnikov entwarf (1976), waren sie beide in einer Schaffenskrise und wollten in Ruhe sich wiederfinden. Dieses einfache – nur auf den ersten Blick einfache – Stück zeigt einen Tänzer, der zwischen Erinnerung an getanzte Szenen sich wieer neu schaffen will. Dabei bleibt er im Kontakt mit der Cellistin – es soll nach Wunsch Robbins immer eine Frau spielen. Wie ein Bub, der ein Mädchen beeindrucken möchte, tanzt er vor ihr, probierend, verwerfend, tastend. Es sind keine spektakulären Sprünge und Drehungen, eher einfache Bewegungen, als müsste er seinen Körper ausprobieren. Diese Nuancen zu tanzen, verlangt großes Können. Davide Dato erntet in dieser Rolle langen, verdienten Applaus.

the concert

Musik: Fréderic Chopin, Choreographie: Jerome Robbins. Musikalische Leitung des Wiener Staatsopernorchesters: Benjamin Pope

Komik im Ballett ist nicht ungewöhnlich. Aber eine ganze Geschichte als witziges Tableau zu schaffen, ist sicher neu, glaubt man. Doch Robbins schuf diese Choreographie in den 1950er Jahren als eines seiner ersten Werke. Die Bildsprache ist deutlich, die Gestik der klassischen Pantomime abgeschaut.

Ein Klavierkonzert beginnt. Der Pianist (Igor Zapravdin) betritt das Podium. Umständlich rückt er den Klaviersessel zurecht, staubt die Tasten ab. Das Konzert kann beginnen. Nun betreten mit Sesseln in der Hand die allseits bekannten Typen von Konzertbesuchern: die Zuckerlpapierraschler, die Tratscherinnen, der schüchterne Jüngling, das streitende Ehepaar. Ein wildes Durcheinander an getanzten Eifersüchteleien und Bedrohungen entsteht, bis die eitle Ballerina (Elena Bottaro) das Heft an sich reißt und statt zuzuhören zu tanzen begkinnt. Es beginnt zu regnen, nach und nach spannen allle die Schirme auf und vereinen sich für Momente in einen Traumtanz unter den Schirmen. Plötzlich werden sie zu Schmetterlingen, flattern wild über die Bühne, bis der verärgerte Pianist sie mit einem Riesennetz einfängt.

Die Komik dieses Stückes liegt einerseits in den verpatzten Bewegungen, immer ist eine Figur zu spät, zu früh, weiß nicht wohin. Und natürlich in den zauberhaften Kostümen von Holly Hynes (nach Irene Sharaff).

Lang anhaltender Applaus und Bravorufe belohnen die Solisten und das ganze Ensemble.

http://www.wiener-staatsballett.at

Mary Lawson, Im letzten Licht des Herbstes. Heyne Verlag.

Aus dem Englischen von Sabine Lohmann

Mary Lawsons Sprache ist sensibel, feingesponnen, psychologisch tief in Seelen hineinhorchend. Ihre Naturbeschreibungen schwingen im Gleichklang mit den Charakteren der Protagonisten.

Die siebenjährige Clara wartet, stundenlang am Fenster ausharrend, auf ihre vor Monaten verschwundene Schwester Rose. Vergeblich. Von den Eltern bekommt sie wenig Hilfe, sie sind in ihrem eigenen Kummer befangen. Die Nachbarin Elizabeth Orchard, zu der Clara ein inniges Verhältniss hat, kann ihr keinen Trost bieten, denn sie liegt mit Herzproblemen im Spital und weiß, dass sie bald sterben wird. Nun kümmert sich Clara um den Kater der Nachbarin und findet darin einen gewissen Trost. Bis eines Tages ein Mann in das Haus einzieht. Clara versteht die Welt nicht mehr, denn sie hofft ganz fest auf die Rückkehr der Nachbarin. Was macht dieser Mann in dem Haus?

Mit häufigem Erzählerperspektivewechsel schwenkt die Autorin von dem Kind Clara zur sterbenden Eliszabeth und zum ratlosen Neuankömmling Liam Kane, der als Vierjähriger ein gern gesehener Gast bei Elizabeth war und die ihn wie ein eigenes Kind liebte. Als sie weiß, dass sie bald sterben wird, überschreibt sie ihm das Haus. Liam jedoch erinnert sich kaum an diese Zeit, will eigentlich aus dem kalten Ontario so schnell wie möglich wieder weg. Doch die Menschen bringen ihm Vertrauen, Liebe und Freundschaft entgegen und er entschließt sich zu bleiben.

Ein zärtliches Buch über die Liebe und das Vertrauen, das langsam und behutsam entsteht. Großartig auch, wie sich Mary Lawson in die kindliche Seele der siebenjährigen Clara und ebenso in die der sterbenden Elizabeth versetzen kann. Dabei gerät sie niemals in die Gefahr des Kitsches oder der Gefühlsduselei. Treffende Charakterzeichnungen und berührende Naturschilderungen machen das Buch zu einer wervollen Kraftquelle, besonders in Krisenzeiten wie diese.

http://www.heyne.de

Volksoper: Ein deutsches Requiem

Musik: Johannes Brahms. Choreographie:Martin Schläpfer

Musikalische Leitung des Orchesters der Volksoper Wien: Christoph Altstädt, Choreinstudierung: Holger Kristen. Sopran: Athanasia Zöhrer. Bariton: Alexandre Beuchat. Text: Worte der Heiligen Schrift

Der neue Ballettdirektor Martin Schläpfer präsentiert mit „Ein deutsches Requiem eines seiner Hauptwerke und zugleich seiner wenigen Ensemblearbeiten. Es ist gleichsam seine Visitenkarte, mit der er die Bewegungsansätze des zeitgenössischen Tanzes deklariert.

Im „Ein deutsches Requiem“ geht es um die großen Fragen des Lebens: Worin definiert sich der Sinn? Was bedeutet der Tod? Wie in anderen Requien auch (z. B. in Rossinis Werk) hat nicht der Tod das (alleinige) Sagen, sondern vielmehr das Leben. Das erst seinen Wert durch die Begrenzung des Todes bekommt. So feiert auch Martin Schläpfer in seiner Choreographie die Lebensfreude, akkompagniert von dem Wissen um Veränderung und Tod. Seine Choreopgraphie zeigt die Augenblicke der Metamorphose: Gerade eben explodiert die Freude am Leben in ekstatischen Sprüngen und Läufen, um sich im nächsten Moment in Verinnerlichung an die Sterblichkeit zu erinnern.

Lichtgestalten

Großartig wird diese Choreographie von den wunderbaren Kostümen von Catherine Voeffray unterstützt und herausgearbeitet: Die Tänzerinnen tragen ein schwarzes Kostüm, das ihren Körper halb bedeckt, Arme, Beine, Rücken und die halbe vordere Körperseite sind „nackt“/nude. Durch die raffinierte Lichtführung von Thomas Denk leuchten aus dem Dunkel der Bühne (Florian Etti) die hellen Körperteile auf, als weisen sie ins Leben. Mit diesem Hell-Dunkelspiel gewinnt der Tanz eine ganz eigene Dimension ins Tranzendente.

Das Ensemble wird gefordert: Läufe, Hebefiguren, Street Dance, modern Dance, Gruppenformierungen, Auflösung der Gruppe in ein (gewolltes) Chaos, das erfordert von den Tänzern höchste Konzentration. In manchen Momenten erscheinen Präzision und exakte Übereinstimmung nicht wichtig. Ob die leichten Irritationen gewollt oder ungewollt passieren, weiß man nicht.Sind sie Teil der philosphischen Grundstruktur der Choreograpie?. Wie so oft lässt Martin Schläpfer die Tänzer barfuß tanzen, sie sollen den Boden unter ihren Füßen spüren, sich erden, ist sein Credo. Nur einmal wird diese Maxime unterbrochen: Claudine Schoch tanzt ein faszinierendes Solo, rechts barfuß, links mit Ballettschuh. In übertriebener Langsamkeit setzt sie Schritt für Schritt, mit den Füßen austasend, was der Boden dem blanken Fuß oder dem beschuhten Fuß meldet. Man könnte es als eine Frage an die Natur verstehen, wäre der Boden etwa von Erde bedeckt. Großartig auch ihr Pas de deux mit Davide Dato. Ketevan Papava und Marcos Menha tanzten in ihrem Pas de deux die Verinnerlichung der Intimität (der Kuss ist ikonenhaft!!!) und des Aufeinanderzugehens und des Vertrauens.

Minutenlanger Applaus und Ovationen belohnten diese großartige Ensembleleistung.

www.wiener-staatsballett.at/volksoper.at