Regie: Margit Mezgolich. Mit Kristina Sprenger und Gregor Seberg.
Das Paar hat schon lange keinen Sex mehr. Zumindest nicht miteinander. (Daher ist obiges Foto wohl ein KI -Fake) Sie landen dort – im Bett – nie, denn sie sind vielmehr mit Diskussionen, Streit und diversen missglückten Selbstmordversuchen beschäftigt. Weil der Ehemann viele flüchtige Beziehungen und dementsprechend auch ein abwechslungsreiches Sexleben hat, inszeniert die betrogene Ehefrau einen Suizid nach dem anderen. Das ist die Ausgangslage.
Franka Rame (!929-2013) und Dario Fo (1926 – 2016) waren das produktivste (Ehe) Paar im italienischen und auch internationalen Theaterbetrieb ihrer Zeit. Sie schrieben unzählige Komödien, Sketches, Shows fürs Fernsehen, Drehbücher für Filme. Meist spielten sie selbst mit. Als ihnen die italienische Zensur immer häufiger in ihre sozialkritischen Texte hineinpfuschte, gründeten sie eine unabhängige Theatergruppe und spielten auf Sportplätzen, in Kinos, auf Straßen und öffentlichen Räumen. Ihnen war wichtig, dass ihre soziale Botschaft in der richtigen Zielgruppe ankam. Mit „Copia chiusa= „Offene Zweierbeziehung“ 1988 landen die beiden einen internationalen Erfolg. Italien war noch im Tiefschlaf, was die Rechte der Frauen betraf. Sie hat zu Hause zu bleiben. Arbeiten – gegen die Ehre des Ehemannes. Er vergnügt sich draußen recht flott mit Kurzbeziehungen. Sie droht mit Selbstmord – soweit der Normalablauf einer italienischen Ehe. Doch Rame und Fo zeigen, wie es anders gehen könnte.
In weichgespülter Löwingerkomödie führen das Kristina Sprenger und Gregor Seberg vor. Beide sind dem Publikum aus diversen Krimiserien bekannt, und der Erfolg des Abends daher vorprogrammiert. Kristina Sprengers Suizidversuche sind spektakulär, ihr Gejammer über den fehlenden Sex mit dem Ehmann ebenfalls. Als Paartherapie schlägt der Weiberheld (Gregor Seberg) eine offene Zweierbeziehung vor. Sie willigt ein – aber bald ist ihr diese Rolle zu demütigend und sie sucht sich ihrerseits einen Lover. Und der ist zum Unterschied zum Ehemann noch jung und attraktiv. Die Rache gelingt und ist süß. Ob das Thema in Zeiten der Speeddates per Handy noch relevant ist, fragt man sich. Was solls- dem Publikum gefiel es!!
Deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva. Regie: Amélie Niermeyer
Mit Tschechows „Onkel Wanja“ kann man alles machen – eine Tragödie über ein verfehltes Leben oder eine trashige Komödie, wofür sich die Regisseurin Amélie Niermeyer entschied. Lässt Tschechow seinen Figuren noch Würde im totalen Versagen, so vernichtet Niermeyer diese zur Gänze. Die Figuren taumeln durch ein bürgerlich-schäbiges Haus der 60er Jahre (Bühne Christian Schmidt) – es gibt ein Wandtelefon, einen Plattenspieler und eine Küche im Design der Gemeindewohnungen. Alle haben abgewirtschaftet, suchen im Wodka und im gemeinsamen Musikgekreische Abwechslung. Oder auch in koketten Sexspielchen.
Am Boden zerstört ist die Hauptfigur – Wanja (Rapahael von Bargen). Er stolpert, klettert Wände hoch, grölt, trinkt bis zur Bewußtlosigeit. Dass er sein Leben lang auf dem Gut geschuftet hat, damit der Professor (Joseph Lorenz) in der Hauptstadt ein gutes Leben mit seiner zweiten Frau Jelena (Alma Hasun) führen kann, hat ihn all die Jahre nicht gestört. Aber der Professor ist bankrott und verkriecht sich nun als hypochondrischer Jammerlappen, läuft in Unterhosen und Bademantel umher, kurz- er lässt ich gehen. Zu erkennen, dass man sein Tun und Arbeit einem Schmähidol gewidmet hat, tut weh. Deshalb brüllt Wanja wie ein zu Tode gequältes Tier und schießt wie wild mit der Pistole in der Gegend umher. Das Gut soll verkauft werden? -Eine Katastrophe, doch der Trott geht weiter. Aus den positiven Figuren der Maria Wojnizkaja macht Niermeyer eine schwer Gestörte, die mit einer Puppe im Arm herumläuft und sie bei Tisch füttert. Marianne Nentwich unterzieht sich dieser Figur mit erstaunlicher Würde. Einzig Sonja (Johanna Mahaffy) wirkt glaubwürdig und berührt in ihrer unerschütterlichen und scheuen Liebe zu dem zynischen, vom Leben enttäuschten Arzt Astrow (Alexander Absenger).
Ja, aus dem Text, ein wenig zurechtgebogen und ins Heute übersetzt, lässt sich leicht so eine Trashkomödie machen. Aber ob sie berührt, das bleibt offen.
In einer Fassung von Mateja Koleznik. Deutsch von Anja Wutej
Nicolai Gogol wollte nie als der Schreiber von Leichtkomödien angesehen werden. Und so steht auch im Programmheft deutlich zu lesen: „Dass das Publikum den Revisor als bloße Unterhaltung, nicht aber als Tadel der eigenen Verhaltensmuster auffasste, betrübte Gogol noch lange Zeit“
Im Dunkeln ist gut munkeln, dachten sich wohl Regisseur Mateja Koleznik und Klaus Grümberg, der für Licht und Bühne verantwortlich zeichnet. Warum in der Mitte eine Art Raumrakete steht, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Die in den Turm eingebaute Toilette spielt eine wichtige Rolle, ein paar Stufen führen in eine nicht zu deutende Räumlichkeit. Bei Bedarf dient die Rakete als Wirtshaus oder als Bürgermeisteramt. So weit -so dunkel.
Gleich zu Beginn weiß der Zuschauer, auf welche Reise uns der Regisseur führen wird: In die Slapstickmaschinerie eines Stan Laurel und Oliver Hardy. Aus der Rakete, die offensichtlich auch einen Hintereingang hat, stolpern der Reihe nach die Figuren des Spiels. Alle müssen über irgendein Hindernis auf dem Boden hinklatschen. Stolpern und Hinfallen ist eine Hauptaktion im ersten Teil. Weiters sieht die Choreographie einen Tanz mit Stühlen und Sesseln vor, der lange dauert und immer wieder von Neuem beginnt. Höhepunkt des Unsinns ist die Besäufnis. Tabledance und Stürze vom Tisch, lallen und grölen soll das Publikum und den Pseudorevisor bei Laune halten. Doch es wirkt nicht, weil aufgesetzt und gekünstelt.
Im zweiten Teil nimmt das Stück Fahrt auf und nähert sich den Intentionen Gogols: Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, von den Noblen bis zum kleinsten Kriecher zu geißeln. Und wenn alles im Sinne Gogols läuft, dann müsste sich das Publikum auch gleich mitgegeißelt fühlen. War aber nicht der Fall: Die Lacher lachten nicht über sich selbst, sondern nur über die gekonnte Persiflage der damaligen Zeit. Wieviel und ob man das Spiel als heutiges empfand, mag bezweifelt werden. Es ist jedoch müßig zu erwähnen, dass Korruption, Speichelleckerei, Vernaderei und Kuppelei ein sehr heutiges Thema ist.
Die Qualitäten der einzelnen Schauspieler und Schauspielerinnen kamen im zweiten Teil erst so richtig zur Geltung: Roland Koch gibt den schmierigen, oberkorrupten Bürgermeister, der glaubt, das Spiel und die Dorfbewohner in der Hand zu haben. Seine eitle Dummheit ist grenzenlos, er merkt nicht einmal, dass ihn Chlestakov, der Pseudorevisor, längst durchschaut hat und ihn und alle anderen ordentlich ausnimmt. Tim Werths als vermeintlicher Revisor spielt sein Spiel mit den Menschen, ist selbst der am meisten Bestechliche. Allerdings fehlt seiner Darstellung die Doppelbödikeit und die nötige Durchtriebenheit, die sein Diener (Oliver Nägele) weit besser drauf hat. Weit überzeichnet und der totalen Lächerlichkeit preisgegeben hat der Regisseur die Rolle der Tochter des Bürgermeisters (Lola Klamroth) Sie wird zur halbdebilen Stummen degradiert, die mit vorgewölbten Hüften durch die Gegend stakst und seltsam gymnastische Verrenkungen ausführt. Differenzierter schon Andrea Wenzl, die eitle Ehefrau des Bürgermeisters. Köstlich ihr Sexhunger, mit dem sie sich über den jungen Kandidaten stürzt. Unter den vielen Bürgern dieser Kleinstadt, die ihre Rollen alle ganz ordentlich spielen, sticht besonders Martin Schwab hervor. Er torkelt als schwerhöriger Alter, sein Herrenhandtascherl schwenkend, durch die Gegend und sorgt für ehrliche Lacher. Martin Schwab kann man ja die unnötigsten Rollen geben, er macht aus allen eine Figur!
Der Abend endet so, wie der Regisseur es wohl erwartet, aber nicht verdient hat: mit reichlichem Applaus für die Schauspieler.
Was auch immer und wo auch immer Philipp Hochmair auftritt, ist das Theater ausverkauft bis auf den letzten Platz. Selbst die Hustenden und Schnupfenden lassen sich dieses Ereignis nicht nehmen. So auch, als er im Landestheater Niederösterreich „AMERIKA“ von Franz Kafka spielte.
Aus jedem noch so sperrigen Text schafft Philipp Hochmair als erfahrene „Rampensau“ (für alle, die den Ausdruck nicht kennen: Er ist das größte Kompliment für eine/n Schauspieler/in!) ein Theatereignis. So auch mit Kafkas Romanfragment „Amerika“, entstanden zwischen 1911-1914, in einer Zeit, als viele nach Amerika auswanderten, weil es als Hoffnungsland galt. Für Karl Roßmann jedenfalls wurde es zum Albtraum. Im grauen Anzug referiert Hochmair zunächst ungewohnt „brav“, den Anfang: Karl Roßmann landet per Schiff in New York. Doch schon nach wenigen Minuten wissen wir: Roßmann ist ein kreuzbraver Loser. Aus Mitgefühl und Verantwortung will er dem Schiffsheizer, der sich schlecht behandelt fühlt, zu seinem Recht verhelfen. Griffe da nicht als deus ex machina sein Onkel Josef ein und rettete den hilflos verstrickten Karl aus der Situation, wäre das Unternehmen Amerika schon gescheitert, bevor es begonnen hat. Wie immer, schlüpft Hochmair gekonnt in alle Rollen: Diese Kunst des blitzschnellen Rollentausches macht aus dem sperrigen Text ein spannendes Abenteuer, das davon erzählt, wie Karl, noch ein halbes Kind, von seinen Eltern zur Strafe einfach weggeschickt, scheitert, weil er sich für alle und alles verantwortlich fühlt. Mit Amerikas Lebensstil kommt er nicht zurecht, den Betrügern läuft er wie ein tumber Tor in die Hände. Am Ende hat er keine Bleibe, keine Arbeit und ist ins Nichts geworfen. Hocmair wäre nicht Hochmair, würde er aus dem Ende nicht ein furioses Finale machen: Als Zirkusdirektor – geschmückt wie ein wandelnder Weihnachtsbaum, stürzt er sich ins Publikum, um „Mitarbeiter für den Zirkus Oklahoma“ zu requirieren. Er kann jeden brauchen und nimmt auf, wen er gerade aus dem Publikum herauspickt: Pensionisten, eine Physiotherapeutin und wieder Pensionisten. Die Musik (Fritz Rainer) trommelt und paukt das Publikum in ein lachendes Finale, das mit standing ovations endet. So liebt es Hochmair, so liebt ihn das Publikum.
Eine lieblose Komödie nach Ben Johnson und Stefan Zweig. Spielfassung Sam Madwar
Herrlich böse! Herrlich geistreich! Herrlich komisch! Mit einem Wort: Bestes Theater! Damit ist eigentlich schon alles gesagt, und der geneigte Leser möge flugs hingehen und sich dieses kostbare Relikt aus einer Zeit, als man noch wusste, was Theater bedeutet, ansehen. Kein verkopftes Regietheater! Kein Moralgequatsche. Einfach ein Spiel mit Hinter- und Vordergründen und einer klaren message: Leute amüsiert euch, denn gerade werden euch eure eigenen Fehler unter die Nase gerieben und ihr merkt es nicht.
Ben Jonson (1572 – 1837) war ein Saufkumpan Shakespeares. Im Unterschied zu diesem schrieb er Komödien à la terre par terre – also über Leute wie du und ich. Könige und Adelige interessierten ihn nicht, wenngleich dort oben diesselben Schweinerein passierten wie in den unteren Schichten. Stefan Zweig fand Gefallen an diesem hinterfotzigen Ben Jonson und bearbeitete den „Volpone“, rückte ihn mit ein paar Feinstrichen in die Nähe der Commedia dell arte.
Mit einem Superensemble und einem aus der Zeit herausgeschnittenen Bühnenbild gelingt Sam Madwar schlichtweg ein Theaterhit! In einem pompösen Himmelbett bereitet sich Volpone auf seine Sterbeszene vor. Wenn ein Reicher stirbt, dann stellen sich die Erbschleicher ein, die Volpone gründlich ausnimmt. Die würden ja alles geben, um als Haupterben im Testament zu stehen. Der eine führt Volpone seine eigene schöne Ehefrau zur geflissentlichen Bedienung zu, der andere enterbt seinen eigenen Sohn. Unterstützt von seinem flinken Diener Mosca gelingt es dem schlauen Fuchs, alle als Verlierer belämmert dastehen zu lassen. Am Ende glaubt man schon, dass Mosca ihn an Durchtriebenheit übertrumpft – aber es kommt anders.
Das Ensemble spielt in Höchstform: Johannes Terne verleiht dem Volpone eine souveräne Schlauheit. Obwohl er alle hinters Licht führt, bleibt er ein sympathsicher Schlauberger. In der Doppelrolle als Richter übertrifft er sich nochmals. Ihm zur Seite steht Mosca. Sebastian von Malfèr ist ein junger Springinsfeld, eine Figur aus Goldonis Komödien: ebenso durchtrieben schlau wie sein Herr, aber das letzte „Oitzerl“ fehlt und er hat am Ende das Nachsehen. Alle Figuren, einschließlich Diener und Gerichtsschreiber sind perfekt besetzt:
Randolf Destaller als mieser Notar, Christian Brückner als gieriger und eifersüchtiger Ehemann. Viktoria Hübsch ist seine verhuschte Frau, Peter Fuchs ein abgrundtief hässlicher und mieser Corbaccio, Benjamin Spindelberg der doofe Haudegen, Ildiko Babos eine unverschämte Hure, Florian Lebek ein bescheuerter Oberst, Robert Max Elsinger: Diener und Schreiber, Ulrike Hübl ist als Magd und Wachmeister gleichermaßen einfältig. Mit so einer tollen Truppe ergibt sich ein Theater, von dem man nicht mehr zu träumen braucht, – da ist es!
Puppenspieler: Christoph Bochdansky, Soffi Povo.Text: Christoph Bochdansky, Regie : Simon Meusburger, Puppen, Kostüm und Ausstattung: Christoph Bochdansky, Musik und Licht: Simon Meusburger
Muss man Goethes Faust 1 und 2 kennen, um sich auszukennen? Ja und nein. Für manche Szenen ist es hilfreich, für manche verwirrend. Denn das Team bringt „der Tragödie Allerlei“ auf die Bühne, also ein wenig Kasperltheater, ein wenig Christopher Marlowe. Goethe kommt auch immer wieder. Das verwirrt zunächst, bis man das Verwirrspiel aufgedröselt hat und sich einfach dem Spiel überlässt. Die Idee ist nicht einfach umzusetzen. Zu viel Ehrfurcht vor dem Geistesriesen Goethe darf man nicht haben – und haben die beiden auch nicht.
Die Bühne besteht aus Tüchern und in Streifen geschnittenen Tüchern, die manchmal durch den Himmel, durch das Gewölbe Fausts, durch irdische und überirdische Gefilde wehen. Faust ist ein Griesgram, Mesphisto zuerst ein wiffer Pudel – ganz nach Goethe -, dann ein gewiefter Verführer ins Leben. Dazwischen tanzt auch Kasperle an, der quasi den historischen Faust mimt. Er zaubert, verzaubert den Teufel, macht ihn zu einer Lachnummer. Und Gretcchen – wo ist sie geblieben? Sie ist eine traurige Randfigur.. Ihr Schicksal, das Goethe in den Mittelpunkt von Faust 1 stellt, wird schnell erzählt und aus. Vor ihrer Hinrichtung darf sie noch sagen: Heinrich, mir graut vor dir. Danach gehts ab in Phantasiegefilde, in denen sich sowohl Luftgeister als auch Hexen tummeln. Am Ende siegt der Teufel und ganz nach Marlowe und dem guten alten Kasperltheater fährt Faust in die Hölle.
Der schnelle Wechsel von Bühnenrequisiten, der Witz der Darsteller, die den Puppen ihre Stimme leihen, macht den Abend amüsant. Besonders pfiffig und vielseitig gibt Soffie Povo die vielen Nebenfiguren. Christoph Bochdansky muss sich als Gott und Faust eher behäbig geben. Fazit: Ein amüsanter Schnelllauf durch die verschiedenen Faustfiguren, mal à la Goethe, mal à la Marlowe und Kasperltheater.
Regie: Ramin Gray, Bühnenbild und Kostüme: Johannes Schütz
Der Vater ist tot. Die Geschwister Nicola und Philipp räumen das Haus. Zum Erben gibt es nicht viel. Bis plötzlich auf dem Dachboden ein Bild auftaucht, das mit A. Hitler signiert ist. Nun beginnt Gier zu walten, und Streit zwischen allen Parteien ist vorprogrammiert. Judith, Philipps Ehefrau, ist gegen einen Verkauf. Ein Bild von Hitler – damit macht man sich die Hände und die Seele schmutzig. Ihre heftigen Vorwürfe lassen ahnen, dass sie Jüdin ist und daher von der Vergangenheit geprägt argumentiert.
Eine interessante, ziemlich heiße Vorlage, die Marius von Mayenburg (oder eher Föttinger) dem Publikum vorsetzt. Bei der Frage, ob man ein HItlerbild verkaufen oder eher vernichten soll, bleibt der Autor nicht stehen. Er mäandert von Thema zu Thema: Gibt es Kunst, die wertfrei, weil von moralisch hochstehenden Autoren geschaffen wurde? Ist es unmoralisch, das Hitlerbild an (Begeisterte, ewig Gestrige) zu verkaufen und so die braune Suppe wieder aufzurühren? Darf man in Gegenwart einer Jüdin über die Palästinafrage diskutieren? Das alles und mehr schlägt der Autor und mit ihm die Schauspieler dem Publikum in rasanten Dialogen um die Ohren. Und lässt auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Das ist vielleicht die Schwäche des Stückes: Zu viele verschiedene Themen quirlen auf, aber lassen nicht Raum für Gedanken. Denn unterm Strich ist es eine bitterböse Komödie und man schmunzelt. Denn es wird gut gespielt: Allen voran Martina Ebm als resolute Nicola, die Ehemann und Bruder wie nichts wegputzt. Oliver Rosskopf gibt den Bruder, der das Geld gerne hätte, wäre nicht seine Frau Judith, die Jüdin ist und überall die braune Suppe hochkochen sieht. Silvia Meisterle spielt diese Jüdin als richtig unangenehme Zicke, die jeden Einwand mit Wortspielerein und glasklaren Argumenten abwürgt. Der Autor lässt sie am Schluss verschwinden – sie löst sich in Luft auf. Da weiß man nicht so recht, was er damit bezweckt. Roman Schmelzer glänzt in der Doppelrolle des wehleidigen Ehemanns von Nicola und in der zweiten Hälfte des Abends als Bilderspekulant und gieriger Käufer des Hitlerbildes. Susa Meyer weiß der Rolle der Galeristin den typisch verstaubten Charakter zu verleihen. Dass sie am Schluss als geheime Geliebte des Verstorbenen auftritt, ist einer der unnötigen Gags, die sich der Autor erlaubt
Im Programmheft finden sich interessante Beiträge über den schwunghaften Handel mit wieder aufgetauchten Hitlerbildern, über das Schicksal des jüdischen Glasermeisters, bei dem Hitler seine Bilder rahmen ließ, und über die Frage, ob die moralische Einstellung eines Künstlers über den Wert des Werkes entscheidet.
Wenn das Stück als Moraldusche von Dirketor Föttinger gewählt wurde, dann war es ein Schuss ins Leere. Denn das Publikum amüsierte sich köstlich über dieses Themen- Hickhack und klatsche am Ende ausgiebig Beifall.
Regie: Stefan Bachmann, Bühne Olaf Altmann, Kostüme: Jana Findeklee, Joli Tewes, Licht: Michael Göök, Choreograpie: Sabina Perry. Komposition, musikalische Leitung: Sven Kaiser.
Groß war die Neugier auf die Regie Stefan Bchmanns! Groß war die Enttäuschung. Wieder ein Stück, das sich über zwei Stunden ohne Pause dahinschleppte und nicht und nicht enden wollte. Auch wenn einige das Ende vorzeitig einklatschten – es nützte nichts. Beinhart wurde bis zum bitteren Ende gespielt.
Ich hätte ja schon ahnen können, dass dieses Stück nicht der Renner der Saison wird. War doch knapp vor Beginn der Saal halb leer. Um zumindest die ersten neun Reihen zu füllen, verkaufte man eifrig Last-Minute- Tickets. Bis sich die vorderen Reihen endlich gefüllt hatten, war es 10 nach acht. Zum Vergleich: „Schachnovelle“ war bis zum letzten Platz ausverkauft, sogar die Stehplätze auf der Galerie waren gut besucht. Gott sei Dank weiß das Theaterpublikum, was sehenswert ist! Nur solche Naivlinge wie ich, die keine Kritiken gelesen haben und von anderen Theaterfreaks nicht vorgewarnt wurden, wollen unbedingt erfahren, wie der neue Chef Regie führt.
Aus dem Programmheft geht hervor, dass alle Rollen von Frauen gespielt werden. Da man keinen einzigen Namen kennt, seien sie der Reihe nach angeführt: Nicola Gründel, Anja Lais, Rebecca Lindauer, Lea Ruckpaul, Luana Velis, Cennet Rüya Voß, Ines Marie Westernströer. jede in mehreren Rollen. Melanie Kretschmann spielte die Hauptrolle, den Widerling und Konzernboss Johann Holtrop. Sie machte ihre Sache als machtgieriger Manager recht gut. Wie übrigens das ganze Ensemble den schwierigen Text und die herausfordernde Choreografie bewundernswert meisterte. Denn, so wollte es Bachmann, sie alle mussten den Text als Art abgehackten Sprechgesang aufsagen. Das erforderte vom Publkum höchste Aufmerksamkeit, die von Minute zu Minute abnahm. Obwohl sich die Schauspielerinnen große Mühe gaben, der banalen Story, hundertfach in diversen Magazinen schon abgefeiert, einen exzentrischen, einmaligen Stil zu verleihen (Körperverrenkungen wie aus einem indonesischem Schattenspiel inbegriffen), setzte mir sehr bald die Langeweile zu. Denn die Gags wiederholten sich und nützten sich ab. Dem abgehackten Rapgesang zu folgen wurde reizloser, weil die Spannung fehlte.
Die Handlung ist vorhersehbar: Der größenwahnsinnige Holtrop verzockt das ganze Kapital einer großen Firma. Aber wie ein Stehaufmännchen richtet er sich wieder auf und gründet flugs eine eigenes Unternehmen, das er ebenfalle den Bach hinuntergehen lässt. Am Ende wirft er sich vor den Zug. Müder Applaus eines ermüdeten Publikums. Ein paar Extraklatscher bekamen die Musiker (Sven Kaiser, Zuzana Leharová, Annette Maye, Jan Felix Rohde), die das Geschehen dezent musikalisch untermalten.
Wir, das Publikum, sind Passagiere auf dem Schiff, das 1939 von New York ablegt. Festbeleuchtung auf dem ganzen Schiff (Publikumsraum), grün schimmernder Nebel hüllen die ankommenden Passagiere – uns – ein. Unterhaltungsmusik à la 30erJahre. Die Bar ist eröffnet, das P.T. Publikum unterhält sich – bis der Entertainer – Ich-Erzähler – auftritt und eine ganz seltsame Geschichte erzählt: Die Schachnovelle von Stefan Zweig!
„Erzählt“ ist das völlig falsche Wort. Denn was da in den nächsten zwei Stunden auf der Bühne abgeht, ist schlichtweg ein Ereignis, wie wir es schon lange nicht mehr auf der Burg erleben durften. Nils Strunk ist alles und jeder: Kulissenschieber, Klavierspieler, Sänger, er ist der Pfarrer, der Mirko so was wie Ausbildung verpassen will. Er ist Mirko Czentovic auf dem Schiff, er ist der angeberische Millionär McConnor, er ist der geheimnisvolle Dr.B., er intoniert auf dem Klavier fulminant, wie Schachspielen klingt – eines dieser vielen Gustostückerln dieses Abends, er ist überall und jedermann, er ist in jeder Sekunde ein anderer. Und man glaubt ihm jede einzelne Figur! Von seiner Band wird er durch die Erzählung musikalisch grandios begleitet. Langeweile in der Burg – das war einmal. Verziehen und vergessen macht dieser „Zauberkünstler der Bühne“ die vielen öden Stunden, die man in diesem Haus in den letzten Jahren erleben musste.
Der berühmte Schachweltmeister Mirko Czentovic ist an Bord! Sein Werdegang ist seltsam genug. Als Vollwaise aufgewachsen, resistent gegen alle Lern- und Erziehungsmethoden, interessiert sich der Bub schon früh nur für das Schachbrett. Sein Aufstieg zum Weltmeister ist rasant und gewinnbringend. Er spielt nur um hohe Summen. Dem sich selbst überschätzenden McConnor verpasst er eine Niederlage nach der anderen. Bis -ja bis der geheimnisvolle Dr. B. eingreift und das Schachwunder in Schranken weist.
Dem neugierig gewordenen Erzähler erzählt Dr. B. mit schlichten, unpathetischen Worten, wie es gekommen ist, dass er in der grausamen Einzelhaft der Gestapon nicht den Verstand verloren hat: Ein Schachbuch rettete ihn. Er lernte die Partien auswendig, spielte gegen sich sellbst. Im Kampf gegen Czentovic kommen jedoch alle Erinnerungen an die Qualen der Einsamkeit hoch und er muss vorzeitig aufgeben. Die Wunden, die das Naziregime ihm und Millionen anderen zugefügt hat, werden nie verheilen.
Diesen großartigen Schauspieler und seine congeniale Band (Jörg Mikula, Sebastian Simse, Hans Wagner, Bernhard Moshammer, Martin Ptak, Alois Eberl) feierte das Publikum mit begeisterten Ovationen. Zum Dank dafür musizierten Nils Strunk und das Ensemble noch weiter, bis die Bühnenarbeiter ihnen die Sessel unter dem …wegzogen.
Text: Paulus Hochgatterer. Regie: Simon Meusburger. Bühne & Licht: Simon Meusburger. Puppen & Kostüm: Soffi Povo. Kostüm und Ausstattung: Lisa Zingerle.
Spiel und Puppenführung: Manuela Linshalm
Eine auf irgendwen und alles wütende Sprayerin stürzt unflätig fluchend in den Zuschauerraum. Vielleicht möchte sie sich auf einen (nicht vorhandenen ) Mann stürzen und ihn mit Pfefferspray unwirksam machen. Sie ist gewaltbereit und sprüht ihren Frust auf die Wänden der Häuser. Ein kluger Richter verurteilt die Frustrierte zu hundert Stunden Sozialarbeit. Die junge Wilde muss ihre Strafe bei einer alten Frau abdienen. Die lebt seit Jahren in den vier Wänden ihres Minisalons. Das Mobiliar: Nachtkästchen aus der Zeit der 1900er Jahre mit Spitzendeckchen und verspielten Tischlampen.
In diesem aus der Zeit gefallenen Ambiente ( Kompliment an den Bühnenbildner Simon Meusburger) kann das eigentliche Spiel beginnen. Verzaubert folgt man den Gesten und den Stimmen: Hier die resignierenden Seufzer der alten Lady, da die forschen Fragen der Punkerin. Einen größeren Gegensatz an Charakteren kann man sich nicht vorstellen. Auf magische Weise schlüpfen aus den Tischlampen die Büsten diverser Komponisten – sie steigen aus der Erinnerung der alten Dame auf. Die hat ja -wie man im Lauf des Stückes erfährt – eine Zwangsbeglückung mit der Musik Bruckners durch ihren verstorbenen Ehemann erfahren. Vielleicht hat sie diesen ja anfangs ihrer Ehe noch bewundert, doch im Laufe der Jahre hat sich die Bewunderung in Langeweile verwandelt. Die vielen Reisen zu Bruckneraufführungen – öd!!. Über Bruckner wird viel geredet, aber er „kommt nicht vor“. An seiner Stelle schlüpfen aus den Lampen die Büsten Brahms, Wagners und sogar des kauzigen und strengen Kritikers Eduard Hanslik. Sie alle geben ihren Senf zur Musik Bruckners dazu. An dieser Stelle darf Kritik erlaubt sein: So witzig und abstrus diese Szenen mit den Büsten der Musiker sind – sie sind einfach zu lang. Auch wiederholen sich gewisse Sentenzen über Musik, Reisen, Fotos und die Reisetasche zu oft. Wer mit der klassischen Musik nichts am Hut hat, wird sich langweilen. Vor allem aber verwässern diese zwanghaft repetitierten Textpassagen das subtile Beziehungsgeflecht zwischen der Punkerin und der alten Dame. Denn am Horizont zeichnet sich gegenseitiges Verstehen ab, bleibt aber nur vage angedeutet. Wäre aber interssanter als all dieses Gerede über Bruckner. Ein kritischer Einwand, der vor allem dem Autor Hochgatterer gilt. Um den Titel zu rechtfertigen, zieht er eine weit hergeholte Erklärung, die mit dem Stück selbst nichts zu tun hat, aus dem Hut: Die Punkerin erinnert sich, dass sie einmal einem „schlafenden Wal ins Auge geblickt hat“ – und das war für sie das Megaerlebnis. Bruckner und der Wal -eine ziemlich schräge Kombination!
Ein unterhaltsame Aufführung, die vor allem von den zauberhaften Puppen und dem Zusammenspiel zwischen der Puppe der alten Dame und der Figur der Punkerin, beide gespielt von Manuela Linshalm, lebt.
Regie: Therese Willstedt, Textfassung: Tom Silkeberg., Bühne und Licht: M.K. Axelsson, Kostüme: Maja Mirkovic.
Die sieben Orlando: Elisabeth Augustin, Stefanie Dvorak, Markus Meyer, Seám Mcdonagh, Martin Schwab, Andrea Wenzl, Itay Tiran
Über die Bühne rennen, stolpern und gehen schwarz gekleidete Figuren, alle mit ähnlich schwarzem Haarschopf. Ahamoment – wieder einmal eine Figur und mehrere Darsteller. Das hatten wir doch schon öfter, z.B. mehrere Romeos (Volkstheater), fünf Hamlets (Burgtheater) – hat nicht viel mehr gebracht als Verwirrung. So auch ein Orlando mal sieben – von den hinteren Reihen des Parterres sind die einzelnen Figuren/Schauspieler nicht zu identifizieren – sollen sie wahrscheinlich auch nicht. Ich konnte nur Martin Schwab und Stefanie Dvorak an ihren Stimmen erkennen. Wer was spricht – unklar. Die leisen Töne verlieren sich bis in die hinteren Reihen. Ich beginne gegen den Schlaf zu kämpfen und stelle fest, dass der in weiser Voraussicht vorher eingenommene Espresso nichts hilft. Was ist aus der spritzig-witzigen Romanfigur Orlando geworden? Als Lustknabe der Königin ging er ja noch durch, als Gesandter in Konstantinopel schon weniger. Da überwiegen die billigen Gags mit Schwimmreifen und Kinderspielzeug. Irgendwann erwacht einer der Orlandos und stellt fest, er ist eine Frau. Auch dieser Spaß wird vergeigt, geht unter. Zu viel Gehampel und Gewurschtel mit Kostümen. Am Ende steht ein Orlando, eine Orlando da und stellt fest: Na gut, jetzt hab ich einen Ehemann und ein Kind. Der Ehemann ist immer auf Reisen und lässt mich machen. „Ich mache, was ich will!“ -Das war noch das Griffigste an diesem Abend.
Regie und Textfassung: Christine Wipplinger, Puppen & Kostüme: Annemarie Arzberger und Lisa Zingerle, Bühne: Angela Konzett. Live-Musik und Komposition: Jana Schulz. Mit Angelo Konzett und Markus Peter Gössler.
Alle Fotos: Barbara Palffy. Titelfoto: Angelo Konzett als Kilian Hupka und der zukünftige König von Astoria im Strampelanzug
Egal ob 1930 oder 2024 – die Aufführung im Schuberttheater wirkte wie aus der Zeit der 30er Jahre herausgeschnitten, als hätte Jura Soyfer selbst Regie geführt: Auf der kleinen Bühne mussten und müssen damals wie heute griffiger Text und Musik fehlende finanzielle Mittel ersetzen. Genau dieses Manko macht den Charme der Aufführung aus. Nicht zu vergessen das Publikum. Man lachte, aber nie nicht an falschen Stellen, wußte die Anspielungen auf die Jetztzeit richtig zu deuten.
Zwei Schauspieler und mehrere Puppen führen in eine Zeit der Not und Arbeitslosigkeit in der Zwischenkriegszeit. Die Mischung von Schauspielern und Puppen ist äußerst reizvoll. In ihrer Ausweglosigkeit beginnen zwei Landstreicher (Angelo Konzett und Markus Peter Gössler) von einem Land zu träumen, wo alles „leiwand“ ist. Keine Arbeitslosen, freundliche Leut` rundum. Sie nennen es Astoria. Kraft ihrer Phantasie wird die bittere Wirklichkeit vom schönen Schein des immaginierten Landes Astoria verschluckt. Doch der schöne Schein entpuppt sich als Land der Korruption, der Maßlosigkeit und der Spekulanten, die an ihrer eigenen Gier zugrundegehen. Das Land zu lenken hilft der Landstreicher Kilian Hupka (Angelo Konzett gestaltet ihn mit Charme und der nötigen Hinterfotzigkeit). Der Witz dabei: Aus dem armen Hupka wird ganz schnell ein ziemlich perfider, kalt berechnender Schurke, der Astorias dümmlichen Scheinkönig nach Lust und Laune manipuliert. Ebenso die Aktionäre, denen er ein X für ein U vormacht und ihnen leere Luft verkauft.
Am Ende steht Astoria vor dem Ruin, aber der Scheinkönig -nun vom Baby zum Gekrönten gewandelt – hält eine flammende Rede auf den Untergang. Die Parallelen zu heute müssen nicht extra angeführt werden – sie sind glasklar.
Die Magie der Puppen – hochprofessionell bespielt von Markus Peter Gössler, der auch den zweiten Landstreicher spielt, und Annemarie Arzberger- schlägt wie immer das Publikum in den Bann: Scharfwitzig die Wandlung des kleinen, quengelnden Alten im Strampler zum arroganten König li oben).
Ihm treu ergeben die rätselhafte „Gräfin“ Foto oben, die ihrem dümmlichen Ehemann den Wunsch nach einem eigenen Staat partout erfüllen will. Hupka wird ihr Erfüllungsgehilfe. Warum sie für den alten Trottel eine derartige „Passion“ empfindet, weiß man nicht so genau. Spiegelt sie vielleicht das politische Verständinis der Frau damals wider? Wenn das so ist, dann hat Jura Soyfer dieses für gleich Null eingeschätzt.
Wie auch immer – mit dieser kulinarisch exzellent aufbereiteten Aufführung wäre Soyfer sicher sehr zufrieden gewesen. Aufführungen wie diese lassen hoffen, dass Theater noch immer bedeutet: Das Publikum in den Bann ziehen – und nicht, wie vielerorts geschieht, es mit politischer Performance langweilen. Eine Message – ob politisch oder sozialkritisch – kann durchaus auch vergnüglich sein, wie dieser Abend zeigt. Satire, Ironie und scharfer Witz sind allemal besser als langweiligs „Erziehungstheater“.
Nestroy: Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt
Regie: Robert Meyer, Bühne und Kostüme: Christof Cremer, Musik: Helmut Thomas Stippich.
Ein Krach, ein Donner, ein Blitz – effektvoller hätte man die Festspiele Reichenau nicht eröffnen können – wir befinden uns im Geisterreich. Dort soll Recht gesprochen werden. Nestroy, der große Widerstandsgeist und Satiriker, beginnt mit einer Szene aus dem Feenreich, wie es damals, in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts überaus beliebt war, und parodiert diese gekonnt nach Strich und Faden. Da herrscht, wie es sich im Götter- und Geisterreich gehört, der Feenkönig Stellaris (eindrucksvoll parodiert von Franz Xaver Zach), Fortuna, Beherrscherin des Glücks (Brigitta Kren mit Mut zur Selbstverleugnung), teilt stilgerecht aus ihrem winzigen Füllhorn ein paar Goldflinserln über diverse Häupter und glaubt nicht so recht an deren Wirkungskraft. Amorosa (Veronika Glatzner) huscht als Fee der wahren Liebe über die Bühne. Eigentlich geht es um eine Wette zwischen dem „Herrn“ des Feenreiches und dem bösen Geist Lumpazivagabundus (großartig Sebastian Wendelin in der Maske eines Mephisto) Die guten Geister glauben an die Wandlungsfähigkeit des Menschen, wenn er nur mit genug Glück, sprich Geld, gesegnet wird. Lumpazivagabundus hingegen ist Realist und daher Skeptiker. Ob er gewinnen wird? Die Probe aufs Exempel soll an drei liederlichen Gesellen statuiert werden. (Goethe lässt grüßen!)
Und da sind sie schon, die Drei, alle Verlorene, Versoffene: Der Tischlergeselle Leim (Thomas Frank), aus verloren geglaubter Liebe kreuzunglücklich, der Schneidergeselle Zwirn (Florian Carove), den seine Gspusis mit den Frauen in den Ruin trieben, und der Schustergesell Knieriem (Robert Meyer), der die Welt im Untergang sieht. Hoffnungslos, aber keineswegs mutlos. Sie saufen, was das Zeug hält, singen sich die Welt rund und schön. Verschleudern den Lottogewinn, bis auf Leim.
Nur Knieriem ist ein wenig anders – er ist in seiner Hinfälligkeit ein Verlorener, ein tief Verzweifelter. Robert Meyer ist Knieriem in persona.! Ein Stiller, der seine Bedürftigkeit hinter dem Bierglasl versteckt. Der weiß, es gibt für ihn kein Entrinnen, denn die Welt wird untergehen. Der Komet wird sicher kommen! Er brüllt nicht, wie die beiden anderen. Leise bittet er um ein größeres Schnapsglas, so ein kleines tuts nicht. Seine Verlorenheit rührt. Die anderen beiden sind laute Polterer, manchmal etwas zu laut.
Ein gelungener Nestroy, dank Meyers behutsamer Regie, die mit kleinen Mitteln Großes Theater erwirkt: Etwa durch die Einführung des bösen Geistes alias Lumpazivagabundus, alias Mephisto, der die Drei im HIntergrund mit pantomimischer Häme belauert.
Oder durch die gekonnte Führung der Frauenfiguren, die es in diesem Stück nicht leicht haben. Sie haben ja nichts zu reden in dieser Mänerwelt. Aber sie setzen Akzente: Veronika Glatzner als Amorosa, Kellnerin Sepherl und als Camilla zeigt ihre Wandlungsfähigkeit. Ebenso Brigitte Kren einmal als Fortuna, dann nicht wiederzuerkennen als Haushälterin oder als Signora Palpiti. Elisabeth Schwarz brilliert in kleinen Rollen als Amorosa, Tochter Pepi und Tochter Laura. Sie schwirren in Kostümen, die manchmal an Biene Maja erinnern, über die Bühne. Christof Cremer ist für die bunte Schar und für das schnell zu verwandelnde Bühnenbild verantwortlich! Die drei Musikanten Helmut Thomas Stippich auf der Schrammelharmonika, Maria Stippich mit der Kontragitarre und David Stippich mit dem „Picksüßem Hölz´l“ sorgen für den typischen Nestroysound. Wie´s aussieht könnte dieser Nestroy zum Publikumshit werden!
Unterkunftstipp: Zum Beispiel Parkhotel Hirschwang http://www.parkhotelhirschwang.at) mit großem Park, einer schönen Frühstücksterrasse. Gratisshuttlebus nach Reichenau und Semmering zu den diversen Verantaltungen.
TAG 2: Schnitzler, Anatol
Regie: Michael Gampe, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Musik: Anna Starzinger
Es beginnt düster und schwermütig und es bleibt düster und schwermütig. Die kaum vorhandene Bühnendekoration unterstreicht noch die melancholische Grundidee: auf schwarzglänzendem Boden spiegeln sich die Figuren und versickern im Schwarzen. Begonnen und begleitet wird der Abend mit schwermütiger Cellomusik.
Die Schauspieler haben es schwer,, besonders Anatol (Anton Widauer). Sie kämpfen gegen Bilder und Erinnerungen an große Schauspieler, die diese Rollen verkörperten. Man glaubt Anton Widauer nicht die Erfahrungen eines Anatol. Wie soll er gegen seine Vorgänger ankämpfen? Das gilt auch für Max (Claudius von Stolzmann). Zwischen den beiden fehlt das amüsante, intelligente Gedankenpingpong. Max ist kein Widerpart und zu wenig korrektiver Kumpel. Das gilt auch für die einzelnen Szenen mit Anatols Eroberungen – ganz besonders für die berühmten „Weihnachtseinkäufe“, die ikonische Szene des Dramas. Johanna Arrouas ist eine elegante, schöne Frau aus der Upperclass und sie bemüht sich wirklich, den dekadenten Hauch von Verzicht auf eine uneingestandene Liebe hinüberzubringen. Doch zwischen ihr und Anatol ist nur Text, kein Hauch von Erotik. Naomi Kneip könnte als Bianca gute Figur machen, würde sie nur etwas weniger rauhbeinig daherkommen. Am ehesten treffen Anna (Paula Nocker) und Anatol den Schnitzlerschen Subtext: Da kämpfen zwei junge Leute um den Sieg – wer den anderen früher und treffender verletzen kann. Das hat Realität und Witz. Bleibt noch der unbestimmte Abgang der verheirateten Else (Miriam Fussenegger): Beide haben sich nichts mehr zu sagen und sprechen Sprechblasen von „großer Liebe“. Frustriert verlässt sie ihn, frustriert sieht er ihr nach.
3. Tag: Thomas Bernhard, Der Ignorant und der Wahnsinnige
Regie: Hermann Beil, Bühne und Kostüme: Christof Cremer
Alle Fotos: Lola Jodlbauer
Thomas Bernhard feiert in dem Stück alles ab, von der Kunst im Allgmeinen, vom Theater und der Oper im Besonderen. Journalisten, Ärzte, Schauspieler, Sänger und Publikum – sie alle bekommen ihr Fett weg. An diesem Abend gelang der Rundumschlag besonders gut:
Stefan Jürgens als Doktor ist in seinem Element – bravourös laviert er durch die Tiraden, genießt die detaillierte Erklärung einer Hirnoperation. Dazwischen grummelt der blinde Vater (Martin Schwab), schimpft auf seine unpünktliche Tochter. Nur der Griff zur Flasche rettet ihn vor der Verzweiflung. Blind, doch ohne blindes Vertrauen auf die Tochter. Was Martin Schwab aus dieser fast stummen Säuferrolle macht, ist beeindruckend. Mit nur wenigen, seiner Blindheit geschuldeten unsicheren Gesten und einer sparsam eingesetzten Mimik bringt er die Leere und Hoffnungslosigkeit seines Lebens zum Ausdrück.
Alles ist auf die Tochter ausgerichtet, sie ist die Stimmmaschine, sein Motor. Immer wieder die Angst, sie könnte versagen. Wie dem Tag, dem Leben noch einen Sinn geben? Wie die Gewohnheit, von Auftritt zu Auftritt mitzureisen abzulegen und die Tochter „ziehen zu lassen“, wie die Angst vor dem Versagen zu unterdrücken? Wird die Wahnsinnskoloraturarie der Königin der Nacht auch zum 222. Mal gelingen? Julie Stemberger ist eine großartige Diva mit all den einer Diva zugeschriebenen Zicken: Sie ist nicht nur die Königin auf der Bühne, sondern auch und das besonders in der Garderobe. Da entstehen pantomimisch humorgeladene Theaterszenen zwischen ihr und der ihr hündisch ergebenen Frau Vargo (Therese Affolter). Deren Geduld und stumme Ergebenheit wird auf die härteste Probe gestellt, muss sie doch immer wieder unter den Arm der Königin kriechen und die mutwillig aufgerissene Naht zusammenflicken -s. Foto oben. Aus solch scheinbar bedeutungslosen Szenen entsteht Theater!
Schritt für Schritt verwandelt sich die Tochter zur Königin und tritt machtbewusst vor ihr Publikum! Sie wird singen, sie wird das Publkum mitreißen. Um dann noch im Siegesrausch mit ihrem Dauerbewunderer und dem Vater in den“ Drei Husaren“ zu dinieren. Ab nun gehört die Szene nur ihr, die beiden Männer werden Nebenfiguren. Dann plötzlich, scheinbar unvorbereitet, diktiert sie dem ihr treu ergebenen Kellner (Dirk Nocker) eine Absage nach der anderern. Der Glaube an Perfektion bricht zusammen – Absturz und totale Erschöpfung sind das Ergebnis einer langen, qualvollen Sängerkarriere. Thomas Bernhard schrieb das schonungsloseste Theaterstück über das Theater, die erbarmungslose Maschinerie, die aus Menschen Automaten macht. Grandioser Text – grandios gespielt.
Regie: Maria Happel, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Licht: Lukas Kaltenbäck
Es war ein Theatereignis! Man bekam den Glauben an das Theater zurück! Dank der werktreuen und einfühlsamen Regie von Maria Happel und des bis zur kleinsten Rolle gut besetzten und exzellent spielenden Ensembles sah man einen Abend, an dem Horvath und nur Horvath gespielt wurde. Mätzchenfrei, ohne Regieverkrümmungen, ganz nah am Text! Die Bühne ist fast leer, eine Bank, eine Stellwerk und im Hintergrund eine Hausfassade, die das Bahnwärterhaus, dann das Wirtshaus ist. Die Kostüme sind zeitlos, aber in die Zeit der 30er Jahre passend.
Anna (Johanna Mahaffy) und Thomas (Daniel jesch)
Es begann alles mit einem verhängnisvollen Kuss: Anna ist jung, stürmisch übermütig. Der in sich gekehrte, verschlossene Thomas Hudetz versieht seinen Dienst als Stationsvorstand mit großem Ernst. Zu ernst -findet Anna, Deshalb küsst sie ihn gegen seinen Willen. Vom Fenster oben sieht seine verhärmte Frau zu. Wegen dieses Kusses vergißt Thomas das Signal für den Schnellzug umzustellen ,und es geschieht ein verheerendes Unglück. Man beklagt viele Tote und Verwundete. Thomas ist sich seiner Schuld bewußt, leugnet aber sein Vergehen.
Wer ist schuld, fragt Horvath, präszise in die Seelen aller Beteiligten hineinleuchtend. Um dieses Ausleuchten geht es. Um das Sich zur Schuld Bekennen. Schuld ist vielschichtig – Anna hat das Unglück ausgelöst, leistet einen Meineid vor Gericht. Johanna Mahaffy spielt das quirlige, kokette Mädchen genauso überzeugend, wie die Verzweifelte, die mit ihrer Schuld nicht fertig wird. Großartig die Szene, in der sie Thomas ihre Qualen schildert. Im neuerlichen Kuss verbindet die beiden nicht Lust oder Leidenschaft, sondern Leid und Todeswunsch . Eros und Thanatos – gefasst in der beklemmenden Szene unter dem Viadukt. Gespenstisch gefangen im Lichtkreis der Schuld. Minuten später wird Thomas sie töten. Es sind die ersten Regungen, die dieser, nur sich auf die Pflicht berufende Mann zeigt. (Gut gespielt von Daniel Jesch). Weiter geht das Karussell der Meinungen und Vorverurteilungen: Der vor Gericht frei Gesprochene wird als Held gefeiert, seine Frau, die vor Gericht die Wahrheit sagte, der aber nicht geglaubt wurde, wird als alte, eifersüchtige Hexe beschimpft. Mercedes Echerer spielt diese glück- und lieblose Frau mit viel Überzeugungskraft! Gerüchte werden weiter geschürt – großartig Dunja Sowinetz als Frau Leimgruber, die Giftspritze des Dorfess. Sie und alle Dorfbewohner sind letztendlich auch mitschuldig geworden.
Typisch für Horvath: Die Schlussszene! Das Jenseits meldet sich, möchte Thomas hinüberlocken. Der ist schon bereit, vom Viadukt in die Tiefe zu springen. Doch ein leiser Hauch, vielleicht die warnende Stimme Annas, hält ihn zurück. Er wird sich stellen.
Es verblüfft, wie aktuell dieses Drama ist. Rasch wird jemand verurteilt, rasch wird jemand bejubelt, Einst sorgte eine Frau Leimgruber für Vorverurteilungen, heute geschieht das noch viel wirksamer in den „Sozialen Medien“. Und „Pflichtbewusstsein“ ist relativ, galt und gilt immer wieder als Legitimation für so manche Verbrechen.
Jubelnder Applaus für alle Darsteller und das Team!
Die Puppenspieler: Soffi Povo, Markus Peter Gössler, Manuela Linshalm. Regie: Simon Meusburger. Musik: Markus – Peter Gössler. Puppen: Soffi Povo. Kostüm: Lisa Zingerle
Unter dem Motto „Tu felix Austria spaziere!“ hat sich das Schuberttheaterensemble den Habsburgern verschrieben. „“Die Familie“ ist zurück und hält unseren Geist gefangen -überall sehen wir nur noch Habsburger!“ heiißt es auf dem Programmzettel. Dass dieser besagte Geist noch lange herumgeistern möge, wünscht sich das Publikum. Denn diese Spaziergänge – wie überhaupt die ganze Habsburg-Trilogie – sind einfach ein Hit. Man möchte diese verqueren Habsburger noch öfter sehen. Hoffentlich gibt es im Herbst weitere Habsburg-Geschichten.
Start ist im Hof des Theaters. Der Haushofmeister der „Kaiserein“ Maria Theresia übt mit dem Publikum das richtige Benehmen für die Audienz. Funktioniert ganz gut, die Männer verbeugen sich, die Damen versuchen einen kratzfüßigen Hofknicks. Doch Ihre Majestät ist grantig und hungrig und gibt keine Audienz. Sie bestellt ein Riesenfrühstück, vor allem stehen ihr Sinn und Magen nach Fleich. Also auf zum nächsten Würstelstand. Dort wartet schon Rosa, die berühmte Würstelfrau mit Herz und Verstand. Sie parliert angeregt mit dem Haushofmeister über die Qualität ihrer Kaiserkrainer, bis ihr ein ziemlich toter Kronprinz Rudolf in die Quere kommt und über die Verderbtheit des Adels herzieht.
Die Karawane zieht weiter in den Wald, wo das Pubikum die tragische Liebesgeschichte zwischen dem Kronprinz und Mary Vetsera erfährt. Sie ist schwer verliebt in ihn und singt frei heraus: „Die Gonorrhoe ist mir wurscht“. Doch statt Liebe lauert der Tod: Rudolf schleicht sich von hinten mit der Pistole an – aber der allgegenwärtige Haushofmeister verjagt ihn: „Bitte nicht hier, ganz Wien ist eine Waffenverbotszone!“
Die Karawane zieht weiter – bis zur 1. Psychiatrischen Klinik, wo Sissi oder Sisi und Kaiser Franz Josef streiten, wer jetzt an dem Selbstmord Rudolfs Schuld hat. Da stehen nun Ihre Majestäten, sie ein Schnabeltier, er ein Hirsch von Gottes Gnaden. Trauer fühlen sie nicht. Verständnis für Rudolf hatten beide nicht – weder die immer abwesende Mutter noch der ablehnende Vater! Kritik an den ganzen Habsburgern und ihrem ziemlich vermurksten Regierungsstil übt am Schluss der Geist des Kaisers Maximilian I. – er erscheint als Vampir und singt den Abgesang auf die Monarchie: „Wer braucht die Monarchie?“ und noch kräftiger: „I scheiß auf die Monarchie!“
Ein pures Vergnügen! Wer unbedingt einen ernsten Hintergrund dahinter finden will – dann vielleicht in der „Sozialkritik“, die hin und wieder durchblitzt. Aber grad soviel, dass der arme Moralist „a Ruh hat“.
Regie: Claus Peymann, Bühnenbild: Paul Perchbaumer, Kostüme: Su Bühler
Muss man aus purer Ehrfurcht vor dem Ruhm, der diesem Stück als „Ikone“ des absurden Theaters anhaftet, die Vorstellung gut finden? – Nein, denn das Stück selbst ist keine Ikone mehr, es hat Rost angesetzt. Und den können auch ein Peymann und die engagiertesten Schauspieler nicht wegkratzen.
Alle bemühen sich, dem Stück Schwung zu geben. Aber wir alle wissen, dass dieser Godot nicht kommen wird – damit ist schon der Saft weg. Und die diversen Interpretationen, wer nun Godot sein könnte, bleibt ja bekanntlich jedem überlassen. Nur – es ist nicht der Mühe wert, diesen Godot hochzustilisieren. Er kann der Nachbar, der deus ex machina oder Gott sein, der Wladimir und Estragon aus der Lebenspatsche helfen soll ….Die beiden Figuren stehen sich selbst im Weg – denn Warten allein ist keine Lebenslösung. Die Lebenszügel in die Hand zu nehmen und Godot Godot sein zu lassen, dazu haben sie keine Kraft.
Pasend zur Hoffnungslosigkeit der Figuren schuf Paul Lerchbaumer das Bühnenbild: Die Welt ist eine öde Straße, ein kahler Ast zwängt sich durch die Ritzen. Am Ende der Straße droht der Abgrund.
Peymann setzt auf den Witz der Wiederholung. Nur der stumpft sich ab, und der Abend droht in Langeweile abzugleiten, auch wenn die Schauspieler, wie immer, ihr Bestes geben: Bernhard Schir im Clownkostüm eines Charly Chaplin ist ein Zauderer und Melancholiker, Marcus Bluhm ein Landstreicher, dem die Warterei auf die Nerven geht. Beide können miteinander nicht mehr auskommen, aber allein durchs Leben zu vagabundieren, dazu haben sie nicht den Mut. Als die Langeweile des Wartens (auf der Bühne und im Publikum) sich breit macht, treten Pozzo und Lucky auf. Nico Dorigatti als armes, geknechtetes Schwein liefert als Wortmaschine, in der die Buchstaben und Beduetungen durcheinander geraten sind, eine Glanzleistung ab. Stefan Jürgens präsentiert gekonnt das Gehabe eines perfiden Machtmenschen.
Der Applaus galt vor allem der großartigen Leistung der Schauspieler.
Regie: Janusz Kiza, Kostüme und Bühne: Karin Fritz
Da sitzen sie nun, unglücklich alle – siehe Foto oben. Der Wiener hat dafür einen besonderen Ausdruck „bedroppelst“ , weniger als unglücklich, mehr als verdutzt. Verdutzt darüber, dass nicht die Liebe das Sagen hat, sondern das Geld. Die Liebe, ja die ist ordentlich in Verruf gekommen, heute noch mehr als zu Zeiten Goldonis. Der machte sich noch gehörig lustig über die Einfaltspinsel, die an die Liebe glauben. Aber wie kommen sonst noch Ehen zustande? -Damals wie heute: durch geschäftliche Absprachen. Die Liebe soll es ja geben, sagen die Lieder, besonders die italienischen. Aber das ist alles nur romantische Masche.
Dem Regisseur Janusz Kiza gelingt es, zwischen Komik und Tragik die Balance zu halten. Auch wenn am Ende keine der Figuren glücklich wird und man eigentlich darüber weinen könnte, muss man doch immer wieder schmunzeln. Wir – das Publikum – lachen, weil wir entweder solche Liebesfallen selbst schon xmal erlebt haben oder weil wir uns über die in ihr Unglück sehendes Auges stolpernden Figuren erhaben fühlen und uns über deren Uneinsichtigkeit und Dummheit amüsieren. Wie auch immer – dem Publikum gefällt es, wenn die Figuren da oben alle aus Liebe leiden. Il grande amore gibt es nur im Schlager, der vom Diener Cecco – bravourös von Marcello de Nardo – geträllert wird. Er leidet am allerwenigsten. Denn er hat genug mit seinem nervigen Herrn zu tun: die Gläubiger abwehren, Koffer ein-, Koffer- auspacken. Von Liebe weiß er nur ironischerweise zu singen. Vom Leiden dieses Gefühslwirrwarrs bleibt er verschont. Anders Brigida, die Sofe Giacintas (urkomisch Katharina Klar). Sie scharwenzelt entzückend und vergeblich um den knochentrockenen Diener Paolo (Markus Kofler) herum.
Doch Gefühlskälte gibt auch keine Sicherheit – Constanze bleibt allein, aber wirkt eher verlasssen in ihrem Panzer( Martina Stilp überzeugt in Egozentrik und Gleichgültigkeit.) Sie verheiratet ihre Nichte Rosina (spitze Larissa Fuchs!) in aller Heimlichkeit an den Tölpel Tognino – Matthias Franz Stein zeigt in dieser Rolle sein komisches Talent – doch glücklich sind die wahrlich nicht. Den Gipfel der Ungkückspaare bilden Vittoria (Paula Nocker) und Guglielmo (Alexander Absenger). Sie liebt ihn, aber er liebt Giacinta (Juliette Larat). Aber diese ist aus finanztechnischen Gründen Leonardo (Claudius von Stolzmann) versprochen. Mit Bravour legen die Vier dieses Liebeswirrwarr hin. Die schwierigste Rolle hat wohl Giacinta – sie soll die Moral überzeugend hochhalten, was nicht immer gelingt. Drahtzieher und Sire in dieser Intrige ist Fulgenzio (André Pohl) – perfekt zwischen Perfidie und treuherzigem Freund des stillen Genießers Filippo, der von allen ausgenützt und etwas naiv ist – Marcus Bluhm ist darin perfekt. Das übliche Buffopaar bilden Sabina, die reiche Witwe – mit Selbstverleugnung großartig: Marianne Nentwich. Raphael von Bargen brilliert als ihr schleimiger, erbschleichender Liebhaber Ferdinando.
Wieder einmal mehr zeigt das Ensemble der Josefstadt unter der klugen Regie von Janusz Kiza seine Spielfreude! Ein Wort noch zum Bühnenbild: Karin Fitz hat eine witzige Variante für das in jeder Komödie unerlässliche „Tür auf Tür zu“, gefunden: Statt Türen schlagen, von einem Zimmer ins andere rennen, lässt sie Szenen- und Figurenwechsel durch eine verschiebbare Rollwand geschehen. Das gibt dem Geschehen Witz und Schwung. Die Kostüme sind einfallsreich, genau auf den Charakter der Person zugeschnitten.
Zwei aktuelle Events geben Auskunft. In der Ausstellung im Unteren Belvedere werden ihre Bilder und die ihrer Freunde gezeigt. Und im Gartencenter Donati in Pressbaum bereitet die Gruppe „Kunstspielerei“ amüsante Szenen aus ihrem Leben auf.
Broncia Koller-Pinell heißt diese geheimnisvolle Frau und sie war eine erfolgreiche Malerin .
Anton Faistauer malte sie 1917. (Titelbild) Es zeigt ein ruhige, besonnene Frau, der Blick richtet sich zwar auf den Betrachter, aber die Gedanken sind nach innen gerichtet.
Was diese Frau heute so interessant macht, sind nicht nur ihre Bilder, sondern vor allem ihre unglaubliche Karriere als Malerin. Geboren 1863 in Sanok (Galizien) und aufgewachsen in einer reichen, gutbürgerlichen jüdischen Familie, wurde ihr Talent als Malerin von der Familie gefördert, aber eine professionelle Ausbildung an einer Akademie wurde den Frauen damals strikt verwehrt. Doch Broncia Pineles, nach ihrer Ehe mit Hugo Koller, einem tüchtigen, reichen Geschäftsmann, dann Koller-Pinell, war zielstrebig, begabt und fand ihren Weg.. Mit 27 Jahren wurden ihre Werke bereits im Wiener Künstlerhaus und im Münchner Glaspalast ausgestellt. Als Gustav Klimt einige ihrer Bilder in seine Künstlergruppe aufnahm, war sie am Höhepunkt ihrer Karriere. Ihre Bilder zeigen die verschiedenen Einflüsse dieser Zeit: Impressionismus, Sachlichkeit, Wiener Werkstätte.
Sie führte mit ihrem Ehemann und den Kindern Silvia und Rupert in Oberwaltersdorf ein offenes Haus. Auch in den schwierigen Jahren des 1. Weltkrieges betreute und bewirtete sie Gäste wie Sigmund Freud, Gustav Klimt und Egon Schiele – so ziemlich alle bekannten österreichischen Künstler und Intellektuelle dieser Zeit.
„Sommer 1918, als Egon Schiele Broncia Koller-Pinell traf“
nennt sich das Stationentheater, das von Beatrice Gleicher und Erhard Pauerin der Gärtnerei Donati in Pressbaum inszeniert wurde und bis Ende Mai zu sehen ist. Szenen im Haus in Oberwaltersdorf, im Atelier Schieles und Klimts beleuchten das Leben der Malerin. Beatrice Gleicher spielt die „Grande Dame„, Salonière, Malerin und Mäzenin Broncia Koller-Pinell. Mit ruhiger Hand lenkt sie ihren Ehemann (Peter Faerber), den Sohn Rupert (Florian Stanek) und die Dauergäste Anna Mahler(Anna Zagler) und Egon Schiele (Paul Graf) durch die letzten Tage des Krieges, treibt echten Kaffee und frisches Brot auf, ist also Nähr- und ZIehmutter in einem. Immer wieder kehrt sie im Gedanken an frühere Zeiten zurück, erzählt von ihren Erfolgen als Malerin, erinnert sich an ihre Freundschaft mit Gustav Klimt und Egon Schiele, schlichtet Streitigkeiten zwischen Oskar Kokoschka und Egon Schiele. All das spielt sich zwischen dem „Salon“ (im Haus Donati) und dem Glashaus ab, das als Atelier umfunktioniert wurde.
Die Zuseher pendeln zwischen Zeiten und Orten hin und her. Vom Salon der Familie geht es immer wieder durch den Garten ins Glashaus, das je nach Bedarf einmal das Atlier Schieles, dann wieder das Gustav Klimts ist. Rasch wechselnde Szenen und Zeitensprünge verlangen ein gewisses Vorwissen des Publikums. Anspielungen auf Adolf Loos, Sigmund Freud, Alma Mahler und Oskar Kokoschka müssen rasch eingeordnet werden. Das macht die Aufführung locker, aber manchmal auch etwas unruhig. Beatrice Gleicher beherrscht souverän die Szenerie, sieht dem kindisch tobenden Jungvolk gelassen zu. Das „Jungvolk“ sind Anna Mahler , die kokett und hektisch um Rupert herumscharwenzelt. Sie zieht das Haus Koller dem ihrer Mutter, Alma Mahler, vor. Hier fühlt sie sich willkommen. Der Dritte im Bunde der Jungen ist Egon Schiele. Seine künstleriche Entwicklung als Junggenie wird in köstlichen Szenen gezeigt: Etwa, wenn er das Gustav Klimt seine Zeichnungen vorlegt und vor dem Urteil des großen Meisters bangt. Der erkennt sofort das Ausnahmetalent. Peter Faerber gibt einen humorigen, kauzigen Klimt ab.:
Peter Faerber als Klimt (li) und Paul Graf als Egon Schiele (re). Foto: Silvia Matras
Ausstellung und Theaterstück ergänzen einander. Es empfiehlt sich, zuerst die Ausstellung anzusehen, weil einige Szenen, die Broncia gemalt hat, eins zu eins im Stück wiedererkennbar sind – etwa, wenn Schiele den Ehemann Hugo Koller zwischen vielen Büchern malt.
http://www.belvedere.at Die Ausstellung „Broncia Koller-Pinell“ ist noch bis um 8. September 2024 in der Orangerie im Unteren Belvedere zu sehen.
„Sommer 1918, als Egon Schiele Broncia Koller Pinell traf“ ist noch bis Ende Mai in der Gärtnerei Donati, Weidlingbachstraße 5, Pressbaum zu sehen. Nähere Informationen unter:
Fassung und Übersetzung (nach Christian Morgenstern): Gottfried Greiffenhagen. Regie: Thorleifur Orn Arnarsson. Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr
Zwei Klaviere liefern sich einen kämpferischen Dialog, der in wütender Rasanz des einen Klaviers endet (Musik: Gabriel Cazes). Nebelschwaden dringen aus den Bodenritzen -ok, akzeptiert, wir sind im hohen Norden. Aber bei sich murmelt man – nicht schon wieder, kommt kein Stück mehr ohne Nebel aus?
Peer Gynt in kurzen Hosen und einer kecken Bubenkappe (Mavie Hörbiger) war wieder für Tage verschwunden und bereitet seiner Mutter Aase (Barbara Petritsch) großes Leid. Sie weiß, dass ihr Sohn ein Taugenichts, Träumer und Lügengeschichtenerzähler ist. Dennoch liebt sie ihn und manchmal glaubt sie ihm. Die Szenen zwischen Mutter und Sohn sind das Beste an dem ganzen Abend! Mit der großartigen Barbara Petritsch fließt so etwas wie Humanrealität ein, und ihre Präsenz strahlt auch auf Peer über. Aus der abstrakten Gedankenfigur wird ein Mensch. Das Dilemma dieses Dramas, das zum Kanon der „must have seen“ gehört, ist gerade, dass es Ibsen mit prallem Leben gefüllt hat, Regisseure wie Thorleifur Orn Arnarrsson aber der Kraft der Bilder nicht trauen und Abstraktionen bevorzugen. Auch die wunderbare Figur der Solveig (Lilith Häßle, die noch vier weitere Rollen spielt) führt ein Schattendasein und ihre „Erlöserfunktion“ ist nicht tragfähig genug.
Die Reise Peer Gynts zu den Trollen, nach Marokko und Ägypten, sein Wahnwunsch, Kaiser von der ganzen Welt zu werden, wird zu einer Reise ins Nichts, in die Psychiatrie. Zwar bemühen sich Lilith Häßle, Johannes Zirner und Lukas Vogelsang, den Figuren Leben einzuhauchen, spielen aber in häßlichen nackten Fatsuits vergeblich gegen diese abtörnenden Kostüme an. Berührend und echt ist gegen Ende die Sterbestunde der Mutter, als Peer Gynt seine sinnlose Umtriebigkeit erkennen muss.
Alles in allem ein Abend mit Engagement, aber auf die Reise Peer Gynts in sein Ich wurde man nicht „mitgenommen“.
Großartig, berührend – es fehlen die richtigen Worte, um diesem Abend gerecht zu werden. Natalie O`Hara kann alles: phantastich Klavier spielen, Pantomime mit einer unglaublichen Wandlungsfahigkeit: Blitzschnell wechselt sie von einer Person zur anderen. So gelingt es ihr mühelos, alle 20 Rollen zu verkörpern.
In diesem Zusammenwirken von Musik, Schauspiel und Pantomime entsteht ein emotional hoch geladener Abend, ohne dass je Kitschalarm ausgerufen werden müsste. Pathosfrei spielt und verkörpert Natalie OHara das Leben der Pianistin Alice Herz-Sommer.
Prag im September 1942. Alice spielt in ihrer Wohnung im Ghetto trotz Verbot der Gestapo KLavier - "Musik ist mein Leben!" sagt sie immer wieder. Ihr fünfjähriger Sohn und ihre Mutter hören andächtig zu, während sie die " Appassionata" von Beethoven spielt. Die Lebensfreude erlischt jäh, als zuerst ihre Mutter in den Osten abtansportiert wird und bald darauf sie selbst, ihr Mann und ihr Sohn. Sie landen in Theresienstadt. Ihr Mann wird in Auschwitz knapp vor Kriegsendes an Typus sterben. Die Spuren ihrer Mutter verlieren sich im Osten. Glück für Alice und ihren Sohn in dieser trostlosen Lage: Das Rote Kreuz wird das Lager besuchen, da als Ferienlager präsentiert werden soll, wo es Konzerte und Kinderopern gibt und auch die berühmte Pianistin Alice Herz-Sommer auftreten wird. Die Musik rettet ihr und dem Sohn das Leben.
Im Hintergrund werden auf der Videowall Zeichnungen einger Insassen eingeblendet. Gräuelbilder mit Toten, Menschengerippen, wie sie üblicherweise in Dokus oder anderen Darstellungen der Konzentrationslager gezeigt werden, vermeidet der Regisseur. Die einzelnen Lagerinsassen und der Leiter werden ohne übliche Schwarzweißzeichnung gezeigt. Szenen, wie der nächtliche Abschied des Ehemanns von seiner Frau gehen tief ins Herz. Auch Szenen mit ihrem Sohn, den sie von den Schrecken des Lagers nicht fernhalten kann und der vor Hunger in der Nacht nicht schlafen kann, berühren, weil Natalie O`Hara sie pathosfrei spielt. Im Mai 1945 endet die Qual und im September 1945 spielt Alice Herz -Sommer wieder ihr erstes Konzert in Prag, das im Radio übertragen wird: Beethoven!
Im Abspann erfährt man, dass Alice und ihr Sohn nach Palästina auswanderten. Er wird ein gefeierter Cellist, sie gab bis zu ihrem 108. Lebensjahr Konzerte. Man sieht Originalaufnahmen von ihr, ihre vom Alter gezeichneten Hände spielen sicher und geschmeidig eine Chopin Etüde. „Musik ist ein Geschenk, sie kann helfen, die härtesten Stunden zu überleben“ lautet ihre Botschaft an die Menschen.
Man mag ihn oder mag ihn nicht. Dazwischen gibt es nichts. Es ist eine Frage der Einstellung, wie sehr man die explosive Art dieses ungewöhnlichen Künstlers verstehen will und kann. Denn Philipp Hochmair schont sich und sein Publikum nicht. Er spielt nicht Theater, er existiert so ganz in der Rolle! Die Bühne ist sein Leben. Wer sich auf ihn einlässt, dem werden die Augen für den Text geöffnet. Der altbekannte, etwas „altbochene“ Text Hofmannsthals, in dem es um Gott, Teufel und Buße geht, bekommt neue Dimensionen. Entwickelt eine Kraft, die aus Hochmairs Gestaltung und der Wahnsinnsmusik erwächst. Was ist Schönsprech? – gar nichts, Hochmair löst die Sprache in einen Raprhythmus auf, wiederholt Worte, Satzteile zweimal, dreimal, schreit sie, flüstert sie, tanzt dazu, wälzt sich auf dem Boden, spielt mit dem Mikro, mit dem Totenkopf. ist der Nachbar, der Schuldenknecht, die er beide mitleidlos verhöhnt und ihnen Kleingeld zuwirft, ist die ganze Gesellschaft, ist die Mutter, ist die Buhlschaft. Ja , auch die. Aber völlig unspektakulär, sie ist ihm nicht mehr als Dekor, um das herum er einen Lustgarten errichten will. Der Lustgarten, der Palast – seine Träume lassen sich nur durch Geld verwirklichen. Geld, Geld, Geld – füllt sein Sinnen total aus, er küsst die Geldbeutel, hüllt sich in den Staub des Goldes ein – ein flirrender Umhang weht um ihn, wenn er tanzt. Dann bricht langsam sein Luft-Schloss vom Luxusleben zusammen. Er ist der Tod, der ihm auf die Schulter klopft, und der Mammon auch. Und der Teufel auch. Die Buhlschaft hat sich ohne großes Trara vertschüsst. Jedermann wird ein armes Würstel, das heult und fleht, das sich aber doch einsichtig zeigt – das verschwurbelte Ende, das Hofmannsthal einst so pathetisch bis zur Peinlichkeit in Szene gesetzt hat, löst sich auf in Glockenklang und Höllenmusik, aber wie! Gegen die Todesangst will er ansingen, fordert das Publikum auf mitzusingen, hält das Mikro einer verschreckten Lady in der ersten Reihe unter die Nase: „Sing“. Die Hölle kündigt sich mit dem ihr zustehenden Lärm an. Als alles am Kochen ist, ertönen aus den Reihen des Publikums Buhrufe, aufhören, das ist hier ein hochehrwürdiges Theater, mehr Respekt vor Hofmannthal bitte. Es ist Hochmair selbst, der vom Seiteneingang her den erahnbaren Unmut so mancher in den Raum brüllt. Spaß, Gelächter, das sogleich von dem höllischen Finale verschluckt wird. Eine Trompete erschallt, sie kündet den Untergang Jedermanns hier auf Erden an. Der aber hat seine Schäfchen im Trockenen, weiß sich gerettet. Marschiert mit dem Kreuz herum, er versinkt im Grab… Erschöpft? Keine Spur, eher das Publikum.
In der Goldglitzerjacke des reichen Jedermann steht er am Stiegenaufgang, schreibt Autogramme, lässt sich mit allen, die es wollen, fotografieren, scherzt, freut sich über den Gugelhupf aus der Konditorei Demel. Das Nachspiel an der Treppe dauert noch eine gute halbe Stunde, bis der Jedermann – Hochmair ohne das geringste Zeichen von Müdigkeit das Ende des rasant-exzessiven, wilden, frechen, herrlich unkonventionellen Abends ausruft. „Auf Wiedersehen in Salzburg!“ ruft er den letzten Besuchern nach und verschwindet. Ob er vor dem Domplatz auch so „die Sau raus lassen“ (um im Sprech von Hochmair-Jedermann zu bleiben) wird? Keiner aus dem Publikum kann sich einen gezähmten Hochmair vorstellen….
Regie: Sandra Cervik, Bühnenbild: Sabine Freude. Kostüme: Aleksandra Kica. Aus dem Französischem von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel.
Nun treten sie endlich gemeinsam auf. Maria Köstlinger und Juergen Maurer. Dank ihrer Bekanntheit und schauspielerischen Leistungen gelingt es ihnen, das nicht gerade beste Stück von Jasmina Reza zu retten. Denn die Autorin hat es der Regie und allen ihren Figuren nicht leicht gemacht. Wie zur Entschuldigung oder als Beglaubigung des ziemlich unglaublichen Inhaltes sagt Jasmina Reza: “ Ich möchte die Figuren nicht erklären, dazu bin ich gar nicht in der Lage….und weiter sinngemäß: Nach dem Schreiben entgleiten sie mir“ (Zitiert aus dem Programmheft.) Nun fiel allen Beteiligten, Regisseurin und Schauspielern, die schwierige Aufgabe zu, den absurd-komischen Inhalt, der zugleich sehr real abläuft, zu erhellen.
In einem weißen Raum, der Psychiatrie und angrenzender Park ist, lebt recht vergnüglich Jakob Hutner, der sich für Céline Dion hält. Sein einziger Freund ist ein Weißer, der sich für einen Schwarzen hält. Und die zuständige Psychiaterin würde selbst eine Therapie brauchen. In dieses schräge Ambiente platzen immer wieder die Eltern Jakobs, um sich von seinen Fortschritten in Richtung Heilung des Wahns zu überzeugen. Heilung wird es nicht geben, auch sonst bleibt das Ende ohne Perspektive.
Jasmina Reza ging es in ihren früheren Stücken („Gott des Gemetzels“ und „Kunst“) immer darum, die sogenannte Toleranz der gut Erzogenen, der so genannten Versteher aufzubröseln. Mit blitzgescheiter, komischen Logik lässt sie die Toleranzler scheitern. In „James Brown trug Lockenwickler“ geht sie von ihrem bewährten Rezept ab und wählt die Mittel des Absurden, der Übersteigerung und Überdrehung, um die modisch gewordene Frage nach Identität und Gruppenzugehörigkeit ins Absurde laufen zu lassen. Dabei überfrachtet sie das Stück mit Kapriolen, die die Zuschauer oftmals überfordern, etwa wenn die Psychiaterin das Märchen „Aschenputtel“ völlig verdreht erzählt. Absurdes spielerisch so aufzulösen, dass der Sinn dahinter dennoch aufblitzt, ist eine echte Herausforderung für alle Beteiligten.
Aber. wie so oft, retten die Schauspieler den Abend: Der junge Julian Valerio Rehrl ist ein echter Gewinn für das Ensemble. Er zeigte schon in der Performance „Mozart und Salieri“, die er mit Joseph Lorenz im Theater Akzent aufführte, was in ihm steckt: Ein vor Temperament und Lebendigkeit sprudelnder Jungspund. Als Jakob, der sich für die Sängerin Céline Dion hält, ist er ein Stiller, eine Stille. Seine Bewegungen sind die einer lässigen, leicht gelangweilten Diva, alles nur angedeutet, nie peinlich ausgespielt. Mit Kälte und Gleichgültigkeit verfolgt er die Aktionen seiner Eltern, die er als Bekannte, nicht als Eltern anspricht und sie beim Vornamen nennt. Er wünscht sehr energisch, von ihnen als Céline akzeptiert zu werden. Um ihnen zu beweisen, wie sehr er Céline ist, singt er ihnen zur Bestätigung einen Célinesong vor. Da gehört schon sehr viel Feingespür dazu, dass so eine Szene nicht peinlich wirkt. Rehrl spielt und singt, als wäre es klar, dass er Céline ist – großartig.
Köstlinger und Maurer sind die leidgeprüften Eltern Pascaline und Lionel Hunter. Sie sind Vertreter der „Toleranten“, der „Versteher“. Pascaline ist eine beflissene und devote Mutter, die ungefragt alles macht, was die Psychiaterin und ihr Sohn verlangen. Sie wirft sich sogar auf den Boden und strampelt mit den Beinen, um Freude zu simulieren – eine recht überflüssige Szene. Juergen Maurer ist der Gegenpol – er tut, als ob er versteht und toleriert, bis ihm dann doch der Kragen platzt – eine der vergnüglichsten Szenen des Abends. Dominic Oley spielt den verhuschten Freund, der sich an ein verkümmertes Bäumchen kettet,um es zu retten. Ein wenig mehr Wortdeutlichkeit wäre wünschenswert. Alexandra Krismer ist die verhuschte Psychiatertin und erfüllt diese absurde Rolle mit Bravour und sichtlichem Hochgenuss. Noch ein Wort zum Schluss, der in peinlichen, symbolüberladenem Kitsch endet: Céline verschwindet mit der Titelmusik aus dem Film „Titanic“ in einen sternenbestückten Nachthimmel. Da hat es sich Jasmina Reza zu leicht gemacht. Sie, die sonst einen für einen echten Show down- Schluss bekannt ist, lässt das Stück in einem bedeutungslosem Vakuum enden.
Freundlicher Applaus für die Leistung der Schauspieler
Regie und Spielfassung: Anna Maria Krassnigg, Bühne: Andreas Lungenschmid, Kostüm: Antoaneta Stereva di Brolio, Musik und Film: Christian Mair
Das diesjährige Motto des Festivals lautet „fragil/fragile“. Es wird nach allen Richtungen von Beziehungen gefragt: Wie zerbrechlich sind zwischenmenschliche Beziehungen, wie sehr kann der Einzelne auf politische Sicherheiten bauen, wie stabil sind Verträge, Friedensabkommen etc… In diesem Sinne wurde der Salon zu einem Art Aquarium umgebaut. Fische, Seesterne und anderes fragiles Getier schweben irgendwie losgelöst im Raum.
Endlich, endlich wieder einmal eine Theateraufführung, bei der das Publikum nicht durch skurrile Regieeinfälle vom Sinn abgelenkt und in krause Gedanken umgelenkt wird. Medea ist die Medea, wie Grillparzer sie schrieb: Eine Frau, die liebt, ausgenützt und verraten wird. Sehr sensibel hat Maria Krassnigg den Text leicht gekürzt, sprachlich hin und wieder der Gegenwart angepasst, doch bleibt Grillparzer Grillparzer! Das Bühnenbild ist schlicht, wird von einem weißgrauen Schafwollteppich beherrscht, der das berüchtigte „Goldene Vlies“ symbolisiert, das alle besitzen wollen, weil es dem Besitzer uneingeschränkte Macht verleiht. Doch mit dem Vlies ist ein Fluch verbunden. Einst aus dem Apollotempel in Delphi geraubt, bringt es Leid und Tod demjenigen, der es besitzt.
Kolchis liegt auf der „dunklen Seite der Welt“ am Schwarzen Meer, wo die schöne Königstochter Medea lebt. Sie hat von ihrer Mutter Zauberkräfte geerbt. Jason ist aus der hellen Welt der Griechen nach Kolchis gekommen, um das Goldene Vlies zu rauben. Medea hilft ihm dabei, geblendet von seiner strahlenden Heldenerscheinung. Beide verbindet Liebe und Verbrechen. Doch Flucht, Verbannung und die Erinnerungen an die Taten der Vergangenheit, die als Filmschatten immer wieder Medea heimsuchen, machen beide mürbe. Die Liebe ist zerbrechlich geworden.
Grillparzers Medea – der letzte Teil der Trilogie „Das goldene Vlies“, setzt ein, als Jason und Medea nach jahrelanger Flucht durch Greiechenland in Korinth landen. Jens Ole Schmieder ist ein müder, verzweifelter Jason, einer, der nur noch hofft, in Korinth eine neue Heimat zu finden. Dafür ist er nach kurzem Zögern bereit, sich von Medea zu trennen. Denn König Kreon (ganz aalglatter Politiker: Peter Scholz) will nur ihn und die beiden Söhne aufnehmen. Jason möchte im Grunde, dass Medea so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwindet, denn er ist schon von Kreon als Schwiegersohn für Tochter Kreusa (Saskia Klar) bestimmt. Medea wirkt zu Beginn wie eine Lady aus einem englischen Salon – nichts erinnert an die stolze, wilde und unbeherrschte Zauberin von einst. Alles versucht sie, um Jasons Liebe neu zu entflammen. Sie ist sogar bereit, sich anzupassen und von Kreusa ein Lied zu lernen, das Jason einst so gern gesungen hat. Diese Szene ist eine der stärksten im Stück: Kreusa, naiv und beflissen, singt es ihr vor. Hilflos klingt es aus dem Mund Medeas. Jason, verärgert und sich für Medeas hilflosen Versuch der Anpassung schämend, verbietet es ihr.. Doch in diesem Moment – und es ist das einzige Mal – brechen in Medea Wut, Kraft und Verachtung aus. Ganz die Zauberin, die Wilde, die Barbarin singt sie dieses verhasste Lied „Liebe. Dunkler Erdteil“ – es stammt von Ingeborg Bachmann – nun nicht mehr als die verängstigte Medea, sondern als die selbstbewusste Frau, die sie einst war: „Der schwarze König zeigt die Raubtiernägel“ sie ist der schwarze König, der die Raubtiernägel zeigt., Von dem Moment an ist Medea entschlossen zu handeln: Sie überlässt Kreon das gefährliche Kästchen, das Feuer und Tod bringen wird. Im Palast wird nicht nur Kreusa umkommen, sondern auch ihre beiden Kinder. Wie in fast allen Medeainszenierungen scheuen sich die Regisseure, den Kindermord direkt auf der Bühne zu zeigen. ( Bei Grillparzer ersticht Medea die Kinder in einem Seitentrakt, also nicht auf offener Bühne.) Die Schlussszene überlässt Grillparzer Jason und Medea. Jason, gebrochen vom Schmerz, jammert, doch Medea herrscht ihn an: Lebe und ertrage. Sie selbst wird das Vlies nach Delphi bringen und für ihre Tat einstehen. Schade nur, dass Maria Krassnig die großartigen Schlusssätze Medeas gestrichen hat. „Was ist der Erde Glück? – Ein Schatten! Was ist der Erde Ruhm? -Ein Traum!“ Und dem verzweifelten Jason befiehlt sie: „Trage! Dulde! Büße!“
Ein Abend, der rundum gelungen ist. Eine kluge Regie, eine kluge Textbearbeitung, die dem Autor Grillparzer Respekt zeugt, und vor allem gute Schauspieler: Berührend und stark Nina Gabriel als Medea, Jens Ole Schmieder ein müder Held (man hätte sich mehr Wortdeutlichkeit gewünscht), Peter Scholz ein aalglatter Politiker, Saskia Klar ein argloses, naives Kind. Grillparzer wäre mit dieser Aufführung sicher zufrieden gewesen.
Regie: Stephanie Mohr, Bühnenbild und Kostüme: Miriam Busch. Musikalische Leitung und Komposition: Wolfgang Schlögl
VOLLTREFFER! Ein Abend, der rundherum überzeugt! Wo Stephanie Mohr draufsteht, ist gut gemachtes, ehrliches Theater ohne Mätzchen drinnen. Die international viel gefragte Regisseurin ist am Theater in der Josefstadt fast zu Hause. Unter den zahlreichen Inszenierungen seien nur an einige erinnert, wie „Der Boxer“ (Felix Mitterer), „Glaube und Heimat“ von Karl Schönherr, „Der Sohn“ von Florian Zeller und zahlreiche Turrini-Inszenierungen. Das Duo Turrini-Mohr verspricht von vornherein gutes Theater. Dazu noch ein Ensemble, das besser nicht sein könnte – all das zusammen ergibt einen Theaterabend, wie man ihn in Wien nur mehr selten erlebt.
Alles dreht sich um die 1848er Revolution in Wien. Es wird geschossen, Anführer werden „füsiliert“, Kaiser Ferdinand „der Gütige“ flieht zweimal aus Wien. Arbeiter kämpfen und werden getötet. Tote Kinder liegen im Volksgarten, nicht weit vom Burgtheater, das „wegen Aufruhr“ geschlossen ist. In unmittelbarer Nähe probt eine Laientheatergruppe Ferdinand Raimunds „Bauer als Millionär“. Starker Auftritt von Günter Franzmeier als Adam Holzapfel. Pro füsiliertem Rebell verdient er einen Gulden. Ohne zu zögern erschießt er den Gefangenen im Hintergrund, um gleich darauf als Hausmeister mit Besen und Kübel die Bühne des Laientheaters zu reinigen. Er wird immer wieder das Geschehen referieren und -je nach politischer Lage – kommentieren. Auf der Bühne geht die Probe zu Raimunds Stück nur mit vielen Hindernissen vonstatten. Immer wieder stört Gefechtslärm. Der Regisseur Ferdinand, Thomas Frank als gelungene Parodie auf die überhektischen Regisseure von heute, will um jeden Preis proben, auch wenn draußen die Revolution tobt. Die Probenszenen sind von umwerfender Komik, wenn etwa Susanna Wiegand als Katharina Glück das Lied der Fortuna singt – eine Glanzleistung! Berührend spielt Johanna Mahaffy die Zäzilie Wagner, die sich als Jugend vom alten Bauer (Michael Dangl) verabschiedet. Der wiederum hat nur eines im Sinn: Am Burgtheater endlich spielen zu dürfen (ein unerfüllter Wunsch Ferdinand Raimunds). Immer lauter wird der Kampflärm von draußen – bis schließlich die Gruppe sich nicht mehr unberührt von dem Geschehen zeigt: Ein Kleiderbündel wird an Stelle des Kaisers aufgehängt, und die Truppe tanzt im Freiheitsrausch! Bis der Regisseur Ferdinand als Leiche hereingebracht wird – er hat sich ins Kampfgetümmel unter die Arbeiter gemischt und wurde erschossen. -Aus mit lustig, aus mit Theater! Die Wirklichkeit holt auch das Liebespaar Zäzilie und Karl, den Jusstudent aus gutbürgerlichem Haus, ein. Karl, mit Julian Valerian Rehrl als zunächst scheuer Einspringer, später als schwer Verliebter ist die ideale Besetzung. Die Kussszenen zwischen Zäzilie und Karl gelingen dank der Unbekümmertheit beider erfrischend witzig.
Worum es Turrini in diesem Stück ging, eröffnet sich gegen Ende: Die Revolution ist niedergeschlagen, die Aufrührer erschossen, die Bürger müssen eine Treueerklärung unterschreiben. Die Freiheit ist Schall und Rauch. Im Theater ist es leer geworden: Das Liebespaar ist im Gefängnis. Aber der Papa von Karl, der reiche Tuchhändler, kann seinen Sohn durch Beamtenbestechung freikaufen – er geht, küsst seine Geliebte und verspricht, sie bald herauszuholen. Aber – er kommt nicht wieder. Als Zäzilie allein an den Pfahl gebunden zurückbleibt und das „Brüderlein“ anstimmt und immer leiser werdend „es muss geschieden sein“ singt – da wird die Theaterpranke Turrinis spürbar!!! Er weiß, wie man starke Szenen schreibt. Und sie noch steigert: Aus dem Hausmeister Holzapfel ist wieder ein Kaiserlicher geworden. Im Namen des Kaisers soll er Zäzilie erschießen. Doch man bekommt pro „Abschuss“ kaum ein paar Groschen. Er zielt, setzt an – nein, das kann er nicht, er wirft das Gewehr weg. Sein Resümee: Die Bürger haben es sich wieder gerichtet, die Beamten sind wieder brav kaisertreu. Die Armen sind noch ärmer. Das Theater – am Ende. Tot oder irgendwo verweht sind die Theaterleute – sie haben ehrlich gekämpft, gebangt. Turrini: „Im Theater gibt es trotz der Schminke das wirklich Ungeschminkte.“ (Zitat aus Programmheft)
Als Fritz Hochwälder das Drama „Der Himbeerpflücker“ 1964 schrieb und es danach bis Ende der 70er Jahre auf diversen Bühnen gespielt wurde, war es ein großer Erfolg, weil das Thema längst fällig war. Hatten doch die wenigsten Leute, vor allem nicht die Jugendlichen, eine Ahnung vom Nazionalsozialismus. In den Schulen kannte man kaum Bert Brecht und schon gar nicht Fritz Hochwälder. Dass die Altnazis es sich nach Ende des Krieges „richten konnten“ und wieder in wichtigen Ämtern saßen, war ebenfalls relativ unbekannt. Als in der Zeitschrift „Falter“ der Bericht über den Euthanasiearzt Groß erschien, kostete es diesem keineswegs seinen Posten, im Gegenteil, er wurde von der Republik mit Ehren ausgezeichnet. In diesen gesellschaftspolitischen Sumpf stach nun Hochwälder mit seinem Drama hinein.
In den 90er Jahren wurde „Der Himbeerpflücker“ nicht mehr gespielt. Ist diese Wiederaufnahme aktuell, relevant unf wichtig für unsere Zeit?. Meiner Meinung nach ja, sogar sehr wichtig. Denn die aktuelle politische Atmosphäre ist ebenso wie damals von Freunderlgeschichten, Korruption etc vergiftet. Außerdem bin ich überzeugt, dass viele junge Menschen von dieser Nachkriegszeit kaum etwas wissen.
Stellt sich die Frage, wie man dieses Stück heute spielt, in einer Zeit, wo Show, Slapstick und überdrehte Performance das Theater ersetzen. Deshalb ist es sinnvoll, dass Stephanie Mohr das Volksstück als bewusste Gegenform wählte.. Leider gerieten manche Szenen zu allzu billigem Klamauk – warum muss Susanne Wiegand als Burgerl vor Entrüstung ihre Wäsche ablegen, warum muss Claudius von Stolzmann als Zagl wie der letzte Dorfdepp agieren? Warum muss das Stück wie eine Feydeau-Komödie ablaufen und müssen die Schauspieler eine Türauf- Türzu – Dauerlauf absolvieren? Warum müssen alle immer und immer wieder Wein, Schnaps und Bier saufen? Warum müssen am Schluss die Mannsbilder in einer „Siegesfeier“ fressen wie die Säue? – Das ist zu billige Charakterisierung, es fehlt die Schärfe einer finsteren Komödie. An manchen Stellen wirkt der Text etwas ausgeleiert – wurde es schon zu oft gespielt? Dennoch, noch einmal gesagt: Das Stück ist wichtig und hat seine Berechtigung. Die Regisseurin hat ja mit dem Ensemble eine wahre Goldgrube – warum nützt sie diese Kräfte nicht? Ein Franzmeier, Stolzmann, Reinthaller etc. sind durchaus für subtiles Spiel zu haben! Sie müssen nicht poltern! Ihnen allen liegt die fiese Komödie, das Hintergründige sehr wohl.
Inszenierung: Babett Arens. Raum: Marcus Ganser. Kostüm: Sigrid Dreger. Musik: Alexander Lutz
In der bekannten großartigen Sicht auf sich und sein Werk meinte Friedrich Dürrenmatt, Strindberg sei ein Genie gewesen, aber heute „sei er literarisch total veraltet“ (Zitat Programmheft)., Also schrieb er den „Totentanz“ so um, dass „fast kein Strindbergsatz mehr übrig geblieben ist“ (Zitat Programmheft). Dem Ehekrieg nahm er die Tragik und formte ihn zu einer bitterbösen Komödie um. Gleichsam wie in einem Boxkampf gehen die Eheleute aufeinander los, schlagen sich gegenseitig knock out, kehren wieder in den Ring zurück. bereit für die nächste Runde.
Konsequent hat Marcus Ganser diese Idee vom Boxkampf umgesetzt und die Schauspieler in einem hohen Maschenkäfig agieren lassen. Jede Runde wird an- und abgepfiffen. Der Nachteil dieser Idee: sie nützt sich nach 6-7 Runden ab und zersägt den Fluss der Dramatik. Die Schauspieler holen aus diesem Konzept das Beste raus, was möglich ist. Allen voran Thomas Kamper als Ekel Edgar. Er hat ja schon in vielen Inszenierungen in der Scala reüssiert, unter anderem im „Tod eines Handlungsreisenden“ oder in der „Liebelei“. Als widerwärtiger Ehemann Edgar, der seine Frau herumkommandiert und sie zur unbezahlten Hausmagd degradiert, ist er richtig gut grauslich. Wie ein Stehaufmandl ist er nach einem kurzen Scheintod immer wieder da und triumphiert über sie. Er ist der verkörperte Philister und Heuchler, dem man als Zuschauer den baldigen Tod wünscht. Vanessa Payer Kumar hat es schwer, als Alice neben ihm sich zu behaupten. Sie ist eher eine elegante, leicht resignierende als widerliche Ehefrau. Ihre Stärke ist das Wort, das sie über ihn ausspeit, wenn er am Boden liegt: „Stirb endlich, aufs Gartenbeet mit dir!“ Aber er sirbt nicht und nicht. Am Ende triumphiert sie über ihn, füttert den Gelähmten, der nur mehr unverständliche Sprachbrocken ausspeien kann. Zwischen diese beiden Kampfhähne gerät der Besucher von draußen – Kurt. Alexander Lutz ist in dieser Rolle perfekt: Eleganter Hochtapler, Verführer, der aber im entscheidenden Moment die um ihn buhlende Alice abblitzen lässt und die Kampfhähne ihrem Schicksal überlässt. Außerdem rundet er mit seiner Musik das Geschehen ab.
Ob aus dem „Totentanz“ Strindbergs wirklich eine Komödie wurde, wie Dürrenmatt meinte, diese Frage mag jeder für sich beantworten. Eine Zuseherin hat sich offenbar wirklich amüsiert, ihr Lachen war nicht zu überhören. Die Orgie des Hasses wirkte eher schockierend.
Gespielt wird jeweils Dienstag bis Samstag um 19.45h vom 12.12. bis 22.12. 2023.
Regie und Bühne: Rüdiger Hentzschel, Kostüm: Anna Pollack
Horvath schrieb das Stück 1936-37, zu einer Zeit , als es politisch in Deutschland und Österreich drunter und drüber ging und der Nationalsozialismus sich rasch ausbreitete. Der Autor bedient sich des altbekannten Personals von Beaumarchais (Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit) und Mozart (Le nozze di Figaro) und lässt Graf Almaviva, die Gräfin, Susanna und Figaro gemeinsam vor der Französischen (?) Revolution ins Ausland fliehen. Wie in einem Lehrstück von Bert Brecht werden die einzelnen Szenen einer Flucht und ihre Folgen im ersten Teil gezeigt: Die von Angst Getriebenen, die bestechlichen Grenzbeamten, das Ankommen und die Hilflosigkeit der Emigranten – dieser Begriff wird deutlich an- und ausgespielt -, die erste Orientierung im unbekanten Neuland. Jede Szene und die einzelnen Personen stellen eine für Flucht und Vertreibung allgemein gültige Aussage dar: Der Graf, der sich nicht mit dem Verlust seiner Stellung abfinden kann, die Gräfin, die aus Angst krank wird. Susanne, die aus Menschlichkeit hilft, Figaro, der sich mit seinem Mundwerk und seiner angeborenen Schlauheit durchschlägt, dabei aber sich von Susanne entfremdet. Sie alle wirken wie Versatzstücke, die mit minimalen Variationen typisch in jeder Geschichte über Flucht und Emigration vorkommen könnten.Um diese Szenen rasch aufeinander folgen zu lassen, entwarf Rüdiger Hentzschel eine kreisrunde Bühnenwand mit beweglichen Segmenten. So konnten Requisiten in Windeseile von den Schauspielern herein- und weggetragen werden. Der Effekt: Das Leben besteht aus Hetzjagd und Angst.
Im zweiten Teil werden die Schicksale individueller, der Gang der Handlung ruhiger und an einem Ort verhaftet: Alle – bis auf die inzwischen verstorbene Gräfin – treffen sich im Schloss des Grafen in ihrer alten Heimat wieder. Dort hat sich die Revolution breit gemacht: Aus dem Schloss wurde ein Kinderheim unter der Leitung des revolutionsgläubigen Pedrillo, ehemaliger Stallknecht des Grafen. Bald jedoch sind fast die alten Ordnungen wieder hergestellt: Figaro entmachtet den übereifrigen Revolutionär, der Graf bleibt Graf aber ohne Macht. Susanne verzeiht ihrem Figaro. Fazit: Die Revolution wurde humanisiert!
Warum dieses Stück selten bis gar nicht aufgeführt wurde, liegt wahrscheinlich an seiner etwas lehrhaften Trockenheit und dem unglaubwürdigen Schluss. Um so mehr gilt es zu bewundern, was der Regisseur Rüdiger Hentzschel und das spielfreudige und engagierte Ensemble daraus machten: Eine Komödie über menschliche Schwächen, Ängste und Machtspiele. Vor allem wurde jeglicher Anschein von „Demokratieerziehung“ vermieden, was die Zuschauer mit dankbarem Applaus quittierten. Wertfreies Theater, flott gespielt. Theater um Theater willen. Wer die Moral der Geschichte unbedingt finden will, der wird fündig, wird aber nicht direkt mit der Nase darauf gestoßen.
Es spielen: Dirk Warme, Monica Anna Cammerlander, Simon Brader, Lisa-Carolin Nemetz, Hendrik Winkler, Katharina Stadtmann, Stanislaus Dick, Ildiko Babos, Bernhardt Jammernegg, Christoph Prückner, Helfried Roll.
Vom 14. -30.11., jeweils Dienstag bis Samstag um 19.45h. Ab 9. Dezember 2023: „Play Strindberg“ (Strindberg-Dürrenmatt)
Elmar Goerden ist so etwas wie ein Hausregisseur im Theater in der Josefstadt. Man sah von ihm gute Inszenierungen, wie etwa „Kafka“, „Die Verdammten“ Radetzkymarsch“ oder auch „Die Ziege“. Doch manche gingen völlig daneben wie „Rosmersholm“, „Medea“ oder jüngst erst „Sommergäste“, wo er Joseph Lorenz zu einem stummen, spuckenden Geist degradierte.
Nun also inszenierte er „Lulu“. Im Untertitel steht: IN EINER BEARBEITUNG VON ELMAR GOERDEN. Eine Warnung für viele Theaterliebhaber! Oftmals ist der ursprüngliche Text nur ein Handout des Regisseurs, damit er seine oftmals cruden Ideen umsetzen kann. Was auch hier der Fall ist.
Um diese – die cruden Ideen -zu verstehen, ist es ratsam, eine Stunde vor Beginn in Ruhe das PROGRAMM durchzulesen. Dann ist man den wirren Einschüben nicht ganz so hilflos ausgeliefert. In einem Gespräch mit der Dramaturgin Jacqueline Benedikt äußert sich Goerden über seine Regiearbeit. Zusammegefasst meint er, das Stück könne heute so nicht mehr gespielt werden. Im Gespräch mit den Schauspielern sei ihm dies klar geworden. Und er fand, diese Gespräche seien erhellender als das Stück selbst. Deshalb habe er sie als „zweite Ebene“ in das Stück eingefügt. Den ursprünglichen Text Wedekinds verbannt er diskret in eine Ecke der Bühne, wo er unter Glassturz auf einer Säule wie ein Museumsstück aufgebahrt liegt! Hin und wieder weisen die Schauspieler auf Wedekinds Drama wie auf etwas ganz und gar Nebensächliches hin. Dem Publikum bleibt es überlassen zu entscheiden, was ist Wedekind, was Goerden. Keine leichte Aufgabe. Und im Endeffekt ziemlich langweilig und langwierig (fast 2 Stunden ohne Pause).
DIE BÜHNE (Ulf Stengl) besteht aus graublauene Schlangen, die an eine Arbeit aus einer digitalen Werkstatt erinnern. Wer mit dem Drama Wedekinds nicht vertraut ist, fängt damit nichts an. Die Schlangenlinien sollen wohl eine Anspielung an das Tier, die Schlange sein, als die der Autor im „Prolog zum Erdgeist“ Lulu auftreten lässt. Also Verführung und zugleich auch Verführte, wie ein von den Männern ihr zugedachter Name lautet: Eva.
Gleich zu Beginn tritt ein Schauspieler (Joseph Lorenz) an die Rampe und fordert den Regisseur auf, sich an den Text Wedekinds zu halten. Da könnte man noch an eine Satire auf das Regietheater denken. Aber weit gefehlt: Wedekind wird zum Museumstext degradiert, die Personen kommentieren, spielen – Goerden. Dank der guten Schauspielerriege, die der Nährboden der Josefstadt ist, gelingen einige Szenen recht gut, sind von eigenwilliger Komik.
JOHANNA MAHAFFY ist Lulu ohne großes Verführungspotential, eher eine Widerständlerin. Zerstörerin. Und das mit allen Mitteln – sie manipuliert alle, ist doch immer Opfer. Aber sie berührt nicht. Vielleicht will das weder sie noch der Regisseur.
JOSEPH LORENZ überzeugt als Dr. Schön – ein Eiskalter, der glaubt, die Fäden in der Hand zu haben. Aber er glaubt eben nur. Als Chevalier Casti-Piani gibt er dieser schillernden Figur Facetten.
MICHAEL KÖNIG ist vielseitig gefordert – als spießbürgerlicher Ehemann Dr. Goll, als schmieriger Schigolch und als angeberischer Rodrigo. Seine komödiantische Ader lockert das Stück angenehm auf.
MARTIN NIEDERMAIR muss sich mit den unangenehmsten Rollen herumschlagen: Als verliebter Maler Schwarz, großartig als Alwa Schön und belanglos als Dr. Hilti.
Großartig SUSA MEYER als Gräfin Geschwitz. Diese Rolle kann leicht peinlich werden. Sie entgeht dieser Gefahr und spielt die in Lulu verliebte Lesbierin trocken, ganz ohne Pathos.
Dank des großartigen Schauspielerensembles war der Abend erträglich. Freundlicher Applaus und unfreundliche Kommentare nach dem – von allen ersehnten – Ende.
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Bühnenfassung: Liliy Sykes und Andreas Karlaganis
Regie: Lily Sykes, Bühne: Marton Agh, Kostüme: Jelena Miletic
Wann wird es endlich wieder so, wie es unter Karin Bergmann war? Als noch Joachim Mayerhoff, Christiane von Poelnitz, Petra Morzé und viele andere spielten, die wir alle sehr vermissen. Als noch nicht jede Aufführung unter „Vernuschelung“ der Sprache litt, und noch nicht jede Aufführung unter ein moralisches Diktat gestellt wurde.
Die Folgen all dieser Absenzen erlebt man, wenn man zehn Minuten vor der Vorstellung den Zuschauerraum betritt – fast leer. Erst langsam füllt er sich mit Besuchern, die so schlau waren und ein Last Minute Ticket kauften – denn damit können sie sich die Sitzplätze ausssuchen. So füllten sich dann doch die vorderen Reihen.
Yasmina Reza hat mit „Kunst“ oder „Der Gott des Gemetzels“ hinlänglich bewiesen, dass sie eine tolle Dramatikerin ist, Gesellschaftskritik gekonnt in Satire festmachen kann. Dass sie „Serge“ als Roman schrieb, wird wohl seine Gründe haben. Jedenfalls: Die dramatisierte Fassung vergeigt das Hauptthema durch unnötige Gags. Und die schlampige Aussprache der Schauspieler, die entweder flüstern, schreien oder nuscheln, macht das Verstehen auch nicht einfacher. Worum es Reza in dem Roman ging, kann man im Programm nachlesen, in dem das Interview, das Iris Radisch für DIE ZEIT am 22. Jänner 2022 geführt hat, abgedruckt ist: Reza auf die Frage, ob es um das Verschwiegene in dieser Familie geht, das ans Tageslicht kommen sollte: „Kein bisschen. Solcherlei Themen, die Aufdeckung des Verborgenen, des Verdrängten, interessieren mich absolut nicht“. Und zur „Auschwitzkeule“, wie Martin Walser das aufoktruierte Gedenken nennt: “ Das ist eine Art und Weise, guten Geewissens die Geschichte zu glätten…Gedänkstätten werden errichtet, all das dient der Beruhigung… Ich halte es für eine gefährliche Illusion zu meinen, das Gedenken würde bessere Menschen hervorbringen.“
Was sieht man an diesem Abend? – Eine jüdische Familie trifft sich beim Begräbnis der Mutter. Drei Geschwister (Jean-Michael Maertens, Serge Roland Koch, Nana Alexandra Henkel) streiten, ob man quasi im Gedenken an das jüdische Erbe Auschwitz besuchen soll. Der Besuch wird zum Disaster und endet im totalen Chaos und Streit.
Am Ende der Aufführung wurde ich von einer Besucherin gefragt, ob ich verstanden hätte, worum es in dem Stück ging. Meine Antwort: Nein.
Die gereifte Kaiserin kehrt zurück in die Kaiservilla und erzählt in ihrem Refugium, den Stallungen, aus ihrem Leben.
Die Kaiserhymne ertönt und das Publikum steht respektvoll auf. Denn: Auf tritt Elisabeth persönlich, , ganz in Schwarz, wie sie sich nach dem Tod ihres Sohnes kleidete. Sie begrüßt die Gäste: „In den Stallungen habe ich immer meine Gäste empfangen.“ Und weiter: „Ja, ich bin wieder auferstanden, im Elysium war es zu langweilig. Außerdem hat man in den Sisifilmen so viel Blödsinn über mich verzapft, da habe ich mich entschlossen, in einem geliehenen Körper zurückzukehren und einiges richtig zu stellen.“ Und dann gleich der erste Schuss vor den Bug der Monarchie: „Die Monarchie ist wie ein alter Eichenbaum, der kracht schon ordentlich!“ Für ihren Franz hat sie volles Mitleid: „Der arme Pechvogel Franz!“ Ja, hätte er nur mehr auf sie und den Sohn gehört, vielleicht wäre ihm, der Monarchie und dem Volk viel Leid erspart geblieben.
Elf lebensgroße Fotos ihrer Familie und Freun hängen, noch verdeckt mit lila Vorhängen – lila und Veilchen, das gehörte zu Elisabeth! – hinter ihr an der Wand. Im Laufe der Vorstellung wird sie ein Bild nach dem anderen enthüllen und dazu ein paar ziemlich unbekannte Familiengeheimnisse enthüllen: Etwa über ihren „Papi“, den Max, Herzog in Bayern. Dass er ein Lebensgenießer war, da ist hinlänglich bekannt. Wie sehr aber, das eröffnet Sissi ungeniert, ohne zu verleugnen, wie sehr sie trotz allem ihren Papi geliebt hat. Über die Ehe ihrer Eltern ist auch nichst Gutes zu berichten. Die Mimi, wie die 8 Kinder ihre Mutter nannten, war ziemlich unglücklich, ertrug den lockeren Lebenswandel mit äußerer Fassung. Musste bereit sein, wenn der Ehegemahl geruhte, sie zu besuchen. Daraus entsprossen dann die Kinder.
Verlobung mit 15 Jahren! Sissi im O-Ton: „Wenn ich geahnt hätte, was auf mich zukommt, hätte ich nicht geheiratet! Ich bin ja richtig verschachert worden!“ Sie rebelliert gegen das Hofzeremoniell, reist durch die Welt, setzt sich für Ungarn ein…all das ist bekannt. Aber wie Elisabeth -Joe Harriet- alles erzählt,, das ist lebendig und spannend. Sie zitiert aus „ihren “ Tagebüchern, liest aus Gedichten vor, zeigt Elisabeth als eine verletzliche, politisch informierte, sich aber im Hintergrund haltende Kaiserin. Eine Frau, die sich verlieben könnte, aber nicht durfte, eine Frau, die in ihrer Gesellschafterin Ida von Ferenczy eine, vielleicht die einzige Freundin, hatte. Letztendlich eine einsame Frau.
Zum profanen Teil: In der Pause wurde Veilchensekt und ein Vanillegebäck serviert. Am Abend traf man sich im Restaurant K&K im Zentrum von Bad Ischl, um über die Vorstellung zu plaudern. Wie immer, wenn Elisabeth-Joe Harriet einen Figur aus der Vergangenheit lebendig werden lässt, trägt sie diese in die Gegenwart hinein. Dazu gehört auch gemeinssames Genießen!
Infos zu allen Darbietungen von Elisabeth-Joe Harriet:
Bearbeitung von Arthur Miller. Regie: David Bösch, Bühnenbild und Video: Patrick Bannwart, Kostüme und Video: Falko Herold
Ein spannendes Stück, auch nach 140 Jahren mehr denn je aktuell. Vielschichtig, keineswegs geht es geradlinig Moral gegen Unmoral, Held gegen Unhold. Das wäre zu seicht. Ibsen wusste, wie man mit „Heldenthemen“ umgeht – man stellt den Held vor unlösbare Situationen. Ganz nach Freidrich Schiller! So muss sich der Kurarzt Dr. Stockmann entscheiden: Lässt er sich auf Kompromisse ein oder bleibt er dabei, das verheerende Wassergutachten zu veröffentlichen? Da muss ihm bewusst sein, dass die Menge, die Stadtbürger und allen voran der Bürgermeister ihm den Konkurs der Stadt vorwerfen können. Denn wer möchte ein Bad besuchen, dessen Wasser nachgewiesener Maßen vergiftet ist? Wenn das Bad nicht eröffnet wird, dann droht allen Familien der Stadt großes Elend, so der Bürgermeister. Großartig, wie der Regisseur den Schluss ansetzt: Gott sei Dank lässt er nicht, wie Arthur Miller es wollte, einen Minister als deus ex machina auftreten, der Dr. Stockmann völlig rehabilitiert und ihm seinen Heldenschein bescheinigt. Bösch lässt auf dem letzten Video die Eröffnung stattfinden – der Bürgermeister spricht lobende Worte für seinen Bruder, Dr. Stockmann. Aus – Ende! Das Publikum darf nun rätseln…und das ist gut so.
Wieder einmak zeigt sich das Ensemble in Höchstform. Auch in der gefühlten fünfzigsten Vorstellung wird auf Vollgas gespielt. Allen voran Roman Schmelzer als Kurarzt Dr. Stockmann. Ihm glaubt man die unna“chgiebige Haltung. Er ist einer, der sich nicht kaufen lässt. Er bleibt dabei, dass man mit der Lüge nicht weit kommen werde. Spätestens, wenn sich die Krankheitsfälle häufen werden, würde der Schwindel auffliegen. Diesem temperamentvollen Arzt und Familienvater tritt ein ebenso temperamentvoller Bruder, der zugleich Bürgermeister der Stadt ist (intensiv: Günter Franzmeier!, entgegen . Die beiden schenken sich nichts an Zorn, Empörung auf Seiten des Arztes, Hinterlist, politisches Taktieren unter Einsatz alller Mitteln, besonders der Medien, auf der Gegenseite. Die Medien bekommen von der Regie ihr Fett ganz gehörig ab: Da ist der laxe und feige Verleger Aslaksen /André Pohl. Er dreht sein Zeitungsblatt nach dem günstigsten Wind, ist für den Bürgermeister Steigbügelhalter. Interessant ist auch Kathrin (Martina Ebm als Ehefrau des Arztes) – auch sie ist keine „geradllinige Figur“: Obwohl sie voll und ganz zu ihrem Mann steht, verlässt sie ihn mit dem Sohn und dem Kind, das sie erwartet. Ihr ist es wichtiger, die Kinder in Sicherheit zu bringen als unter dem „Heldendruck“, dem sich ihr Mann auslieffert zu leben. Spätestens ab diesem Moment gerät die Überzeugung des Arztes ins Schwanken: Familie oder Heldentum?
Großartig von allen gespielt. Kluge Regie und kluge Videozuspielungen. Gut, dass das Stück auch in der kommenden Saison am Spielplan bleibt!
Wo Goerden draufsteht, da ist Klamauk – einige sagen: intellektueller Klamauk – drinnen. In seiner Bearbeitung der „Sommergäste“ hat er sich als „maître de plaisir“ ausgezeichnet. Das Premierenpublikum gröhlte vor Begeisterung – so liest man in einigen Kritiken. In der Aufführung am 25. April blieb die Hälfte des Parketts nach der Pause leer.
Aber jetzt ernstlich: Es ist ja wirklich lustig, wenn man fast das ganze Josefstadtensemble in Badehosen, Bikini oder Ganzkörperbadeanzug herumhopsen sieht, wenn sie in Mordlust oder Sexlust übereinander herfallen. Da wird gekreischt, gestritten, geflucht, gekichert, gefickt, geküsst – ganz pikant mti rotem Tischtennisball, den man sich gegenseitig in die Mundhöhle schiebt. Einige Tanzeinlagen sind gar nicht so schlecht, da schrammt Goerden knapp am Musical vorbei. Ja, und Sinn hat das natürlich auch. Denn schließlich hat Gorki sich dabei was gedacht: Es zeigt, wie selbstverliebt und verkommen die gehobene Mittelschicht war (gemeint 1904 und heute) und ist, sozusagen ein Totentanz auf Klamaukniveau. Das versteht ja jeder. A propos verstehen: In dem ganzen Gekreische und Durcheinander versteht man ja nicht allzu viel, aber wenn die Menschen auf der Bühne dann in den Hintergrund hineinreden oder sich gegenseitig irgendetwas zuflüstern, versteht man gar nichts. Muss man vielleicht auch nicht, oder?
Goerden kann aus dem Vollen schöpfen – das Ensemble macht alles mit, sogar bravourös. Michael Dangl genießt sichtlich seine Rolle als fieser Ehemann und noch fieserer Rechtsanwalt. Seine Frau Warwara (Alexandra Krismer) leidet geheimnisvoll und in Schönheit vor sich hin, woran erfährt man nicht. Köstlich ist Michaela Klamminger als düstere Gothic-Schreiberin. Ihre Parodie auf die Sentimentlyrik hätte sogar Ernst Jandl gefallen. Claudius Stolzmann als Wlas muss sich wie ein Kindergartenkind aufführen und sich dauernd verkleiden – warum, weiß man nicht so genau. Vielleicht, um mehr oder überhaupt Aufmerksamkeit zu bekommen. Silvia Meisterle gibt eine hysterische Funzen ab, ihr Mänadentanz ist eindrucksvoll. Susa Meyer als überforderte Mutter vierer „Gfraster“ streitet mit ihrem Ehemann auf Biegen und Brechen, um gleich danach einen lautstarken Orgasmus zu zelebrieren. Martina Stilp ist die lästige Besserwisserin, die allen Gästen mir ihren Mahnungen und Zurechtweisungen auf die Nerven geht, vor der eignen Tochter (pardon, seit kruzem Sohn) kapituliert. Das ist alles sehr zeitgeistig, manchmal witzig oder mäßig lustig.
Aber – was ist Gordon bei der Rolle Joseph Lorenz´eingefallen? Einen so hervorragenden Schauspieler zum stummen Geist zu degradieren? Er muss immer wieder pudelnass auf der Bühne „erscheinen“, nähert sich spuckend und erbrechend den Sommergästen und verschwindet. Soll das der Leibeigene, der Tod oder die personifiezierte Mahnung an die verlotterte Gesellschaft sein? Dass Lorenz auch diese Rolle mit Eleganz und Bravour meistert, ist eine Sache. Dass aber ein so exzellenter Darsteller solch eine Rolle spielen muss(?), ist Verschwendung von Talent. Das soll auch einmal deutlich gesagt sein!
Freundlicher Applaus mit dem üblichen Standardgekreisch.
Spiel: Soffi Schweighofer und Markus-Peter Gössler
„Mein Gesicht ist mein Unglück. Mein Gesicht ist meine Maske, die ich nicht abnehmen kann“, sagt die alte Hedy Lamarr. Und doch nimmt ihr das Alter alles ab: Reichtum, Gesicht, Einsicht.
Die Regisseurin erzählt das Leben einer Frau mit vielen Facetten – Gesichtern. Da gibt es die schüchterne Hedy Kiesler, die vor ihrem reichen, aber tyrannischen Ehemann Fritz Mandl nach Amerika ausbüchst, dort das zweite Gesicht sich aufsetzt: das der berühmten Filmdiva, die noch weitere 5 Ehemänner verbraucht,, die eine eigene Filmfirma gründet und damit bankrott geht. Dann das Gesicht der genialen Erfinderin. Und schließlich das Gesicht der alternden, arbeitslosen Kleptomanin, die vor Gericht steht.
Berührend und ideenreich, besonders die Überlappung der (echten) Filmszenen mit der lebendigen Lamarr – in genialer Ähnlichkeit von Soffi Schweighofer gespielt – und immer wieder die alte, verzweifelte Hedy. Etwas überhaps wird leider das Leben durchlaufen, muss Markus Gössler sich in Windeseile in die diversen Ehemänner verwandeln. Da hätte man nachschärfen müssen, oder einiges weglassen.
Es trinkt, spielt und singt: Tamara Stern. Regie: Ernst Kurt Weigel, Klavier: Marcelo Cardosa Gama, Kontrabass: Mathias Krispin Bucher.
Georg Kreisler schrieb dieses „Einfraumusical“ über die imaginierte Sängerin Lola Blau 1971, als er, aus den USA zurückgekehrt, ziemlich negative Erfahrungen in Österreich machen musste. Lolas Schicksal ähnelt seinem und dem vieler Juden, die 1938 aus Österreich emigrierten.
Tamara Stern als Lola ist hinreißend und intensiv. 1938 ist Lola gerade dabei, sich in Wien eine Karriere aufzubauen, als ihr Freund sie telefonisch auffordert, dringend das Land zu verlassen. Ein Treffpunkt in der Schweiz wird ausgemacht, doch er kommt nicht. Lola reist allein mit dem Schiff in die USA. Auf dem Schiff verdient sie ein wenig Geld mit Tingeltangelauftritten. In den Staaten gelingt ihr tatsächlich eine spektakuläre Karriere, allerdings führen die Stufen oft über Betten, wo ungeliebte Liebhaber den Dank einfordern. Doch – Optimistin – wie sie ist, kann sie alle Verwundungen und Enttäuschungen „wegsingen“. Ihre Lieder sind erotisch – das gefällt den Männern -, witzig, ironisch – das gefällt allen. Manchmal, wenn die Sehnsucht nach ihrem Freund und der Heimat zu groß ist, dann singt sie ganz für sich ein jüdisches Lied. Als sie nach dem Krieg nach Wien zurückkehrt, muss sie feststellen: Es hat sich nichts geändert. Vernadern, verachten, hassen, zuschlagen – alles wie gehabt.
Tamara Stern ist eine Lola Blau, die man sofort ins Herz schließt: zuerst mädchenhaft kindisch, kokett mit Publikum, dem roten Kleidchen und den beiden Musikern spielend (Pianist Marcelo Cardoso Gama und Cellist Matthias Krispin Bucher spielen nicht nur tolle Musik, sondern tragen auch ihr Schärflein zur Komik bei!!), dann wieder schlägt die Stimmung um: Sie wird nachdenklich, traurig, selten wirklich niedergeschlagen. Dazu ist Lolas Überlebenswille zu groß. Wenn sie lacht, dann aus ganzem Herzen. Sie scheut auch nicht Klamauk, wenn sie etwa ganz „patschert“ auf dem Klavierdeckel herumkriecht in der kindlichen Hoffnung, erotisch zu wirken. .
Tamara Stern lässt das Publikum glauben, es sei ihr eigener Lebensweg, den sie darstellt. Intensiv kann sie über die Männerwelt lästern, auch die Theaterdirektoren bekommen ihr Fett ab. Wenn sie am Ende erfährt, dass ihr Freund auf offener Straße in Wien nach Kriegsende niedergeschlagen und als Jude beschimpft wurde, stimmt sie ihr „Herzenslied“ auf Jüdisch an, und das mit einer Intensität, die aufwühlt. Man trauert mit ihr.
Weitere Vorstellungen am 20. Mai und 9. Juni 2023. Eine Abend, den man nicht versäumen sollte!
Text: Tom Stoppard, Deutsch von Daniel Kehlmann, Regie: Janusz Kica, Bühnenbild und Kostüme: Karin Fritz
Tom Stoppard schrieb eine Art „Theaterdoku“ über das Schicksal zweier jüdischer Familien, vier Generationen umspannend, beginnend in den Jahren 1870, endend in den späten 1950er Jahren. Zu Beginn wird groß gefeiert, fast alle Mitglieder sehen optimistisch in die Zukunft. Besonders Hermann Merz, Chef der gutgehenden Textilfabrik Merz, hat allen Grund zur Freude und Optimismus: Die Geschäfte gehen gut, ob Jude oder Nichtjude spielt gesellschaftlich und wirtschaftlich keine Rolle. Wien ist eine aufstrebende Metropole der Kunst und Wissenschaft, Freud, Klimt, Mahler sind Namen, die man wie selbstverständlich bemüht. Ein Klimtporträt hängt im Salon. Aber Hermann Merz und die Seinen sehen die drohenden Zeichen am Horizont nicht aufkommen. Herbert Föttinger spielt diesen selbsticheren Pater familias und erfolgreichen Chef der Firma mit Autorität und Charme. Nur einer in der Gesellschaft ahnt oder weiß, dass Juden in der Welt kein sicherer Platz gegönnt ist: Ludwig Jakobowitz (Ulrich Reinthaller) ist der Realist in der Gruppe, dem aber niemand wirklich zuhört.
Der Vorhang fällt, und wenn er aufgeht, sind Jahre vergangen. Die Familie ist deutlich dezimiert und lebt zusammengepfercht in einem Raum. Als ein „Zivilist“ (Joseph Lorenz) eintritt, ist das Schicksal der Familie besiegelt: Hart, ohne Mitgefühl, gefährlich leise registriert der Beamte der neuen Partei die Namen der Anwesenden, gibt ihnen eine Viertelstunde Zeit, um einen kleinen Koffer zu packen. Danach werden sie in verschiedene Lager abtransportiert – eine der eindrucksvollsten Szenen dieses Abends
Wieder viele Jahre später: Österreich in den 1950er Jahren. In der kahlen ehemaligen Wohnung der Familie treffen sich die letzten drei Überlebenden aus der Familie. Alle anderen sind in Konzentrationslagern umgekommen oder haben Selbstmord begangen.
Der Vorhang fällt, und das Publikum zögert eine gespürte WEile mit dem Applaus. Jeder fragt sich wohl: kann man, darf man nach diesem bedrückennden Ende applaudieren. Natürlich gibt es Applaus! – Für die beeindruckende Leistung des ganzen Ensembles.
Nein, es ist kein Irrtum. Stefano Bernardin hat sich seinen Hamlet „zurechtgespielt“ – heißt: Er ist Hamle. Ja, schon, Shakespeare darf auch ein wenig über den Bühnenrand ins Publikum schauen, gerade einmal in einem Sonett oder in manchen „gscheiten“ Sätzen, verdreht und Kopf zerbrechend, wie sie eben sind bei Shakespeare. Die Sätze. Stefano Bernardin hat keine Hemmungen, keine Scheu vor dem „größten Dichter aller Zeiten“, er spielt einen frechen, jungen Hamlet, wie er ihn sieht. Auf die anderen Figuren, die er alle ebenfalls verkörpert, wirft er seinen ganz eigenen „Hamletblick“: So wird aus dem Brudermörder Claudius ein Säufer, der sich bei Bier und bayrischen Klängen im Herrscherstuhl räkelt. Aus der Ehefrau Gertrude wird eine mit dem Fächer wachelnde Tussi. Ja, das alles ist Bernardin, von einer Halbsekunde in die andere wechselt er Minenspiel, Haltung und Stimme. Dauwischen spielt er bravourös Schlagzeug, Gitarre, Trommel und wenn es sein muss, auch Flöte.
Gekonnt entblößt er die Charaktere von Rosenkranz und Güldenstern, macht sie zu kriecherischen Dummköpfen. Auch Polonius bekommt als Schleimer sein Fett weg.Kriechen, korrumpieren, verraten – das alles schimmert sehr bekannt bis in die aktuelle Gegenwart herauf. Ophelia taucht nicht auf, als hätte Hamlet vor dieser zarten Mädchenliebe zu viel Achtung. Sie ins Kloster zu schicken fällt ihm schwer. Und als er von ihrem Selbstmord erfährt, schluckt er ordentlich. Der Schluss ist wieder typisch Bernardin/Hamlet: Ein Stich von einem unsichtbaren Laertes – und weg ist Hamlet.
Viel Applaus im vollbesetzten Haus! Ein sympathisches Theater, das mit interessanten Aufführungen von sich reden macht.
Inszenierung: Felix Metzner, Bühne und Videos: Marcus Ganser
Charlie Babbitt ist ein Getriebener, seine Firma ist von der Insolvenz bedroht. Da erfährt er, dass sein ungeliebter Vater gestorben ist, und er hofft auf ein fettes Erbe. Daraus wird nichts – alles erbt sein Bruder Raymond. Charlie wußte erstens nicht, daß er einen Bruder hat und schon gar nicht, dass der in einer Klinik für Autisten lebt. Er „entführt“ ihn und hofft durch Erpressung wenigstens die Hälfte des Erbes zu bekommen. Zu Beginn dieser Entführung geht ihm dieser Bruder schwer auf die Nerven, doch mit der Zeit lernt er ihn näher kennen, erkennt am Schluss, dass er ihn nicht mehr als Geldquelle, sieht, sondern als Bruder, zu dem er eine liebevolle Beziehung aufgebaut hat.
Marcus Ganser hat auf der kleinen Guckkastenbühne ein Maximum an Atmosphäre herausgeholt: Den Hintergrund bilden Videos, die sich zur jeweiligen Situation passend ändern: Einmal begleiten Zahlen, dann Computereingeweide oder Andeutungen einer amerikanische Stadtsilhouette das Bühnengeschehen.. Auf einer Drehbühne werden nur die nötigsten Requisiten, wie Sessel, Bank, Bett herein- und ebenso rasch hinausgedreht. Dadurch bleibt das Geschehen im Fluss, fast wie im Film.
Großartige Schauspieler lassen den Film vergessen!Philipp Stix als Charlie Babbitt dreht sich vor Verzweiflung und Aussichtslosigkeit um die eigene Axe, vergeigt sogar die Beziehung zu seiner Freundin Susan (feinfühlig SelinaStröbele). Ohne Übertreibung, ganz unmerklich ändert Charlie den Rhythmus seines Charakters, lernt seinen Bruder kennen und dabei auch sich selbst. Großartig ist Leopold Selinger als autistischer Bruder Raymond! Er hält die für Autisten so typischen Bewegungen, den starren Blick und die zögerlichen Schritte, die immer gleichen Handhaltungen das ganze Stück durch. Man ist irgendwie erleichtert, als er am Ende des Stückes als Leopold Selinger den tosenden Applaus mit feinem Lächeln entgegennimmt und man festsellt, was für ein „fescher Mann“ er eigentlich ist. Auch alle Nebenrollen sind perfekt besetzt: Sibylle Kos als Lucy, Bedienung und Barfrau, Ildiko Babos als Nutte, Rechtsanwältin und Psychiaterin, Hendrik Winkler als Polizist, Pfleger und Sachverständiger und Christoph Prückner als Dr. Bruner.
Die Mischung aus Komik, verhaltener,leicht melacholischer Tragik zieht durch das ganze Stück. Berührend sind die Szenen, in denen Charlie seinen Bruder tanzen lehrt und dieser dann scheu mit Susan tanzt, von Schritt zu Schritt mehr menschliche Nähe zulässt. Heiter-komisch Szenen, in denen Raymond all die Abstürze diverser Airlines aufzählt oder sich auch als waghalsiger Chauffeur des kostbaren alten Autos erweist. Es gab viel zu lachen und vieles, das tief berührt!
Das internationale Figurenfestival ist im Schuberttheater ein fixer Termin, dieses Jahr von 14.-19. März 2023. Zu sehen ist: „ Der Wald, von dem wir träumen, ein Stück von Christoph Bochdansky. Es führt in psyhodelische Welten. Eine Reporterin taucht für ein Interview mit einem Waldbewohner in die Traumwelt ein. (s. Titelfoto)
The Quacksalver von Sofie Krog Teater aus Dänemark. Es erinnert an die Dulcamarageschichte aus der Oper „Elisir d’amore“: Ein Quacksalver verkauft seinen Wundertrank. Geeignet für Kinder ab 10J.
Secret Garden von Tilda Eulenspiel, VR-Circus. Minicircus für jeweils einen Gast
Weitere interessante Eigenproduktionen des Theaters, die man gesehen haben muss:
Die Gesichter der Hedy Lamarr, F. Zawrel-erbbioogisch und sozioligisch minderwertig, Die Welt ist ein Würstelstand (s. auch den Beitrag auf dieser Webseite)
Untertitel: Von Rittern, Eseln und anderen traurigen Gestalten – nach dem Buch von Bernhard Studler
Ein Abend nicht nur für Kinder und Jugendliche. Auch Erwachsene fanden großes Vergnügen an dieser Aufführung. „Next Liberty“ ist eine exzellente Grazer Theatergruppe, die auf hohem Niveau auch schwierige Inhalte großartig für Menschen jeglichen Alters, vorwiegend für Jugendliche, umsetzt – zum Beispiel „Faust 1“ in der Inszenierung von Nikolaus Habjan. Und nun Don Quijote!
Es war ein Abend der Sonderklasse. Gesteckt voll mit Jugendlichen von 5 bis zu 16, 17 Jahren und ebenso vielen Erwachsenen. Ein Abend voller Wunder – wie es sich für den „Ritter der traurigen Gestalt“ gehört! Obwohl der Inhalt nicht ganz leicht für Kinder ist, horchten alle gebannt zu. Und alle, auch Erwachsene, hatten ihren Spaß. Denn Daniel Doujenis brachte eine witzige, geistreiche und hintergründige Inszenierung zustande! Die sieben Schauspieler des „Next Lieberty“ spielten alle Rollen und lieferten auch die Musik (Reinhold Kogler) und die witzig -ironische Geräuschkulisse dazu. Martin Brachvogel war als Don Quijote wie aus dem Roman entstiegen, Helmut Pucher als Sancho Pansa witzig, schlau, aber nicht durchtrieben. Lisa Rothhardt, Christoph Steiner, Simone Laski, Martin Niederbrunner und Ivonne Klamant spielten mehrere Rollen und lieferten die Musik und Begleitgeräusche. Fest steht: Ein exzellentes Ensemble, mit Witz und Spielfreude!!
Doch nun zum Stück: Es öffnet sich ein sandgelbes Halbrund, das von einer Rampe eingefasst wird (Ausstattung: Vibeke Andersen). Dahinter erscheinen wechselnde Bilder von der Mancha, der Gegend, wo dieser Roman/ Stück angesiedelt ist (Video Roland Renner).Von diesen Bildern geht eine große Faszination aus: Abendstimmungen, Nachthimmel, die zerzauste und mit Windrädern bespickte Natur erinnern daran, dass diese Region Spaniens zu den ärmsten des Landes gehört. Entvölkert, entleert und die wenigen Bewohner, die geblieben sind – ohne Hoffnung, arme Bauern, Hirten, ein Wirt ohne Gäste. Studers Buch beginnt in der Gegenwart und zeigt die Menschen, wie sie heute leben. Mitten unter ihnen der Träumer, der sich von der Gegenwart abgeschottet hat und nur mehr in der mittelalterlichen Welt der Ritterromane lebt. Eines Tages beschließt er Don Quijote, Ritter von der traurigen Gestalt, zu werden. Seinen Nachbarn, den Bauern Sancho Pansa, nimmt er als willigen Knappen mit. Nun beginnt die Reise in die „Abgümde der eigenen Seele“ – er bekämpft Unrecht und überwindet Angst. Ein Abenteuer nach dem anderen wird bestanden – pantomimisch und von ironisch-witzigen Musik- und Lautgeräuschen begleitet, wie etwa der Klang der Hufe, die Kämpfe…alles so heiter und doch tiefgründig gebracht, dass der Zuseher seinen Spaß hat, aber ohne dass die Figur des Don Quijote als Volltrottel bloßgestellt wird. Im Gegenteil, seine Träume, Visionen machen ihn sympathisch, stoßen auf Verständnis – letzten Endes wird er zur Werbegestalt. Das ist der große Dreh, den der Autor Bernhard Studlar dem Stück gibt. Anders als im Werk von Cervantes, erscheint zu Lebzeiten des Don Quijote ein Buch über seine wundersamen Abenteuer und er wird als Werbeträger bestens vermarktet. (Tatsächlich werden heute von verschiedenen Veranstaltern Reisen in die „Mancha des Don Quijote“ veranstaltet.) Selbst die Hörsäle sind voll, und der Neffe Don Quijotes bekommt einen Lehrauftrag. Über Zuhörermangel kann er sich wahrlich nicht beklagen. Während alle nun ringsum von Don Quijotes Taten und Visionen profitieren, legt der Held sich hin zum Schlafen und stirbt.
Leider war das die letzte Vorstellung! Aber hier sei einmal mehr vermerkt, dass die Aufführungen des „Next Liberty“ immer von hoher Qualität sind. Und es ist eine sehr dankenswerte Initiative des Theaters Akzent, solch hochwertige Inszenierungen für Jugendliche (und -wie man feststellen kann, durchaus auch für Erwachsene) von überall her aus Österreich und anderen Ländern einzuladen.
Eine ganz andere Sicht auf Don Quijote wird das Landestheater Niederösterreich ab dem 17. März 2023 bringen. Man darf gespannt sein! Zur Lage der Region La Mancha – siehe auch meine Buchbesprecung von Sergio di Molino; Leeres Spanien.
Dramatisierung: Paulus Hochgatterer. Inszenierung: Nikolaus Habjan. Bühne: Jakob Brossmann. Kostüme: Denise Heschl. Musik: Kyrre Kvam
Ein Trio Infernal, das diesen Theaterabend zu einem Ereignis machte: Elias Canetti, der einen kafkaesken, mysteriösen Roman über den Untergang der Kultur schrieb, Paulus Hochgatterer, der dieses schwer zu entschlüsselnde Werk genial zu einer adäquaten und stimmigen Bühnenfassung formte und dann Nikolaus Habjan, der mit seiner herrlich skurrilen Regie, dem gekonntem Einsatz von Puppen und seinem feinen Sinn für Humor und menschliche Abgründigkeit dem Abend die schräge Würze verlieh.
Stimmig unterstützt wurde das Trio durch eine dezent, aber wirksam eingesetzte Musik (Kyrre Kvam), die dem grotesken Geschehen einen unirdischen Touch einhauchte. Irdisch und bewusst blass sind die Kostüme, zeitlos, weil die Figuren auch heutige sind. Bis auf den Bauschrock von Therese und den aufgesetzten Hüften. Dieser Rock ist ein wesentlicher Teil der Figur.
Alle Schauspieler, Puppen und deren Spieler – allen voran die von mir so geschätzte Manuela Linshalm (siehe meinen Beitrag „Die Welt ist ein Würstelstand“) spielen genial an der Grenze von Realität und Groteske. Bettina Kerl als Professor Kien ist unwirklich, außerhalb jeder Realität. Er lebt in und mit seinen Büchern. Was in der Welt passiert, geht an ihm spurlos vorbei. Eine Anmahnung Canettis an die Intellektuellen, die den Eintritt Hitlers nicht rechtzeitg wahrgenommen haben? Seine Gegenspielerin ist Therese Krumbholz. Von Julia Kreusch zu einer schrillen Figur geformt, ihre Sprache und Bewegungen könnten von einer lebendigen Puppe sein. Ihre grotesken Aktionen sorgen für Lacher im Publikum. Apropos Sprache: Paulus Hochgatterer ordnete jeder Figur eine charaterisierende Ausdrucksweise zu. Da hört man den Urwiener im Herrn-Karl-Ton à la Helmuth Qualtinger, Polizei und Kommandant (Tim Breyvogel) scheinen aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ entstiegen zu sein. Festgezurrt in seiner verbalen und äußeren Hässlichkeit ist der Hausbesorger Pfaff – ein Puppen-Monstrum, bedrohlich und primitiv – gekonnt bespielt von Manuela Linshalm. Witzig und ebenso bedrohlich wirkt Laura Laufenberg als Fischerle. Wenn im zweiten Teil fast tierähnliche Monster die Bühne bevölkern, dann scheint der wahnsinnig gewordene Kien noch der Normalste zu sein. Wenn er am Ende sich und seine immaginäre Bibliothek anzündet, dann kündigt sich das Inferno des Naziregimes und des Zweiten Weltkrieges an. Es endet mit einer gruseligen Aktualität: Wo sind die Mahner gegen den Krieg? Verbrennen wir gerade unsere eigene Kultur?
Einziger Wermutstropfen: Es war die letzte Aufführung!