Zuerst meine – sehr persönliche – Reihung der diesjährigen Aufführungen:
Platz 1 : Tennessee Williams: Endstation Sehnsucht
Platz 2: A. Schnitzler: Das Vermächtnis
Platz 3: Franz Werfel: Cella
Platz 4: Joseph Roth: Das falsche Gewicht
Platz 5: Kabarett: „Schau’n Sie sic das an!“
Meine Begründungen und Kommentare:
Zu T. Williams, Endstation Sehnsucht
Der „Neue Spielraum“ erweist sich als ideale Bühne: Wenig Umbauten, die Zuschauer sind ganz nahe am Geschehen, was eine starke Herausforderung für die Schauspieler ist, der sich aber alle grandios stellen. Allen voran Petra Morzé. Sie kennt keine Scheu, die Schwächen der Blanche voll auszuspielen. Zunächst ist sie ein flatternde, eitle Frau, egoistisch bis an die Grenze des Erträglichen. Ohne Scham flunkert sie ihrer Schwester (Johanna Arrouas) die Landlady, die tolle Lehrerin vor, die eine Auszeit braucht. Jedoch das Bild, das sie von sich für die anderen und für sich selbst als Schutzschild gegen die Wirklichkeit, die sie nicht erträgt, entwirft, wird von Minute zu Minute durchsichtiger, bis es gegen Ende ganz auseinanderbricht. Faszinierend, wie Petra Morzé in dieser Rolle drinnen ist. Wie sie verzweifelt versucht, ihren seelischen Zusammenbruch aufzuhalten, ihr Selbstbild vor sich und den anderen zu retten. Berührend, ohne je in die Gefahr des Kitsches zu geraten, sind die Szenen zwischen ihr und Mitch (Dirk Nocker): In einer Ehe mit ihm sieht sie ihre letzte Hoffnung, Rettung vor dem totalen Nichts. Doch er weiß bereits die Wahrheit über ihre Vergangenheit. Verzweifelt bittet sie ihn um die Ehe, erniedrigt sich. Doch er weist sie zurück. Dirk Nocker gelingt es, mit wenigen Gesten und einer stillen Mimik diesen vom Mutterterror geplagten Mann zu spielen. Er liebt Blanche, aber die Mutter würde die Ehe nie gut heißen. Innig ist das Verhältnis zu ihrer Schwester. die ihr blind vertraut. Johanna Arrouas spielt die Schwester in berührender Schlichtheit. Zerrissen zwischen ihrer Liebe zu Blanche und der sexuellen Abhängigkeit von ihrem Ehemann versucht sie zu vermitteln. Ihr schlichtes, undramatisches, dafür aber um so dichteres Spiel überzeugt vollkommen. Für den erkrankten Daniel Jesch als Stanley sprang Tobias Voigt ein und machte seine Sache hervorragend. Brutal entlarvt er Blanche, reißt ihr die Maske herunter, zwingt sie mit körperlicher Gewalt zum Geständnis. Blanche-Morzé ist ein offenes Buch, zeigt ihre Gefühle und Träume bis zur entblößenden seelischen Nacktheit.
Das schönste Kompliment, das man dieser Aufführung (Regie Beverly Blankenship) machen kann: Kein Zuschauer sprach nach der Vorstellung mehr von der legendären Verfilmung mit Vivien Leigh und Marlon Brando!
Schnitzler: Das Vermächtnis
Das wenig bekannte Stück Schnitzlers wird von vier Schauspielern getragen: Joseph Lorenz als aalglatter Karrieremann, Regina Fritsch als die brave Ehefrau, die gegen ihr Gewissen sich dem Befehl ihres Ehemannes unterordnet, Stefanie Dvorak als Emma Winter und Nannette Waidmann als die Geliebte Hugos. Zwischen den Vieren entwickelt sich ein fein gesponnenes Drama: Wie reagiert eine gut bürgerliche Familie (auch heute noch), wenn eine fremde Person im Haus aufgenommen werden muss. Ein Stück für klassische Schauspielkunst.
Franz Werfel: Cella. Bühnenfassung: Nicolaus Haag
Das Romanfragment entstand 1938/39. Mit unglaublicher Hellsichtigkeit beschreibt Franz Werfel den Weg Österreichs in den Nationalsozialismus. Am Beispiel des Schicksals des Rechtsanwaltes Bodenheim und seiner Frau und Tochter spielt er die ganze Skala von politischer Brisanz, Gefahr, Entwicklung und Schwierigkeit, sich in Zeiten wie diesen richtig zu entscheiden, durch.
Geschickt lässt Werfel alle in dieser Zeit typischen Figuren auftreten: Den Oberstleutnant, der gegen Hitler kämpfen will und die Rettung des Staates durch Otto von Habsburg erhofft(Toni Slama), den Juden, der nicht glauben will, dass er in Gefahr ist (großartig August Schmölzer), die hellsichtige Ehefrau (Julia Stemberger), den ebenso klar vorausschauenden Musikprofessor (Martin Schwab) und den typischen Wendehals, der es sich richtet(Sascha Oskar Weis). Berührend auch André Pohl als jüdischer Industrieller, der das drohende Unheil voraussieht, aber nicht abwenden kann.
Solide Regie: Michael Gampe
Literatur in Szene: Joseph Roth: Das falsche Gewicht
Regie: Renate Loidolt
Die Erzählung Roths lebt von den zahlreichen Figuren, die alle Typen aus dem fernen Galizien sind. Schmuggler, Betrüger, Kneipenwirte und Zigeuner leben gut miteinander, keiner kontrolliert den anderen. Bis der neue Eichmeister Anselm Eibenschütz plötzlich frischen Gesetzeswind bringt. Doch nicht lange, der Kneipenwirt weiß ein probates Mittel gegen die Redlichkeit des Neuen: die schöne Zigeunerin Euphemia. Das Drama beginnt. Gut erzählt und gespielt von Josph Lorenz als Erzähler, Kneipenwirt und in anderen Rollen. Marcello de Nardo als Eichmeister hatte diesmal Probleme mit der Wortdeutlichkeit. Trotz Mikroport verstand man ihn streckenweise nur schlecht. Großartig Julia Stemberger als Zigeunerin.
Schau’n Sie sich das an!“ – da gibt es nicht viel zu sagen. Ein Abend, an dem man mit Wehmut an Farkas und Waldbrunn zurückdachte. Sehr bemüht, aber eben nur bemüht!