Gerhard Roth, Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier. S. Fischer

Es hat schon Tradition, in Venedig sterben zu wollen. Thomas Mann hat den „Tod in Venedig“ in höchste literarische Form gegossen. Seither wird das Klischee der morbiden Stadt immer wieder bemüht. Leider ist Venedig ja selbst zum Sterben verurteilt. Warum schreibt eigentlich kein Autor einen Text über den Tod Venedigs?

Gerhard Roth zeichnet seinen Protagonisten Emil Lanz als müden Typen. Als Lebensmüden. Seine ewig gleichen Wege am Lido mag er nicht mehr gehen. Verständlich, denn am Lido reizt nichts die Phantasie an und erfrischt nichts das Denken: Ein Strand, voll mit Schirmen, Menschen in Liegestühlen, horrible Betonkonstruktionen aus den 60er Jahren, deren Zweck sich nicht mehr erschließt , und seit Jahren geschlossene Nobelhotels. Lanz beschließt zu sterben. Aber nicht auf dem Lido – der ist ihm als Sterbeort doch zu banal. Er fährt nach Torcello, ein Kleinod unter den Inseln, wenn nicht gerade Touristenhorden darüber trampeln. In der Basilica Santa Maria Assunta betrachtet er noch einmal das Goldmosaik über das „Jüngste Gericht“. Die Teufel sind aktiv…Er beschließt, sich einen ruhigen, stilvollen Platz zum Sterben auszusuchen. Die Pistole ist in seiner Jacke wohl verwahrt. Doch leider schläft er sturzbetrunken ein, bevor er sich erschießen kann. – Gerhard Roths Humor ist wahrhaftig teuflisch!

Als Lanz erwacht, wird er Zeuge eines Mordes und weiß nicht so recht, ob er noch lebt oder sich schon ins Jenseits befördert hat. Dieses Gefühl der Unsicherheit, des Schwebens zwischen Realität und eventuellem Jenseits verlässt ihn nun nicht mehr – auch den Leser nicht, der in gleicher Weise wie der Protagonist verwirrt durch Venedig schwankt. Sterben will Lanz nun nicht mehr. Der Schock über den miterlebten Mord hat ihm das Leben wieder lebenswerter gemacht. Tod und Leben sind Nahkampferfahrungen. Weiter geht es nicht in Donna Leon -Manier. Denn die Aufklärung des Mordes verdünnt sich immer wieder im Strudel der sich verzweigenden Erzählstränge, wird unwichtig, um irgendwann später wieder aufgenommen zu werden. Der Roman mäandert zwischen den Gassen und Kanälen, zwischen geheimnisvollen Figuren, die aus Shakespeares „Sturm“ entlehnt sein könnten, hin und her. Ab da empfiehlt es sich, in kleinen Dosen zu lesen. Denn lange hält man die ausufernden, oft auch ermüdenden Exkursionen in Metaphysik, in unbekannte Sphären der Literatur nicht aus. Tröstlich ist der Schluss: Lanz bekommt von seinem geheimnisvollen Gönner, der ähnlich wie Prospero im Sturm die Fäden des Geschehens lenkt, den ehrenvollen Auftrag, den ganzen Shakespeare zu übersetzten. Und da schließt sich auch der Titel des Romans auf, der ein Zitat aus dem Drama „Der Sturm“ ist. Glücklich macht sich Lanz ans Werk.

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