Grig(or Shashikyan): Jesus‘ Katze. Geschichten von den Straßen Jerewans

Aus dem Armenischen von Anahit Avagyan und Wiebke Zollmann.

Kolchis Verlag

In Jerewan mir blieb die Luft weg. Nicht so sehr wegen der Abgase, sondern eher vor Staunen. Nach der tagelangen Fahrt durch Natur pur sah ich meiner Ankunft mit gewissem Bangen entgegen. Ich fürchtete, in eine Stadt mit nur grauen Plattenbauten in russischer Einheitsästhetik zu kommen. Die gibt es natürlich. Doch Jerewan überraschte total und gab  zur Begrüßung den Blick auf den Ararat frei. Dieser Berg hat etwas von Ewigkeit an sich. Hier soll Noah mit seiner Arche gelandet sein, rund um ihn entstand das armenische Reich. Dass der Berg heute den Türken gehört, schmerzt die Armenier sehr und lässt ihn umso mehr zum Mythos werden. Sehnsuchtsvoll schauen sie tagtäglich  über den Streifen Niemandsland zu ihm hinüber. Er scheint ja an manchen Tagen zum Greifen nah. Und doch unerreichbar.

Siebzig Jahre russischer Herrschaft haben natürlich die Kultur und Lebensform geprägt. Kluge und mutige Pädagogen wussten um die Gefahr der Normierung. Um Kinder von ästhetischen Stereotypen russischer Prägung zu befreien und ihnen das Bewusstsein eigener Identität zu vermitteln, gründeten mutige Pädagogen Mitte der Siebzigerjahre das Kinderkunstmuseum. Was so harmlos klingt, war eine gewagte Sache. Denn die Russen verboten künstlerische Eigeninitiativen. In privaten Ateliers konnten Kinder zwischen 5 und 12 Jahren frei arbeiten, zeichnen, malen, sticken oder Theater spielen. Viele, die heute angesehene Künstler in Armenien und im Ausland sind, haben  hier ihre künstlerische Laufbahn begonnen und  die Welt mit ihren eigenen Augen sehen gelernt. Deshalb ist dieses kleine Museum ein wichtiges Zeugnis der Selbstbehauptung.

Kunst im öffentlichen Raum spielt in Jerewan eine große Rolle. Es scheint, als ob die Stadt darin ihre Identität findet.  Überall stehen Denkmäler oder Skulpturen, wie etwa die große Dicke von Fernando Botero. Nicht zu vergessen die Genozid-Gedenkstätte, die wie eine schlichte, begehbare Struktur gebaut ist. Oder die  „Kaskade“, ein beliebter abendlicher Treffpunkt der Jerewaner. Über fünf Ebenen steigt man hoch genießt die Aussicht und die Kunstwerke, die ein reicher Armenier gestiftet hat.

Jerewan und im Dunst der Berg Ararat zu ahnen

©Silvia Matras

Ob der junge armenische Autor Grig (die ersten vier Buchstaben seines Vornamens), der mit dem Erzählband „Jesus‘ Katze“ viel Anerkennung erntete, auch in der geheimen Kunstschule seinen künstlerischen Weg nahm, weiß ich nicht. Fest steht, dass die Armenier ihr ganz eigenes Kunstverständnis und Kreativität trotz russischem Einfluss entwickelt haben. Dieser Erzählband ist dafür das beste Beispiel. Die Geschichten handeln von Menschen „am Rande der Gesellschaft“, wie es allgemein euphemistisch heißt. In Wahrheit sind es Menschen, die am Rande ihres Lebens stehen, aber ihren Stolz bewahren. So in der ersten Geschichte „Der kleine Mann“, die wohl zu den berührendsten des Bandes zählt. Sie handelt von einem Maler, der immer die gleichen Wolkenbilder malt, sie aber unterschiedlich benennt. Still, ohne für sich zu werben, stellt er sie in dem Park im Zentrum aus. Menschen gehen vorbei, keiner kauft. Bis er am Schluss alle vor der Kunstkaskade verschenkt, die Aktion in einem eigenartigen Tanz unter den Schneeflocken begleitet. Vielleicht hatte er den Verstand verloren.

Die einzelnen Geschichten steigern sich in der Skurrilität immer mehr, es kommt der Punkt, an dem man aussteigt, weil man den Kapriolen des Autors nicht mehr folgen kann. Trotzdem – dieses Buch ist wie ein Seelenspiegel der Armenier, spiegelt ihren Stolz, ihre Phantasie, ihre Überlebensstärke wider. Deshalb ist es wervoll.

http://www.kolchisverlag.ch