Hans Pleschinski, Wiesenstein. C.H.Beck Verlag

Auf 544 Seiten lebt der Leser das langsame Sterben Gerhart Hauptmanns mit. Der Verlag nennt das Buch einen Roman. Passender wäre „Romanbiografie“. Denn Pleschinski hat genauestens recherchiert und nur wenig der Phantasie überlassen. Diese Genauigkeit ist das Plus und das Minus des Werkes. Denn offenbar wollte der Autor auf kein einziges Detail seiner  Forschungen verzichten. Was teilweise zu einer abundanten Information führt, vor der so mancher Leser kapitulieren könnte. Wer sind die intendierten  Leser dieses „Romans“? – Einerseits Germanisten, die sich für das letzte Lebensjahr des Dichters interessieren. Andrerseits Historiker, die Genaueres über die letzten Kriegsmonate nach der Zerstörung Dresdens und das Schicksal Schlesiens wissen wollen.

Der schwer kranke Gerhart Hauptmann kann dem brennenden Dresden entkommen. Er will in seine geliebte Villa Wiesenstein im Riesengebirge, in der Hoffnung, dort in Frieden sterben zu können. Begleitet wird er von seiner (2.) Ehefrau Margarete, einem Heilmasseur, einer Sekretärin und einer Zofe. Trotz der immer schwieriger werdenden politischen Lage – in Schlesien weiß niemand, wie es nach dem Zusammenbruch des „tausendjährigen Reiches“ weitergehen wird, wem Schlesien gehören wird – versucht das Ehepaar so etwas wie Normalität zu leben. Dazu gehören karge, aber regelmäßige Mahlzeiten, zu denen der Butler mittels Gongschlag ruft, und Diskussionen über das Werk Hauptmanns. Dabei sucht man eifrig nach Stellen im Werk des Dichters, die seine kritische Haltung gegenüber dem Naziregime bestätigen sollen. Man weiß ja nie, welche Machthaber in Zukunft das Schicksal Hauptmanns bestimmen werden. Dass er Kontakte zu politischen Ungeheuern wie Hans Frank hatte, macht Sorgen. Als die Rote Armee näher rückt, drehen sich die Gespräche nur um ein Thema: Was kann Hauptmann vorweisen, um als politisch unbescholten zu gelten? Und wird allein sein Name ihn und sein Gefolge vor der Wut der Plünderer schützen?

Als das Inferno fast schon die Villa Wiesenstein erreicht, da scheint der Autor die Kontrolle über sein Werk zu verlieren. Fast wirkt es, als fände er Gefallen an der Schilderung der maßlosen Gräuel. Mit Akribie schildert er die Not der Flüchtenden, die Toten am Wegrand, zählt die Selbstmorde auf. Als die Russen einmarschieren, wird der Horror neuerlich überdeutlich ausgeführt. Mit dieser Überfütterung an grauenvollen Einzelheiten geht die Gefahr einer gewissen Banalisierung einher. Gekonnte Reduktion wäre mehr!

Gerhart Hauptmann erfährt die Gnade eines raschen Todes. Er darf in seiner Villa Wiesenstein sterben. Danach erfolgt die Evakuierung der gesamten Habe und des Personals.