Joseph Roth: Hiob. Burgtheater

Am besten, man vergisst Roths Roman und sieht die Aufführung mit unverstelltem Blick, ohne Erinnerung daran, mit welchem Leid Roth seine Figuren erfüllt hat und wie sehr man dadurch erschüttert wurde.

Leiden müssen in der Inszenierung alle. Schauspieler, weil es der Text so will, Zuschauer, weil die Aufführung viel zu lang ist.

Zu Beginn fasziniert das scherenschnittartige Bühnenbild (Stefan Hageneier): Auf einer ins Unendliche gähnenden Leere bewegen sich die Menschen, verloren in ihrer Einsamkeit. Amerika leuchtet als Hoffnungsland in hellem Schriftzug, dann wieder als Land, das keine Heimat sein kann, weil zu fremd, in schwarzen Großbuchstaben. Aha, denkt man, der Regisseur Christian Stückl setzt auf Abstraktion, um dem Pathos zu entgehen. So sieht man mehr interessiert als geschockt zu, wie die drei Geschwister den epileptischen Bruder Menuchim (Tino Hillebrand) ertränken wollen. Man sieht gerührt zu, wie der Vater Mendel Singer seinen Sohn füttert und versucht, ihm Worte zu entlocken. Vergebens, denn mehr als „Mama“ bringt Menuchim nicht heraus. Man staunt über die Stärke und Klarheit von Deborah Singer (großartig Regina Fritsch), die sich gegen ihren Mann auflehnt, der nur in seinen Schriften lebt und den der Glaube weltfremd macht.

Der eine Sohn will zu den Soldaten, die Tochter treibts mit den Kosaken. Mendel und seine Frau müssen raus aus Russland – die Notwendigkeit der Flucht lässt der Regisseur beiseite. Das Geld reicht nur, um einen Sohn mitzunehmen. Welchen mitnehmen? Welchen zurücklassen? Ab da vermisst man die Tragik, die diesem Roman innewohnt. Hier waltet eher der Zufall als ein schweres Schicksal. Menuchim bleibt unversorgt zurück – geht halt nicht anders. Der Sohn, den man nicht freikaufen kann, wird Soldat. Geht halt nicht anders.

Nach der Pause wachen alle in Amerika auf. Nun spult Michael Sturminger alle Amerika- und Flüchtlingsklischees durch. Ab da ist die Spannung draußen, man wartet nur auf das unglaubliche und unverhoffte Erscheinen Menuchims. Er ist dann kein Retter, sondern ein knochentrockener Karrierist. „Ich muss jetzt gehen. Ich habe gleich Orchesterprobe“, sagt er zu seinem Vater, der sein Glück noch gar nicht fassen kann. In dieser Szene verspielt Sturminger viele Chancen: Mendel Singer – noch ganz in der Rolle des Gottverleugners und Verzweifelten, erkennt Menuchim nicht sofort. Langsam dämmert ihm, wer vor ihm steht. Diese Szene müsste vor Spannung knistern (ähnlich wie die Erkennungsszene zwischen Elektra und Orest). Wenn sie daneben geht, weil zu banal, dann deswegen, weil alle – inklusive dem Regisseur – Angst vor Pathos haben. Aber wer sich an diesen Roman wagt, der muss Mut zum Pathos haben. Sonst wird’s nichts.

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