Kultursommer Semmering: Nicole Beutler und Joseph Lorenz: Dekadenz und Doppelmoral

Das Motto, das zu dieser Lesung passt: „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“ (Arthur Schnitzler) Gleich ins volle Vergnügen mit Schnitzlers „Reigen“ – Szene der beiden Eheleute. Im Bett. Er ein Heuchler, wie er im Büchl steht. Sie, die gespielte Naive hats faustdick hinter den Ohren. Sie treibt ihn mit ihrer bohrenden Fragerei immer mehr in die Enge. Er – als letzte Rettung: „Sie ist tot!“ Gemeint ist die Freundin der Ehefrau, mit der er ein Gspusi hatte. Lügen und heucheln können beide. Beide wissen, dass der andere lügt!

Mit dem heute fast vergessenen Wiener Schriftsteller Raoul Auernheimer (1986-1948) spielt das Paar das in Wien so beliebte Klatsch und Tratsch – Spiel „Wer mit wem, wann, wie lange?“ . Die beiden richten die gesamte Gesallschaft vom Baron abwärts aus. „Ausrichten“, „tratschen“ – eine Lieblingsbeschäftigung nicht nur der Wiener!

Das Zuckerl: „Weihnachtseinkäufe“ aus „Anatol“ von Arthur Schnitzler. Beide standen in dieser Rolle schon gemeinsam auf der Bühne. Man spürt, jeder Satz, jedes Lächeln sitzt. Nicole Beutler übernimmt die Führung als „Gnädige Frau“ – zuerst ganz schön eingeschnappt, um nicht zu sagen aggressiv beleidigt. Dann wehmütig. Anatol in feiner Ironie verfolgt den Stimmungswechsel bis hin zur leisen Wehmut auf beiden Seiten. Da klingen Töne an, die wir im Publikum kennen und lieben: Man könnte den beiden noch lange zuhören. Vielleicht hätte sie doch ….vielleicht er früher doch—alles bleibt in Schwebe. Was für ein feines Kammerspiel! (Wer den aktuellen „Anatol“ in Reichenau erlebt hat, der wird diese Szene doppelt schätzen und genießen!)

Köstlich Joseph Lorenz als vor Schmalz triefender Steiger ohne Erfolgschancen in Auernheimers „Eine mondäne Frau“.

Das furiose Finale: Schnitzler Dramolett „Halb zwei Uhr“ – sie eine lästige Zicke, die die Geduld des Liebhabers aufs schärfste strapaziert – er ein geduldiger Trottel.

Unterm Strich: Liebe ist auch nur ein Wort – aber ein Motor und eine Entschuldigung für Vieles! Für Heuchelei, Lüge, Aggression, Spiel und noch einmal Spiel! Am Ende fragt man sich: Was haben nur alle mit dem überstrapazierten Begriff „Liebe“?

Mit dem richtigen Schuss an Ironie und Witz gespielt, boten beide ein Kammerschauspiel zum Thema: Wie wir uns selbst belügen und dem anderen ein Ich vorspielen, das es so nicht gibt

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