Charlotte Salomon – eine faszinierende Persönlichkeit, von der Autorin Margret Greiner faszinierend in eine Romanbiografie gefasst. Wieder einmal hat die Autorin bewiesen, dass sie durch intensive Recherchen, hohe Einfühlsamkeit und starke Sprachbilder einen Charakter dem Leser in die Seele schreiben kann. Charlotte Salomons Schicksal wurde während der Salzburger Festspiele 2014 in dem gleichnamigen „Sing-Spiel“ von Marc-André Dalbavie auf der Bühne der Felsenreitschule inszeniert. Im nachfolgenden Jahr zeigte das Rupertinum in Salzburg einen Großteil ihrer Bilder.
Charlotte Salomon wurde 1917 in Berlin in eine großbürgerliche, jüdische Familie hineingeboren. Früh schon wurde ihr Mal- und Zeichentalent erkannt. Wegen anhaltender Diskriminierung und Gefährdung des Lebens schickten ihre Eltern sie 1939 zu den Großeltern nach Villefranche in Südfrankreich. Hier beginnt sie die Stationen ihres Lebens in vielen hundert Gouachen und Texten aufzuarbeiten. Malen wird zur Lebensbewältigung und hilft ihr, die Angst einzudämmen. 1943 heiratet sie Alexander Nagler. Beide werden noch im selben Jahr verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo sie – im fünften Monat schwanger – ermordet wird. Ihr Ehemann stirbt 1944 im Lager.
Im Leben dieser Künstlerin war der Selbstmord ein alles beherrschendes Thema. Ihre Mutter, Großmutter und eine Tante hatten sich das Leben genommen. Sie dagegen ist entschlossen, diesem Fluch nicht zu erliegen. Auch in der größten seelischen Not in Villefranche, nach dem Selbstmord der Großmutter und dem natürlichen Tod des Großvaters gibt sie sich nicht auf. Sie schließt sich über Monate in eine Kammer ein, geht kaum aus und malt, malt, malt. Malen ist das Heilverfahren, mit dem sie sich vor Ängsten schützt und in dem sie alle Verluste in ihrem kurzen Leben aufarbeitet.
Margret Greiner findet großartige Sprachbilder für den Malprozess selbst und die Interpretation der Bilder.(Dem Verlag sei gedankt, dass ein reiches Bildmaterial abgedruckt werden konnte!) Sie taucht in die Seele der Künstlerin ein. Ihre Sprachkraft ist der Begabung und dem Charakter Charlottes gewachsen. Deshalb darf sich die Autorin auch die intimsten Gedanken Charlottes aneignen. „Bilder fielen in sie ein..“(S 261) heißt es da, und der Leser erlebt durch die immense Sogwirkung der Sprache haut- und seelennah die Qualen und Gedanken der Künstlerin mit. Für Charlotte Salomon hieß malen existieren und das Leben verstehen. „Alle Wege lernte ich gehen und wurde ich selbst“ schreibt sie und titelt ihr Werk: „Es ist mein ganzes Leben“.
Silvia Matras empfiehlt dieses Buch allen, nicht nur den Kunstinteressierten. Es kann auch als „Zeitzeugenbuch“ gelesen werden, als lebendiges Zeugnis über die Gräuel der Nazizeit. Wobei Margret Greiner es vermeidet, dem Horror dieser Zeit Sprache zu verleihen . Indem sie diesen ausspart oder nur in nüchternen Fakten bestehen lässt, ist er um so stärker präsent.
Weitere Bücher von
Margret Greiner: Emilie Flöge. Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts, K&S Verlag
Margret Greiner: Charlotte Berend-Corinth und Lovis Corinth. Herder Verlag