Peter Shaffer, Equus. Theater Scala.

Auch heute noch, fast fünfzig Jahre nach der Uraufführung am britischen Nationaltheater, schockiert das Stück. Nicht jeder Zuschauer kann den Nacktszenen, den homoerotischen und an Sodomie anspielenden Szenen gelassen zusehen. Doch im Gegensatz zu den 7oer Jahren des vorigen Jahrhunderts ist man nicht über die Tatsache geschockt, dass ein 17 – jähriger Junge ein Pferd wie einen Gott verehrt und sich in einem orgiastischen Ritt gleichsam mit ihm vereint, sondern man ist geschockt, wie der Junge so sehr in Einsamkeit und Verzweiflung getrieben werden konnte, dass er sich diesen Ersatz für fehlende Wärme und Gefühle sucht.

Alan Strang (mutig und mit intensivem, körperlichem Einsatz von Angelo Konzett gespielt) wird in die Jugendpsychiatrie eingeliefert, nachdem er drei Pferden die Augen ausgestochen hat. Unter der kundigen Führung des Psychiaters Martin Dysart (hervorragend: Anelm Lipgens) löst er sich aus der Schockstarre und beginnt sich zu erinnern, bis er die ganze unheilvolle Nacht offen ausagiert. Ist das ein Weg zur Heilung, fragt sich Dysart? Was heißt überhaupt geheilt? – Dem Menschen seine Fähigkeit zu leiden, zur Leidenschaft zu nehmen und ihn in eine öde Normalität führen, ihn zu einem braven Bürger zu machen, der nichts mehr empfinden kann? Der Autor führt die Figuren an die Grenzen der Psychiatrie, formuliert die Zweifel des Psychiaters und stellt damit die Grundsatzfrage: Was kann Psychiatrie leisten? Welchen Menschen soll/darf sie aus dem Kranken machen? Was heißt „gesund“ und „krank“? Fragen, die sich auch der schizophrene Schriftsteller Thomas Melle in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ stellt. (Joachim Meyerhoff hat es genial auf der Bühne umgesetzt)

Dem Regisseur Sam Madwar gelang eine dichte, beklemmende Inszenierung. Er stellte ein Holzpodium in die Mitte der Bühne, umgeben von Bänken, auf denen die Schauspieler auf ihren jeweiligen Einsatz warten. Einmal ist es der Behandlungsraum, dann der Stall mit den Pferden oder auch das Zuhause von Alan. Mit diesem nüchternen Bühnenbild nimmt Sam Madwar die Schwüle, die sich vielleicht einstellen könnte, vollkommen heraus. Nichts lenkt ab von dem intensiven Spiel der Darsteller, die alle großartig sind: Birgit Wolf als bigotte Mutter, die ihren Sohn in eine Art religiösen Wahn treibt. Christoph Prückner als Vater, der gegen den religiösen Fanatismus seiner Frau und seines Sohnes nicht ankommt. Großartig die drei Pferde, muskulöse Tänzer in schwarzen Strapsen, um das homoerotische Element zu betonen (Tom Wagenhammer, Eduard Martens, Bernardo Ribeiro). Den Mut, auf dem Mannpferd nackt zu reiten und den Orgasmus voll auszuagieren muss man an dem jungen Angelo Konzett voll bewundern. Ebenso auch Angela Ahlheim, die als junge Pferdenärrin Jill den schüchternen Alan zum Sex verführen will. Da er sich aber von den Pferden beobachtet fühlt, misslingt der Sex total. Aus Wut darüber sticht Alan den Pferden die Augen aus.

Am Ende bleiben ein erschöpfter und von Zweifeln an seiner Methode gequälter Psychiater und ein hilflos am Boden liegender, von allen Schutzhüllen entblößter Alan zurück. Und ein tief berührtes Publikum, das mit viel Applaus seine Bewunderung ausdrückt, aber auch die eigene Beklemmung wegklatscht.

Weitere Aufführungen bis zum 22.11. 2019 jeweils Di-Sa um 19.45h

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