Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Mit einem Nacwort von Elke Heidenreich,
Die Autobiographie einer Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, geschrieben unter dem Deckmantel eines „Romans“. Sibilla Aleramos (1976-1960) Roman erschien 1906 und erregte in ganz Europa großes Aufsehen. Sie gilt als Wegbereiterin des Feminismus in Italien.
Die Icherzählerin Rina verlebt ihre Kindheit in Mailand, ist der Liebling ihres Vaters, den sie vergöttert. „Die Liebe zu meinem Vater beherrschte mich“, gesteht sie gleich zu Beginn. Er wiederum schätzt ihre schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz. Emotional ist er jedoch sehr distanziert. Von ihrer Mutter, die unter Depressionen leidet, erfährt sie auch keine Liebe. Als sie 12 Jahre alt ist, wird der Vater in den Süden in ein kleines Dorf versetzt, wo er die Leitung einer Glasfabrik übernimmt. Die 12jährige Rina sucht sich in der neuen Umgebung vergeblich zurechtzufinden. Noch sehr jung beginnt sie in der Fabrik mitzuarbeiten und erweist sich als sehr tüchtig. Aber ihren Vater als Ansprechpartner verliert sie immer mehr. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie glaubt, in einen attraktiven Angestellten verliebt zu sein. Als er sie vergewaltigt, muss geheiratet werden. Da ist sie gerade 17 und steht nun unter der Knute dieses Mannes. Ihre Befreiungsversuche , wie Krankheit oder Streit, enden immer mit Bestrafung Aus Eifersucht verbietet er ihr sämtliche Kontakte zu Menschen, die ihr lieb sind. Isolation und Depression scheinen ihr Schicksal zu sein, ähnlich dem ihrer Mutter. Immer wieder sagt sie sich, sie wird weggehen. Nach zehn Jahren Ehegefängnis hat sie endlich die Kraft, sich zu trennen. Allerdings verliert sie ihren Sohn, der beim Vater leben muss. An diesem Tiefpunkt ihres Lebens endet der Roman.
Sibille Aleramo hält sich mit Zeitungsartikeln finanziel über Wasser. Sehr bald schon hat sie Zutritt zu literarischen Kreisen, ihre Meinung wird allgemein anerkannt. Um effektiver für die Rechte der Frauen kämpfen zu können, tritt sie in die Kommunistische Partei ein. Sie stirbt 1960 mit 83 Jahren. Heute gelten ihr Roman und ihre Schriften als frühes Zeugnis für die Emanzipation einer Frau, der lange Zeit der Begriff selbst noch unbekannt war. Leider strapazieren die immer wiederkehrenden vergeblichen Fluchtgedanken ein wenig die Geduld des Lesers. Man möchte ihr zurufen: Jetzt verlass endlich den Kerl. Aber in diesen Zeiten des anbrechenden Jahrhunderts war eine Trennung schier unmöglich. Da gehörte eine gehörige Portion Kraft dazu, die sie dann endlich unter viel Schmerzen aufbrachte.