Theater Akzent: Martina Gedeck liest „Angst“ von Stefan Zweig

Wenn zwei Größen ihres Faches zusammenwirken, dann ensteht etwas Großes, Einmaliges: Stefan Zweig schürft mit seiner sensiblen Sprache bis in die Tiefe der menschlichen Seelen. Marrtina Gedeck erweckt diese Literatur zum erlebbaren Leben.

Leider hatte Martina Gedeck bei Dreharbeiten ihre Stimmbänder so angestrengt, dass sie sich eine Kehlkopfentzündung eingehandelt hatte. Nichts destotrotz las sie – tapfer durchhaltend und mit vollem Einsatz. Ihre leicht raue Stimme passte sogar ausgezeichnet zum Thema – das da ist: Eine von Angst gepeinigte Frau, die sich für ihr kurzes Techtelmechtel mit einem Geiger schämt, es vor ihrem Ehemann geheim hält. Die Angst vor Entdeckung treibt sie fast in den Selbstmord.

Man sitzt zwar im Theater, aber man lebt die Angst Irenes ganz tief mit, sieht sie mit nervösen Fingern nach dem Geld für die vermeintliche Erpresserin suchen, erlebt sie, wie sie ihren Mann mit übertriebener Heiterkeit zu täuschen versucht, sieht die Szene vor sich, in der sich ihr Mann über die Schlafende, von Albträumen Geplagte, beugt und besorgt ihren Namen ruft. Spürt die Sorge ihres Mannes, der wartet, dass seine Frau sich ihm öffnet, ihm ihren Ehebruch, von dem er längst schon weiß, gesteht. Er hofft auf ein alles klärendes Gespräch und Versöhnung. Wir erleben Irene durch die Straßen von Wien laufen, ratlos, sich vor ihrem Exgeliebten demütigen, fast ohnmächtig in die Apotheke wanken, wo sie endlich das ersehnte Morphium bekommt, das ihrem Leid durch Selbstmord ein Ende setzten wird. Der Schluss ist verblüffend – Stefan Zweig lässt den Konflikt gut enden: Der Ehemann hat zwar ein teuflisches Spiel mit ihr getrieben, für das er sich entschuldigt. Ohne viel Worte nimmt er ihr das verhängnisvolle Fläschchen aus der Hand, trägt die Halbohnmächtige in ihr Bett. Wie aus einem langen Albtraum erwacht sie am nächsten Morgen und sieht ihren Ring am Finger, den sie schon an die Erpresserin verloren glaubte.

Natürlich ist Stefan Zweig vom Männer- und Frauenbild der damaligen Zeit geprägt: Da ist der übermachtige Ehemann, der zwar gütig ist, aber „gütig wie ein Gott, der gnädig verzeiht“. Dennoch ängstigt sich die Frau vor ihm. Sie ist die typische Dame aus guter Gesellschaft, die „ins Leere lebt“, wie sie erkennt, ohne Aufgabe, ohne Ziel. Selbst die Kinder haben mehr Kontakt zu ihrer Gouvernante als zu ihrer Mutter. Der Haushalt wird von Dienstboten tadellos geführt. Die Wohnung ist groß, prächtig und auch ein bisschen kalt, ungemütlich. Mit ganz feinen Pinselstrichen kritisiert Stefan Zweig in dieser Novelle das staubtrockene, streng geregelte Leben des Großbürgertums. Ein Leben, dem er selbst immer wieder durch lange Reisen entflohen ist. So lange, bis die Ehefrau die Scheidung einreichte.

Spontaner und begeisterter Applaus!

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