Volksoper Wien: ALMA

Oper in fünf Akten. Musik: Ella Milch-Sheriff, Libretto: Ido Ricklin. Musikalische Leitung: Omer Meir-Wellber

Es musste ja so kommen – Alma Mahler-Werfel als dankbare Titelfigur eines Musikdramas war fällig! Man glaubt, aus den zahlreichen Bio- und Autobiographien schon genug über die Skandallady und Männerverschlingerin zu wissen. Doch wie sagt die Protagonistin über sich selbst: „Niemand wird es gelingen, mich vollständig zu beschreiben. Ich stecke voller Rätsel.“ Ihren Lebensweg nochmals einfach nacherzählen oder nachsingen? „Das wäre nicht mehr als ein Wikipedia-Artikel“ meinte der für das Libretto Verantwortliche (zitiert aus der Stückeinführung). Da kam die Idee auf, ihren Lebenslauf nicht vorwärts- sondern rückläufig zu zeigen, beginnend 1935 mit dem Begräbnis Manons, der Tochter von Gropius. Der Mehrwert dieser Idee darf bezweifelt werden. sorgt sie doch in manchen Szenen für zeitliche Überschneidungen.

Offensichtlich gingen Librettist, Komponistin und die Wiener Volksoper als Auftragsgeberin davon aus, dass das p.t. Publikum bestens über Almas Sexskandale informiert ist.( Paulus Manker hat ja mit dem Stationendrama „Alma“ für handgreifliche Aufklärung gesorgt) Das “ Rätsel Alma“ geht der Librettist Ido Ricklin erst gar nicht an – er bleibt an der Oberfläche und schildert eine nach Sex und Macht gierende Frau.

Dass „Alma“ ein Publikumshit wird oder schon ist, ist verstehbar. Denn Annette Dasch ist stimmlich und darstellerisch die perfekte Alma. Ihr gelingt es mühelos, von der 56-Jährigen, vom Alkohol Gezeichneten in die Rolle des jungen Mädchens zu schlüpfen, die den Heiratsantrag Gustav Mahlers annimmt. Dass er ihr mit dem Heiratsantrag auch gleich das Komponieren verbietet, ist für Alma ein unerträglicher Schmerz. Später wird sie den Schmerz um ihre nie geschriebenen Kompositionen dem um ihre toten Kinder gleichstellen. Annette Dasch gelingt es, diese Komponente als Charaktergrundlage zu verdeutlichen. Ihr zur Seite steht die ungeliebte Tochter Anna, die einzig Überlebende von Almas Kindern. Zwischen den beiden herrscht kriegerische Abhängigkeit. Annelie Sophie Müller zeigt in dieser Rolle ihre Wandelbarkeit. Als Carmen erlebt man sie als selbstsichere Frau, die lieber in den Tod geht als sich der besitzergreifenden Liebe zu unterwerfen. Als Anna tritt sie durch ihren klaren Sopran und ihre schlichte Personencharakterisierung aus dem Schatten, den ihr leider das Libretto zugeschrieben hat. Sie ist Korrektiv und Fragerin.

Der Handlungsstrang konzentriert sich auf die Kind-Mutterbeziehung, besser auf die fehlende Beziehung. Grausam bis zur Unerträglichkeit wühlt die Regisseurin Ruth Brauer-Kvam in blutigen Geburts- und Abtreibungsszenen. Wenn die Nabelschnur dem ungeborenen Kind von Kokoschka – beeindruckend der Koloraturssopran Hilo Beggio – und der Mutter heraushängt, wenn die Frühgeburt Martins krass und abstoßend gezeigt wird, dann muss man Annette Dasch bewundern, dass sie all das mitträgt. Ruth Brauer-Kvam ist ja für ihren überbordenden Einsatz von grellen Effekten bekannt, aber in diesem Fall hat sie den Bogen überspannt. An anderen Stellen wiederum wirken ihre Regieeinfälle zu verspielt. Wenn die Särge der Kinder auf einer Art Minieisenbahn hereingefahren werden. Das erinnert fatal an eine Grottenbahn. Die Alma-Männer sind bis auf Kokoschka eher blass und unscheinbar geschildert. Gropius (Florian Hurler) darf im Hintergrund eckige Tanzbewegungen ausführen, Werfel (Timothy Fallon) darf zwar Alma auf dem Klavier vergewaltigen. Aber sonst bleibt er eine Nebenfigur. Auch Mahler (Josef Wagner) wirkt schattenhaft. An Kokoschka (Martin Winkler) kann sich die Phantasie der Regisseurin genüsslich abarbeiten.

Die Idee, die Tode ihrer vier Kinder als epischen Handlungsstrang zu nützen, ist an sich ein guter Ansatz. Leider fehlt dem Libretto die Kraft des Dialogs und die Regie vertut sich in grellen Sex-, Geburts- und Todesszenen. Die Musik von Ella Milch-Sheriff passt sich an das Geschehen an: Einmal heiter mit Wienerlied-Anklängen, dann meint man Mozart zu hören und natürlich Mahler. Wenn nötig gibt es heftiges Blech. Omer Meir Wellber dirigiert diese verschiedenen Musikzitate gekonnt zu einem passablen Bogen rund um das Trauer- und Erotiktableau auf der Bühne. Begeisterter Applaus für alle Sänger, besonders aber für Alma, Anna und den Dirigenten.

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