Volksoper Wien: Georges Bizet, Carmen

Musikalische Leitung: Tobias Wögerer (Debüt), Regie: Lotte de Beer. Bühne: Kristof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek

Schade! Es wäre eine tolle „Carmen“ , wären da nicht die vielen verzichtbaren Regiemätzchen von Lotte de Beer. Ihre Ansage vor Beginn der Oper lässt Schlimmes befürchten: „Zigarettenrauch auf der Bühne zu zeigen ist verboten (was gar nicht stimmt), Femizid aber ist erlaubt!“ Was heißt das – will sie Carmen leben und in Notwehr Don José erstechen lassen? So arg wird es dann doch nicht!

Was den Abend auf allen Linien rettet, sind die wirklich interessanten und tollen Stimmen: Allen voran Annelie Sophie Müller als Carmen. Warum findet man von ihr keine Presefotos?

Annelie Sophie Müller muss nicht mit vordergründiger Erotik in Stimme und Gesten die Männer (und das Publikum) betören – es ist ihr klarer Mezzsopran, der in allen Lagen überzeugt. Ihr Spiel ist gelenkt von haarscharfer Intelligenz. Vor den Männern hat sie wenig Achtung, sie nimmt sie und vergißt sie fast augenblicklich. L´amour ist für sie eher ein „bourgeoiser“ Begriff. Womit wir beim Regiekonzept von Lotte de Beer wären. Carmen und ihr Gefolge sind „Bohemiens“. Ihr Lebensinhalt heißt „Freiheit“, um die es auf allen Linien zu kämpfen gilt. Gegenspieler ist die gesamte Bourgeoisie, worunter Lotte de Beer ganz besonders die Theaterbesucher zählt – also jegliches Pulikum, auch das gerade anwesende. Deshalb lässt sie ab der Hälfte der Oper immer wieder im Hintergrund Theaterlogen aufziehen, von denen aus „das Publikum“ Carmen beobachtet. Warum Carmen ihrerseits dieses Publikum beobachtet, immer wieder in die Logen klettert, das erschließt sich nicht. Warum ein Kind aus dem Saal-Publikum mehrmals nach vor an die Brüstung läuft, um zu fotografieren, und eine verlegene Mutter sie wegholt, ist auch nur einer der vielen Gags, die mehr störend als erhellend wirken.

Ebenso wie Annelie Sophie Müller begeisterte auch Tomislav Muzek als Don José. Ein Tenor mit Kraft bis in die Höhen. Leider ließ die Regie ihn in den ersten beiden Akten als tölpelhaften Loser agieren. was zur Folge hat, dass er keine Sekunde ein „brauchbares Liebesobjekt“ für Carmen ist. Allerdings ändert sich das im Schlussakt – hier kann Muzek zeigen, dass er sowohl darstellerisch als auch stimmlich grandios ist. Auch die kleineren Rollen überzeugen: Joye Simmons als Frasquita und Maria Hegele als Mercédes bringen frischen Wind als Kartenlegerinnen und Carmens Weggefährtinnen. Hedwig Ritter als Micaela hat ein gutes Stimmpotential, allerdings wirkt sie in der Höhe etwas scharf. Pablo Santa Cruz lässt als Zunigo mit seinem geschmeidigen Bassbariton aufhorchen. Daniel Schmutzhard legt die ungeliebte Rolle des Escamillo mit überzeugend ironischem Blick auf diese Figur an. Dazu hat Lotte de Beer wieder einen ihrer „Einfälle“ : Carmen erkennt plötzlich in einer Art Trance, was sie als Geliebte Escamillos erwarten würde: Ein Leben als brave Bürgerin, die am Morgen den Tisch fürs Frühstück deckt und dem scheidenden Escamillo in den Mantel hilft. Eingerahmt wird diese Szene durch eine Art „Hochzeitsbogen“ oder auch grünem Pavillon. Unter diesem Biedermeierrahmen lässt Lotte de Beer die Ermordung Carmens stattfinden, umstellt von dem Publikum, die alle aus den Logen steigen und das Paar sensationslüstern umringen. Man kapiert: Eine Frau wird auf offener Straße ermordet und alle sehen zu. Ein bisschen zu plakativ!

Das Publikum applaudierte allen Sängerinnen und Sängern mit Begeisterung, besonders aber Annelie Sophia Müller und Tomislav Muzek. Viel Applaus erntete auch Tobias Wögerer, der das Orchester mit Bravour und Temperament dirigierte.

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